Die Nachhaltigkeits- und Klimaschutzbewegung hat keine Geschichte zu erzählen. Sie hat lediglich zu sagen, dass alles sofort anders werden muss, damit es bleibt, wie es ist. Und sie argumentiert desaströs: Fünf vor zwölf ist es andauernd, man habe keine Zeit, müsse gleichwohl sofort die Welt retten, und zwar die ganze, ansonsten drohten Katastrophen, die Tod und Verderben für die Menschheit bringen – Extremwetterereignisse, Dürren, Überschwemmungen, Hurrikans.
Darunter läuft es gewöhnlich nicht: Immer geht es um die ganze Welt, die ganze Menschheit und die sofortige, zu allem entschlossene Rettung des Planeten. Der Anspruch auf Weltrettung ist falsch und ideologisch. Falsch ist er, weil alles zwar gesagt, aber nie eingelöst werden kann. Weder gibt es eine Weltgemeinschaft, die sich für die Rettung der Erde zuständig fühlt, noch wird es sie auf absehbare Zeit geben: Gerade der Klimawandel teilt die Welt in Gewinner und Verlierer. Das Ergebnis wird, wie der Soziologe Lars Clausen richtig gesagt hat, eine "failed globalisation" mit unabsehbaren Folgen sein. Er ist darüber hinaus ideologisch: Wer auf den Müllhalden der Megacities der Dritten Welt lebt, kann an der Weltrettung nicht interessiert sein; ihm würde die Rettung seines Kindes vor dem Verhungern schon genügen. Und dass Stellvertretung hier nicht möglich ist, zeigten schon die totalitären Verirrungen der Studentenbewegung seit 1968. Andere aus der Komfortzone heraus verbal vor Elend und Erniedrigung zu schützen, das war damals schon ideologisch und ist es heute umso mehr – ihr Elend ist die Kehrseite des Komforts der Menschen in den Industrieländern, und zwar in jeder Hinsicht.
Veränderung braucht konkrete Ziele
Die Rede von der Weltrettung ist nicht nur überheblich, sondern auch völlig untauglich, Menschen zu motivieren, sich um die Welt auch nur zu kümmern. Wenn von vornherein klar ist, dass etwas nicht in der eigenen Macht steht, gibt es psychologisch auch kein Motiv, es überhaupt erst zu versuchen. Veränderung benötigt ein positives Ziel, und zwar eines, das mit der eigenen Identität und den eigenen Wünschen in Verbindung gebracht werden kann. Niemand rettet etwas abstrakt, sondern immer nur konkret: Das Ziel muss benennbar und erfahrbar sein, für das sich einzusetzen lohnt. Dafür taugen der Klimawandel, das CO2 und die ganze naturwissenschaftlich grundierte Apokalyptik nicht. Dafür braucht es positive, anschauliche, lebenswirkliche Ziele: Eine Stadt ohne Autos, ein Bildungssystem, in dem das Lernen Spaß macht, Formen von Gemeinschaftlichkeit, die Sinn und Bedeutung anders definieren als allein über Konsum. Die Umsetzung solcher Ziele wäre auch wünschenswert, wenn es gar keinen Klimawandel gäbe. Menschen brauchen also Geschichten des Gelingens – Geschichten über die Möglichkeiten eines besseren, gerechteren, qualitätvolleren Lebens, das nicht die einen auf Kosten der anderen führen.
Geschichten zur Nachahmung
Die Stiftung FUTURZWEI erzählt solche Geschichten. Sie stellen Akteure der Zukunftsfähigkeit vor, die andere Formen des Lebens und Wirtschaftens ausprobieren und vorleben. In einer Fülle von Laboren der Zivilgesellschaft zeigen verantwortungsbewusste Unternehmer, kreative Schulleitungen, Bürgerinitiativen, studentische Start-ups oder einzelne Bürgerinnen und Bürger, dass man das Unerwartete tun kann. Sie nutzen ihre Handlungsspielräume, um zukunftsfähige Lebensstile und Wirtschaftsweisen zu entwickeln. Sie fangen schon mal an.
FUTURZWEI macht es sich zur Aufgabe, das Anfangen gesellschaftlich sichtbar und politisch wirksam zu machen. Auch das 21. Jahrhundert braucht Visionen von besseren, gerechteren und glücklicheren Lebensweisen. Die Stiftung erzählt, wie solche Visionen ganz handfest in Wirklichkeit verwandelt werden. Und dass Veränderung nicht nur möglich ist, sondern dass sie auch Spaß macht und einen Gewinn an Lebensqualität bedeutet. Den Akteuren des Wandels geht es nicht, wie vielen konventionellen Unternehmern, um Greenwashing und das Umhängen eines Nachhaltigkeitsmäntelchens um weiterhin umweltzerstörerische Produkte. Ihnen geht es um eine ganz neue Definition des unternehmerischen Zwecks. So will der Schweizer Textilunternehmer Patrick Hohmann mit seiner Remei AG nicht länger die Zahl der jährlich produzierten T-Shirts erhöhen, sondern die Zahl jener bäuerlichen Familien in Asien und Afrika, denen seine Lieferverträge eine autonome und sinnvolle Existenz ermöglichen. Und dem Ehepaar Sladek, den Erfindern der mittlerweile international bekannten Elektrizitätswerke Schönau, ging es nicht vorrangig darum, ein Energieversorgungsunternehmen zu betreiben, sondern sie nutzten die Idee als Mittel zur Veränderung einer nur scheinbar starren Wirklichkeit: Die Entrichtung des "Sonnencents" pro genutzter Kilowattstunde, die jeden Kunden gleichzeitig zum Mäzen eines Fonds macht, aus dem alternative Energieerzeugungsanlagen finanziert werden, verwandelt den Stromkunden in einen Gesellschaftsveränderer – ganz egal, ob er das weiß oder nicht. Die Gemeinwohlökonomie von Christian Felber, die von mittlerweile fast 500, vorwiegend allerdings kleinen, Unternehmen unterstützt wird, bringt diese neue Zielsetzung unternehmerischen Handelns auf den Punkt: Es geht nicht mehr um die Mehrung des Gewinns, sondern des Gemeinwohls.
Wege in eine andere Wirklichkeit
Der vielleicht wichtigste Effekt des Experimentierens mit neuen nachhaltigen Formen des Wirtschaftens ist die Transformation von partikularen in allgemeinen Nutzen. Und dieser Effekt ist insofern auch das Gegenteil von Greenwashing, als in zivilgesellschaftlichen Laboren solcher Art nicht nur die ökologischen Konditionen verändert werden, sondern auch die sozialen. Kunden werden hier plötzlich zu Mitproduzenten, anonyme und abhängige Arbeiter von Zulieferbetrieben zu Partnern des Unternehmens. Und: Solche Akteure, von denen es inzwischen eine ganze Menge gibt, sind eben nicht beim Konjunktiv stehengeblieben – "man müsste", "man könnte", "man sollte".
Die Zeit der Konjunktive ist ohnehin vorbei. Wer wirklich noch etwas daran ändern möchte, dass die Wirtschaftsform der Industrienationen und ihr totalitärer Konsumismus die Überlebensbedingungen auf dem Planeten unrettbar zerstört, braucht er Vorbilder. Diese zeigen die Wege in eine andere Wirklichkeit dadurch auf, dass sie sie praktizieren. Darüber lassen sich Geschichten erzählen, die zeigen, dass die andere Wirklichkeit nicht umsonst zu haben ist, aber trotzdem ein besseres Leben bereithält. Und letztlich braucht man anschauliche, nachahmenswerte Beispiele dafür, dass gelingendes Leben den Modus der Alternativlosigkeit nicht vorsieht, ja, dass es im Gegenteil im Ausprobieren von Alternativen besteht.
Noch fehlt es an der gesellschaftlichen Sichtbarkeit der gelebten Experimente gegen das nicht-zukunftsfähige Business as usual. Und es fehlt am gesellschaftspolitischen Rahmen, in den diese Experimente gestellt werden müssen. In dem Augenblick, wo sie nicht nur als bessere, sondern vor allem als andere Praxis verstanden werden, sind sie politisch – als neu eröffnete Möglichkeitsräume der Zukunftsfähigkeit. Anders gesagt: Es geht nicht um effizientere Motoren, sondern um eine andere Kultur der Mobilität, nicht um Bioäpfel aus Neuseeland, sondern eine andere Kultur der Ernährung, nicht um das Dämmen von Häusern, sondern um eine andere Kultur des Lebens.
FUTUR ZWEI
Die Grammatik kennt eine Zeitform, die das erstaunliche Vermögen des Menschen wiedergibt, sich in eine Zukunft hinein entwerfen und von diesem imaginären Punkt zurückblicken zu können auf den Weg, den er bis zum Erreichen dieses Punktes zurückgelegt hat. Diese Zeitform heißt Futur zwei, vollendete Zukunft: Es wird geschehen sein. Die damit verbundene Anfrage ist persönlich: Wer werde ich gewesen sein? Besser noch: Wer will ich gewesen sein? Genau diese Frage bildet den Antrieb für die Veränderung der gegenwärtigen Leitkultur der Verschwendung und Zukunftslosigkeit: Wer will schon einer von denen gewesen sein, die verantwortlich für die Zerstörung der Welt waren?
Der Text ist im Magazin "Stiftung & Sponsoring", Sonderausgabe 2012 erschienen.