Einleitung
Joseph Rovan, der 1933 nach Frankreich emigriert und nach seiner Festnahme durch die Gestapo im Juli 1944 ins KZ Dachau deportiert worden war, bevor er zu den entscheidenden Akteuren der westdeutsch-französischen Annäherung nach 1945 gehörte, berichtet rückblickend, wie er im Maquis, der französischen Partisanenbewegung, jungen Widerständlern erklärte, dass es sich beim Kampf gegen den Nationalsozialismus nicht um einen klassischen nationalen Krieg, sondern um einen internationalen Bürgerkrieg handele.
Konkurrierende Versionen der Vergangenheit bestimmten in Frankreich wie in Deutschland nach 1945 die Erinnerungslandschaften und erschwerten eine von Konvergenz und Kooperation geprägte Interpretation des deutschen Widerstandes. Diese Feststellung legt eine vergleichende Herangehensweise nahe, um die Bedeutung von nationalen Traditionsbeständen bei gesellschaftlichen Aneignungsprozessen von Historie durch die verfremdende Linse eines Vergleichsfalls erfassen zu können. Die Vorstellung von einer unabhängigen "nationalen" Entwicklung erscheint jedoch fraglich,
Zwischen Kollektivschuldthese und völkerverbindenden Ansätzen
Die Siegermächte taten sich nach Kriegsende schwer damit, dem deutschen Widerstand moralisch-rechtliche Legitimation und politische Bedeutung zuzusprechen. Vielmehr tabuisierten sie seinen Beitrag zur Geschichte des "Dritten Reiches" und hielten an der Kollektivschuld der Deutschen fest, die auch in Frankreich die dominierende Haltung gegenüber dem östlichen Nachbarn darstellte. So hütete sich gerade Charles de Gaulle nach der libération, exkulpatorische Vorlagen zu geben, welche die Deutschen als Anreiz für einen bruchlosen Marsch in eine postfaschistische Gesellschaft auffassen bzw. zur Selbststilisierung als Opfer des NS-Regimes hätten nutzen können. Anders stellte sich schon die Situation für die französische Militärregierung in ihrer Zone dar, wo Wiederaufbau und Entnazifizierung die Identifizierung unbelasteter Deutscher aus Widerstand und Verweigerung erforderten, um sie umgehend in den Demokratisierungsprozess einzubinden.
Auch in der französischen Öffentlichkeit blieb die Kollektivschuldthese nicht die einzige Reaktion, wie die Sondernummer der von Jean-Paul Sartre herausgegebenen Zeitschrift "Les Temps modernes" vom August/September 1949 dokumentiert.
Maxime Mourin,
Dieser die französische Innenpolitik bestimmende geschichtspolitische Konkurrenzkampf um das Erbe der Résistance ließ in der Folge nur wenig Platz für eine Rezeption des deutschen Widerstandes, der in Frankreich in den fünfziger Jahren in Vergessenheit geriet und bis in die sechziger Jahre aus dem öffentlichen Diskurs verdrängt wurde. Wie wir ausführlich sehen werden, barg der von der Résistance ausgehende Perzeptionsrahmen aber bereits die Keimzelle für einen offeneren Blick auf den deutschen Widerstand: Trotz aller parteipolitischen und ideologischen Rivalitäten, die sich um den Résistance-Mythos als Gründungsideologie der IV. Republik rankten und den innerfranzösischen "Kalten Krieg" bestimmten, sprachen weder die Vertreter des äußeren noch die des inneren Widerstands ihren zu politischen Widersachern gewordenen ehemaligen "Kampfgenossen" die Legitimation ab.
Gab es einen deutschen Widerstand?
Weil die Auseinandersetzung der Deutschen mit ihren Widerständlern auch von den Franzosen als Gradmesser für gesellschaftliche Veränderungen und die politische Bewusstseinsentwicklung wahrgenommen wurde, musste es Reaktionen herausfordern, als in der Bundesrepublik ab Anfang der fünfziger Jahre der militärische Widerstand immer mehr in den Mittelpunkt gerückt wurde und Bundespräsident Theodor Heuss am 20. Juli 1954 den "Opfergang" der Männer um Stauffenberg als Voraussetzung dafür bezeichnete, dass "die Scham, in die Hitler uns Deutsche gezwungen hatte, (...) vom besudelten deutschen Namen wieder weggewischt" worden sei.
Positive Traditionsstiftung betrieb auch Konrad Adenauer, als er den vor allem moralisch gemeinten Ausspruch bei Henning von Tresckow, das Attentat gegen Hitler werde Deutschland helfen, den Weg in den Kreis der zivilisierten Nationen zurückfinden, in ein außenpolitisches Vermächtnis und die Hoffnung der Regimegegner in einen politischen Anspruch überführte.
Die von der Totalitarismustheorie geprägte westdeutsche Widerstandsforschung traf in Frankreich auf einen antifaschistischen Grundkonsens, der zu intellektuellen Inkompatibilitäten und asynchronen Deutungsmustern führte. Es muss als Reaktion auf die geschichtspolitischen Debatten in der Bundesrepublik um ihre normativen Grundlagen verstanden werden,
Die Reserven innerhalb der internationalen Widerstandsforschung gegen die oft apologetischen Interpretationen in der Bundesrepublik beschränkten sich aber nicht nur auf das kommunistische Lager, sondern waren auch bei "bürgerlichen" Historikern anzutreffen, wie sich auf dem ersten internationalen Kongress zur Geschichte des europäischen Widerstands im Jahre 1958 in Lüttich zeigte. Obwohl der von den Organisatoren eingeladene Helmut Krausnick vom Münchener Institut für Zeitgeschichte als unbescholtener und unangefochtener Kenner der Materie galt, kam es schon in den ersten Minuten seines Vortrags zu einem Tumult im Saal. Die Aufnahme der von ihnen als jämmerlich klein wahrgenommenen deutschen "Opposition" in den Kreis der europäischen Widerstandsbewegungen hielten nicht nur die französischen Teilnehmer für unerträglich, so dass sie den Saal unter Protest verließen.
Der französische Historiker Henri Michel, Vertreter eines gaullistischen Geschichtsbildes und im Umgang mit seinen deutschen Kollegen von herablassender Art, wie einer der Gründerväter der französischen Zeitgeschichtsschreibung, François Bédarida, beobachtet hatte, baute 1961 demonstrativ einen Gegensatz zwischen dem europäischen Widerstand und der deutschen Opposition gegen Hitler auf. Deren Organisation bezeichnete er als schematisch und dürftig bezeichnet, um anschließend historischen Überhöhungen und politisch-moralischen Entlastungsstrategien ein Ende zu bereiten: "Die Opposition beschränkte sich auf Konspirationen und Komplotte. In ihre Aktionen war immer nur eine begrenzte Anzahl von Verschwörern eingebunden. Ihr Hauptziel war Adolf Hitler, von dem sie Deutschland befreien wollten, vor allem von dem Zeitpunkt an, als sich allgemein die Überzeugung breit macht, dass er Deutschland in die Niederlage führt."
Die mit diesem Urteil vollzogene Entsorgung des deutschen Widerstands gibt eine Vorstellung davon, wie die Erinnerung an die années noires (1940 - 1944/45) durch die Debatten um die bundesdeutsche Wiederbewaffnung aufgefrischt worden war und auch Anfang der sechziger Jahre noch in die französische Erinnerungskultur hineinwirkte. Die Gegenwart ehemaliger Wehrmachtsgeneräle in der Bundeswehr verstand nicht nur Michel als Kontinuität des preußisch-deutschen Militarismus; sie schürte fortwährenden Argwohngegenüber dem gesellschaftlichen Milieu derVerschwörer vom 20. Juli und ihren Traditionen, die Frankreich durch seine Entnazifizierungspolitik (déprussification) nach 1945 beseitigen wollte.
Die 1955 in Frankreich von dem Résistance-Verlag "Les Éditions de Minuits" publizierten Erinnerungen von Inge Aicher-Scholl an die "Weiße Rose" sind zum einen die Ausnahme von der Regel, sie sind zum anderen aber auch als Missbilligung der westdeutschen Widerstandsforschung zu verstehen, denn mit dieser Würdigung des studentischen Widerstandes auf Augenhöhe der französischen Résistance wurde die dem 20. Juli in der Bundesrepublik zugeschriebene historische Bedeutung infrage gestellt.
Der deutsche Widerstand in der auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik in Frankreich
Die sich herausbildende symbolbeladene Bedeutung des Widerstandes für das Deutschlandbild im Ausland bewog die Verantwortlichen der auswärtigen Kulturpolitik in Bonn seit Anfang der sechziger Jahre, über regierungsamtliche Stellen und derauswärtigen Kulturarbeit verpflichtete Mittlerorganisationen Einfluss auf die Diskussionen zu gewinnen. Ausgewählte Ergebnisse der bundesdeutschen Widerstandsforschung wurden ins Englische und Französische übersetzt, um sie gezielt an ausländische Multiplikatoren zu versenden. Zu den ersten dieser Übersetzungen gehörte eine Buchausgabe der erweiterten Sondernummer der Wochenzeitung "Das Parlament" zum 20. Juli 1944,
Diese Form der Kulturarbeit erwies sich jedoch in der Folge als transnationales Auslaufmodell und wich nach und nach einer Vermittlungspraxis, die sich bereits in den sechziger Jahren durch steigende interkulturelle Sensibilität auszuzeichnen begann und einen Dialog zwischen Außen- und Innenperspektive einleitete. So veröffentlichte die Mittlerorganisation Inter Nationes 1964 eine von Richard Mönnich zusammengestellte Bibliographie in französischer und englischer Sprache, in die er vor allem Studien ausländischer Historiker zum Widerstand gegen Hitler aufgenommen hatte. Dieselbe Organisation bereitete 1966 eine Geschichte des deutschen Widerstandes von Prinz Hubertus zu Löwenstein für das anglo- und frankophone Ausland auf, so dass die Leser aus der Feder eines Vertreters der deutschen Emigration über den nationalkonservativen und militärischen Widerstand hinaus Einzelheiten über die anderen Widerstandsgruppen und die deutsche Emigration erfuhren.
Diese Entwicklung deutete auf kulturpolitische Lernprozesse hin, die in den sechziger Jahren noch von mentalen Ungleichzeitigkeiten in der Arbeit der Akteure bundesdeutscher Kulturpolitik im Ausland und Aushandlungsprozessen zwischen ihnen geprägt waren. Einen Einblick in diese Praxis vermitteln die Reaktionen auf die zweiteilige Dokumentation "Ces hommes de l' espérance", welche Marianne Oswald, französische Filmautorin und ständige Mitarbeiterin von Radio-Télévision Française (RTF), aus Anlass des 20. Jahrestages des 20. Juli vorbereitet hatte. Wie wenig die französische Öffentlichkeit zu diesem Zeitpunkt darüber wusste, konnte die Filmemacherin aus Reaktionen entnehmen, die ihr nach der Ausstrahlung in großer Anzahl zugingen. Sie berichtete bundesdeutschen Botschaftsangehörigen von Briefschreibern, die über den Bildschirm "eine ganz neue Erkenntnis über Deutschland gewannen, die sie vorher nie für möglich gehalten hätten"
Im Vorfeld der beiden Sendungen (19. und 26. März 1964), in denen mit Carlo Schmid und Alfred Grosser auch zwei der wichtigsten Mittlerpersönlichkeiten des deutsch-französischen Annäherungsprozesses zu Wort kamen,
Neben diesem neuen öffentlichen Interesse wandten sich auch Historiker in Frankreich dem deutschen Widerstand zu. Dass die Männer des 20. Juli 1944 nach Auffassung von Alain Desroches die Ehre des großen deutschen Volkes gerettet und vor der Nachwelt rehabilitiert hätten,
Die Internationalisierung im Spannungsfeld weltanschaulicher Konkurrenz setzte sich auch 1969 fort, als das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung eine Anthologie zum 20. Juli 1944 unter der Leitung von Hans-Adolf Jacobsen publizierte, in die auch der sowjetische Historiker Daniil Melnikow Aufnahme fand. Um die chiffrenartige Zusammenfassung des Widerstandes gegen Hitler im "20. Juli" und seine Funktion als antitotalitärer Stützpunkt eines demokratischen Nationalbewusstseins in der Bundesrepublik
Es kann als Reaktion auf das weithin dominierende "antitotalitäre" Deutungsmuster verstanden werden, den Widerstandsbegriff fast singulär am 20. Juli 1944 zu orientieren, dass Historiker wie Henri Bernard und Gérard Sandoz in den folgenden Jahren neue Darstellungen vorlegten, dabei jedoch quasi als "antifaschistische" Gegenreaktion ein idealisiertes Bild zeichneten, das mehr vom politischen Bewusstsein der Autoren als vom Willen zur Historisierung bestimmt war, so dass sie die Komplexität der "Dialektik von Mitmachen und Widerstehen, von Zusammenarbeit und Verweigerung, von Loyalität und Opposition" (Klaus Hildebrand) nur ungenügend einfingen.
Konvergenz und Kooperation
Wenn sich auch die Widerstandsdeutungen französischer und westdeutscher Historiker in den achtziger Jahren angenähert hatten, so bedurfte es erst der deutschen Vereinigung und der Entideologisierung der Geschichtswissenschaft, um der Konvergenz in der Widerstandsforschung den Weg zu bahnen. Zu ihrer Grundlage wurde die institutionelle Vernetzung von vergleichender Forschung zu Widerstand bzw. Résistance in Deutschland und Frankreich und eine damit einhergehende Tiefen- und Breitenwirkung in der Öffentlichkeit. Ausgangspunkt war der 50. Jahrestag des 20. Juli, zu dem die deutsch-französische Zeitschrift "Documents" eine Themennummer vorlegte,
Ein Jahr später erwuchs aus einer im September 1994 unterzeichneten Vereinbarung zwischen Paris und Berlin eine Kooperation zwischen der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und dem im März 1995 ins Leben gerufenen Mémorial du Maréchal Leclerc de Hautecloque et de la Libération de Paris - Musée Jean-Moulin. Erstes sichtbares Ergebnis dieser Zusammenarbeit war die Ausstellung "Des Allemands contre le nazisme, 1933 - 1945", die der interessierten Öffentlichkeit in einer für Frankreich adaptierten Fassung zuerst in Paris (November 1995) und dann in verschiedenen französischen Provinzstädten präsentiert wurde.
Um die Forschungsergebnisse zum deutschen Widerstand der nachwachsenden Generation zugänglich zu machen, wurden in den neunziger Jahren vor allem gesellschaftliche bzw. schulische Multiplikatoren in die Erinnerungsarbeit eingebunden. Diesem Bemühen entsprach die Entscheidung, das "Dritte Reich" (1996/97) und "Widerstand und Exil" (1997/98) als Landeskundethemen in die staatlich-zentralisierten Lehrerexamina CAPES und Agrégation (Germanistik) aufzunehmen.
Das populärwissenschaftliche Interesse für eine résistance inconnue bzw. für Einzelschicksale unbekannter Männer und Frauen im Widerstand
Widerstand als Fähigkeit zum "Nein-Sagen", weil das Gewissen keinen anderen Ausweg mehr zulässt, eine Haltung, welche in Frankreich in Charles de Gaulle (L'homme qui a dit 'non') seine Personifizierung findet, betonte auch die eingangs genannte ehemalige französische Europaministerin Noëlle Lenoir in ihrer Ansprache für Freiherr von Boeselager. Sie ordnete sie jenen Grundwerten zu, auf denen die europäische Integration beruhe. Auch wenn es aus Versöhnungsperspektive zu begrüßen ist, dass die Existenz eines "anderen" Deutschlands heute in Frankreich nicht mehr in Frage gestellt wird und dem Thema Widerstand eine grenzüberschreitende, identitäre Brückenfunktion zukommt, so sollte eine Frage nicht aus den Augen verloren werden: Warum blieb der Widerstand gegen Hitler ein "Widerstand ohne Volk", wenn nicht alle Deutschen ein Herz aus Stein hatten, wie es in einem jüngst übersetzten Zeitzeugenbericht heißt?
Fazit
Dem Kampf gegen die Besatzer kam in der französischen Nachkriegsgesellschaft eine enorme politische und symbolische Bedeutung zu; er ließ die Résistance zu einem positiven Anknüpfungspunkt nationaler Identität werden. Die Durchsetzung einer neuen nationalen "Meistererzählung" mit ihren Mythen und Legenden brauchte Abgrenzung und leistete Vorschub für die Kollektivschuldthese und eine antideutsche Grundstimmung.
Dass in den transnationalen Kommunikationskanälen lange Zeit nur wenig Platz für eine angemessene Würdigung des deutschen Widerstandes zur Verfügung stand, lag nicht zuletzt auch an den Ungleichzeitigkeiten im Umgang mit den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts. Während der nationalkonservative Widerstand bzw. der 20. Juli 1944 in der Bundesrepublik als Ausdruck antitotalitären Handelns überhöht wurde, dominierte im französischen Intellektuellenmilieu eine antifaschistische Grundhaltung, die sich erst nach dem von Alexander Solschenizyn 1974 ausgelösten "Gulag-Schock" in einen antitotalitären Grundkonsens weiterentwickelte.
Diese diskursiven und intellektuellen Inkompatibilitäten versuchten Adenauer und de Gaulle seit Anfang der sechziger Jahre zu überwinden, indem sie weiterhin existierende Tabuthemen hinter einem "versöhnenden" Schlussstrichdiskurs überspielten. Die Grundlage für eine transnationale Interaktion in der Widerstandsforschung förderten sie mit dieser geschichtspolitisch motivierten Entscheidung jedoch nicht, so dass es erst eines Generationswechsels und einer damit einhergehenden Entmythologisierung bedurfte, um die Historisierung des Widerstands in den neunziger Jahren gemeinsam anzugehen.