Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Ein Fluss ohne Boden | Geschichte im Fluss. Flüsse als europäische Erinnerungsorte | bpb.de

Geschichte im Fluss Der Dnipro Nation Building am Dnipro Zivilgesellschaft im Fluss Am Rande des Imperiums Das linke Ufer Der Dnipro im Lauf der Geschichte Evros - Meriç - Maritsa An Europas Außengrenze Eine Brücke zwischen Orient und Okzident Plovdiv und die Maritsa In Enez Der Zaun am Fluss Der ungewöhnliche Fluss Die Wolga Auf der Wolga bis Astrachan Russlands mythischer Fluss Treidler an der Wolga Zurück an der Wolga Die andere Heimat Moskaus Weg zur Wolga Welterbe an der Wolga Ach, Germanski Chronologie Die Marne 1914 und 1918 Mit dem Taxi an die Marne Die Deutschen und die Marne Die Franzosen und die Marne Eine Reise entlang der Marne Die Kraft des Ortes Die Elbe Geschichtsraum Elbe Deutscher Fluss, tschechischer Fluss Theresienstadt sucht seine Zukunft Warum Friedrich II. Dresden zerstörte Erinnern an die Deutschen Literaturort Dömitzer Brücke Das Glück der Elbe Elbfahrt vor Erinnerungslandschaft Hamburgs Sprung über die Elbe Happy End an der Elbe Brücke oder Fähre? Die Erfindung der Elbe Auf dem Wasser in die Freiheit Chronologie Die Weichsel Die Deutschen an der Weichsel Fluss und Überfluss Wie ein Fluss zum Mythos wurde Quellen des Polentums Aus dem Weichseldelta Danzig und die Weichsel Danzig in der Literatur Wohlstandsgrenze Weichsel Warten auf die Metro Ein Fluss ohne Boden Eine Reise im Weichseldelta Die Weichsel im Lauf der Geschichte Die Donau Der Donau entkommt man nicht Das kurze Glück der Donauschwaben Meine Donau Brücken der Erinnerung Ein versunkenes Paradies Donauland Bosnien Die Brücke von Bratislava Vukovar und die Serben Der kroatische Kampf um Vukovar Ein Fluss und seine Stadt Die Donaubrücke zwischen Giurgiu und Ruse Elias Canetti und Ruse Ulmer Donaugeschichten Amazonas an der Donau Chronologie Die Oder Die Wiederentdeckung der Oder Ein Fluss auf der Suche nach sich selbst Das Wunder an der Oder Die Zukunft des Oderbruchs Auf der Suche nach dem Oderland Geteilte Dörfer Zwei Städte, ein Fluss Zeit für die Oder Weite und Wasser Breslau. Oder. Wrocław Schifffahrt ohne Grenzen Das Theater am Rand Mit alten Flößen in die Zukunft Stadt am Wasser Chronologie Der Rhein Historische Rheinkarte Die Rheinlandbesetzung Der Handelsstrom Der geopferte Rhein Deutscher Rhein, französischer Rhein Die Pariser Peripherie Europa aus Beton Das Tor zur Welt Straßburg entdeckt den Rhein Die Natur kehrt zurück Basel feiert den Rhein Chronologie Die Memel Vom weinenden Schwesterchen Strom der Erinnerung Stadt der zwei Namen Der Kampf um die Kirchen Palimpsest an der Memel Das Thomas-Mann-Haus in Nida Russlands Suche nach der Memel Mit der Memel in den Westen Chronologie Flüsse in der Geschichte Die besten Botschafter Europas Flüsse als europäische Erinnerungsorte Heimat Fluss Flüsse als religiöse Symbole Flüsse in den slawischen Literaturen Enzyklopädien des Lebens Flüsse als Wegmarken der Geschichte Kriegsflüsse, Friedensflüsse: das Beispiel Isonzo Links Literatur Herausgeber und Redaktion

Ein Fluss ohne Boden

Michał Olszewski

/ 11 Minuten zu lesen

Die obere Weichsel wird durch zahlreiche Zuflüsse aus den Schlesischen Beskiden gespeist. In den vergangen Jahren gab es dort immer wieder Hochwasserkatastrophen. Warum nur? Weil die Behörden nicht auf den Klimawandel reagieren und immer mehr Bauflächen auf Überschwemmungsgebieten ausweisen, meint der Autor.

Das Flüsschen Raba, ein rechter Zufluss der Weichsel, ist mit seinem Kiesbett ein richtiger Gebirgsbach. Doch Kies ist begehrt. (Wuhazet-Henryk Żychowski; Externer Link: Wikimedia Commons) Lizenz: cc by/3.0/de

Spurensuche nach dem Hochwasser

Orte, die man am liebsten vergessen würde, gibt es in Südpolen etliche. Nach dem letzten Hochwasser 2010 reiste ich dorthin, um die Zerstörungen in Czechowice-Dziedzice zu begutachten. Für Hydrologen ist dieser Ort aus vielerlei Gründen besonders interessant. Die Nähe zum Gebirge, die seit dem Mittelalter bestehenden Teiche, der Stausee von Goczałkowice und ein dichtes Netz von Bächen und Flüssen bewirken, dass die Region selbst in Dürreperioden nicht an Wassermangel leidet. Lokale Überschwemmungen traten hier schon immer auf, selten jedoch mit schwerwiegenden Folgen.

Hochwasser an der oberen Weichsel im Jahre 2010. (Krzysztof Mizera; Externer Link: Wikimedia Commons) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de

Doch im Mai 2010 verwandelte sintflutartiger Regen das Gebiet in ein apokalyptisches Gelände. Vom Bahndamm der Trasse Zebrzydowice–Trzebinia erblickte man gewaltige Seen, aus denen hier und da hilflose Häuser oder mit Sandsäcken umringte Inseln emporragten. Das Wasser überflutete neue Villensiedlungen, Felder, Weiler und alte Vorstadtsiedlungen. Die verzweifelten Einwohner versuchten, eigenständig Dämme zu schlitzen, damit das Wasser schneller abfließen könnte. Normalerweise fließen dort drei harmlose Flüsschen: Jasienica, Wapienica und Iłownica; die Weichsel liegt einige Kilometer weiter im Norden.

Längst wurde in dieser Gegend das Wasser vom Menschen gezähmt. Die Flüsse und Bäche fließen geradeaus, Mäander kommen nicht vor, der Querschnitt von Flussbett und Dämmen bildet ein wohlgeformtes Trapez. Die Tradition der Flussregulierung reicht zurück in die Zwischenkriegszeit. Auf Satellitenbildern lassen sich Flussläufe mit einem Lineal nachzeichnen. Das Hochwasser ließ sich vermutlich also nicht vermeiden. Aufgrund der Begradigung wuchs die Scheitelwelle der drei Flüsschen bedrohlich an. Sie mussten schließlich über die Ufer treten.

Damals, 2010, suchte ich mit Robert Wawręty, einem Experten vom Towarzystwo na Rzecz Ziemi (Verein für die Erde), der sich mit dem Monitoring der polnischen Hochwasserschutzpolitik befasste, nach der Stelle inmitten der überfluteten Felder und Häuser, an der die Wasserbauer den Fehler gemacht haben. Weiter im Süden deutete nichts auf die Katastrophe hin. Die Flüsschen Jasienica, Wapienica und Iłownica flossen in ihren begradigten Ufern, die Dämme brachen nicht, der Wasserspiegel sank augenscheinlich und die größte Gefahr war vorüber.

Bemerkenswert war, dass die Höhe der Dämme immer gleich war – egal, ob dahinter bestellte Felder, ein Wald oder Bebauung lagen. Das Wasser kann nicht in die Breite gehen. Und da das Flussbett schnurgerade verläuft – die Mäander verschwanden schon vor langer Zeit – floss das Wasser immer schneller ins Tal hinab.

Das Ergebnis konnten wir an der Wapienica bestaunen: Wir kamen an die Stelle, wo das Wasser auf eine kleine Stahlbrücke traf. Die Brücke wurde zu einer Sperre, so dass sie sich unter dem Druck des Wassers bog, aber nicht brach. Es brach aber der Deich davor. In ihm klaffte eine Lücke, die gerade von einem Bagger zugeschüttet wurde. Die umliegenden Felder waren ebenso überflutet worden wie die Häuser.

Hochwasserschäden 2010 in Bielsko-Biała. (Muffi; Externer Link: Wikimedia Commons) Lizenz: cc by/3.0/de

Eine Standardreaktion in einer solchen Situationen die Klage über fehlende Mittel zur Reparatur und Erhöhung der Deiche. Doch im Fall der Gegend um Bielsko-Biała lässt sich nicht sagen, dass mangelnde Regulierung schuld am Hochwasser war. Amtlichen Angaben zufolge wurden vor dem Hochwasser intensive Wasserbauarbeiten durchgeführt. Für die Erhöhung der Deiche an der Iłownica und ihre Regulierung gab man in den Vorjahren 1,5 Millionen Złoty, etwa 400.000 Euro aus, an der Wapienica weitere 2,5 Millionen Złoty. Selbst für die Regulierung der Jasienica war Geld vorhanden.

Während unseres Besuches vor Ort trafen wir Frau Bronisława Wilczek. Sie besitzt etwa 120 Hektar Land am Fluss, namentlich an jener Stelle, an der die Iłownica in die Wapienica mündet. Frau Wilczek erzählte uns, dass nach dem Hochwasser von 1997 die Gemeinde auf ihren Feldern einen Polder errichten und sie für eventuelle Ernteverluste bei Überschwemmungen entschädigen wollte. Es blieb aber bei den Gesprächen, so dass das letzte Hochwasser nicht nur die Felder ruinierte, sondern die ganze Familie. Die Maisernte war verloren, und von einer Entschädigung konnte keine Rede sein, da die Versicherung so hohe Beiträge verlangte, dass sich das Ganze nicht rechnete. Interessanterweise wurde das Überschwemmungsrisiko einige hundert Meter weiter, bei einer ebenfalls gefluteten Eigenheimsiedlung, als normal eingeschätzt. Von einem erhöhten Hochwasserrisiko war keine Rede. Die neuen Hauseigentümer, die aus Schlesien hierhergezogen waren, waren von der Gemeindeverwaltung nicht über eine Gefahr unterrichtet worden.

Von solchen Beispielen könnte ich stundenlang erzählen. Von Gemeinden, in denen der Gemeindevorsteher unter dem Druck von Investoren Überschwemmungsgebiete bebauen ließ, um ein Jahr später von denselben Investoren bedrängt zu werden, Entschädigungen für Hochwasserschäden zu zahlen. Von Bächen, Flüssen und Flüsschen, die manchmal durch Wälder und manchmal durch Felder fließen, fernab von Gebäuden, die man aber begradigte oder deren Ufer man mit Wurzeln befestigte. Von Auenwäldern, die vor Überschwemmungen geschützt wurden, obwohl gerade sie das Wasser brauchen.

All diese Maßnahmen wurden, mit großem finanziellen Aufwand, nach den Zerstörungen der Hochwasser von 1997 und 2001 durchgeführt. Die Regionale Wasserbauverwaltung begradigte Flüsse, holzte Bäume ab, erhöhte die Deiche. Doch die paar Tage intensiven Regenfalls zeigen, dass die Maßnahmen die Situation oft nur verschlimmert hatten.

Viel Geld wurde also aus dem Fenster geworfen. Die Europäische Investitionsbank gewährte Polen nach 2001 ein Darlehen über 250 Millionen Euro für den Wiederaufbau der zerstörten Häuser, insgesamt wurden 385 Millionen Euro ausgegeben. Für dieses Geld wurden im Land tausende kleine Wasserbauprojekte durchgeführt, die von Umweltschützern und einem Teil der Wasserbauexperten im besten Falle als sinnlos, im schlechtesten als schädlich kritisiert wurden.

Wir und das Wasser

Wie ist es möglich, dass die Hochwasserschutzpolitik in Polen und der Wojewodschaft Kleinpolen genau das bewirkte, was sie vermeiden wollte?

Es gibt dafür mehrere Gründe, und alle – ich betone: alle – lassen sich in der Ortschaft Jeleśnia in den Schlesischen Beskiden ablesen. Es ist ein Ort am Rande der Umweltkatastrophe. Obwohl noch niemand eine detaillierte Wasserbilanz oder ein Schutzprogramm für das Gebiet erstellt hat, bestätigen alle Einwohner, dass das Wasser immer schneller aus dem Gebirge abfließt.

Warum? Der Bedarf an Wasser steigt. Es ist ein Grundproblem der modernen Welt, das sich hier offenbart. Gibt es keine Kanalisation, wird das Abwasser oft auf die Felder gekippt. Wird ein Haushalt aber an die Kanalisation und Wasserversorgung angeschlossen, führt das von einem Tag auf den anderen zu einem rasant steigenden Wasserverbrauch. So auch in Jeleśnia. Auch dort wollen die Menschen im Sommer im Schwimmbecken planschen und bei Dürre ihre Gärten gießen.

Das ist der eine Faktor. Der andere: Klimatische Veränderungen haben dazu geführt, dass sich dieselbe Menge an Regenwasser inzwischen anders verteilt als vor 15 oder 50 Jahren. Die Niederschläge sind seltener, dafür aber intensiver, dadurch wird das Versickern erschwert. In höher gelegenen Ortschaften wurden und werden Bäche massiv in Betonrinnen gefasst, was bei starken Niederschlag dazu führt, dass das Regenwasser nicht versickert, sondern in den Rinnen an Geschwindigkeit gewinnt.

Wenn dann immer neue Ferienhäuser, Pensionen und Zufahrtswege entstehen, wird das Gleichgewicht des Wasser zerstört. Dazu wird in den Flussbetten massiv Kies abgebaut, was wiederum zum Absenken des Grund- und Oberflächenwassers führt. Wenn man sich die flachen Flusspegel anschaut, fällt es schwer zu glauben, dass man vor dem Krieg an einigen Flüssen noch Holz per Floß transportierte.

Die Forstwirtschaft tut ihr Übriges. Der schnellere Wasserabfluss führte zur Schwächung der flach wurzelnden Fichtenwälder, die vom Buchdrucker-Käfer befallen wurden. Die Bekämpfung des Käfers erfordert befestigte und trockene Waldwege sowie die Reinigung ganzer Waldgebiete, wodurch das Wasser noch schneller abfließt. Die Regionale Wasserverwaltung in Krakau und das Staatliche Geologieinstitut untersuchten die Situation der Jeleśnia zwar nicht im Detail, aber in einem Dokument von 2007 finden sich bestimmte Hinweise zu den Veränderungen des Grundwasserspiegels im Gebiet der oberen Weichsel. Daraus geht hervor, dass sich dieser seit Beginn des 21. Jahrhunderts senkt und die Quellen weniger Wasser abgeben, wodurch die weniger tiefen Brunnen möglicherweise versiegen werden.

Die Politik hat keinen Plan

Die Veränderungen sind also gewaltig. Nur wurde die Hochwasserschutzpolitik der letzten Jahre in dieser Region nicht den veränderten klimatischen Bedingungen angepasst. Der Großteil der Maßnahmen bewährt sich nur bei kleineren oder mittleren Niederschlägen. Bei intensiven Niederschlägen werden sie zur Gefahrenquelle.

In den Schlesischen Beskiden rauscht der Starkregen infolge des Klimawandels immer schneller die Täler hinab. (Dawidbernard~commonswiki; Externer Link: Wikimedia Commons) Lizenz: cc publicdomain/zero/1.0/deed.de

Doch diese Starkregenereignisse werden zunehmen. Dafür ist aber weder Südpolen noch das ganze Land vorbereitet, obwohl schon 2009 ein vom Umweltministerium in Auftrag gegebener Bericht Projekt einer Nationalen Strategie der Wasserwirtschaft 2030 das Problem erwähnt. Warum der Bericht in der Schublade versank, wäre ein Thema für einen eigenen Beitrag. Es heißt darin unter anderem: "Angesichts der Klimaveränderungsprognosen lässt sich ein stärkeres Aufkommen vor allem kurzer Niederschläge voraussagen, deren Höhe im mittleren und südlichen Teil des Landes sogar um 50-75mm wachsen kann. (…) In Anbetracht des Risikos von anderen Arten von Hochwassern (mit regionaler oder nationaler Dimension) sollte mit einer wachsenden Hochwassergefahr in Bezug auf Größe und Frequenz gerechnet werden“.

In Jeleśnia wurden diese Prognosen bereits Realität. Der Ort veranschaulicht auch ein riesiges Problem der polnischen Hochwasserschutzpolitik: Im betreffenden Gebiet existiert kein effizientes, die Rechte der Umwelt respektierendes Retentionsprogramm. Höher gelegene Teile der Schlesischen Beskiden können das Wasser in Zeiten, in denen es viel davon gibt, nicht zurückhalten, um es in Zeiten des Wassermangels parat zu haben. Das Jahr 2010, das die Gegend von Czechowice-Dziedzice verwüstete, war auch für die Einwohner von Jeleśnia eine Katastrophe. Im Mai, Juni und September erlebte man Hochwasser, im Juli herrschte Dürre.

Der Wahnsinn hat System

Bezüglich des Hochwasserschutzes lässt sich niemandem mangelnder Wille vorwerfen. Die katastrophalen Folgen resultieren eher aus einer Verkettung verschiedener Umstände. Jahrelang fehlte es im Einzugsgebiet der oberen Weichsel an einem ganzheitlichen Denken, was immer wieder zu solchen Geschichten wie im kleinpolnischen Ciężkowice, am Flüsschen Biała gelegen, führt. Die großen Hochwasser von 1997 und 2001 richteten dort keine größeren Schäden an. Diese kamen erst 2006, als es in den Beskiden mehrere Tage lang regnete. Wie es der Zufall wollte, wurde der Fluss kurz zuvor von der Regionalen Wasserverwaltung reguliert, und im höher gelegenen Grybów wurden neue Dämme gebaut. Die Konsequenzen hatten diejenigen Ortschaften zu tragen, in denen es keine Deiche gab. Außerdem wurden in diesen Jahren nahe am Fluss neue Wohnhäuser errichtet, was den Wasserabfluss erschwerte und die Flutwelle ansteigen ließen.

Gleiches ließ sich am kleinpolnischen Flüsschen Raba beobachten, das ebenfalls stark begradigt wurde. Infolge dieser Arbeiten am Oberlauf wird die Stadt Myślenice regelmäßig überflutet.

Weitere Beispiele für sinnlose Maßnahmen gibt es zuhauf. So wurde in der Biała auf Initiative von Umweltschützern und des WWF der Lachs wieder angesiedelt, an einer ausgewählten Stelle mit steinigem Flussboden, so dass der Fisch nach Jahren der Wanderung zu den Laichgründen zurückkehren kann. Kurze Zeit später wurde der Flussgrund durch Wasserbauarbeiten zerstört.

Immer mehr Versiegelung

Man muss allerdings einräumen, dass die Regionale Wasserverwaltung in Kleinpolen in einer schwierigen Lage ist. Das Einzugsgebiet der oberen Weichsel ist durch eine dynamisch wachsende Bevölkerung gekennzeichnet. Das hat zur Folge, dass der Druck von Anwohnern, Investoren und der lokalen Politik sehr groß ist. Die neuen Lebensstile führen dazu, dass die Wojewodschaften Schlesien und Kleinpolen intensiv nach Flächen für den Eigenheimbau suchen. Es liegt nicht im kurzfristigen Interesse einer Gemeinde, bebauungsfreie Flächen auszuweisen, denn das bedeutet Konflikte und geringere Steuereinnahmen. Deshalb wird trotz Expertenwarnungen auf Überschwemmungsflächen gebaut. Die Schwäche der lokalen Verwaltung führt dazu, dass dort Häuser entstehen, die nach ein paar Regentagen evakuiert werden müssen.

Doch damit nicht genug. Die Bewohner der am Fluss gelegenen Orte behandeln diese wie ein unerschöpfliches Reservoir. Ein aktuelles Beispiel stammt aus dem Karpatenvorland, vom Flüsschen Białka, einer einzigartigen Gegend, der einzigen polnischen Wasserregion mit alpinem Charakter. Ein Teil der Bewohner will zum Hochwasserschutz die Vertiefung und Veränderung des Flusslaufs erreichen. Die lokale Politik fordert darüber hinaus rechtliche Änderungen, um nicht nur die Białka, sondern auch andere Flüsse und Bäche der Region regulieren zu können. Schließlich fordert die Wirtschaft noch das Recht auf Kiesförderung. Dafür sollen bis zu 30 Prozent des Flusslaufs für den Einsatz schweren Geräts frei gegeben werden. Eine Gruppe Krakauer Umweltschützer, die Ende April 2013 ein Happening an der Białka vorbereitet hatte, wurde offen angefeindet. Für die Einwohner ist die Angelegenheit einfach: Die Białka sollte begradigt und vertieft werden, denn nur diese Maßnahmen führen zu effizientem Hochwasserschutz.

Der sinnvolle Plan der Regionalen Wasserverwaltung hatte zuvor vorgesehen, Deiche außerhalb des geschützten Bereichs, also auf den Feldern am Dorfrand zu bauen, und die Wege um einen Meter zu erhöhen, so dass auch sie im Hochwasserfall eine Barriere darstellen. Das wurde von der lokalen Bevölkerung abgelehnt, als Eingriff in privates Eigentum. Anders gesagt: Vor die Wahl gestellt, die Umwelt zu zerstören oder auf privatem Gelände Maßnahmen zu ergreifen, entschieden sie sich ohne zu zögern für Ersteres.

Wer ist hier verantwortlich?

Eine weitere Frage betrifft die Verteilung der Kompetenzen. Die Nationale Wasserbauverwaltung und ihre regionalen Ableger ist nur eine der verantwortlichen Institutionen. Eine andere sind die Wasserbau- und Meliorationsverwaltungen, die bei den Wojewodschaften angesiedelt, aber für Aufgaben der Zentralregierung zuständig sind. Beide Einrichtungen konkurrieren miteinander, und manchmal führen sie gar Maßnahmen durch, die sich gegenseitig ausschließen. Die Regionale Wasserbauverwaltung führt beispielsweise Arbeiten im Flussbett durch, während die Meliorateure Deich errichten. Zu Abstimmungen kommt es selten.

Trotz riesiger Investitionssummen klagen die Wasserbauer über fehlende finanzielle Mittel. Allein in der Wojewodschaft Kleinpolen werden für die Modernisierung der Deiche zwei Milliarden Złoty benötigt.

In den letzten Jahren beobachtet man allerdings Anzeichen eines Umdenkens der Wasserbauer in Bezug auf die Hochwasserschutzpolitik. In der Wojewodschaft Heiligkreuz soll der Fluss Nida renaturiert werden, das Projekt wurde von der Regionalen Wasserbauverwaltung auf den Weg gebracht. Die Zusammenarbeit zwischen Umweltschutzverbänden und für Wasserbau zuständigen Verwaltungen entwickelt sich. Reicht das aus, um die großen Fehler der letzten Jahre rückgängig zu machen?

Hoffen auf Brüssel

Es scheint, dass die Geduld der Europäischen Kommission, die seit Jahren das Treiben an polnischen Flüssen beobachtet, langsam zu Ende geht. Ende April bestätigte eine sogenannte "mit Gründen versehenen Stellungnahme" (eine Art politische "gelbe Karte"), dass die Kommission das polnische Hochwasserschutzprogramm für das Einzugsgebiet der oberen Weichsel sehr kritisch bewertet, insbesondere seine Auswirkungen auf die Schutzgebiete des "Natura 2000"-Programms. Obwohl die geplanten und durchgeführten Maßnahmen Einfluss auf den Zustand vieler geschützter Seen und Gelände haben, wurden keine Umweltverträglichkeitsprüfungen durchgeführt. Laut der EU-Kommission können von den 410 umgesetzten Projekten etwa 120 massive Auswirkungen auf 50 verschiedene "Natura 2000"-Gebiete haben. Die Hochwasserschutzpolitik wird vermutlich gegen die Bestimmungen der Wasserrahmen- und der Habitatrichtlinie geführt. Obwohl im November 2012 die Kommission offiziell verlangte, den Fehler zu beheben, blieb das Schreiben ohne Antwort. Die "mit Gründen versehenen Stellungnahme" erfordert eine Reaktion binnen zwei Monate, kommt diese nicht, kann die Kommission den Europäischen Gerichtshof anrufen. Sollte es dazu kommen, wäre es wahrlich eine schöne Pointe der Hochwasserschutzpolitik der letzten 15 Jahre.

Man hätte das zumindest teilweise vermeiden können. Seit der Jahrhundertflut von 1997 warnen die Umweltschützer vor riesigen Investitionen in zweifelhafte Wasserbauvorhaben. Sie schlagen im Gegenzug weniger starke Eingriffe und gesunden Menschenverstand vor. Es hat aber keinen Sinn, landwirtschaftliche Flächen vor Überschwemmungen zu schützen, und den Deichbau werden die Einwohner flussabwärts gelegener Ortschaften schmerzlich zu spüren bekommen. Nur sind die Gesetze der Physik und des logischen Denkens in Polen anscheinend zu wenig bekannt.

Aus dem Polnischen von Mateusz Hartwich

Fussnoten

Weitere Inhalte

Michał Olszewski, geboren 1977, ist Journalist der polnischen Wochenzeitung Tygodnik Powszechny und seit 2013 Mitarbeiter von "Client Earth“, eines internationalen Juristennetzwerks. Er ist Autor mehrerer Romane und Reportagensammlungen, und führt einen eigenen Blog zu Umweltthemen (Externer Link: http://michalolszewski.blog.onet.pl/).