Eine Überschrift, die politische Bildung in einen Kontext mit Mode stellt, ist wahrscheinlich geeignet, zunächst die Aufmerksamkeit solcher Leser(innen) zu wecken, die sich für eine Kritik der Kleidungsstile deutscher Politikakteurinnen – die Kostüme der Kanzlerin, die Handtaschen der Verteidigungsministerin – interessieren. Geht es darum, ob es über diese Verbindung von Mode und Politik hinaus gelingen kann, Mode als Gegenstand politischer Bildung zu qualifizieren, sieht man vor dem geistigen Auge die zweifelnden Blicke der Lesenden. Zu Recht, denn politische Bildung setzt sich (noch) nicht regelhaft mit dem Phänomen der Mode in seinen Bedeutungen und Funktionen auseinander. Wer es wagen will, braucht einen langen Atem, denn wir haben es mit einem vielschichtigen Thema zu tun.
Eine erste Abgrenzung möchte ich bei der Begriffsverwendung vornehmen. Ich fasse im Folgenden unter "Mode" Kleidungsstücke, die von Roland Barthes so bezeichneten "vestimentären Objekte",
Hat Mode eine Kommunikationsfunktion, eine Symbolfunktion, eine Ordnungsfunktion, eine Imitationsfunktion, eine Integrationsfunktion, eine Distinktionsfunktion? Ist sie geeignet, gesellschaftlichen Verhältnissen und Problemen Ausdruck zu verleihen? Bietet sie Antworten oder Resonanzen auf soziale und politische Herausforderungen? Welche Rolle spielt Mode bei der Konstruktion von Identität, von sozialer Hierarchie und Herrschaft, von Körper und Geschlecht? Normen und Leitbilder können genauso Thema einer auf Mode gründenden Untersuchung sein wie Egalisierung und Differenzierung.
Fragen der sozialen und kulturellen Identität, des Habitus, des Lebensstils, der Gruppen- und Milieuzugehörigkeit reüssieren in einer sich differenzierenden und von ökonomischen Rahmenbedingungen bestimmten Gesellschaft schon länger zum Gegenstandsbereich der politischen Bildung. Aus der französischen Soziologie wissen wir, dass Geschmack kein reiner Ausdruck individueller Präferenzen, sondern auch gesellschaftlicher Zugehörigkeit und sozialer sowie ökonomischer Machtverhältnisse ist: Wer darüber entscheiden kann, welche Stile und Stilmerkmale die "angesagten" sind, der verfügt in der Regel auch über Definitionsmacht in anderen Bereichen.
Politische Bildung trifft kulturelle Bildung: Kooperation à la mode?
Wenn politische Bildung die Pfade der klassischen politischen Wissensvermittlung verlassen will, eine an den konkreten Menschen und ihrer Lebenswelt orientierte Persönlichkeitsbildung sein möchte, sucht sie oftmals Anhaltspunkte im Fundus der kulturellen Bildung. Anders als die einem nüchternen Bildungsideal verpflichteten politischen Bildner haben die Akteure der kulturellen Bildung Ansätze entwickelt, die den ganzen Menschen im Blick behalten. Kulturelle Bildung setzt auf ein tiefes, auch sinnliches Verstehen von Bildungsinhalten, wie dies in der künstlerisch-ästhetischen Auseinandersetzung mit Fragen und der fragenden Auseinandersetzung mit Kunst und Künstler(innen) – wozu ich hier auch Modeschöpfer(innen) zähle – geschehen kann und sollte. Diese Fragen sind in der Regel gesellschaftspolitischer Natur, denn die Künste und Künstler(innen) sind nicht "aus der Welt" und beziehen sich in der Regel kritisch-kreativ auf Politik und Gesellschaft. Der politische Bildner Karl Ermert nennt dies eine Auseinandersetzung "mit Welt (…) im Medium der Künste" oder auch "Bilden (…) durch Kunst".
Bezogen auf unseren Gegenstandsbereich müssen wir uns vergegenwärtigen, dass sich Medien und Praktiken des Sich-Ausdrückens und damit auch das Wesen von Politik und Gesellschaft im Zeitalter des Visuellen verändert haben. Dem Politikwissenschaftler Thomas Meyer folgend haben wir es mit der "Theatralisierung des Politischen in der Selbstdarstellung ihrer sichtbarsten politischen Akteure"
Unter dem Gesichtspunkt des "Ikonischen" fällt auch ein neuer Blick auf die Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen, an die sich politische Bildungsarbeit vorwiegend richtet. Sie – nicht wie in früheren Zeiten die jeweils herrschenden politischen oder kulturellen Eliten – sind die dominanten Konsumenten und Ideengeber der Mode.
Angesichts des Wissens um die ästhetische Formatierung der Lebenswelten nicht nur der Kinder und Jugendlichen ist der anhaltende Verweis der Mode in die Bereiche des Ephemeren, Trivialen, Oberflächlichen schwer zu erklären. Die Mode hat bisher nicht nur keinen Eingang in den Kanon der in der politischen Bildung verhandelten Inhalte gefunden, sondern auch nicht – bis auf wenige Gegenbeispiele – in den der kulturellen Bildung.
Ein Ausstieg aus der Mode ist auch in Deutschland nicht möglich
"Mode ist alles – außer in Deutschland", überschrieb "Spiegel Online" ein Interview mit dem Modekritiker Peter Bäldle.
Die beiden deutschen Diktaturen setzten die Bedeutung des äußeren Erscheinungsbildes des jeweiligen "neuen Menschen" sehr hoch an. Dessen Gestaltung war zentraler Bestandteil der politischen Erziehung und wurde nicht dem Zufall überlassen. Während sich die Akteure des NS-Staates noch mit einer Vielzahl konkurrierender Leitbilder für die "Volksgenoss(inn)en" herumschlugen und versuchten, über die "Arisierung" der Mode- und Bekleidungsindustrie Einfluss zu erlangen, hatten die politisch Federführenden der DDR die Strukturen der Modeproduktion und -publikation schon sehr früh in der Hand: Wie sozialistische Persönlichkeiten nach offizieller Vorstellung auszusehen hatten, konnte mittels Angebot und entsprechender Programmatik weitgehend gesteuert werden. Obwohl sowohl im NS-Staat als auch in der DDR versucht wurde, Mode beziehungsweise Kleidungsstile zu lenken und inhaltlich zu definieren, der menschlichen Schönheit nach systembedingten Idealen Raum zu geben, wurde gleichzeitig eine Absage an "das Modische" formuliert.
Die Spannung zwischen modischer Praxis und ideologischer Ablehnung führt sich in gewisser Weise bis in die Gegenwart fort. Betrachtet man die Kleidungsstile deutscher Politiker(innen), so wird erkennbar, dass es noch gegenwärtig kaum Ausbrüche aus dem Gebot des Understatements gibt. Deutschlands politische Klasse geht hier in Mitteleuropa einen eigenen Weg. Das hat zum einen mit den geschilderten Traditionen zu tun sowie mit der Stärke protestantisch geprägter Zurückhaltungsgebote; zum anderen wirkt das demokratische Selbstbild der Bonner Republik noch nach, das bescheidene Nüchternheit im staatlichen Repräsentationsbau, in den politischen Ritualen und der politischen Rhetorik sehen und hören ließ.
Aber die politischen Dresscodes – die so oder so nur am Rande vom Modewandel beeinflusst sind – spiegeln auch die Erwartungen der Bevölkerung. Dazu schreibt die Schweizer Autorin Sibylle Berg: "Ein Politiker, der als Vertreter des Volkes gewählt werden will, muss dem entsprechen, was der Durchschnitt der Bevölkerung in Deutschland als ordentlich empfindet. Es hat mit Beigetönen zu tun, mit Messerformschnitten. Nicht auffallen, nicht zu elegant, nicht zu schwarz, zu tailliert – jedes Äußere zu viel ist in Deutschland (…) suspekt."
Aber selbst "sackartige" Hosen sind kein Indikator dafür, dass eine Negation der Mode möglich ist: Nicht-Mitmachen reicht nicht aus, um das Prinzip der Mode in Schwierigkeiten zu bringen. Auch der betont Amodische kann aus einer ästhetisch formatierten Welt nicht aussteigen. Heute sind es nicht mehr die "politischen Religionen", die totalitären Regime, die unsere Gefühlshaushalte zu ihrem Thema machen, sondern die aktuellen Spielarten des Lifestyle-Kapitalismus,
Bedingungen von Freiheit unter der Diktatur der Kreativität
Gegen eine Auseinandersetzung mit Mode in der politischen Bildung spricht, dass die Vermittler mit Gegenständen, Methoden und Formaten kämpfen, mit denen sie in Ausbildung und Praxis bisher kaum konfrontiert waren. Sie tendieren dazu, innerhalb des Paradigmas der klassischen politischen Wissensvermittlung zu verbleiben und sich auf Felder zu konzentrieren, in denen die politischen Bezüge klar hervortreten, beispielsweise die globalen Produktionsbedingungen von Mode. Dies ist ein relevanter Aspekt, aber wir sollten das Themenfeld Mode auch nutzen, um Erkenntnisse über politische und soziale Ereignisse oder Zusammenhänge zu gewinnen, die mit Ausdrucksmitteln wie der Mode eine – in der Regel nicht intentional gesteuerte – Kooperation eingehen. Mode – meist zunächst die Straßenmode, in einem zweiten Schritt die Haute Couture – nimmt soziale und politische "Stimmungen" und Impulse auf und gibt diesen auf der Symbolebene einen jeweils spezifischen Ausdruck. Geläufiges Beispiel sind die halb heruntergelassenen Hosen oder das hochgeschobene Hosenbein der Hip-Hopper, die "Knastpraktiken" modisch verarbeiten.
Vor diesem Hintergrund könnten wir etwa darüber nachdenken – und in diesem Fall über die Kleidermode hinausgehen –, ob wir die mittlerweile erhöhte Bereitschaft zum Tätowieren, Piercen und anderen Körpermodifikationen nicht als ein kollektives Symbolisieren von "Körperverletzungen" in dem Sinne deuten sollten, dass wir alltägliche Verletzungen der Grenzen unserer Persönlichkeit zu verarbeiten haben, die unsere Freiheit in erheblichem Maße einzuschränken drohen – zum Beispiel durch Zugriff auf unsere privaten Daten. Haben wir bis vor Kurzem im Zusammenhang mit dem Entstehen von Menschen- und Bürgerrechten das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Gerechtigkeit diskutiert, müssen wir heute dahinter zurückgehen und Freiheiten von vermeintlichen Freiheiten trennen. Gemeinhin wird beispielsweise der Abbau von Grenzen mit einem Zuwachs an Freiheit in Verbindung gebracht. In Wahrheit aber kann Freiheit nur verwirklicht werden, wenn wir Grenzen einhalten.
Wer die Hypothese vom Tätowieren als sozialem Kollektivsymbol für systemische Übergriffe als zu weit hergeholt empfindet, lässt sich aber vielleicht auf die Frage ein, ob das auf Dauer angelegte Zeichnen der Körper einen Wunsch auf Beständigkeit in einer beschleunigten Gesellschaft mit immer schnelleren Abfolgen des Modewandels zum Ausdruck bringt. Zumindest verändert sich durch Körpermodifikation das Verhältnis von Mode, Kleidung und Körper, wie es bisher beschrieben werden konnte. Noch nie erschöpfte sich Mode, wie die Modetheoretikerin Gertrud Lehnert ausführt, "in der Materialität der Kleidungsstücke und ihrer spezifisch ästhetischen Gestaltung. (…) Mode (…) fordert die Inszenierung von Kleidern durch Körper und von Körpern durch Kleider. Denn erst im Zusammenspiel von Kleid und Körper entsteht Mode. Modekleidung verändert Körper, und sie bringt neue Körper hervor, die Modekörper, die weder nur Kleid noch nur Trägerin sind."
Hier stoßen wir auch auf das Phänomen, dass sich alle dem Trend Folgenden als frei entscheidende Individualist(inn)en wähnen und Originalität, aber auch soziale Anerkennung – zumindest bei ihren Bezugsgruppen – suchen. Dass sich diese beiden scheinbar widersprüchlichen Bedürfnisse mittels der Mode gleichzeitig verwirklichen lassen, hat schon Simmel Anfang des 20. Jahrhunderts zeigen können.
An dieser Stelle können wir abschließend noch einmal in methodologischer Hinsicht den Blick von den Individuen weg und hin auf die Systemebene richten. Ist für uns als politische Bildner(innen) die Frage interessant, in welchem gesellschaftlichen und politischen Klima wir die mit der Mode im Zusammenhang stehenden Fragen – zum Beispiel auch die nach den heutigen Möglichkeiten von Freiheit – diskutieren, sollten wir auf die bereits angerissenen Diagnosen zur Ästhetisierung der Lebenswelten und zum ästhetischen Kapitalismus zurückkommen.
Der Wunsch nach Nonkonformismus, wie er nicht nur in modischer Hinsicht zum Ausdruck kommt, entsteht nicht in jedwedem gesellschaftlichen Kontext, sondern insbesondere dort, wo Individualismus und Nonkonformismus sozial positiv sanktioniert werden und uns – zumindest vermeintliche – Vorteile oder Freiheiten verschaffen. Dass dies auf die aktuelle Situation in besonderem Maße zutrifft, wird plausibel, wenn wir uns die Thesen des Kulturwissenschaftlers Andreas Reckwitz zur Herausbildung eines "ebenso heterogenen wie wirkungsmächtigen Kreativitätsdispositivs" ansehen, das seit den 1980er Jahren in zunehmendem Maße die "radikale Ästhetisierung des Sozialen betreibt"
Reckwitz zeigt – und das ist für die Analyse der gegenwärtig wahrzunehmenden Spannungen zwischen Freiheitszuwachs und -einschränkungen aufschlussreich – wie das Kreativitätsdispositiv einerseits positive Affekte schafft: Wie wir im Bereich von Arbeit und Freizeit durch Kreativität (scheinbar) an Souveränität gewinnen und uns nicht mehr an überkommene Regeln halten müssen, wie wir uns durch sinnliche Erfahrungen von Notwendigkeiten befreien, wie wir uns selbst als faszinierende Identifikationsobjekte wahrnehmen und wie wir uns in unseren creative cities in überaus anregenden Räumen bewegen.
Andererseits verdeutlicht er, wie stark das Kreativitätspositiv mit Leistungs- und Beschleunigungszwängen in Verbindung steht. Versagen bringt uns gehörig unter Druck, führt zu sozialer Exklusion und Marginalisierung und begünstigt möglicherweise Erkrankungen wie Burn-out, Depressionen und Süchte.
Dieser Artikel erschien erstmals in Interner Link: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 1–3/2015)