Einleitung
Wolfgang Hardtwig, Alexander Schug (Hg.): History Sells! Angewandte Geschichte als Wissenschaft und Markt, Stuttgart: Steiner 2009, 448 S., € 44,–, ISBN 9783515093361.
Klaus Arnold, Christoph Classen, Susanne Kinnebrock, Edgar Lersch, Hans-Ulrich Wagner (Hg.): Von der Politisierung der Medien zur Medialisierung des Politischen? Zum Verhältnis von Medien, Öffentlichkeiten und Politik im 20. Jahrhundert, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2010, 471 S., € 32,–, ISBN 9783865834973.
Stefan Zahlmann (Hg.): Wie im Westen, nur anders. Medien in der DDR, Berlin: Panama 2010, 424 S., € 29,–, ISBN 9783938714119.
Tobias Ebbrecht, Hilde Hoffmann, Jörg Schweinitz (Hg.): DDR – Erinnern, Vergessen. Das visuelle Gedächtnis des Dokumentarfilms, Marburg: Schüren 2009, 176 S., € 29,90, ISBN 9783894726874.
Karin Hartewig: Wir sind im Bilde. Eine Geschichte der Deutschen in Fotos vom Kriegsende bis zur Entspannungspolitik, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2010, 311 S., € 29,50, ISBN 9783865834898.
"Geschichte" hat unzweifelhaft Konjunktur, wie sich nicht nur an der Produktion zahlreicher Dokumentationen, Dokudramen, an aktuellen Formaten wie "Wir Deutschen" im ZDF und der Ausstrahlung von Historienspielfilmen im deutschen Fernsehen in den letzten Jahren verfolgen lässt. Historische Romane und Sachbücher, Comics ebenso wie genrenahe Computerspiele, Reenactments oder Geschichtsinszenierungen in Themenparks haben eine starke Ausweitung erfahren. Nicht zuletzt deshalb zeigte sich wohl auch auf dem letztjährigen Historikertag in Berlin gedrängtes Interesse an der Sektion "Public History – Geschichte in der Öffentlichkeit". Praktiker solcher "Angewandten Geschichte" kamen mit Vertretern der akademischen Geschichtswissenschaft zusammen, um die Zusammenarbeit, ihre Grenzen und das Selbstverständnis als Historiker in diesem Spannungsfeld zu erörtern. Aus Geschichte ist "living history" geworden, die sich mit dem Unterhaltungsanspruch zum "Histotainment" vereint und in Deutschland wie in vielen anderen Ländern einen ertragreichen Markt darstellt. Auch die universitäre Geschichtsschreibung, respektive die Vertreter ihres Fachs, müssen sich inzwischen auf einem Markt behaupten, auf dem mit immer schärferen Mitteln um die Aufmerksamkeit von Lesern und Zuschauern gerungen wird. Geschichte ist nicht nur Medienereignis, sondern der Umgang mit Geschichte ist einem umfassenden Medialisierungsprozess unterworfen. Die audiovisuellen Medien prägen das Geschichtsbewusstsein weit stärker als das in Schulen und Universitäten vermittelte Geschichtswissen.
"History Sells!"
Die Herausgeber des Bandes "History sells!", Wolfgang Hardtwig und Alexander Schug, griffen diesen anhaltenden und (sich intensivierenden) Trend auf. Die 38 Autoren des voluminösen Readers wollen in knappen Essays ein hiesig eher neues Beobachtungs- und Forschungsfeld der Geschichtswissenschaft ausloten und Diskussionsanregungen bieten, was sich als "public history" bereits seit den Siebzigerjahren in der Geschichtskultur des angelsächsischen Kulturraums etabliert hat. Die zentralen Fragen des Bandes sind, wie Geschichtsbilder und Geschichtskulturen aussehen, die zunehmend durch eine publikumsorientierte Geschichtsdarstellung geprägt sind. Liege etwa die Zukunft der Historikerinnen und Historiker mehr in der Produktion von Content für PC-Games, bei der Beratung von Fernsehproduzenten oder der Organisation von History-Festivals als bei der wissenschaftlichen Forschung, Darstellung und Lehre? Oder etabliert sich gar eine Dominanz der Unterhaltungsinteressen, die auch auf das wissenschaftliche Feld zurückwirkt und dessen Legitimität und Nutzen genauso in Frage stellt wie die Suche nach "historischer Wahrheit"? (15f) Mutiert "Geschichte" gar zum Verkaufsschlager und zum Grundbestand populärer Massenkultur statt eines mehr oder weniger bemühten Bildungsguts?
Dass hier etwa angesichts eines wachsenden Sektors privat finanzierter/gesponserter Geschichtsforschung außerhalb öffentlicher Forschungseinrichtungen ethische Fragen und Interessenkonflikte aufgeworfen werden, ist eine der Problemlagen, mit denen sich Beiträge im ersten Kapitel befassen. So empfiehlt Christoph Kühberger am Beispiel fachwissenschaftlicher Beratungstätigkeit von Historikern ("history consulting"; 43–53) mit Verweis auf entsprechende anglo-amerikanische Ethikkodizes, für ähnliche verpflichtende Regelrahmen. In seinem Essay problematisiert Mathias Berek die notwendige Verschränkung von Medien- und Erinnerungskultur (54–64). Das abgesteckte Feld dieser Selbstverständigung in dem Kapitel diskutiert die Reichweiten verschiedener bisher von der Geschichtswissenschaft eher als randständig erachteten medialen Formaten wie Comics, Computerspiele oder verschiedenen "Zeitreisen" bis hin zur kritischen Befragung des televisionären Booms an Geschichtssendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Hinterfragt werden diese, ob sie nur eine Variante letztlich folgenloser Unterhaltungskultur oder immer noch unverzichtbares Wissens- und Sinnangebot an die Fernsehzuschauer sind, dem von der akademischen Wissenschaft mehr Augenmerk geschenkt werden sollte (91–105). Auf jeden Fall, so die Autoren Edgar Lersch und Reinhold Viehoff, ist ein verstärkter und entspannterer Austausch zwischen Geschichtswissenschaft und Fernsehmachern vonnöten (103).
Das apodiktisch wirkende Signal im Buchtitel (History sells!) bleibt allerdings etwas irreführend. Denn nicht wenige der im dritten Kapitel versammelten Beiträge aus der Praxis Angewandter Geschichte reflektieren nicht den ökonomisch verwertbaren "Marktwert" von Geschichte, sondern angesichts vielfältiger, oft auch konkurrierender medialer Sinnangebote die Bedingungen moderner Geschichtsvermittlung in Gedenkstätten wie dem Anne-Frank-Zentrum, im Berliner DDR-Museum oder etwa von Bildungsträgern wie der Bundeszentrale für politische Bildung.
Im vierten Kapitel wird eine internationale Perspektive angeboten, etwa in den Beiträgen über die Entwicklung von "public history" in den USA bzw. seine Relevanz als kulturelles Kapital im atlantischen Wirtschaftsraum. Tobias Schneider erläutert am Beispiel des Instituts für Nationales Gedenken (IPN) in Polen (413–424) die im europäischen Rahmen nicht unüblichen staatlich geförderten und institutionalisierten Bestrebungen positiver nationaler Sinnstiftung. Schneider diskutiert in diesem besonderen polnischen Fall neben den hierzulande wenig wahrgenommenen fachlichen Leistungen des Instituts, etwa in der historischen Debatte um die antisemitischen Nachkriegspogrome in Jedwabne oder Kielce (416ff), problematische Aspekte wie "die Vermischung historischer Forschung, strafrechtlicher Verfolgung und politischer Einflussnahme" in innenpolitischen Auseinandersetzungen (420).
Politisierung der Medien – Medialisierung des Politischen
Arnold u.a. (Hg.): Von der Politisierung der Medien ... (© Leipziger Universitätsverlag)
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Arnold u.a. (Hg.): Von der Politisierung der Medien ... (© Leipziger Universitätsverlag)
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Lange Zeit wurde die Diskussion um das Verhältnis von Medien und Politik mit Blick auf die Politisierung der Medien, ihre vermeintlich erfolgreiche politische Instrumentalisierung und die damit einhergehenden Gefahren geführt – eine Perspektive, die vor dem Hintergrund der Diktaturerfahrungen im 20. Jahrhundert nahe lag. Mittlerweile hat sich in gegenwartsbezogenen Analysen, so Klaus Arnold und Christoph Classen als Mitherausgeber des Bandes "Von der Politisierung der Medien zur Medialisierung des Politischen?", nahezu eine Perspektivenumkehr vollzogen (13f). Die Publikation geht auf eine gemeinsame Tagung der Fachgruppe Kommunikations-geschichte der Deutschen Gesellschaft für Kommunikations-wissenschaft, des Studienkreises Rundfunk und Geschichte und des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung im Januar 2007 zurück. Viele Beiträge der Tagung flossen nicht in das Buch ein, einige wurden stattdessen zusätzlich mit aufgenommen.
Das prozesshafte Medialisierungskonzept betont die grundsätzliche Prägung und Verwandlung des Politischen und der Öffentlichkeit durch Massenmedien. Dabei dominiert in neueren Publikationen ein skeptischer bis kulturkritischer Zug, der vor dem Hintergrund industrieller Strukturkrisen, Globalisierungseffekte und des technischen Übergangs zu Internet und digitalen Technologien als "elektronisches Rückgrat der Globalisierung" (Walter Rohn, zitiert im Beitrag von Gabriele Melischek und Josef Seethaler, 243) mehrfache Schubkräfte erhält. Doch der umfangreiche Band spannt die historische Reichweite des Medialisierungsbegriffs viel umfassender bis ins ausgehende 19. Jahrhundert, verstanden als ein säkularisierendes Phänomen, das von den Herausgebern als "Zeitalter der Vergesellschaftung von Politik" (15) begriffen wird.
Auch hier ist der erste Teil des Bandes für theoretische Präzisierungsversuche reserviert. Thomas Mergel begründet die Abkehr von einem vorwiegend anbieterzentrierten Ansatz, der die Einflussnahme von Politik und Medien auf Rezipienten beschreibt, ohne deren komplexe Rückwirkungen genügend zu berücksichtigen (46f). Frank Marcinkowski und Adrian Steiner legen nahe, das Konzept zur Beschreibung gesellschaftlicher Folgen von Massenmedien zu nutzen (54). Rudolf Stöber diskutiert die generelle Tragfähigkeit dieses kommunikationshistorischen Konzepts für die frühe Neuzeit und die Moderne (77–94).
Gewiss von großem Nutzen für das weitere Nachdenken ist das erklärte Ziel des Buches, anhand historischer Fallstudien die vielfältigen Interdependenzen, Dynamiken und symbiotischen Beziehungen im Verhältnis von Medien und Politik seit dem Aufkommen der modernen Massenmedien näher zu beschreiben. Der Blick auf das gesamte 20. Jahrhundert zeigt, dass die zunehmende Präsenz der Massenmedien keineswegs erst im Fernseh- und Internetzeitalter zur Transformation des Politischen beigetragen hat, wie etwa in der aufschlussreichen, materialreichen Studie von Jürgen Wilke über Reichskanzler Bernhard von Bülow als "Medienkanzler" (97–120). Im zweiten und dritten Kapitel sind Fallstudien zum Verhältnis von Medien und Politik zur ersten bzw. zur zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts versammelt. Etwas enttäuschend bleibt aber, dass ausschließlich Studien zum deutschen Sprachraum veröffentlicht wurden. Denn wenn schon dieser große zeitliche Rahmen gewählt wurde, hätte auch die transnationale Dimension des Medialisierungsbegriffs berücksichtigt werden müssen.
Im Schlussteil zeichnen die Autoren historische Diskurse zur Medialisierung der Politik nach. Während die Beiträge zur medialen Präsenz im Nationalsozialismus den Schwerpunkt für die erste Jahrhunderthälfte bilden, lebt der Kapitelteil zur zweiten Jahrhunderthälfte von der Heterogenität der Frageperspektiven und in der methodischen Herangehensweise.
Medien in der DDR
Zahlmann (Hg.): Wie im Westen, nur anders (© Panama Verlag)
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Die DDR wird zusehends zur Fußnote der Geschichte, die dem Kontrast zur Geschichtsschreibung der BRD dient. Diese Perspektive aber verkennt die kulturellen Gemeinsamkeiten und Verflechtungen beider deutscher Staaten. Der von Stefan Zahlmann herausgegebene seitenstarke Sammelband "Wie im Westen nur anders. Medien in der DDR" stellt daher eine These zur Diskussion, die nicht nur den klassischen Medienbegriff erweitert und den Medienbegriff H. Marshall McLuhans zurate zieht, sondern zugleich die – nicht neue – Erkenntnis betont, dass "der Westen" in zahllosen Ausprägungen der DDR-Medienkultur erkennbar gewesen ist: in Fernsehen, Radio und Zeitungen, aber auch auf Vinyl, durch Glücksspielautomaten in Kneipen oder gar in den wenigen Computerspielen aus "volkseigener Produktion" (378ff).
Zahlmann betont in seinem Einleitungsbeitrag die bewusst heterogene methodische Annäherung von Ethnologen, Kultur- oder Kommunikationswissenschaftlern über persönliche Erinnerungen, Essays, Ergebnisse wissenschaftlicher Studien oder fotografische Eindrücke, um ein Kapitel Mediengeschichte als deutsch-deutscher Kulturgeschichte neu zu schreiben. (17f)
Die Beiträge sind unter den elementaren Formen kulturellen Äußerns in den Kapiteln "lesen", "sehen", "hören", "spielen" und "inszenieren" versammelt. Medienkultur in der DDR bedeutet nach dem Buchkonzept auch der subversive Gebrauch des Betriebskopierers zur Herstellung der illegalen Literaturzeitschrift "mikado" (91) oder – als besonders "eigensinnige" Facette alternativer Medienkultur – die illegale Aneignung westlicher Fachliteratur und Belletristik beim Besuch der Leipziger Messe sowie ihrer weiteren Zirkulation unter Freunden, Bekannten und anderen interessierten Nutzern (96–116).
Zusammenfassen lässt sich der diskussionswürdige und nachdenkenswerte Ansatz dieses "Lesebuchs" so, dass sich Mediennutzer auch in staatssozialistischen Gesellschaften wie der DDR letztlich als Konsumenten verhielten in der Lebenswelt eines Systems mit einer nahezu vollständigen technischen und politischen Kontrolle der Medienproduktion. Doch weder Zeitungen noch Filme oder Fernsehformate kamen umhin, das Verhalten der Leser, Zuschauer, oder Hörer zu berücksichtigen. Insgesamt liegt ein lesenswerter Arbeitsband zur weiteren Untersuchung der Kommunikationsstrukturen in ehemaligen Gesellschaften des Ostblocks als virulentes mentalitätsgeschichtliches Phänomen im doch noch gespaltenen kulturellen Gedächtnis der heutigen Nachfolgegesellschaften. Das gilt vor allem und in besonderem Maße für die heutige bundesdeutsche Gesellschaft.
Ebbrecht u.a. (Hg.): DDR - Erinnern, Vergessen (© Schüren)
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Ebbrecht u.a. (Hg.): DDR - Erinnern, Vergessen (© Schüren)
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Seit den Entstehungsjahren der DDR dienten Dokumentarfilme der Identitätsstiftung und ideologischen Selbstversicherung. Sie propagierten eine neue Gesellschaft und konstruierten die dazu passenden Geschichtsbilder. Später reflektierten Filme dieser Gattung in genauer Beobachtung das widersprüchliche Leben im "real existierenden Sozialismus" und hielten zuletzt das Scheitern des zweiten deutschen Staates fest. Heute erinnern Dokumentarfilme über die DDR an eine verschwundene Gesellschaft und an Biografien, die von ihr geprägt worden sind. Als Gedächtnismedium bewahren sie Vergessenes und fordern zu einem Erinnern heraus, das sich an den gängigen Formeln reibt. Der von Tobias Ebbrecht, Hilde Hoffmann und Jörg Schweinitz herausgegebene Sammelband beschäftigt sich mit Dokumentarfilmen aus der DDR und über sie und mit deren Nachleben als Teil des visuellen Gedächtnisses (des gesamtdeutschen oder des europäischen? Etwas unscharf bleibt dessen Reichweite). Bekannte und nahezu vergessene Filme, etwa die von Jürgen Böttcher, Helke Misselwitz oder Thomas Heise, die ideologisch und propagandistisch aufgeladenen Geschichtskompilationen des Ehepaars Annelie und Andrew Thorndike und Karl Gass' oder die Produktionen aus der "Golzow"-Reihe von Winfried und Barbara Junge werden neu betrachtet, wobei Fragen nach ästhetischen Profilen, nach den großen und im Sinne von Pierre Bourdieu, feinen Unterschieden im Spiel zwischen Ideologie und Realitätssuche, nach den Wandlungen der Geschichte ebenso nachgegangen wird wie den Möglichkeiten und Grenzen des dokumentarischen Erinnerns.
Anlass des Buches war das Studienseminar 2006 an der Bochumer Ruhr-Universität "Selbstbilder Gedächtnisbilder" am Beispiel von Dokumentarfilmen der DDR. Daraus resultiert der bewusst offen gehaltene Anspruch, mit Beiträgen unterschiedlichen methodischen Zuschnitts das Forschungsfeld "in Augenschein zu nehmen", Ergebnisse, Fragen und kritische Anmerkungen zu präsentieren. Dezidiert wenden sich die Herausgeber einerseits gegen ein "bloßes Fakten- und Datensammeln" und die bloße Fortschreibung gängiger, zuweilen beschönigenden Erzählungen der DDR-Dokumentarfilmgeschichte. Andererseits lehnen sie aber auch eine ausschließlich ideologiekritische Analyse des Bestandes und seine faktische Entsorgung ab (17).
In einigen Beiträgen artikuliert sich die Grundüberlegung, dass das visuelle Gedächtnis nicht aufgeht in einem Kanon immer wieder abgerufener Bilder von der vergangenen DDR-Gesellschaft, ihrem Ende und dem Übergang in die deutsche Nachwende-Gesellschaft, sondern gerade deshalb in Frage gestellt werden sollte. Mitherausgeberin Hilde Hoffmann hebt "dokumentarische Gedächtnisräume" in Filmproduktionen 1989/90 hervor (286–303), die eine von den noch offiziellen DDR-Medien, aber auch vom Medien-Mainstream der BRD erkennbar "unterscheidbare Ästhetik" vorweisen (301). Matthias Steinle schließlich leistet eine anregende und sicherlich auch kontovers bewertete Bestandsaufnahme der in den letzten Jahren produzierten Dokudramen (322–342; vgl. dazu Viktoria Urmersbach in "History Sells!", 107–118). Hierbei entstünden Meta-Narrative, die filmübergreifend als Epochencharakterisierung bezeichnet werden könnten (322f). Anhand mehrerer Beispiele zeigt Steinle die ästhetischen Gestaltungsmittel in der Verwendung symbolischer Zeichen und detailgenauer Nachinszenierungen von historischem Bildmaterial auf. Danach setzten sich gewisse "narrative und ästhetische Stereotype vom kalten Krieg" fort, die gleichzeitig die "Sphäre des Alltags in seiner banalen Form als gelebtes und nicht nur gelittenes Leben" völlig ausblendeten (339).
Deutsche Geschichte in Fotografien
Hartewig: Wir sind im Bilde (© Leipziger Universitätsverlag)
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Hartewig: Wir sind im Bilde (© Leipziger Universitätsverlag)
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Schon seit Jahren beschäftigt sich die Erfurter Historikerin Karin Hartewig intensiv mit den visuellen Überlieferungen der jüngsten deutschen Geschichte. Erstmals versucht Hartewig nun einen parallelen, vergleichenden Blick auf die Bildberichterstattung führender Massenillustrierten, vor allem "Stern" und "Quick" in der Bundesrepublik und "Neue Berliner Illustrierte" (NBI) bzw., nur fallweise, der "Wochenpost" in der DDR. Neben der guten Überlieferungslage insbesondere in den Bildarchiven der Axel Springer Verlagsgruppe, der Bauer Media Group, des Berliner Verlags und des Verlagshauses Gruhner + Jahr leitete Hartewig die Überlegung, dass bis in die frühen Sechzigerjahre der Bildjournalismus das 'natürliche' Medium epochaler Ereignisse geblieben war, solange das Fernsehen noch nicht seine spätere Bedeutung erlangt hatte. Ihre exponierten Akteure, die Bildjournalisten und Fotografen, dürften, so Hartewig, zu den modernen Helden des vergangenen Jahrhunderts zählen. Die Generation mit "PK"
Der Schwerpunkt der weithin chronologischen Erzählung liegt indes auf den Vierziger- bis Fünfzigerjahren. Dass dabei die unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen keinesfalls zu kurz kommen, ist eine der Stärken des reichhaltig bebilderten Überblicksbands. Die Autorin folgt den Spuren der ersten Fotos der Alliierten von der Befreiung, der Öffnung der Konzentrationslager und der Zerstörungen, die über Jahrzehnte unser Bild des Krieges prägten. Doch auch Zehntausende Amateure und professionelle Fotografen hielten den Kriegsalltag, das Leben in Ruinen und die frühen Aufbaujahre in Ost und West aus der "Perspektive der Besiegten" fest.
Weniger analytisch als erzählerisch dicht geht das Buch Fragen nach, wie Zeitgenossen in Ost und West nach Ende des Zweiten Weltkrieges ins Bild gesetzt wurden und welche Bilder die deutsche Teilungsgeschichte bis in die sogenannte Entspannungsphase markierten. Welche gesellschaftlichen Selbstbilder gewannen leitmotivische Kraft, und wie setzten die Illustrierten kulturgeschichtlich Akzente? In den Krisen und Entfremdungen des Kalten Krieges zwischen Berlin-Blockade und Maueralltag setzten Fotografien in Ost wie West bald gern die Protagonisten der eigenen Seite als moralische Sieger ins Bild und dienten auf beiden Seiten dazu, Emotionen zu mobilisieren. Aber sie dokumentieren auch, dass seit 1949 fast nur noch über das eigene Land und das ideologische Lager, dem man angehörte", berichtet wurde (13). Tatsächlich kommt es erst in den Siebzigerjahren im Zuge der Entspannungspolitik zu einer gewissen "einseitigen Annäherung" durch die vermehrte und nicht selten durch DDR-Behörden kujonierte Berichterstattung westdeutscher Korrespondenten aus der DDR (292ff). Aber das wäre einer weiteren ausführlichen Darstellung wert, als die wenigen Seiten in diesem vorliegenden spannenden Band hergeben.
Der Prozess des "visual turn" in der Geschichtswissenschaft und ihren Nachbarfächern scheint noch in vollem Gange. Auch in der Buchgestaltung der hier vorgestellten Titel verdeutlicht sich dieser Paradigmenwechsel. So hatten Studierende der Kunsthochschule Weißensee den voluminösen Reader von "History sells!" mit Fotocollagen und fotografischen Mehrfachüberblendungen ausgestattet, die es erlauben, über das Gelesene zu reflektieren.