Meike Vogel: Unruhe im Fernsehen. Protestbewegung und öffentlich-rechtliche Berichterstattung in den 1960er Jahren, Göttingen: Wallstein 2010, 349 S., € 39,90, ISBN 9783835306417.
In jüngster Zeit wurde vielfach gefordert, das Fernsehen in die zeithistorische Forschung einzubeziehen. Denn offensichtlich spielt es spätestens seit den 1960er-Jahren nicht nur als Quelle und Repräsentation von historischen Vorgängen eine zentrale Rolle, sondern das Fernsehen prägte diese auch mit und wurde selbst Gegenstand von historischen relevanten Auseinandersetzungen. Meike Vogel geht nun mit einer historischen Pionierstudie derartigen Ansätzen nach. Die Studentenbewegung bietet sich dafür exzellent als Thema an, da sie, wie bereits oft betont wurde, vielfältig mit den Massenmedien interagierte.
Vogel geht es methodisch um das "Framing", also die Rahmung und Deutungsmuster des Fernsehens. Um diese zu ermitteln, hat sie 380 Fernsehbeiträge von ARD und ZDF erfasst, von denen sie über die Hälfte einsehen konnte. Neben diesen Berichten, die insbesondere aus Nachrichtensendungen und politischen Magazinen stammen, hat sie zahlreiche Gremienprotokolle des Rundfunks sowie kontextualisierend Printmedien analysiert, um Debatten zu erfassen. Ihre vertieften Beispiele werden von zahlreichen Fotos aus den Filmsequenzen veranschaulicht. In ihrer thematischen Einbettung zeigt Vogel zunächst, wie die Fernsehjournalisten in den 1960ern ein stärkeres politisches Selbstbewusstsein gewannen, auch um ihre Unabhängigkeit vom Staat zu beweisen. Am Beispiel des Schah-Besuchs von 1967 demonstriert sie in einer vertieften Analyse, wie Berichte "kippen" konnten – von einer klassischen zeremoniellen Darstellung des Staatsbesuches hin zu kritisch-ironischen Sendungen im Zeichen der Proteste, wobei viele Journalisten gegen konservative Deutungen Position bezogen. Als dominanten Deutungsrahmen macht Vogel insgesamt die Schlagworte "Ruhe und Ordnung" versus "Unruhe" aus, die als Gefährdung für die demokratische Ordnung gesehen wurde. Visualisiert wurde die Studentenbewegung vor allem mit Aufnahmen von Demonstrationen. Da diese auch aus Sicherheitsgründen aus der Polizeiperspektive aufgenommen wurden, waren die Bilder entsprechend wertend, und vor allem abgeführte Studenten standen im Mittelpunkt (180). Ein zweites Deutungsmuster bildet die Frage, ob die Bewegung als politisch zu verstehen sei. Dies wurde für den SDS und die Radikalen anerkannt, während den Spontis und der Kommune I diese Qualität abgesprochen wurde (207). Insbesondere der Sender Freies Berlin (SFB) rückte die Demonstranten in die Nähe der kommunistischen Machthaber, bildete damit aber eher eine Ausnahme. Interessant ist vielmehr Vogels Befund, dass die Medien bereits seit 1966 von einer "außerparlamentarischen Opposition" sprachen (253) und der Begriff damit nicht von Rudi Dutschke erfunden wurde. Die Medien trugen zur Etablierung des Begriffes bei, wenngleich er in den Rundfunkräten umstritten war, weil einige die Bezeichnung "anti-parlamentarische Opposition" für die Fernsehberichte einforderten.
Die "Unruhe im Fernsehen" bezog sich nicht nur auf die dargestellten Proteste. Vielmehr kam es im und gegenüber dem Fernsehen zur "Unruhe", da den Sendern vorgeworfen wurde, die Konflikte durch emotionale Bilder von den Protesten zusätzlich anzuheizen. Dies ging mit der allgemeinen Annahme einer starken Medienwirkung und einer leicht verführbaren Öffentlichkeit einher. Im Bundestag gab es Ende 1967 dazu eine offizielle Anfrage. Der Verzicht auf Bilder von den Protesten wurde gefordert, und Franz-Josef Strauß warf der ARD-Führung deshalb sogar "Volksverhetzung" vor. Die Intendanten einigten sich immerhin darauf, künftig visuell zurückhaltender zu berichten und die Kameramänner entsprechend anzuweisen. Auch im Fernsehen selbst wurden Zweifel über die eigene Rolle deutlich. So liefen Sendungen über die Frage, ob die Kameras die Proteste anheizen würden, wozu außerdem Experten befragt wurden. Eine tatsächliche Einschränkung der Pressefreiheit, wie sie damals insbesondere von einzelnen CDU/CSU-Politikern gefordert wurde, macht Vogel jedoch trotz dieser Weisungen nicht aus.
Meike Vogels Studie führt eindrucksvoll in die historische Bedeutung des damals neuen Mediums Fernsehen ein und ergänzt die zahlreichen Studien über 1968 um eine neue Note. Ihre Arbeit bleibt dabei auf der Ebene des öffentlichen Sprechens über den Zusammenhang zwischen Fernsehen und Protest. Von Aussagen über die "tatsächliche" Wirkung des Fernsehens sieht sie ab, zumal sie vermutlich in genau diesen Diskursen lag. Sicherlich wäre man neugierig, mehr über die damalige Wahrnehmung des Fernsehens von Seiten der Protestierenden zu erfahren, auf deren Kritik an den Massenmedien Vogel mehrfach verweist. Wie sehr die Studenten das Medium Fernsehen goutierten, zeigt allein die Tatsache, dass die Kameras recht ungestört ihre Versammlungen filmen konnten und ihre Akteure zu Interviews erschienen, was Journalisten des Springer-Verlages sicher nicht geglückt wäre. Auch zur DDR-Fernsehperspektive hätte man gerne etwas erfahren, vor allem weil diese Bilder auch in Berlin kursierten. Allerdings rechtfertigen gerade der große Aufwand und die Kosten für die Erhebung von Fernsehquellen die Eingrenzung. Künftigen Studien, die das Medium Fernsehen integrieren, ist das Buch sehr zu empfehlen.