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Kunstvermittlung in der kulturellen Bildung: Akteure, Geschichte, Potentiale und Konfliktlinien | Kulturelle Bildung | bpb.de

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Kunstvermittlung in der kulturellen Bildung: Akteure, Geschichte, Potentiale und Konfliktlinien

Carmen Mörsch

/ 9 Minuten zu lesen

Landschaften abzeichnen oder sich im Museum die Kunstwerke in einer Führung "erklären" lassen - so sieht Kunstvermittlung heute nicht mehr aus. Die Entwicklung der Kunstvermittlung als Teil der kulturellen Bildung in Deutschland war und ist stets mit historischen und gesellschaftlichen Veränderungen und Vereinnahmungen verknüpft.

In der niedersächsischen Stadt Oldenburg findet im Oktober 2011 zum dritten Mal das Festival "ausgezeichnet" statt. Dem englischen Vorbild "The Big Draw" folgend, lädt das Festival die Stadt zur Auseinandersetzung mit dem Medium Zeichnung ein. Über mehrere Wochen haben Bildungsinstitutionen (verschiedene Schulen und die Universität), Künstlerinnen und Künstler sowie Kultureinrichtungen (Museen, Theater, freie Träger) in Projekten zusammengearbeitet und zeichnerisch experimentiert. Dieses Mal geht es um die Verknüpfung von Zeichnung und Musik. Die Ergebnisse werden in der "Mohrmann-Halle", einem ehemaligen Industriegebäude, ausgestellt. Die Kunstschule KLEX, die seit 1984 außerschulische kulturelle Bildung vor allem für Kinder und Jugendliche anbietet, ist Veranstalterin des Festivals. Anna Zosik, Künstlerin und Mitbegründerin von "eck_ik, Büro für Arbeit mit Kunst", das von Berlin aus Kunstvermittlung mit künstlerischen Mitteln verwirklicht, verantwortet die Leitung von "ausgezeichnet". Das "Netzwerk Kulturelle Bildung in der Stadt Oldenburg" veranstaltet anlässlich der Ausstellung ein Treffen, im Rahmen dessen Eva Sturm, Professorin an der örtlichen Universität, zu einem Fachvortrag eingeladen ist. Der Vortragstitel verspricht, den Auftrag der Kunstvermittlung in seinen Wandlungen und Kontinuitäten während der letzten zwanzig Jahre zu reflektieren. Finanziert wird das Festival unter anderem von der Stiftung Niedersachsen, der Oldenburgischen Landschaft sowie von der Stadt.

Akteure in der Kunstvermittlung

Dieses Beispiel veranschaulicht die vielfältigen Akteure, die in Deutschland gegenwärtig das Arbeitsfeld der Kunstvermittlung gestalten: Schulen, Museen und andere Kulturinstitutionen, Vereine, Verbände und Netzwerke, Stiftungen und die öffentliche Hand, Universitäten, nonformale Einrichtungen wie freie Kunstschulen, von Künstlerinnen und Künstlern, Kunstvermittlerinnen und -vermittlern gegründete Kleinstunternehmen, sowie selbstständig arbeitende Einzelkünstlerinnen und -künstler – und natürlich die Teilnehmenden. Dass im Rahmen des Festivalprogramms ein Fachvortrag gehalten wird, verweist auf ein relativ neues Bedürfnis nach Selbstreflexion und Theoretisierung im Arbeitsfeld Kunstvermittlung, was wiederum als Zeichen für einen wachsenden Grad der Ausdifferenzierung und Professionalisierung gelesen werden kann. Und die ausgediente Industriehalle, die heute wie so viele ähnliche Gebäude eine Umnutzung als Kulturort erfährt, illustriert im Hintergrund, dass sich Kunstvermittlung in Europa und in Deutschland zusammen mit dem Kapitalismus, der Veränderung des Gesellschaftsgefüges im Zuge der Aufklärung und des damit einhergehenden Wandels der Rolle von Kunst entwickelt hat.

Reformpädagogik und Freiheit in der Kunsterziehung

Die von der Reformpädagogik beeinflusste deutsche Kunsterziehungsbewegung richtete sich Anfang des 20. Jahrhunderts gegen das bis dahin an der Regelschule praktizierte Zeichnen nach der Natur und das geometrische Zeichnen. Sie setzte diesem die Vorstellung vom "Künstler im Kinde" und die pädagogische Notwendigkeit des freien Ausdrucks des Individuums entgegen. Dem "Bilden mit Kunst" wohnt damit von Beginn an ein Moment der Emanzipation, der Befreiung von Zwängen, inne. Doch "freier Ausdruck" bedeutete schon damals nicht Zweckfreiheit. Ähnlich wie bei Friedrich Schiller, der in seiner 1801 erschienenen Publikation "Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reyhe von Briefen" ästhetische Erziehung als ein Werkzeug entwirft, um die Persönlichkeitsentfaltung des Individuums bei gleichzeitiger Vermeidung eines politischen Kampfes gegen bestehende Herrschaftsverhältnisse zu ermöglichen, artikulierten sich auch in den Schriften der Kunsterzieherbewegung Ziele. "Denn die Erneuerung der künstlerischen Bildung unseres Volkes ist in sittlicher, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht eine der Lebensfragen unseres Volkes" schrieb Alfred Lichtwark, der Direktor der Hamburger Kunsthalle, der als Begründer der musealen Kunstvermittlung in Deutschland gilt, in seinem Aufsatz "Der Deutsche der Zukunft". Dieser erschien in der Publikation zum ersten Kunsterziehertag in Dresden im Jahr 1901. Künstlerische Bildung erscheint hier als Mittel, Deutschland als starke Wirtschafts- und Kulturnation zu behaupten. Jüngere historische Studien zeigen damit korrespondierend auf, dass die Einführung und Institutionalisierung von Kunstpädagogik in den Kolonien die Funktion hatte, europäische Wertvorstellungen und Regierungsweisen durchzusetzen . Die drei in dem Zitat von Lichtwark aufscheinenden Wirkungszuschreibungen bezüglich der individuellen Persönlichkeitsstruktur, der Ökonomie und dem staatsbürgerlichen Selbstverständnis bzw. der nationalen Identität haben sich bis heute im Prinzip kaum verändert. Sie sorgen weiterhin für Kontroversen und für – glücklicherweise nie abgeschlossene – Positionsbestimmungen im Arbeitsfeld der Kunstvermittlung. Ein weiteres Spannungsverhältnis, das sich schon bei Lichtwark abzeichnet, betrifft die Frage der sozialen Inklusion als Anforderung und Ziel von Kunstvermittlung: Lichtwark, der selbst aus armen Verhältnissen kam, verfolgte den Anspruch, kulturelle Bildung für alle Bevölkerungsschichten zu ermöglichen, führte aber seine "Übungen in der Betrachtung von Kunstwerken" mit Schülerinnen aus der höheren Töchterschule durch. Genauso wie die Museen setzen sich auch die freien Kunstschulen, die sich seit den 1960er-Jahren in Deutschland gründeten, bis heute damit auseinander, dass sie mehrheitlich Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus wohlsituierten Elternhäusern mit bereits vorhandenem Kunstsinn erreichen.

Im Nationalsozialismus wurde kulturelle Bildung gleichgeschaltet und in den Dienst der Diktatur gestellt. Dies bedeutete das weitgehende Ende der Reformpädagogik in Deutschland. In den 1950er-Jahren dominierte zunächst ein auf die ästhetische Form, auf reine Anschauung, Innerlichkeit und Spiritualität ausgerichtetes Verständnis von "musischer Bildung", das bewusst eine politische Positionierung vermied. Hierbei geriet aus dem Blick, dass auch die Konzentration auf Form und Wahrnehmung eine politische Position beinhaltet. So stand beispielsweise die abstrakte Moderne in dieser Zeit für die Freiheit des Westens, wie sich unter anderem an der ersten Documenta 1955 ablesen lässt .

Freie Kunstschulen

Mit dem Ausrufen der "Deutschen Bildungskatastrophe" in den 1960er-Jahren kam das Feld der Kunstvermittlung wieder stärker in Bewegung. Lehrerinnen und Lehrer , die mit dem Kunstunterricht an den Regelschulen unzufrieden waren, gründeten in dieser Zeit die ersten freien Kunstschulen und knüpften an die Ansätze der Reformpädagogik an. Interdisziplinarität, Selbsttätigkeit und projektbezogenes Arbeiten prägten das Vorgehen an diesen anfangs fast ausschließlich ehrenamtlich betriebenen Einrichtungen. Die freien Kunstschulen boomten in den 1980er-Jahren und nach der Wiedervereinigung auch in den neuen Bundesländern. Sie wurden und werden zumindest teilweise finanziell durch die Kommunen gefördert. Gegenwärtig kämpfen sie mit dem demografischen und auf die Freizeitgestaltung bezogenen gesellschaftlichen Wandel. Im Rahmen von Modellprojekten zu ihrer Weiterentwicklung erprobten die Freien Kunstschulen in den letzten Jahren unter anderem die Relevanz der Gegenwartskünste für ihre Arbeit oder die Potentiale und Herausforderungen der Migrationsgesellschaft . Da ihre wirtschaftliche Existenz von wechselnden politischen Konjunkturen stärker abhängig ist als die der Regelschulen, bewegen sie sich besonders stark zwischen dem Bestehen auf künstlerischer Bildung als Eigenwert einerseits und dem Vorbringen der verschiedenen außerfachlichen Legitimationsstrategien andererseits. Das Bilden mit Kunst wird hier einmal mehr mit dem Versprechen verbunden, neben den fachbezogenen Gestaltungskompetenzen, der Lust am Umgang mit Farbe und Form und der Steigerung der visuellen Lesefähigkeit auch für einen zunehmend flexibilisierten Arbeitsmarkt und für den Umgang mit daraus resultierenden sozialen Spannungen notwendiges Wissen und Können zu vermitteln: Selbstbewusstsein und Artikulationsfähigkeit, die Fähigkeit zum verknüpfenden Denken, zum selbstgesteuerten Handeln und zum Problemlösen. Künstlerinnen und Kulturarbeiter in der kulturellen Bildung befinden sich daher in dem Dilemma, mit ihrer Tätigkeit einerseits viel Positives zu bewirken, andererseits Erfüllungsgehilfinnen des Neoliberalismus zu sein. Dabei arbeiten sie meist selbst unter mehr als prekären Bedingungen und bilden so ironischerweise perfekte Rollenmodelle für die selbstmotivierte und selbstgesteuerte "Ich-AG".

Richtungsstreit an den Regelschulen

An den Regelschulen entsteht seit den 1970er-Jahren ein kunstpädagogischer Richtungsstreit: Die von Gunther Otto vorgeschlagene Ästhetische Rationalität versucht die Lerninhalte, - verläufe und – ergebnisse des Kunstunterrichtes klar zu definieren und zu strukturieren, nicht zuletzt um die Kunstpädagogik den so genannten Kernfächern in ihrer Bedeutung gleichzustellen. Demgegenüber betont Gert Selle die Wichtigkeit der ästhetischen Erfahrung und der Deutungsoffenheit von Kunstwerken für den Unterricht. Eine dritte Strömung ist die Visuelle Kommunikation. Beeinflusst von der marxistischen Kulturkritik der Frankfurter Schule, grenzt sie sich von dem bürgerlichen Kunstbegriff der anderen Ansätze ab. Sie legt den Schwerpunkt auf eine herrschaftskritische Analyse visueller Kultur, die nur am Rande die Hochkunst, viel mehr aber Medienbilder und Alltagskultur anvisiert. Ein späteres, einflussreiches Konzept ist die von Helga Kämpf Jansen in den 1990er-Jahren entwickelte "Ästhetische Forschung". Sie betont den explorativen und interdisziplinären Charakter künstlerischen Arbeitens in der Postmoderne und dessen Relevanz für Bildungsprozesse. Mit der Verknüpfung der Felder "Alltag", "Kunst" und "Wissenschaft" bietet ihr Ansatz die Möglichkeit der Integration der verschiedenen kunstpädagogischen Zielsetzungen: Den Erwerb von Gestaltungskompetenzen, die erfahrungsbasierte, explorierende Auseinandersetzung mit Kunst und Gegenwartskunst sowie die Entwicklung einer kritisch informierten Lesefähigkeit in Bezug auf Bilder.

In der Folge entstehen zahlreiche Entwürfe, die sich an Verfahren aus der Gegenwartskunst orientieren und Kunstunterricht "von Kunst aus" (Eva Sturm, Karl Joseph Pazzini), im Zeichen der Performativität (Maria Peters), der Kartographie (Christine Heil) oder der Interventionskunst (Pierangelo Maset) denken. Dabei konkurrieren die genannten Lernziele auch im Kunstunterricht des 21. Jahrhunderts - nicht zuletzt angesichts der schwindenden Menge der zur Verfügung stehenden Zeit auf der Stundentafel.

Kunstvermittlung im Museum

Die museale Kunstvermittlung erhält nach einer Konsolidierungsphase, die ebenfalls an reformpädagogische Ideen anknüpfte, seit Ende der 1990er-Jahre unter dem Stichwort "Künstlerische Kunstvermittlung" neue Impulse. Künstlerinnen und Künstler, welche als Vermittlerinnen und Vermittler in Ausstellungsinstitutionen tätig werden, nutzen häufig dekonstruktive, performative und bildgebende Verfahren aus der Gegenwartskunst sowie konstruktivistische Lernzugänge, um Museen und Ausstellungen gemeinsam mit den Teilnehmenden (die zunehmend aus sehr unterschiedlichen Gesellschafts- und Altersgruppen stammen, wobei Kinder und Jugendliche weiterhin die Mehrheit bilden) zu hinterfragen sowie auf eigenständige Weise anzueignen und umzudeuten . Sie widersprechen damit einer Tradition der Museumspädagogik, die auf Verführung und "Niedrigschwelligkeit" setzt, um das "Publikum von morgen" heranzubilden. Das Interesse, Vermittlung demgegenüber als die Institutionen hinterfragende und letztlich auch transformierende Praxis zu entwerfen, hat ernste Hintergründe. Ähnlich wie bei der Kunsterzieherbewegung liegen Forschungen darüber vor, dass die Geschichte von Ausstellungsinstitutionen mit dem Kolonialismus und der Ausbildung und Erhaltung national-identitär verfasster Disziplinargesellschaften nordwestlicher Prägung verwoben ist. Sie deswegen zu schließen, würde jedoch bedeuten, eine Chance zu verspielen: Gerade aufgrund ihrer Verstricktheit können sie auch Akteure und Orte für Veränderung sein. Eine kritische, auch künstlerisch informierte Vermittlungsarbeit kann wesentlich dazu beitragen, die gegenwärtig häufig beschworene Vision des Museums als "Kontaktzone" (James Clifford) zu verwirklichen.

Schnittstellen zur politischen Bildung

Spätestens an dieser Stelle scheinen mögliche Schnittstellen von Kunstvermittlung und politischer Bildung auf. Mit Blick auf die durch Globalisierungsprozesse geprägte Migrationsgesellschaft wird dabei eine Diskussion über den Kanon, der vermittelt wird, unausweichlich. Es stellt sich die Frage, ob der überlieferte westeuropäisch – nordamerikanisch geprägte Bilderkanon der Vielschichtigkeit visueller Kultur in der Gegenwart entspricht, oder ob eine andere Form eines Bild-Repertoires, das sich permanent in Veränderung befindet, das mit allen Beteiligten stets zu reflektieren wäre und das sich möglicherweise eher über Themen als über einzelne Werke erschliessen ließe, überfällig wäre. Diese Frage betrifft die schulische wie die außerschulische Kunstvermittlung mit gleicher Dringlichkeit.

Links zu den erwähnten Akteuren und Projekten

The Big Draw Externer Link: http://www.campaignfordrawing.org

Festival "ausgezeichnet": Externer Link: http://www.zeichenfestival-ausgezeichnet.de/

eck_ik Büro für Arbeit mit Kunst: Externer Link: http://www.eckik.org

klex Kunstschule, Oldenburg: Externer Link: http://www.klex.de/

Landesverband der Kunstschulen Niedersachsen, Modellprojekt "Schnittstelle Kunst – Vermittlung": Externer Link: http://www.kunst-und-gut.de

Modellprojekt "Der Kunstcode. Kunstschulen im interkulturellen Dialog": Externer Link: http://www.kunst-code.de/

Professor Dr. Carmen Mörsch ist Künstlerin und Kunstvermittlerin. Seit 1995 Projekte, Publikationen und Forschung in der Kunstvermittlung und kulturellen Bildung. 2006/2007 Wissenschaftliche Begleitung der Kunstvermittlung der documenta 12. Von 2003 - 2008 Juniorprofessorin für materielle Kultur und ihre Didaktik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, seit 2008 Leitung des Institute for Art Education der Kunsthochschule Zürich.