Einleitung
Sowohl unmittelbar nach dem gescheiterten Attentatsversuch auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 als auch nach Kriegsende im Mai 1945 war die Frage nach den Motiven der Verschwörer gegen den Diktator umstritten. Viele Deutsche hatten nach dem 20. Juli angesichts der schwierigen militärischen Situation Deutschlands ihr Unverständnis über den Anschlag auf den "Führer" geäußert, da sich das Reich in ihren Augen in einem erbitterten Kampf befand und sie noch immer ein siegreiches Kriegsende erhofften, wie verschiedene Berichte überliefern.
Nach dem Ende des Krieges und dem Untergang des NS-Regimes bestimmten zunächst alliierte Erklärungen die Sichtweise über den Widerstand gegen Hitler. Danach habe es sich bei dem Umsturzplan "Walküre" am 20. Juli 1944 um einen späten Versuch militärisch-konservativer Kreise gehandelt, durch die Ausschaltung des Diktators das Deutsche Reich vor der militärischen Niederlage zu bewahren. Die Verschwörer galten als preußische Militaristen und Junker, deren Vorstellungen man beim Aufbau einer politischen Nachkriegsordnung in Deutschland auf keinen Fall berücksichtigen wollte.
In der deutschen Zeitgeschichtsforschung nach 1945 bemühte man sich um eine Rehabilitierung des Widerstandes gegen Hitler als das "andere, bessere Deutschland". Um diese Intention zu erreichen, haben viele Studien die breite Motivlage der Hitlergegner untersucht und das weite gesellschaftliche Spektrum der Opposition dargelegt.
Mehrere Untersuchungen nach 1945 haben ein Motivbündel der militärischen Verschwörer erkennen lassen,
Frühe militärische Widerstandspläne
Bereits während der außenpolitischen Krise um den Anspruch auf das Sudetenland im Sommer und Herbst 1938 hatten militärisch-konservative Widerstandskreise einen Staatsstreich in Form eines konkreten Umsturzplanes entworfen, dessen Erörterung bis in die höchsten Stellen im Oberkommando des Heeres (OKH) reichte. In ihm waren unterschiedliche Gruppierungen mit verschiedenen Zielen, Motiven und Methoden zusammengeführt.
Für die militärische Elite hatte die Zeit nach dem Regierungsantritt Hitlers im Januar 1933 einen beeindruckenden Machtzuwachs gebracht. Schon Jahre zuvor insgeheim entworfene Pläne für eine Aufrüstung wurden nun in die Tat umgesetzt; sie eröffneten den Offizieren durch personelle Vergrößerung des bisherigen 100 000-Mann-Heeres große Aufstiegschancen. Die Heeresführung suchte einen herausgehobenen Platz im Gefüge des NS-Staates zu erlangen und gegenüber Bestrebungen von SA und SS zu wahren. Vereinzelte distanzierte Stimmen über "Auswüchse" und erste Verbrechen fanden nur ein geringes Echo. Während der "Blomberg-Fritsch-Affäre" 1938 zeichnete sich allerdings eine kritische Haltung mehrerer höherer Offiziere ab, welche die nationalsozialistischen Machenschaften gegenüber der bisherigen Wehrmacht- und Heeresführung ablehnten.
Nur wenige Offiziere erkannten damals die verbrecherischen Ziele des Diktators. Es kam zu Kontakten zwischen dem Chef des Generalstabes des Heeres, General Ludwig Beck, dem ehemaligen Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler, Reichsminister Hjalmar Schacht, Admiral Wilhelm Canaris und Oberstleutnant Hans Oster aus der Abwehrabteilung im Oberkommando der Wehrmacht (OKW). Vergeblich forderte Beck im Juli 1938 die Generalität auf, mit ihm gemeinsam den Rücktritt für den Fall anzudrohen, dass Hitler nicht von seinen Kriegsplänen lasse; Ziel war es, ein "finis Germaniae" zu verhindern.
Als im September 1938 die Gefahr eines Krieges um das Sudetenland wuchs, plante Becks Nachfolger General Franz Halder
Einerseits hat man nachträglich in Literatur und Forschung die Feststellung getroffen, der Putschversuch vom September 1938 sei ein Erfolg versprechender Plan gewesen.
Unterschiedlich waren Motive und politische Ziele. Für Halder stellte der Coup d'Etat ein letztes Mittel dar, um den Krieg abzuwenden. Für Oster dagegen war bereits die Hitler'sche Kriegspolitik ein ausreichender Anlass zum Sturz des NS-Systems. In der Abwehrabteilung gab es zudem eine Gruppe von Offizieren, die vom verbrecherischen Charakter des nationalsozialistischen Staates moralisch betroffen waren und deshalb die sofortige Tötung Hitlers bei einem Staatsstreich im Zuge eines Stoßtruppunternehmens in der Reichskanzlei beabsichtigten.
Eingeschränkte Möglichkeiten nach Kriegsbeginn
Die Erfahrungen des Jahres 1938 behinderten im Sommer 1939 vereinzelte Bemühungen, die von Hitler erneut heraufbeschworene Kriegsgefahr gegenüber Polen für eine Aktion gegen den Diktator zu nutzen.
Es darf nicht übersehen werden, dass der Angriff auf Polen auch in oppositionellen Kreisen prinzipielle Zustimmung fand. Die Lösung der Danzig-, Korridor- und Polenfrage, wie sie durch die Grenzziehung des Versailler Friedensvertrages von 1919 entstanden waren, wurde in der militärischen Führungselite für richtig gehalten. Wie Halder waren auch andere Generale der Ansicht, dass die Grenzziehung im Osten mit dem "Danzig-" und "Nord-Ost-Problem" Polen korrigiert werden müsse.
Nach Kriegsbeginn waren die oppositionellen Möglichkeiten von Offizieren erheblich eingeschränkt, da man es nun als patriotische Pflicht ansah, sich für den Sieg der eigenen Waffen einzusetzen und Zweifel an Hitlers Politik zurückzustellen. Doch schon bald nach dem militärischen Erfolg in Polen sahen sich die Hitler gegenüber kritisch eingestellten führenden Militärs im OKW und OKH vor die Frage gestellt, wie sie sich gegenüber einer Ausdehnung des Krieges verhalten sollten. Hitler plante nach dem Sieg über Polen eine rasche Offensive gegen Frankreich und scheute kein militärisches Risiko. Unter Halders Führung vertrat der Generalstab des Heeres die Auffassung, "im Westen noch auf Jahre hinaus den Krieg nur verteidigungsweise führen zu können".
Ab Mitte Oktober 1939 kam es unter Beteiligung des Leiters der so genannten Verbindungsgruppe zwischen Abwehr und OKH, Oberstleutnant i. G. Helmuth Groscurth, und des seit Anfang Oktober eingesetzten Verbindungsmannes zwischen Halder und von Weizsäcker, Legationsrat Hasso von Etzdorf, zur Bildung eines engeren Widerstandskreises um den Generalstabschef. Die Planungen zielten darauf ab, den Staatsstreich auszulösen, sobald Hitler den Angriffsbefehl zur Westoffensive geben würde.
Als Hitler nach mehrmaligen Terminverschiebungen den 12. November zum Angriffstag für die Offensive im Westen bestimmte, wollten Halder und Brauchitsch am 5. November einen letzten Versuch unternehmen, den Diktator von dem Angriff abzubringen, um dann gegebenenfalls den Staatsstreich vor der nötigen Anlaufzeit für die Operationen einzuleiten. Als Hitler Brauchitsch jedoch mit schweren Vorwürfen gegen den im OKH-Hauptquartier vorherrschenden, angeblich destruktiven "Geist von Zossen" überschüttete und dessen Vernichtung androhte, befürchtete Halder, dass die Pläne verraten worden seien.
Trotz dieser Resignation in der Militäropposition bemühten sich einige Mitarbeiter von Oster und Canaris in der Abwehr, der weiteren Eskalation zum "großen Krieg" entgegenzuwirken. So suchte der seit Kriegsbeginn in der Abwehr tätige und zum Widerstandskreis um Oster zählende Kriegsverwaltungsrat Helmuth James Graf von Moltke als Bearbeiter für den Wirtschaftskrieg mit Hilfe völkerrechtlicher Bedenken gegen die Verschärfung des See- und Handelskrieges durch das Oberkommando der Kriegsmarine zu kämpfen.
Verbrechen in Polen
Neben fachbezogenem Widerspruch gegen die von Hitler geplante Westoffensive und die dabei beabsichtigten Neutralitätsverletzungen sowie die weitere Ausweitung des Krieges führten auch die ab November 1939 bekannt gewordenen Verbrechen der SS- und SD-Einsatzgruppen im besetzten Polen zur Bereitschaft mehrerer Offiziere, gegen das NS-Regime zu opponieren.
Generaloberst von Brauchitsch entzog diesen Protesten jedoch als Oberbefehlshaber des Heeres den Boden. In einer grundsätzlichen Stellungnahme zu "Heer und SS" vom 7. Februar 1940 zeigte er Verständnis für die "notwendige und vom Führer angeordnete Lösung volkspolitischer Aufgaben", die "zwangsläufig zu sonst ungewöhnlichen, harten Maßnahmen gegenüber der polnischen Bevölkerung führen" müssten.
Es bleibt die Frage offen, warum man sich im OKH bei der Planung des Staatsstreiches nicht auf die in einzelnen Stäben vorhandene Gegenposition zu Hitlers verbrecherischer Rassen- und Besatzungspolitik gestützt hat. Es ist nicht auszuschließen, dass man im Widerstandskreis um Halder, Canaris und Oster Zweifel hatte, ob die Empörung über die rassenideologischen Exzesse und Verbrechen tatsächlich Widerhall finden würde und ob sie ein sicheres, tragendes Fundament für grundsätzlichen Widerstand gegen Hitler bot. Denn immerhin hatte das Propagandaministerium mit der Herausgabe des deutschen "Weißbuches" über polnische Greueltaten gegen die Volksdeutschen den Hass und die Ablehnung gegenüber Polen in der deutschen Bevölkerung und der Wehrmacht angeheizt. Auch in Kreisen jüngerer Generalstabsoffiziere gab es nicht nur Äußerungen von Abscheu, sondern auch propagandistische Kommentare antisemitischen Inhalts,
Enttäuschend verliefen weitere Bemühungen, General Halder für eine aktive Rolle im Widerstand zu gewinnen. Dadurch blieben die Informationen über die gelungene Kontaktaufnahme des Münchner Rechtsanwaltes und Abwehrmitarbeiters Josef Müller mit dem britischen Botschafter beim Vatikan und weitere Erfolg versprechende Sondierungen im Ausland ohne Echo auf Seiten der Widerstandsgruppe. Sie führten ebenso wie das als "X-Bericht" zusammengestellte Papier über diese Kontakte zu keinem Umschwung in der Haltung Halders und Brauchitschs.
Letztlich waren es ganz unterschiedliche innere und äußere Ursachen, die einen Staatsstreich gegen das NS-Regime 1939/40 verhinderten. Anstoß und Motiv für eine verschwörerische Aktivität gegen das System bildeten sowohl abweichende Auffassungen über den außen- und machtpolitischen Weg des Reiches, die auch als ressortspezifische Gründe zu kennzeichnen sind, als auch prinzipielle moralische Beweggründe, diestärker ethisch motiviert waren und aus der Ablehnung der verbrecherischen NS-Taten resultierten. Die Furcht vor Hitlers falscher Kriegspolitik allein reichte nicht aus, eine konsequente und fest entschlossene Opposition gegen ihn zu begründen.
Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion
Die militärische Haltung gegenüber dem von Hitler Ende Juli 1940 gefassten Entschluss, den bisherigen Vertragspartner Sowjetunion zu überfallen und sein "Ostprogramm" zu verwirklichen,
Bezeichnenderweise kam es gegen Hitlers Befehle für einen rassenideologischen Vernichtungskrieg gegen die UdSSR nur vereinzelt zu mündlichen Protesten im OKH. Im Rahmen dieser Proteste ist das Bemühen der im Stab der Heeresgruppe Mitte tätigen Generalstabsoffiziere Henning von Tresckow und Rudolf-Christoph von Gersdorff als grundsätzliche Gegenposition gegen die geplante, verbrecherische Kriegführung zu werten. Beiden gelang es zwar, ihren Oberbefehlshaber, Generalfeldmarschall Fedor von Bock, zu einem Protest beim OKH in Berlin noch vor Kriegsbeginn zu mobilisieren, sie erreichten jedoch nicht, dass die "Mordbefehle" zurückgenommen wurden.
Erst die nach dem Überfall am 22. Juni 1941 einzelnen, jüngeren Stabsoffizieren angesichts der Mordaktionen bewusst werdende Verstrickung der Wehrmacht in die grausamen Verbrechen des Regimes, die insbesondere aus der Übereinkunft des OKH mit Reichsführer SS Himmler am 26. März 1941 über das Wirken der SD-Einsatzgruppen im Osten resultierte, führte im Stab der Heeresgruppe Mitte zur Bildung eines neuen Widerstandskreises um von Tresckow.
Ähnlich wie von Tresckow empfand auch Oberstleutnant Stieff das Dilemma, mit dem Kampf an der Ostfront zugleich der Ausrottungspolitik der Nationalsozialisten gegenüber der dortigen Bevölkerung zu dienen. Stieff fühlte sich "als Werkzeug eines despotischen Vernichtungswillens, der alle Regeln der Menschlichkeit und des einfachsten Anstandes außer acht läßt"
Zweifellos wurden Generalstabsoffiziere wie von Tresckow und von Gersdorff zu Mitwissern der Mordaktionen an der jüdischen und slawischen Bevölkerung in den eroberten Gebieten der UdSSR. Denn mit den Einsatzkommandos und Einsatzgruppen des SD sowie mit besonderen SS-Infanteriebrigaden und SS-Kavallerieregimentern, die im Auftrag Himmlers Teile der einheimischen Bevölkerung einschließlich der Juden systematisch umzubringen hatten, bestanden von Seiten des Stabes der Heeresgruppe Mitte einerseits logistische Absprachen und eine taktische Zusammenarbeit, andererseits waren die SS-Kommandos bei der Ausführung ihres Mordauftrages unabhängig. Tresckow verstand den harten Kampf gegen die sowjetische Partisanentätigkeit, der sich allerdings auch gegen die jüdische Bevölkerung richtete, als selbstverständliche militärische und antibolschewistische Aktion. Größere Widerstände gegen die undifferenzierten Methoden des Partisanenkampfes, denen auch Frauen, Kinder und Greise zum Opfer fielen, blieben im Bereich der Heeresgruppe Mitte aus. Von den Mordaktionen der SS und des SD im rückwärtigen Heeresgebiet Mitte erfuhr auch Tresckow. Mehrfach nahm er die Berichte der zugeordneten SD-Einsatzgruppe B zur Kenntnis und zeichnete sie als 1. Generalstabsoffizier (Ia) ab.
Staatsstreich während des Krieges
Die Kenntnis dieser Ereignisse hat Tresckow in seinem Kampf gegen das NS-Regime bestärkt, noch während des Krieges den Staatsstreich gegen Hitler zu wagen. Ebenso führte sie zum persönlich belastenden Wissen um die Verbrechen. Es gelang ihm, mit mehreren Offizieren, die zum Teil zu Zeugen von massenhaften und willkürlichen Judenerschießungen im Osten geworden waren, den Stab der Heeresgruppe Mitte zu einem Zentrum des Widerstandes im Offizierskorps des Heeres auszubauen.
In Berlin hatten sich mit dem Dienstantritt von General der Infanterie Olbricht als Chef des Allgemeinen Heeresamtes ab Mai 1940 neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen den Hitlergegnern im OKW und OKH sowie des Stabes der Heeresgruppe Mitte ergeben. Obwohl die Niederlage der 6. Armee bei Stalingrad als Katastrophe empfunden wurde, blieb die Chance, diese als Anstoß für den Staatsstreich zu nehmen, ungenutzt. Einerseits hielt man einen solchen Versuch für zu spät angesichts der alliierten Kriegszielpolitik, die seit dem 24. Januar 1943 gemäß den Verabredungen auf der Konferenz von Casablanca zur Beendigung des Krieges die bedingungslose Kapitulation ("unconditional surrender") des Reiches verlangte. Andererseits musste man registrieren, dass es der NS-Führung gelang, die "Schockwirkung von Stalingrad" - wie Goebbels formulierte - propagandistisch aufzufangen. Nach Stalingrad war es deshalb vorrangiges Ziel der Militäropposition, die Widerstandszentren in Berlin, Paris und im Stab der Heeresgruppe Mitte an der Ostfront enger miteinander zu verknüpfen.
Sowohl die abscheulichen NS-Verbrechen als auch die katastrophale militärische Situation waren für mehrere Offiziere Motive für ihre Bereitschaft zum Widerstand. So hatte Claus Schenk Graf von Stauffenberg schon in seiner Dienststellung bei der Organisationsabteilung des OKH in den Jahren ab 1941 die NS-Verbrechen in den besetzten Ostgebieten verabscheut. Im April und August 1942 waren weitere Erkenntnisse über Massaker und den Judenmord sowie Verbrechen an sowjetischen Kriegsgefangenen für ihn das ausschlaggebende Motiv, um zwei mitverschworenen Generalstabsoffizieren zu verdeutlichen, dass Hitler beseitigt werden müsse, da sonst die Verbrechen kein Ende nehmen würden.
Nach mehreren Rückschlägen bei Attentatsvorbereitungen und -plänen im Frühjahr und Sommer 1943 fanden sich schließlich mit Oberstleutnant von Stauffenberg, Oberst von Tresckow und deren Mitverschwörern in ihren Stäben energische Hitlergegner zusammen, die ab Herbst 1943 den Anschlag auf den Diktator anstrebten und vorbereiteten. Stauffenberg und Tresckow