Dieses Gespräch steht am Ende einer ganzen Reihe von Ereignissen, Begegnungen und Diskussionen. Begonnen hat alles mit einer Initiative der Bundeszentrale für politische Bildung. Es folgte ein Seminar an der Technischen Universität Dresden, in dem Studierende der Fächer Kunstpädagogik und Gemeinschaftskunde zusammen über die Möglichkeiten einer Kooperation ihrer Fächer nachgedacht haben. Es gab eine Tagung im Deutschen Hygiene Museum, es wurden Projekte realisiert, und am Ende all dessen steht der Austausch zwischen unterschiedlichen Autorinnen und Autoren in einem Buch
"Missbrauche mich!", so nannte Michael Wehner, Referent der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg seinen Beitrag auf der Tagung "Inspiration!" in Dresden. Er plädiert für eine politische Bildung, die sich die Strategien der Kunst zum eigenen Nutzen zu eigen macht. Das sorgte für einigen Wirbel und tat ganz offensichtlich einigen weh.
Instrumentalisierung war der Vorwurf, der da zu hören war. Aber ist das nicht ein Problem, das es an der Schnittstelle von Kunst und Politik gibt? Nutzen sie sich gegenseitig nur aus? Bleibt einer von beiden notwendigerweise auf der Strecke? Oder passiert das schon ganz von alleine, wenn Kunst beispielsweise politisch wird?
Es folgt nun ein Gespräch, in dem drei Akteurinnen und Autorinnen auf der Grundlage dessen, was sie erfahren, gelernt und gelesen haben – über die Chancen und Probleme zwischen kultureller, künstlerischer und politischer Bildung debattieren. Für die politische Bildung: Prof. Dr. Anja Besand, für die Kunstpädagogik Jun.-Prof. Dr. Sara Burkhardt und für Kunsttheorie und Kunstpädagogik Prof. Dr. Marie-Luise Lange. Für die Veröffentlichung im Internet wurde das Gespräch gekürzt und geglättet, es ist jedoch so weit wie möglich authentisch wiedergegeben.
Vorsicht vor Instrumentalisierung und Ideologisierung
Anja Besand: ... Es ist ein Problem, das wir an der Gelenkstelle zwischen Kunst und Politik haben – eine wahrhaft engagierte Kunst? Ist es nicht so, je engagierter sie ist, desto instrumenteller ist sie auch? Wenn wir uns eine Kunst vorstellen, die sich wirklich ganz stark einer Sache verschreibt, wirkt sie erstens dadurch ideologisch? Ist das zweitens dann nicht auch instrumentell? (Schnaufen der anderen)
Marie-Luise Lange: Ja, aber da kann man ja wirklich nur mit dem Schlingensief-Beispiel antworten. Der ist für mich wirklich jemand, der engagierte Kunst gemacht hat, aber in der Lage war, sie nicht zu ideologisieren, weil er sie selber immer wieder in Frage gestellt hat. Also er hat dieses Afrikadorf gebaut und hat Stücke gemacht, in denen er es ganz toll fand und präsentiert hat. Und im nächsten Stück Intolleranza II hat er es genau wieder zurückgenommen. Er hat gesagt: WIR KÖNNEN NICHT DAHIN GEHEN und können denen sagen was für sie gut ist. Es müsste aus deren Wurzeln kommen. Und das in ganz kurzer Zeit, binnen anderthalb Jahren, obwohl er visionär total erfüllt war von dieser Idee. Und das ist es für mich. Immer wieder, wenn ich etwas gefunden habe, die Gegenfrage zu stellen. Mich Widersprüchen und Zweifeln auszusetzen. Da sehe ich eine Vision drin, dass jemand das kann und dass wir alle das können.
Sara Burkhardt: Und das schützt natürlich auch vor Instrumentalisierung und auch vor Ideologisierung.
Anja Besand: Aber ich frage mich trotzdem, ob wir noch so schrecklich viele Beispiele finden, bei denen es so funktioniert. Also bei Schlingensief funktioniert das.
Marie-Luise Lange: Wir könnten ja mal nach dem Gegenbeispiel suchen!
Anja Besand: Nehmen wir doch die Yes Men, die finden wir doch gut, und trotzdem ist das hier nicht so einfach. Nehmen wir das Bhopal-Projekt
Marie-Luise Lange: Ist es denn instrumentell, wenn jemand eine Position bezieht? Liegt es nicht dann bei dem Lehrer sozusagen eine Offenheit zu erzeugen, das bei den Schülern ein Für und Wider im Diskurs entsteht? Also bloß weil jemand eine Position hat, instrumentalisiert er doch noch nicht. Wir sind gerade als Lehrende diejenigen, die das wieder aufmachen wollen und erstmal alles zulassen.
Anja Besand: Aber meine Frage ist: Wenn wir so ein Kunstwerk als Beispiel in den Unterricht hinein nehmen. Ist das dann nicht ein instrumentelles Verständnis von diesem Kunstwerk?
Sara Burkhardt: Also erst mal stellt sich die Frage nach dem Kunstbegriff: Ist es überhaupt als Kunstwerk zu verstehen? Dem würden die sich die Yes Men ja sofort entziehen. Ich würde das auch nicht als künstlerisches Werk sehen.
Anja Besand: Echt? Warum nicht?
Marie-Luise Lange: Wo kommen die her?
Sara Burkhardt: Sie kommen nicht aus dem Kunstkontext und sehen sich meines Erachtens auch nicht im Kunstkontext. Was ja nicht heißt, dass sie nicht durchaus künstlerisch arbeiten dürfen. Man kann sie ja durchaus im Kunstunterricht zeigen und besprechen, und es gibt auch viele, die man damit vergleichen kann, gerade in diesem aktivistischen Milieu, die ähnlich vorgehen. Aber es ist ja auch so eine ethisch schwierige Gratwanderung, die die da vollziehen. Also deswegen finde ich es ja so spannend, weil sie lügen und weil sie Dinge machen, um die Wahrheit zu erkennen, die durchaus über Grenzen hinausgehen, die wir als ethisch akzeptabel oder geschmackvoll bezeichnen würden. Da nehmen sie keine Rücksicht, das nehmen sie in Kauf um so etwas aufzudecken – wie z.B. die Bhopal-Katastrophe - und ins Gespräch zu bringen. Und dafür dürfen sie lügen und Dinge machen, die eigentlich nicht erlaubt sind. Das ist eine Schwierigkeit im Unterricht und im Bildungskontext, eine Schwierigkeit zu sagen: Wie weit darf man gehen? Darf ich solche Dinge tun? Darf ich durchaus ethisch-moralische Grenzen überschreiten? Damit Leute etwas begreifen, damit ihnen ein Licht aufgeht - und wo ist die Grenze?
Anja Besand: Ja, das ist ziemlich schwierig. Aber was an denen gleichzeitig so schön ist, und warum die auch mich so begeistern ist dieser Antifatalismus, der in denen steckt. Also radikal antifatalistisches Verhalten nach dem Motto: "Fix the World". Die Dinge, die normal so kompliziert aussehen, wieder ganz einfach zu machen und zu sagen: Okay, wir reparieren jetzt mal Dinge die wir sehen und von denen alle sagen: Da kann man nichts machen. Und das ist das Verlockende an dieser Arbeit, auch für die politische Bildung. Da haben wir ein Modell - mit Ecken und Kanten, aber die kann man ja besprechen - was dem verbreiten Fatalismus, den wir gerade im politischen Bereich haben, entgegengesetzt werden kann und das so ganz erfrischend pragmatisch die Dinge in die Hand nimmt.
Sara Burkhardt: Ja, da geht es ja auch über den Finger auf die Wunde halten hinaus, also das ist ja nicht nur zeigen "Da liegt das Problem" sondern auch schon Handeln.
Anja Besand: Gleichzeitig findet sich die Schule in diesem Dilemma, dass sie einerseits möchte, dass die Schüler in Handlung kommen, aktiv werden und dass sie - wenn sie das dann tatsächlich machen - leicht schockiert darauf reagiert. Es fängt ja schon an, wenn sich Klassensprecher doch mal gegen ihre Lehrerinnen und Lehrer wenden. Oder wenn eine SV tatsächlich aktiv wird. Also man will sie zwar haben, aber wenn sie dann aktiv wird und sich auch gegen irgendwelche Strukturen wendet, die in der Schule üblich sind, dann wird es eben häufig doch sehr schwierig.
Marie-Luise Lange: Aber liegt es dann nicht an den Charakteren und der Mentalität der Lehrenden?
Sara Burkhardt: Nein, es liegt meines Erachtens eher am System Schule. Es ist doch keine Charakterfrage, was ich zulasse.
Marie-Luise Lange: Ja, Charakter ist vielleicht das falsche Wort. Da hast du Recht. Aber ich glaube es liegt eher an der Ausbildung wie jemand letztendlich gestrickt ist, um mit diesen Dingen umzugehen. Weil das immer auch heißt, Kritik zuzulassen. Das ist das Beispiel vom Klassensprecher. Möchtest du soweit gehen, dass der Klassensprecher dich kritisiert?
Schule als Interventionsraum
Anja Besand: Sara, du hast doch gesagt: Du verstehst Schule als Interventionsraum. Vielleicht kannst du nochmal sagen, was du damit meinst. Weil ich glaube, das ist genau der Punkt. Also wenn wir Schule als Interventionsraum begreifen, dann wäre ja alles willkommen, was interveniert.
Sara Burkhardt: Also ich begreife die Institution Schule zunächst als ein sehr geschlossenes System in dem unterschiedliche Dinge passieren, die aber alle den Regeln dieser Institution unterworfen sind. Dazu gehört sicherlich auch das System "Klassensprecher", oder die ganze Form von "demokratischer Mitbestimmung" in diesem System. Dass die Schüler zumindest den Eindruck haben, sie können Dinge innerhalb dieses Systems verändern, solange sie eben da nicht herausbrechen und nicht etwas von draußen hereinholen. Deswegen gibt es ja häufig geschlossenes Internet an Schulen bzw. durchaus eine Vorsicht, was solche Dinge angeht. Das ist ja auch berechtigt, klar! Man kann das aber auch als ein System betrachten, das durchaus Lücken hat bzw. die Möglichkeit dort kleine Aus- und Eingänge, kleine Wurmlöcher zu inszenieren. Durch die eben auch Dinge aus der Schule herauskommen und andere Dinge wieder in die Schule hineinkommen, dann wird es interessant. Dann muss man eben sehen, wie klein und wie groß diese Löcher sind bzw. an welchen Stellen solche Interventionen möglich sind, und was sie bewirken. Da sind wir wieder bei der "Hacking"-Geschichte bzw. beim Cultural Hacking. Also ein System zu untersuchen bzw. auch zu verstehen, wie es funktioniert. Um dann an bestimmten Stellen künstlerisch und durchaus auch politisch einzugreifen und zu sagen: Jetzt stell ich es an einer Stelle auf den Kopf und lass eben den Pausengong mal anders abspielen oder lass eben auch Unterricht vielleicht mal anders ablaufen. Oder lasse eben eine Störung auch mal zu in dieser Institution oder in diesem System um auf bestimmte Dinge hinzuweisen, die vielleicht falsch laufen oder eingefahren sind.
Anja Besand: Man könnte Intervention ja auch ganz anders verstehen. Also man könnte ja auch sagen: Schule ist ein Interventionsraum, in dem wir gesellschaftlich in die Biographien der Schülerinnen und Schüler eingreifen oder intervenieren. Also zum Beispiel: Ausgleich schaffen zwischen unterschiedlichen Herkünften. Wir intervenieren gesellschaftlich, damit z.B. auch Kinder mit Migrationshintergrund gute Bildungschancen haben oder auch Kinder die durch ihre Eltern nicht optimal gefördert werden, eine gewisse Grundförderung erfahren.
Sara Burkhardt: Das könntest du aber auch genau umdrehen. Denn dann findet ja das "Gleichmachen" statt. Und gerade das Nicht-weiter-entwickeln-lassen. Aber natürlich stimmt es gleichzeitig auch, dass wir sagen: Alle sollen die gleichen Chancen haben.
Anja Besand: Ja, denn wir wollen es nicht nur dem Zufall überlassen, ob in einem Elternhaus über Politik geredet wird oder nicht. Sondern wir wollen da ein systematisches Angebot und das ist ja auch eine Intervention - nur in eine andere Richtung gedacht. In deinem Beitrag drehst du das aber um und sagst, die Schüler dürfen intervenieren, und das finde ich einen spannenden Gedanken. Also ob man Schule tatsächlich als einen Ort der Intervention von unterschiedlichen Seiten begreifen kann.
Sara Burkhardt: Also ich war eben durcheinander. Weil für mich Intervention nicht von einer Institution oder einem System ausgehen kann, sondern, was immer in und gegen eine Institution passiert, was also von einem Einzelnen oder einer Gruppe ausgeht. Deshalb ist Schule für mich etwas, was nicht intervenieren kann, sondern in das nur interveniert werden kann. Weil es immer so ein "Reinstechen" ist und nicht etwas, wo die Schule kommt und die interveniert jetzt in die Entwicklung der Kinder oder der Familien. Das kann Schule glaub ich nicht.
Anja Besand: Tatsächlich? Da bist du aber ganz klar die Kunstpädagogin und ich die Politikdidaktikerin. Für mich ist es ganz normal, Intervention im gesellschaftlichen Kontext zu denken.
Mündigkeit + Handlungsfähigkeit
Marie-Luise Lange: Naja, das ist vielleicht wirklich eine Definitionsfrage. Also ich würde es ebenso sehen. Aber das ist jetzt eine kunstpädagogische Position, dass wir die Schüler stärken sollten, zu schauen: Wo sie in ihrem Leben, ob das jetzt familiär, in der Schule oder später im Beruf ist, intervenieren möchten? Wo möchte ich mich selber mündig machen und mein Leben selbst in die Hand nehmen und Dinge, die mir nicht passen, verändern? Also da unterscheiden wir uns auch von deinem Fach, von der politischen Bildung. Dass wir das so machen - ich glaub nicht, dass das viele machen. Aber wir dürfen das.
Anja Besand: Naja, wir sind vielleicht weniger therapeutisch, aber mündig machen, das wollen wir auch. Das ist ja auch unser zentraler Begriff.
Marie-Luise Lange: Ja, aber bei euch heißt das mündig machen: Sie sollen sich eine eigene Position aus den vielen Möglichkeiten bilden. Sollen sie bei uns auch. Aber bei uns werden sie auch handlungsfähig in einem ganz sichtbaren, visuell sichtbaren Sinne, in einem gestalteten Sinne. Dass sie Strategien entwickeln - ob handlungsorientiert oder ob visuell oder medial -, mit denen sie hinein wirken in die Gesellschaft. Dass sie lernen, wie sie etwas verändern oder aufzeigen können.
Anja Besand: Ich verstehe schon, aber den Anspruch haben wir in aller Deutlichkeit auch.
Marie-Luise Lange: Nein, aber vielleicht kommen wir hier zu einem Schnittpunkt, den du am Anfang angesprochen hast. Als du gesagt hast: Aber immer wieder merken wir auch deutlich unsere Unterschiede. Ich glaube, das ist es eben. Wir können das so frei sagen, indem wir sagen: Wir transformieren Meinungen, Positionen, Nachdenken aber auch sinnliches Fühlen in Gestalt. Ihr müsst immer denken, und ihr müsst aus verschiedenen Begrifflichkeiten und einer Meinung zu Begrifflichkeiten das herausfiltern, was einen dann selber in dieser Gesellschaft politisch handeln lässt.
Anja Besand: Ich finde das schwierig in der Formulierung, aber ich gebe schon zu: Wenn mehr Lehrerinnen und Lehrer auf die Idee kämen, diese Chance zu nutzen, die sich gerade zwischen diesen beiden Fächern ergibt, dann glaube ich schon, dass die politische Bildung in gewisser Weise gefangen ist, was das Handeln angeht. Sie möchte das Handeln gern, sie möchte die Aktion gerne haben, und trotzdem verstrickt sie sich da sofort in Selbstwidersprüche. Im Kontext der kulturellen oder kunstpädagogischen Arbeit sind diese Widersprüche zwar nicht vollkommen aufgehoben, aber stellen sich doch sehr viel leichter dar. Ich kann mich als Kunstpädagogin in die Schule stellen und kann sagen, "Macht das doch mal. Macht doch mal das ..." So wie unsere Kunstpädagogik-Professorin uns früher in den Wald gejagt hat und wir mit einem alten Motorblock wieder raus gekommen sind. Das geht, weil es erst mal um etwas Formales geht. Dadurch habe ich viel Abstand zu der Aktion. Wenn ich als Politiklehrerin meine Schüler in den Wald jage und einen Motorblock mit denen da heraustrage, dann gibt's relativ wenig Lesarten, wie diese Aktion zu lesen ist. Eigentlich gibt es nur eine: Wir engagieren uns gegen die Verschmutzung unserer Wälder. Sonst ist da nicht viel (Lachen im Hintergrund), zumindest wenn ich der Politiklehrer bin.
Sara Burkhardt: Aber wo fängt es denn an, politisch zu sein? Also, wie niedrigschwellig kann etwas sein, oder wie klein kann eine Handlung sein, und ist sie dann schon politisch? Oder müssen es immer die großen Gesten, wie Motorblöcke aus dem Wald tragen, sein? Ich glaube, das wäre interessant fürs Bewusstsein, also auch bei Lernenden zu sehen, dass auch schon ganz kleine Handlungen oder Überlegungen auch im näheren Umfeld schon politisch sein können. Dass es eben nicht immer die große Politik ist, die die Welt bewegt, sondern dass auch das, was ich hier in meiner Umgebung mache, wenn ich die Straße beschreibe oder, oder wenn ich Street Art mache oder so, dass das ja auch schon politische Handlungen in gewisser Weise sind. Und das finde ich von der Haltung her interessant, also auch für etwas Lehrbares oder etwas Erlernenswertes, was ich ganz gut finde.
Anja Besand: Letztlich sind wir ja bei der Frage der Provokation. Ich kann natürlich Unterricht schon so inszenieren, dass bestimmte Konflikte systematisch erscheinen. Also ich kann mich zum Vertreter der Institution machen. Ich kann z.B. eine Stunde mit dem Inhalt "Demokratie" extrem autoritär inszenieren, um am Ende der Stunde dazu zu kommen ...
Sara Burkhardt: ... das kennen wir ja aus der Literatur, wie "Die Welle" oder so.
Anja Besand: Ja, aber das würden wir sagen, geht ethisch nicht.
Sara Burkhardt: Wegen des Tricksens? Wegen dieses Hineintricksens?
Anja Besand: Ja, weil, das schwarze Pädagogik ist. Also ... das sind auch Formen der Überwältigung. Also ihnen klar zu machen, was sie wollen sollen.
Marie-Luise Lange: Na gut, aber das eine ist die Methode, und das andere ist sozusagen das, was dahinter steht. Es geht dann, das wäre ja jetzt so Vordenken, was fehlt euch? Das wären ja wieder so diese alten Erziehungsmethoden. Und jetzt, "Kommt mal selber drauf", und jetzt nehme ich eben die Methode ...
Sara Burkhardt: ... und zwinge ich euch da hinein.
Marie-Luise Lange: Nein, ich meine das schon prinzipieller.
Anja Besand: Aber die spannende Frage ist doch, wie man das macht - pädagogisch/didaktisch. Also, man könnte sagen, okay, man macht das durch Provokation. Das ist, glaube ich, bis zu einem bestimmten Punkt etwas, an was wir gut zusammen arbeiten könnten. Weil wir dann Unterricht als Inszenierung begreifen müssen. Aber, so schrecklich viele Sachen fallen mir da gar nicht ein. Wie macht man das denn? Leute in die Lage versetzen, darüber nachzudenken, was sie wollen könnten?
Marie-Luise Lange: Ohne sie zu lenken. Da merkt man nämlich, dass wir dann zahnlose Tiger werden, wenn wir uns in dieser schönen neutralen Haltung ...
Anja Besand: Da haben wir es doch. "Aber natürlich ergreife ich Partei." Ich glaube auch, dass ihr das tut. Ich weiß auch gar nicht, ob ich es euch ausreden soll. Aber trotzdem ist für uns an dieser Stelle nicht so einfach.
Sara Burkhardt: Na, ich ergreife ja schon Partei, indem ich auswähle, was für Werke im Unterricht vorkommen oder was für Künstler. Das ist ja schon Partei ergreifen.
Anja Besand: Aber wir haben da Prinzipien. Also die Auswahl von Materialien für den politischen Unterricht beispielsweise ist an Prinzipien orientiert, die lauten: Es muss die kontroverse Struktur des Gegenstands sichtbar werden. Also, wenn ich Texte gegen Kernenergie benutze, muss ich Texte für Kernenergie daneben setzen. Und das ist eines der didaktischen Grundprinzipien unseres Fachs. Und für euch ist das nicht so wichtig.
Marie-Luise Lange: Nein.
Sara Burkhardt: Nein, da unterscheiden wir uns, das stimmt schon. Ja.
Was wollt ihr von uns?
Anja Besand: Okay, dann machen wir doch an der Stelle mal weiter. Also, als ich dieses Gespräch vorbereitet habe, habe ich noch einmal alle Beiträge aus dem Buch gelesen und in vielen Beiträgen steht, dass die politische Bildung von der Kunstpädagogik oder kulturellen Bildung lernen möchte oder sogar muss. Aber es ist ja tatsächlich auch andersrum. In der Kunst scheint man gerade in den letzten Jahren ebenfalls ein gesteigertes Interesse an politischer Bildung zu haben. Dann will ich aber wirklich wissen, was interessiert euch denn an politischer Bildung? Was will die kulturelle von der politischen Bildung?
Sara Burkhardt: Also ich glaube, in der Kunst passiert auch viel an "Schwammigkeit". Ich kann irgendwie ganz viel mit fünf Strichen ausdrücken und natürlich auch überlegen und in Gestalt bringen. Aber dann fehlt häufig die Begrifflichkeit und da die Begriffe zu schärfen und wirklich auch über Politisches oder Politik oder Politisch sein sprechen zu können. Und es da präzise zu machen. Dazu fehlt dann das Fach.
Anja Besand: Aber damit sind wir überhaupt nicht einverstanden. Ich bin überhaupt nicht glücklich mit der Zuschreibung: Ihr könnt so wunderbar handeln, und wir können denken. Das hatten wir ja schon, und ich glaube das trifft den Punkt nicht. Es gibt da doch glaube ich noch einen anderen Aspekt: Wanda Wieczorek (vgl. Beitrag in diesem Dossier) formuliert das so: Sie sagt, dass es aus dem Bereich der Kunst plötzlich so ein nachhaltiges Interesse an politischer Bildung gibt, liegt daran, weil man im Bereich der Kunst - gerade auch bei den Ausstellungsmachern und Kuratoren – merkt, dass Kunst in unserer Gesellschaft eben doch nur bestimmte Gruppen anspricht und als ein elitäres Konzept verstanden wird. Die Grundidee ist deshalb, durch politischere Ausstellungen und Kooperation mit Akteuren aus dem Bereich von politischer Bildung, durch partizipative Ansätze, Statdteilprojekte usw... neue Zielgruppen zu erschließen und für die Kunst zu gewinnen. Das beschreibt sie als klassische politische Bildung, für die sich die Kunst interessiert.
Marie-Luise Lange: Ja, aber du warst jetzt selber schwammig. Du hast gesagt: Die Kuratoren suchen sich das aus. Jetzt hast du gesagt: Die Kunst macht das. Ich würde sagen: In der Kunst war dieses Potenzial neue Bereiche aufzustoßen immer schon da. Wo denn sonst? Die Kuratoren haben dies doch nicht zuerst gemacht, sondern die Künstler selber. Aus der Kunst ist das Interesse gekommen eben auch wirklich partizipatorisch zu arbeiten, in einen öffentlichen Raum zu gehen, soziale Brennpunkte zu besuchen, zu gucken, was können wir da mit den Bewohnern machen.
Sara Burkhardt: Dann könnte man sagen: Wenn die Kunst ohnehin immer schon in andere Bereiche oder Fachbereiche vorstößt oder interdisziplinär ist, dann sind wir, wenn wir uns mit Kunst beschäftigen, auf Hilfe aus anderen Bereich angewiesen. Also wenn ich mich mit einem Kunstwerk auseinandersetze, dann überschreite ich immer die Grenzen zur Soziologie, zur Philosophie oder eben zur Politik. Deshalb interessieren wir uns für euch. Es geht letztendlich um Kommunikation. Es geht darum beide (oder viele) unterschiedliche Perspektiven zu begreifen. Dann sind soziale Bildungsprozesse eine Schnittstelle von kultureller Bildung und politischer Bildung.
Anja Besand: Aber das stört mich auch total.
Sara Burkhardt: Das ist dir zu labbrig, dass dachte ich mir schon.
Anja Besand: Aber es ist doch komisch. Wir können ja mal anders daran gehen. Wir können ja sagen: Was haben wir denn für Ziele? Und wenn das Ziel Mündigkeit ist, und wenn ihr sagt: Das ist unser Ziel, und wir sagen: Das ist unser Ziel. Dann kann man doch sehr gut sagen, spannt uns doch beide vor den Karren, weil wir ziehen sowieso beide in dieselbe Richtung und wollen beide mündige Subjekte als Ziel unsere Bildungsprozesse.
Marie-Luise Lange: Ja da stimmen wir doch überein.
Anja Besand: Genau, aber dann...
Sara Burkhardt: ... dann kommt der Weg.
Anja Besand: Genau und dann kommen unterschiedliche Dinge auf einen zu, und man fragt sich: Was interessiert euch, was interessiert uns, was interessiert uns aneinander? Und dann sagt ihr plötzlich: "der jeweils andere Blick", das heißt dann aber doch: Wir stehen auf zwei Seiten auf dem Karren. Wir sind doch nicht auf der einen Seite.
Sara Burkhardt: Der unterschiedliche Blick heißt ja nicht, dass das Ziel ein anderes sein muss. Ich kann ja auf zwei Seiten stehen und trotzdem geht der Karren in die gleiche Richtung (Lachen)
Anja Besand: ...dann läuft aber einer rückwärts. So kommen wir nicht weiter - vielleicht muss man anders fragen: Wo profitieren wir voneinander? Was können wir voneinander lernen?
Kontroversität?
Marie-Luise Lange: Was ich von dir gelernt habe ist diese Neutralität. Das hast du ja wirklich durch die ganze Auseinandersetzung hindurch durchgezogen. Das war mit vorher nicht so klar. Ich hatte eher so 68er im Blick, "Friedenserziehung" "Umwelterziehung", "Demokratieerziehung". Das ist doch das Gute, wenngleich ich in meinen Texten auch sage, die Wahrheit ist Plural. Mir ist jetzt klar geworden, dass euer theoretischer Grundsatz erstmal ist: allen dieses Tableau erst einmal zu öffnen, damit jeder die Möglichkeit hat, seine Position begründet zusammenzusetzen.
Anja Besand: Kontroversität nennen wir das, nicht Neutralität, aber das tut nichts zur Sache. Also der Punkt wäre tatsächlich zu sagen: Was unterscheidet uns, wenn wir Bildungsprozesse zusammen machen. Es gab diesen einen Satz nach der Konferenz, der ist mir im Gedächtnis geblieben. Da hast du gesagt, Marie-Luise: "Natürlich ergreife ich Partei". Das finde ich auch charmant, da zu sagen: Okay, natürlich ergreifen wir Partei für die Schwachen in der Gesellschaft. Aber ich weiß nicht, ob das nicht einer der Punkte ist, an denen wir es uns schwer miteinander machen.
Marie-Luise Lange: Ich sehe es schon anders. Darf ich nochmal etwas nachfragen: Wäre es denn so ein Verständnis von euch, Bürger heranzuziehen, so ähnlich wie in der Schweiz?
Anja Besand: Also bei uns gibt es schon die Frage: Was wollen wir eigentlich erreichen? Welchen Bürger wollen wir am Ende des Bildungsprozesses am liebsten haben? Wir sprechen dann von unterschiedlichen Bürgermodellen. Wollen wir einen aktiven Bürger erziehen, der sich politisch engagiert und vielleicht auch ein politisches Amt anstrebt? Das wäre ja ein sehr ehrgeiziges Ziel. Aber wie kommen wir dann mit der politischen oder pädagogischen Wirklichkeit zurecht, in der das ja eher in Ausnahmefällen wirklich gelingt? Neben dem Aktivbürger haben wir deshalb auch noch andere Bürgerleitbilder, den Interventionsbürger z.B., das ist ein Bürger, der in der Lage ist zu merken, wann seine Interessen berührt werden und sich dann einzumischen beginnt. Ansonsten darf der sich auch eine Weile zurückhalten. Der muss jetzt nicht die ganze Zeit draußen rumrennen oder Bundeskanzler werden wollen. Aber er muss merken, wenn es um seine Sache geht, und dann muss er wissen, wie er für seine Sache eintreten kann.
Sara Burkhardt: Lernziel "der hellwache Bürger" - lachen.
Was am Ende zählt
Anja Besand: Okay, dann kommen wir zum Schluss nochmal zu einer anderen Frage. Wie politisch hättet ihr es am Ende denn gern? Oder geht es euch letztendlich doch um etwas Formales? Also z.B. um die Vermittlung eines erweiterten Kunstbegriffes?
Sara Burkhardt: (Lachen) Jetzt sind wir wieder bei der Instrumentalisierung und zwar von Kunst.
Anja Besand: Aber wenn wir jetzt ehrlich sind und sagen, in solchen Bildungsprozessen oder -projekten, die laufen, wo ist da meine, und wo ist deine Schmerzgrenze? Oder mit anderen Worten: Was muss auf jeden Fall ins Auge gefasst werden, damit wir danach sagen können, "Das war sowohl ein kunstpädagogisch interessantes Projekt als auch ein Projekt, das für die politische Bildung interessant war"?
Sara Burkhardt: Naja, ich finde, ich hab's ganz leicht, ich kann sagen, es muss immer auf der Ebene von Gestaltung, von Visualisierung etwas herauskommen. Wenn das nicht kommt, und wir bleiben bloß auf der Diskursebene; wenn wir nur über Probleme nachdenken und nicht handeln oder tun; wenn also nichts Qualifiziertes herauskommt - und qualifiziert meint eben auch, sie kennen verschiedene ästhetische Strategien, sie überlegen, welche Strategie zu dieser Thematik genau die passendste ist. Dann ist das für mich okay.
Anja Besand: Das heißt – habe ich das richtig verstanden – dass sie auch die Dinge, die sie tun, nicht einfach nur machen also z.B. ein Plakat malen, das würde im politischen Unterricht ja auch gehen, ein Plakat malen, sondern, dass sie ästhetisch drüber reflektieren? ... Okay, verstanden. ... und was ist es für die politische Bildung? ... Ja, für die politische Bildung ist es wahrscheinlich auch ähnlich. Also dass im Bildungsprozess nicht einfach nur irgendein politisches Thema angesprochen wird, dass kann man letztlich in jedem Fach und Bildungskontext. Es reicht also nicht, dass ein politischer Sachverhalt oder eine politische Frage Erwähnung findet, sondern dass im Sinne eines Abwägens verschiedener Positionen, die es in diesem Kontext gibt, ein Urteilsprozess in Gang kommt.
Sara Burkhardt: Na da argumentierst du doch wirklich ganz ähnlich wie Marie-Luise. Man könnte auch sagen: Dass sie wissen, was sie da tun ...
Anja Besand: Das ist ein schönes Motto, dass sie wissen, was sie tun. Das kann man, glaube ich so stehen lassen, da sind wir uns ganz einig.