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Grundlage für diesen Beitrag ist der Artikel "Externer Link: The Coronavirus as a Means to an End: Extremist Reinterpretations of the Pandemic", der am 30. März 2020 im PRIF Blog erschienen ist.
Die strikten Maßnahmen zur Verhinderung einer weiteren Verbreitung des neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2)
Extremistische Gruppen geben Empfehlungen für den Umgang mit Corona
Ebenso wie bei vielen moderaten Akteuren kann man auch bei extremistischen Gruppen einen alltagsbezogenen Umgang mit dem Virus feststellen, indem sie Empfehlungen und praktische Handlungsanweisungen ausgeben: In einer vor wenigen Wochen erschienenen Ausgabe des al-Naba-Newsletters des sogenannten Islamischen Staates (IS) stellte die Terrororganisation Warnungen und praktische Richtlinien im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie vor.
Dennoch weisen radikale Online-Diskurse in Bezug auf die Pandemie einige Besonderheiten auf, da Extremistinnen und Extremisten jeder Ausrichtung versuch(t)en, die aktuelle globale Gesundheitskrise entsprechend ihrer Ziele umzudeuten. Gerade solche vermeintlich alltäglichen Narrative wie die praktischen Gesundheitsempfehlungen können also auch Ansatzpunkte dafür sein, extremere Ansichten zu platzieren und so zu verbreiten. Teilweise lassen sich ähnliche Narrative in verschiedenen Extremismen und somit phänomenübergreifend beobachten; gleichzeitig lassen sich aber auch widersprüchliche Narrative innerhalb der Phänomenbereiche erkennen.
Das Virus als Wunderwaffe und Soldat in den eigenen Reihen
Beim Vergleich der virtuellen Kommunikation von rechtspopulistischen beziehungsweise rechtsextremen und islamistischen Personen und Kollektiven sowie ihren Darstellungen und Auslegungen der Pandemie fällt auf, dass beide den Ausbruch des Virus zumindest teilweise positiv interpretieren. In diesem Sinne werden in extrem rechten Kreisen die allgemeinen Folgen von SARS-CoV-2 begrüßt und fälschlicherweise behauptet, dass dieses vor allem für Frauen und "Ausländer" tödlich wäre. Solche Behauptungen lassen sich in Facebook-Profilen von einigen Mitgliedern der Partei Alternative für Deutschland (AfD)
Zudem wird die globale Pandemie als ein möglicher erster Schritt in Richtung des Dritten Weltkriegs dargestellt. Dabei wird auf Fantasien rekurriert, das Virus könne dazu genutzt werden, um gezielt "nicht-weiße" Menschen, Jüdinnen und Juden, Polizistinnen und Polizisten oder andere Mitglieder von Strafverfolgungsbehörden zu töten. Auch ist in rechtsextremen Profilen immer wieder die Rede von einem "Tag X", an dem die öffentliche Ordnung gekippt und ein gewaltsamer Umsturz herbeigeführt werden soll – Aussagen, wie sie auch im Umfeld des Vereins Uniter e. V. getätigt werden. Die mit SARS-CoV-2 einhergehende Unsicherheit wird in diesem Kontext also als Chance betrachtet. Rechtsextreme, die der Überzeugung sind, die multikulturelle globalisierte Gesellschaft sei dem Untergang geweiht, sehen zudem eine Gelegenheit, diesen Umsturz durch die Pandemie beschleunigen zu können. "Das System ist am Ende, wir sind die Wende!", so der Slogan auf der NPD-Website, den Mitglieder auch auf Demonstrationen skandieren und der in zahlreichen Facebook-Profilen zu beobachten ist.
Auch in islamistischen Diskursen finden sich solche "positiven" Interpretationen: In einer weiteren Ausgabe des al-Naba-Newsletters des "IS" lobpreiste die Organisation beispielsweise die Krankheit und die weit verbreiteten "schmerzlichen Qualen" des globalen Ausbruchs als göttliches Werk.
Akteure beider Extremismen schreiben dem Virus also positive Eigenschaften zu. Folglich sind sowohl extrem rechtspopulistische und rechtsextreme Akteure wie auch islamistische Gruppen der Ansicht, dass SARS-CoV-2 zumindest teilweise ihren Zielen förderlich ist. Gleichzeitig nutzen beide Spektren das Virus auch, um Verschwörungstheorien zu verbreiten und um gezielt Panik zu schüren.
Das Virus als Nährboden für Verschwörungstheorien
In sozialen Medien kursieren vor allem in der rechtsextremen Szene diverse Verschwörungstheorien über die Konzeption des Virus.
Teilweise heißt es in rechtsextremen Profilen auch, Jüdinnen und Juden seien die Verursachenden der Pandemie.
Die Interpretationen islamistischer Akteure unterscheiden sich zwar hinsichtlich ihrer Ausgangspunkte, kommen aber zumindest teilweise zu ähnlichen Schlussfolgerungen: So heißt es, "Allahs Zorn" stelle die Menschen auf die Probe. Das neuartige Coronavirus wird als göttliche Strafe für menschliche Sünden interpretiert, denn Krankheiten würden sich nur nach Allahs Willen ausbreiten. Auch al-Qaida äußert sich ähnlich: Die Pandemie sei eine Folge der Sünden von Musliminnen und Muslimen sowie deren Entfremdung von Gott. Als Ursachen werden hierbei "Obszönität und moralische Korruption" sowie mangelnde Unterstützung und Verteidigung unterdrückter Menschen und das "muslimische Versagen" genannt. Nun sei es an der Zeit, den Dschihad voranzutreiben, die Mudschahedin (arab. für "Kämpfer") zu unterstützen und den wahren Glauben weiterzutragen.
Folgerichtig, so die Erzählung, wird die Krankheit erst dann wieder eingedämmt sein, wenn es dem göttlichen Willen entspricht. So soll beispielsweise Abdellatif Rouali, ein bekannter salafistischer Prediger aus Frankfurt am Main, kürzlich in einem Video gesagt haben: "Corona geht erst, wenn Allah es erlaubt".
Darüber hinaus werden die Familie Rothschild oder eine "zionistische Lobby" – gängige antisemitische Sprachbilder, wie man sie auch aus dem Rechtsextremismus kennt – der Umwandlung des Virus als Waffe beschuldigt. Auch anti-iranische beziehungsweise anti-schiitische Einstellungen werden mit Verschwörungstheorien verknüpft: So warnte ein dschihadistischer Kommandeur sogar vor einem möglichen gezielten Einsatz von Infizierten aus dem Iran als biologische Waffe gegen Rebellengruppen in Syrien.
Scheinbar gleich, aber doch anders?
Die dargestellten Interpretationen und Auslegungen des Virus von Rechtspopulisten und Rechtsextremisten sowie Islamisten weisen hinsichtlich ihrer Ausrichtung deutliche Ähnlichkeiten auf. So wird SARS-CoV-2 in beiden Phänomenbereichen sowohl positiv als auch negativ interpretiert, bereits bestehende Feindbilder werden verstärkt und Fehlinformationen, sogenannte fake news, und Verschwörungstheorien verbreitet.
In ihrer Verwundbarkeit scheinen sich die Gruppen jedoch voneinander zu unterscheiden: Zwar ist die weitere Entwicklung der Pandemie noch ungewiss, jedoch liegt die Vermutung nahe, dass insbesondere jene extremistischen und terroristischen Gruppen vom neuartigen Coronavirus und seinen Auswirkungen betroffen sein werden, die sich nicht auf funktionierende Gesundheitssysteme in einem Nationalstaat verlassen können.
Sicher scheint aber bereits jetzt zu sein, dass sich kommende Entwicklungen und die Ausbreitung des Virus auch in der Kommunikation extremistischer Gruppen niederschlagen werden. Außerdem zeichnet sich schon jetzt ab, dass beispielsweise der sogenannte IS die Konzentration auf das Virus als sich bietende Chance nutzt: So hat die Organisation ihre Aktivitäten in den letzten Wochen insbesondere in Ostsyrien verstärkt.
Ungeahnte Risiken
Generell ist die Beobachtung, dass extremistische Akteure aller Couleur das neuartige Coronavirus diskursiv mit ihren jeweiligen Agenden in Verbindung bringen, nicht überraschend. Verschwörungstheorien werden in unsicheren Zeiten gezielt eingesetzt, um komplexe Angelegenheiten einfach und im Sinne der Ideologie darzustellen und Feindbilder zu stärken. Darüber hinaus sind, wie gezeigt wurde, nicht alle von extremistischen Gruppen in diesem Zusammenhang vorgetragenen Narrative auch als extremistisch einzustufen: An sich unproblematische Aussagen über Alltagsthemen werden häufig mit ideologischen Standpunkten verknüpft. Dies betrifft den diskursiven Umgang jener Gruppen mit der Pandemie genauso wie den mit anderen Ereignissen. Wenn man jedoch einen bestimmten Beitrag oder Inhalt auf einer Social-Media-Plattform (wie beispielsweise YouTube, Facebook oder Twitter) anschaut, likt oder teilt, werden einem – aufgrund von Algorithmen – ähnliche Inhalte anderer Profile oder weitere Beiträge desselben Users vorgeschlagen. Durch das Liken solcher Inhalte kann es leicht passieren, dass Personen zunehmend radikalere Inhalte konsumieren.
Es scheint wahrscheinlich, dass dieser Prozess durch die Pandemie beeinflusst wird: Durch die weit verbreitete Einschränkung des öffentlichen Lebens verlagert sich ein großer Teil der sozialen Interaktion in die virtuelle Welt. Folglich verbringen zumindest einige Menschen mehr Zeit in sozialen Medien und werden demzufolge auch häufiger mit Narrativen aller Art konfrontiert. Das würde beispielsweise erklären, weshalb einige Kanäle rechtsextremer Akteure beim Messenger-Dienst Telegram innerhalb der letzten Wochen hunderte neue Abonnentinnen und Abonnenten hinzugewonnen haben. Einige Expertinnen und Experten befürchten,
Allerdings muss ebenso klar verdeutlicht werden, dass keine Person plötzlich radikale Einstellungen entwickelt oder gar gewaltbereit wird, nur weil sie vermehrt auf Inhalte extremistischer Akteure stößt.
Fazit
Verschwörungstheorien und fake news, die sich derzeit nicht nur, aber vor allem über das Internet verbreiten, können das Verhältnis zwischen Bürgerinnen und Bürgern sowie zwischen ihnen und ihren Regierungen negativ beeinflussen, insbesondere in außergewöhnlichen und unsicheren Zeiten wie diesen. Soziale Spaltungen und bereits vorhandene gesellschaftliche Polarisierung und Schieflagen
Es ist anzunehmen, dass extremistische Akteure die Corona-Pandemie auch künftig nutzen werden, um weitere (rassistische) Gewaltakte zu rechtfertigen und Hassrede zu betreiben. Außerdem ist zu vermuten, dass sie die aktuelle globale Gesundheitskrise zum Anlass nehmen, ihre Ideologie zu verbreiten – und deshalb muss nicht nur der Verbreitung des Virus selbst, sondern auch dessen extremistischer Vereinnahmung entschieden entgegengetreten werden: In Zeiten wie diesen muss der soziale Zusammenhalt entschlossener denn je verteidigt werden. Hieran sollten sich Akteure verschiedener gesellschaftlicher Ebenen beteiligen: Sowohl die Gesetzgeber und Strafverfolgungsbehörden als auch zivilgesellschaftliche Organisationen, Medien und jede und jeder Einzelne. Insbesondere bedarf es einer gezielten Förderung und Stärkung von Medienkompetenz von klein auf. Deren Bedeutung wird auch und gerade in Zeiten von Covid-19 mit Homeschooling, Homeoffice und verstärkter Nutzung digitaler Medien sehr deutlich.
Weitere Angebote der bpb zum Thema
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