"Schauen, was draußen los ist"
Filmstill aus der MfS-Dokumentation "Korrespondenten imperialistischer Massenmedien". Aufnahme aus der "Abendschau" des Senders Freies Berlin (SFB) über "Radio Glasnost".
'Radio Glasnost – außer Kontrolle' versucht, aus der eigenen Suppenschüssel zu springen und zu schauen, was draußen los ist" – mit diesen Worten präsentierte die Moderatorin Ilona Marenbach am 31. August 1987 die erste reguläre Sendung eines einmaligen deutsch-deutschen Hörfunkprojekts
Insbesondere ihren Hörern in Ost-Berlin versprach die junge Frau am Mikrofon nicht zuviel: "Radio Glasnost" schaute von West-Berlin aus, was "draußen" in der DDR los war und ließ unzensiert zu Wort kommen, wer in den staatlich gelenkten Medien keine Chance hatte, die Stimme zu erheben, wer von der SED diffamiert und vom Ministerium für Staatssicherheit staatsfeindlicher Aktivitäten beschuldigt wurde: Der Sender schickte heimlich in den Westen gelangtes Material in den Äther. Mit subversiver Kraft sprengte ein kleines Team, dem im Programm des linksalternativen "Radio 100" ein fester Sendeplatz eingeräumt wurde, in den letzten zwei Jahren vor dem Mauerfall und dem Beginn einer offenen Berichterstattung die traditionellen "Suppenschüsseln" der Hörfunkfamilie in beiden Teilen Deutschlands. In wildem Wechsel waren politische Proklamationen bekannter Oppositioneller neben persönlichen Stoßseufzern Unbekannter on air – wie der eines frustrierten Jugendlichen, aufgenommen in der Ost-Berliner Pfingstkirche: "Der Mensch erfährt sich hier als Rädchen, die Verantwortung wird uns abgenommen!"
"Radio Glasnost" gewährte jenen Redefreiheit, die ihre Reformpläne und Demokratisierungswünsche vorwiegend in privaten Räumen oder unter dem Dach der Evangelischen Kirchen mit Gleichgesinnten diskutierten. Die Liste der informellen Zuarbeiter des Senders liest sich wie ein Who is who der DDR-Opposition: Bärbel Bohley, Rainer Eppelmann, Freya Klier und Stephan Krawczyk, Vera Lengsfeld (damals Wollenberger), Ehrhart Neubert, Ulrike und Gerd Poppe, Edelbert Richter, aber auch weitgehend unbekannte Dissidenten aus den Bezirken der DDR, insbesondere aus Leipzig, wurden in einem Umkreis von etwa einhundert Kilometern zu Gehör gebracht – viel weiter reichte die UKW-Frequenz des Berliner Senders "Radio 100" nicht. Unter der Hand kursierten Kassettenmitschnitte der insgesamt 27 Sendungen, die einen etwas weiteren, dem Samisdat aufgeschlossenen Hörerkreis erreichten.
"Breaking The Wall"
"Außer Kontrolle" schickte "Radio Glasnost" an jedem letzten Montag eines Monats eine Stunde lang Manifeste und Erklärungen von Oppositionellen aus der Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsbewegung zu den Hörern, sendete Mitschnitte von Diskussionen, heimlich geführte und in den Westen geschmuggelte Interviews – und das alles eingebettet in bisweilen äußerst schräge Musik. Überwiegend stammte sie aus der semilegalen Rock- und Independent-Szene, die sich im Realsozialismus entwickelt hatte. Gesendet wurde jedoch nicht allein Musik "Made in GDR", auch ausgebürgerte oder ausgesiedelte Liedermacher wie Gerulf Pannach bestückten das Programm – angereichert mit Pink Floyds "Breaking The Wall" oder untergründigem Punk –, gewagt gemixt zum Beispiel mit Heinz Rudolf Kunzes SPD-Wahlkampfsong "Das weiche Wasser bricht den Stein".
Auf der Frequenz von "Radio 100", dem ersten Privatradio in West-Berlin, ließ dessen Redakteur Dieter Rulff ein kleines idealistisches Team aus Kreuzberg unter dem programmatischen Namen "Radio Glasnost" ausschließlich Material gen Osten funken, das zuvor den umgekehrten Weg genommen hatte: Auf geheimen Wegen in den Westen gelangte Berichte oder Mitschnitte von Versammlungen jener, die sich nach Glasnost und Perestroika in der DDR nicht nur privat und im Stillen sehnten. Über westdeutsche Korrespondenten und Diplomaten, Rentner oder andere wohlgesonnene Kontaktpersonen erreichten den Sender DDR-kritische Manuskripte – an der Staatssicherheit vorbei und bisweilen durchaus mit Wissen von Spitzeln und ihren Führungsoffizieren. Manche Boten, aber auch Autoren der Texte aus dem Untergrund mussten aus Sicherheitsgründen anonym bleiben. "Radio Glasnost" empfing zudem Kassetten mit heimlich gefertigten Sendungen, in denen Akteure nicht zuletzt auch für das MfS erkennbar waren – wie der regimekritische Rechtsanwalt Rolf Henrich, Autor der Publikation "Der vormundschaftliche Staat".
Nicht allein, dass die Kuriere nicht zu berechenbaren Zeiten liefern konnten, bisweilen war es für die Radiomacher im Westen problematisch, die Authentizität des geschmuggelten Materials zu überprüfen. Auch taten sie sich gelegentlich mit den angebotenen Themen schwer – etwa in einer Sendung, die zeigte, wie kirchliche Kreise mit der lockeren Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen in der DDR haderten. Auch die naturgemäß laienhafte und oftmals wenig radiophone Aufbereitung vieler Inhalte stieß im gastgebenden Programm von "Radio 100" immer wieder auf Unverständnis. Die Autoren der Beiträge ihrerseits zeigten sich erbost, wenn sie bei der Ausstrahlung ihrer Manuskripte feststellten, dass diese nicht in ihrem Sinne redigiert oder von der kleinen Redaktion gekürzt worden waren – eigenmächtig, an die übliche Rücksprache mit den Autoren war unter den herrschenden Bedingungen schließlich nicht zu denken.
Jena, 19.5.1983 (© Albrecht Kleindienst/Robert-Havemann-Gesellschaft/Matthias-Domaschk-Archiv)
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Jena, 19.5.1983 (© Albrecht Kleindienst/Robert-Havemann-Gesellschaft/Matthias-Domaschk-Archiv)
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Jena, 19.5.1983, Die Jenaer Friedensgemeinschaft beteiligt sich mit eigenen Transparenten an offizieller Demonstration aus Anlass des Pfingsttreffen der FDJ im Bezirk Gera. Roland Jahn mit Transparent, das MfS-Angehörige und SED-Funktionäre ihm entreißen
Doch Dieter Rulff von "Radio 100" und Interner Link: Roland Jahn, Spiritus rector des Senders der freien Gedanken, verteidigten ihr Projekt, das insgesamt den Pluralismus in der DDR-Opposition reflektiert, bis zur letzten Sendung Ende 1989. Der aus Jena stammende Bürgerrechtler Roland Jahn, designierter Nachfolger Joachim Gaucks und Marianne Birthlers im Amt des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, war im Juni 1983 gewaltsam aus der DDR ausgewiesen worden. Nach der Ausbürgerung setzte er seine unermüdliche Arbeit für die Opposition fort. Vom Westen aus engagierte sich Roland Jahn für Dissidenten in der DDR, half Kontakte zu knüpfen und unterstützte Mitstreiter von einst auch materiell. Als Journalist versuchte er im Westen über die bis dahin weitgehend unbekannte DDR-Opposition und über staatliche Willkür aufzuklären. Zu einer eigenen Stimme in der Berliner Radiolandschaft konnte er der Bürgerrechtsbewegung allerdings erst im Zusammenspiel mit Dieter Rulff über "Radio 100" verhelfen.
"Höchste Zeit für Veränderung"
"Es war Ehrensache, keine Sendung zu verpassen," erinnert sich Vera Lengsfeld 20 Jahre später. Jede einzelne spiegelt heute bis heute wider, wie breit das Spektrum der SED-Gegner und Nonkonformisten war. "Radio Glasnost" wollte ausdrücklich Kontakte unter den verschiedenen Basisgruppen und Initiativen anregen und Gleichgesinnte zusammenbringen – Ziel war es, eine demokratische Gegenöffentlichkeit und einen freien Raum für Diskussionen zu schaffen und mit Tabus in der Berichterstattung der DDR-Medien zu brechen.
Gesendet wurden in anarchisch anmutendem inhaltlichen Sprüngen Beiträge zu den unterschiedlichsten Themen der Opposition sowie einschlägige Veranstaltungshinweise der Szene – angesichts der begrenzten Kommunikationsmöglichkeiten ein wichtiger Service. Die Konflikte zwischen Ausreisewilligen und Reformverfechtern wurden in den Sendungen ausgetragen oder Diskussionen über Aussteiger, die unter dem Dach der Kirchen Schutz fanden, verbreitet. Monologe kamen zur Versendung, Erlebnisberichte, Proklamationen oder Essays – so erörterte der Psychiater Ludwig Drees aus Stendal beispielsweise ausführlich die Auswirkungen von Anpassung, Repression und fehlender Reisefreiheit auf die Psyche
Roland Jahn (r.) und Peter Wensierski (l.) 1989 in der "Kontraste"-Redaktion des Senders Freies Berlin (SFB). (© Robert Havemann Gesellschaft)
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Roland Jahn (r.) und Peter Wensierski (l.) 1989 in der "Kontraste"-Redaktion des Senders Freies Berlin (SFB). (© Robert Havemann Gesellschaft)
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Beiträge von "Radio Glasnost" hatten Service-Charakter. Der Sender fungierte nicht nur als Multiplikator, der schwer kommunizierbare Termine von Veranstaltungen der Widerstandsszene verbreitete, sondern erfüllte auch Ratgeberfunktionen. Beispielsweise ermutigte der Theologe Reinhard Lampe die Hörer ausdrücklich, von ihrem Recht auf geheime Abstimmung bei den Wahlen Gebrauch zu machen, die Wahlkabinen zu nutzen und die Auszählung der Stimmen zu beobachten: "Dazu hat man das Recht als ganz normaler Bürger!" "Radio Glasnost" sendete dann allerdings eine heimlich aufgenommene Szene aus einem Wahllokal, in dem ein solcher "ganz normaler DDR-Bürger" in der Wahrnehmung seiner Rechte am Widerstand einer hartleibigen Wahlkommission gescheitert war
Besonders eindrucksvolle Beispiele für den praktischen Nutzen, den "Radio Glasnost" für seine Hörer in kritischen Momenten haben konnte, bieten Berichte über Demonstrationen und Kundgebungen. Nach den gewaltsamen Einsätzen der Sicherheitsorgane gegen Demonstranten am Brandenburger Tor verlas "Radio Glasnost" die Namen der Verhafteten. Nachdem Stephan Krawczyk auf dem Weg zur Liebknecht-Luxemburg-Demonstration im Januar 1988 inhaftiert worden war, forderte Freya Klier über "Radio Glasnost" die sofortige Freilassung des Liedermachers, ihres damaligen Ehemanns. Nach der Relegation von Schülern der Carl-von-Ossietzky-Oberschule in Berlin-Pankow, denen "antisozialistisches Verhalten" vorgeworfen worden war, verbreitete "Radio Glasnost" Ende Oktober 1988 deren Protesterklärung sowie den Kommentar einer namentlich nicht genannten Bürgerin: "Wenn eine Schule, die den Namen eines der bedeutendsten Humanisten unseres Jahrhunderts trägt, Schüler rausschmeisst, weil sie für eine Welt ohne Waffen und ohne Faschismus eintreten, wenn sich dieser Rausschmiss in einer Form vollzieht, die an die Entfernung jüdischer Schüler aus den Schulen des Dritten Reiches erinnern, wenn dieser Rausschmiss dann mit Lüge und Gesetzbruch endgültig gemacht wird, ist es höchste Zeit für Veränderung."
"Konterrevolutionäre Propaganda"
Die greise SED-Führung sah das natürlich ganz anders. Die Staatspartei hatte mit einem Artikel in ihrem Zentralorgan "Neues Deutschland" heftig auf die kleine freche Sendeschiene aus dem Westen reagiert: "Hasstiraden gegen die DDR" würden verbreitet und wirkten sich "ungünstig auf die Beziehungen zwischen der DDR, der BRD und Berlin (West)" aus
"Vielleicht werden wir ja auch von Mielke gehört", vermutete die Moderatorin in der Sendung am Dezember 1987 nicht zu Unrecht – und ließ das auch ihre Hörer wissen. Das MfS betrachtete "Radio Glasnost" selbstredend mit Argwohn und erstellte akribisch Mitschnitte und Abschriften der Sendungen.
Minister Erich Mielke ließ "operative Massnahmen" ergreifen und die Hauptabteilung IX/2 nahm sich zum Ziel, die "feindlich-negative Beeinflussung von Bürgern der DDR durch den Sendebeitrag 'Radio Glasnost' vom Westberliner [sic] Privatsender 'Radio 100'" zurückzudrängen und zu unterbinden.
Das MfS identifizierte "Bürger der unteren Altersgruppen" und Personen, die "zu kirchlichen Friedens- und Ökologiekreisen sowie sozialen Randgruppen [...] gehören oder [...] sogenannte Aussteiger aus der sozialistischen Gesellschaft" als mögliche Hörer von "Radio Glasnost"
Dem sollte entgegengetreten werden, zum einen durch verstärkte Observationen im entsprechenden "feindlich-negativen" Milieu, aber auch mit technischen Mitteln. Die Funkspezialisten des MfS installierten Störsender – und sie kalkulierten bewusst ein, dass die Betreiber des Senders und die "Funkfahndungskräfte der Landespostdirektion von Berlin (West) und der westlichen Alliierten" die Störungsquelle eindeutig würden identifizieren können
Tatsächlich störte und verrauschte das MfS 1988 Sendungen von "Radio Glasnost" – Mielkes Mannen waren jedoch bemüht, die Aktion unter dem biblischen Decknamen "David" möglichst auf das Territorium der DDR zu konzentrieren
Das gezielte Dazwischenfunken allerdings gelang dem MfS nur bedingt: Abgefangene Sendungen legten den Sendebetrieb nicht lahm, es erreichte genügend Material aus der Szene die Kreuzberger Redaktion. Und dazu, dass die technische Qualität von "Radio Glasnost" nicht eben brillant war, trugen weniger die Störenfriede der Stasi bei, als vielmehr die Tatsache, dass die geheimen Zulieferer des Programms ihre Beiträge für "Radio Glasnost" im Geheimen aufnehmen mussten. Den Hörfunklaien standen in der Regel weder professionelles Gerät noch besondere Kenntnisse zur Verfügung – oft genug entschuldigte sich die Moderatorin Ilona Marenbach bei ihren Hörern für technische Unzulänglichkeiten, die dem Programmkonzept doch zugleich immanent waren.
"Randalierer und Chaoten"
Als am 1. März 1987 "Radio 100" den Sendebetrieb aufgenommen hatte, bot sich auch der DDR-Opposition ein neues Medium und eine legale Frequenz – anders als im Jahr zuvor, als der unter anderen vom Liedermacher Stephan Krawczyk mitinitiierte "Schwarze Kanal" dreimal verbotenerweise in Kreuzberg den Sendebetrieb aufnahm. "Radio 100" als gastgebende Sendeanstalt war eine bunt zusammengewürfelte Funkgemeinschaft, die Programmfenster für diverse Linksalternative, Minderheiten und Migranten öffnete: Die Tageszeitung "taz" pflegte das "Andere Radio Berlin", Homosexuelle bedienten das "Neue Radio Berlin" sowie den Schwulenfunk "Eldoradio", und sozialdemokratisch orientiert war das "Lokal Radio Berlin". Schließlich gehörte das "X-Radio" eines Musikproduzenten dazu.
Das spendenfinanzierte "Radio 100" musste sich die Frequenz in den ersten Jahren mit dem CDU-nahen Privatsender "Hundert,6" teilen. Dass dies keine glückliche Verbindung war, offenbarte sich den Hörern im akustischen Kleinkrieg: Radio "Hundert,6" verabschiedete sich am frühen Abend mit der Nationalhymne, woraufhin die Moderatoren von "Radio 100" übernahmen. Sie sprachen jedoch erst ins Mikrofon, nachdem sie eindeutige Toilettenspülungsgeräusche über den Äther geschickt hatten. Nicht allein tendenziöse Berichte über Krawalle in Kreuzberg bescherten "Radio 100" immer wieder Konflikte mit der CDU in West-Berlin. Deren Geschäftsführer befand, "Randalierer und Chaoten" missbrauchten den Sender als "elektronische Kommandozentrale" zur "Steuerung extremistischer Umtriebe" und verlangte, den Betreibern die Lizenz zu entziehen.
Dass "Radio 100" einmal im Monat mit der jeweils einstündigen Sendung von "Radio Glasnost" nicht das West-Berliner Alternativ-Milieu bediente, sondern die DDR-Bürgerrechtsszene, musste Redakteur Dieter Rulff immer wieder vor seiner eigenen Klientel rechtfertigen, bestand doch in weiten Kreisen der West-Berliner Alternativen eine Restsympathie für das sozialistische Experiment jenseits der Mauer. "Radio Glasnost" wurde kritisch beäugt – erkämpfte der Sender die Pressefreiheit, oder gefährdete er nicht vielmehr Entspannungs- und Annäherungspolitik?
David gegen Goliath
Jena, 19.5.1983 (© Matthias-Domaschk-Archiv / Albrecht Kleindienst)
Jena, 19.5.1983 (© Matthias-Domaschk-Archiv / Albrecht Kleindienst)
Jena, 19.5.1983, Die Jenaer Friedensgemeinschaft beteiligt sich mit eigenen Transparenten an offizieller Demonstration aus Anlass des Pfingsttreffen der FDJ im Bezirk Gera. Roland Jahn mit Transparent.
"Radio Glasnost" war in seiner Reichweite beschränkt, und letztlich wird der Sender Insider bedient, aber keine weit über oppositionelle Gruppen hinausreichende Hörerschaft mobilisiert oder zum Protest animiert haben. Doch unter den Bedingungen der Diktatur sollten die gefahrvolle Informationsweitergabe am Geheimdienst vorbei und die Berichterstattung jenseits der staatlich kontrollierten Medien nicht unterschätzt werden. Wie die in geringer Zahl verbreiteten und heimlich weitergereichten Samisdatschriften brach auch "Radio Glasnost" aus dem monolithischen Informationsmonopol der staatlichen Medien ein kleines Steinchen heraus.
Zur wichtigste Informationsquelle für ein breites Publikum waren zum Ende der DDR ohnehin längst das Westfernsehen sowie "RIAS", "Deutschlandfunk" und die Programme der grenzüberschreitend zu empfangenden westlichen Landessender avanciert. Doch auch wenn einige Prominente unter den Bürgerrechtlern dort immer öfter selbst zu Wort kamen – ihr eigenes Programm konnten sie in aller Regel nicht gestalten, diese Plattform bot – in sehr bescheidenem Umfang – "Radio Glasnost". In seiner funkischen Anmutung erinnert das bunt gemixte Programm bisweilen an autonome Piratensender, doch steht es für ein kleines Stück Glasnost und Perestroika in der DDR.
Mit dem biblischen Namen "David" für den Sender, in dem letztlich viele Stimmen reformwilliger DDR-Bürger zu hören waren, antizipierte das Ministerium für Staatssicherheit den Gang der Ereignisse. Goliath wurde mit der Steinschleuder besiegt. "Am Ende haben wir uns durchgesetzt: Wir waren besser als die Stasi", lautet die Bilanz von Roland Jahn – eine Feststellung, die weit über die Beurteilung eines kleinen alternativen Radioprogramms hinausreicht. Genugtuung über das Ende der Unterdrückung ist keine schlechte Voraussetzung für einen künftigen Bundesbeauftragten für die Hinterlassenschaften des Geheimdienstes.