Der Begriff E. ist die seit etwa zwei Jahrzehnten in der politischen Diskussion verwendete Sammelbezeichnung für eine sehr breite Palette von Einstellungen gegenüber dem EU-Europa, die von punktueller Kritik bis zu kategorischer Ablehnung reicht. Objekte dieses E. können ganz unterschiedlich sein: das europ. Integrationsprojekt insgesamt, die EU in ihrer gegenwärtigen Struktur, konkrete Entscheidungen in einzelnen Politikfeldern der EU oder bestimmte Vorhaben der Weiterentwicklung des Integrationsverbandes (»Vertiefung« und »Erweiterung«). Träger solcher Einstellungen sind in erster Linie politische Parteien, wobei das Etikett »euroskeptisch« auch Parteien zugeschrieben wird, die über das gesamte politische Spektrum verteilt sind – also nicht nur Parteien an den beiden äußersten Rändern –, sofern sie in ihrem Verhalten entsprechende Einstellungen zeigen. Weil E. als Sammelbezeichnung unscharf und nicht aussagekräftig genug ist, wird versucht, den Begriff genauer zu fassen, nach Beweggründen für E. zu fragen und damit auch unterschiedliche Formen und Ausprägungen von E. zu identifizieren. Ein Einteilungsversuch unterscheidet zwischen hartem (»hard«) und weichem (»soft«) E., wobei Letzterer für gemäßigt-kritischen Widerspruch und entsprechende Opposition steht, während Ersterer grundsätzliche, umfassende und vielfach militant-feindselige Ablehnung bezeichnet, die sich in der Befürwortung des Austritts aus der EU manifestiert. Da diese auf den Intensitätsgrad von E. abhebenden Kriterien interpretationsbedürftig sind, die Einteilung also auf sehr subjektiven Einschätzungen beruht, ist sie zur genaueren Bestimmung dessen, was E. im konkreten Einzelfall und angewandt auf eine einzelne politische Partei bedeutet, unzureichend. Andere Einteilungen unterscheiden deshalb nach Dimensionen von bzw. nach Motiven für E.
Besondere Bedeutung wird dabei, erstens, der Ideologie zugeschrieben, auf Parteien bezogen also deren Grundüberzeugungen, Wert- und Zielvorstellungen; ein ideologisch geprägter E. würde die Unvereinbarkeit eigener Werte mit zentralen Merkmalen der EU und ihrer Politik konstatieren. Eine Partei kann sich, zweitens, von strategischen Überlegungen leiten lassen; sie würde dann ihre euroskeptische Position in opportunistischer Weise zur Profilierung und Stärkung gegenüber anderen Parteien nutzen, also zugunsten innenpolitischer Ziele im Parteienwettbewerb instrumentalisieren. Ein dritter Typus von E. geht auf Nützlichkeitserwägungen zurück; hier würde in utilitaristischer Manier gefragt, welchen ökonomischen Nutzen die Zugehörigkeit zur EU für das Land gehabt habe bzw. zu haben verspreche oder welche Nachteile – vielleicht nur politikfeldspezifisch – die Mitgliedschaft zur Folge haben könnte. Eine vierte Ausprägung von E. wurzelt in einer Fixierung auf staatliche Souveränität; das Integrationsprojekt würde hier auf Bedenken stoßen, wenn das, was im konkreten Einzelfall als gleichsam unverzichtbarer Kernbestandteil dieser Souveränität gilt, zur Disposition gestellt würde und sei es nur im Sinne von Souveränitätsteilung. Aber auch die substanzielle Stärkung von Gemeinschaftsinstitutionen – insbesondere von Kommission und Europäischem Parlament – oder die vermehrte Geltung des Mehrheitsprinzips im Rat würde den Vertretern dieser Gruppe als unannehmbar gelten. Ein fünfter Beweggrund für E. liegt in der Sorge um den Verlust der (nationalen) Identität als Folge fortschreitender Integration oder von Entscheidungen auf Politikfeldern, die als Bedrohung dieser Identität angesehen werden. Bei Parteien, die dem äußeren linken bzw. rechten Rand des politischen Spektrums zugerechnet werden, finden sich ausnahmslos euroskeptische Einstellungen, die im Übrigen nicht nur auf einen einzigen Begründungszusammenhang zurückgehen. E. prägt aber auch die Einstellung und Politik einzelner im Zentrum des politischen Spektrums angesiedelter Parteien, unabhängig davon, ob sie als Regierungs- oder Oppositionsparteien fungieren. Parteien und Politiker, denen das Etikett »euroskeptisch« zugeschrieben wird, weisen diese Charakterisierung vielfach mit dem Argument zurück, dass ihre Einstellung und Politik »Eurorealismus« widerspiegele.
Literatur
C. Leconte: Understanding Euroscepticism, Basingstoke 2010.
aus: Große Hüttmann / Wehling, Das Europalexikon (3.Auflage), Bonn 2020, Verlag J. H. W. Dietz Nachf. GmbH. Autor des Artikels: R. Hrbek
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