Hilfe aus der Sowjetunion
Die Stadt Ruse liegt an der Donau und ist mit rund 170.000 Einwohnern die fünftgrößte Stadt Bulgariens. Ihr gegenüber liegt die rumänische Stadt Giurgiu mit 70.000 Einwohnern. Beide Städte sind über eine Donaubrücke miteinander verbunden. Sie ist zurzeit die einzige Brücke entlang der fast 500 Kilometer langen gemeinsamen bulgarisch-rumänische Donaugrenze.
Und sie ist eine späte Brücke. Erste Überlegungen hatte es bereits im 19. Jahrhundert gegeben. 1878 war Bulgarien unabhängig vom Osmanischen Reich geworden. Gleich darauf hatten die Verhandlungen mit Rumänien über den Bau einer Donaubrücke begonnen. Nicht nur Ruse und Giurgiu kamen in Betracht, sondern auch andere Orte an der gemeinsamen Donaugrenze. Allerdings kam es zu keinem Ergebnis. Beide Länder konnten sich nicht über einen gemeinsamen Brückenbau einigen.
Der kam erst nach dem Zweiten Weltkrieg zustande. 1948 unterzeichneten die sozialistischen Staaten Bulgarien und Rumänien ein "Abkommen für Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe". Auch der Plan der Donaubrücke stand nun wieder auf der Agenda.
Wie viele wichtige Infrastrukturprojekte in sozialistischen Zeiten wurde auch diese Brücke mit technologischer Unterstützung aus der Sowjetunion gebaut. Zahlreiche Ingenieure und zweihundert LKW mit technischem Gerät schickte Moskau an die Donau. Der Brückenbau hatte große Priorität. Bereits zwei Jahre nach dem Baubeginn 1952 wurde die Brücke eröffnet, sieben Monate vor der geplanten Fertigstellung.
Für die Bauarbeiten in Bulgarien hatte man viele Leute aus Orten in der Umgebung mobilisiert, auch Soldaten waren beteiligt. Darüber hinaus leisteten Arbeiter aus Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei Unterstützung. Es wurde in drei Schichten gearbeitet. Um die Produktivität zu steigern, wurden Wettbewerbe organisiert. Wer den besten Vorschlag zur Optimierung der Arbeitsabläufe einreichte, gewann. Das Ergebnis: Nach Angaben der sozialistischen Behörden wurde der Plan 1952 mit 30 Prozent überschritten, 1953 und 1954 sogar mit mehr als 50 Prozent. Letzten Endes kostete die Brücke fast 12 Millionen Lewa weniger als geplant.
Zu ihrer Zeit war die zweistöckige Stahlbetonbrücke für den Straßen- und Eisenbahnverkehr eine große technische Leistung – und sie war die längste Brücke über die Donau. Ein 85 Meter langer Mittelteil der Brücke konnte hochgefahren werden, um größeren Überseeschiffen, die die Werft in Ruse baute, eine Passage zu ermöglichen. Mein Großvater, der damals in der Werft arbeitete, erinnert sich, dass die Passage zumindest zweimal im Jahr für den Transport von neuen Schiffe benutzt wurde. Inzwischen passiert das selten – die Kapazitäten der Werft in Ruse wurden deutlich reduziert.
Europäischer Korridor
Heute ist die Brücke zwischen Giurgiu und Ruse ein wichtiger Transportkorridor für Europa. Sie ist Teil des Paneuropäischen Verkehrskorridors 9, der Finnland mit Griechenland verbindet. Die beiden Städte befinden sich auch auf dem Verkehrskorridor 7 – die transeuropäische Rhein-Main-Donau-Wasserstraße. Die strategische Lage der Nachbarstädte spielte immer eine wichtige Rolle für ihre Entwicklung.
Dank seiner Lage an der Donau entwickelte sich Ruse zu einem Handelszentrum und erreichte am Anfang des 20. Jahrhunderts seine Blütezeit. Zwischen Ruse und Varna an der Schwarzmeerküste wurde die erste Eisenbahnlinie Bulgariens gebaut – und auch sonst passierte vieles im Land erstmals in Ruse. Unter anderem wurde hier die erste bulgarische Privatbank gegründet, und auch die erste Filmvorführung fand in der Donaustadt statt.
Aber auch Giurgiu profitierte auch von seiner Verkehrslage und der Nachbarschaft mit Ruse an der Donau. So verband die erste Eisenbahnlinie Rumäniens die Stadt mit der 70 Kilometer entfernten Hauptstadt Bukarest.
Die ehemalige Freundschaftsbrücke
Die Brückensteuer wird auch nach dem EU-Beitritt 2007 erhoben. (© Uwe Rada)
Die Brückensteuer wird auch nach dem EU-Beitritt 2007 erhoben. (© Uwe Rada)
Ursprünglich wurde die Brücke zwischen Ruse und Giurgiu "Freundschaftsbrücke" genannt, weil sie ein Symbol für die guten Beziehungen zwischen Bulgarien und Rumänien sein sollte. Besonders in der sechziger Jahren versuchten die Behörden, mit verschiedenen Initiativen und Programmen die Freundschaft zwischen beiden Ländern zu fördern. Schwimmwettbewerbe in der Donau wurden veranstaltet, und auch Fußgänger konnten die Brücke benutzen. Diese Phase in der Geschichte der Brücke endete 1968. Rumäniens Diktator Nicolae Ceaușescu sicherte die Grenze seines Landes nicht nur zur Sowjetunion, sondern auch zu Bulgarien. Er wollte sein Land aus dem Einflussbereich der Sowjetunion befreien. Aus der "Brücke der Freundschaft" wurde schlicht die "Donaubrücke". Erst Ende der siebziger Jahre konnten die Bürger beider Staaten wieder in das Nachbarland reisen.
Allerdings machte das Visaregime die Reise nach Giurgiu oder Rumänien zu einem schwierigen Unternehmen – und stellte die Bürger vor große Probleme. Früher konnten sie einfach die Donau überqueren, ohne Visa, im Winter sogar über den zugefrorenen Fluss gehen.
Auch in den Jahren nach der Wende waren die Kontakte zwischen beiden Ländern nicht besonders intensiv. Grund war der schlechte wirtschaftliche Zustand in Rumänien und Bulgarien. Es lohnte sich einfach nicht, von Bulgarien nach Rumänien zu reisen und zu handeln. Viel eher wollten die Menschen nach Westeuropa oder in die USA. Die Brücke wurde zum Symbol von Flucht und Emigration, von Schmuggel und Korruption - so zumindest zeigte sie die bulgarische Fernsehserie Donaubrücke.
Für eine ziemlich lange Zeit also standen sich Bulgaren und Rumänien und mit ihnen Ruse und Giurgiu mit dem Rücken gegenüber. Kaum jemand ging über die Brücke, kaum jemand lernte die Sprache des anderen.
Das neue Kapitel in der Europäischen Union
Die "Brücke der Freundschaft" heißt heute nur noch "Donaubrücke". (© Uwe Rada)
Die "Brücke der Freundschaft" heißt heute nur noch "Donaubrücke". (© Uwe Rada)
Der Beitritt Bulgariens und Rumäniens zur Europäischen Union am 1. Januar 2007 sollte das zunächst ändern. Schon für den nächsten Tag hatte der Bürgermeister von Ruse für die Bürger seiner Stadt eine kostenlose Fahrt nach Giurgiu organisiert. Kamen Stoyanovs Film Let´s go to Giurgiu! dokumentiert dieses Ereignis. Das Spektakel blieb jedoch die Ausnahme. Bis heute gibt es keine Busverbindung zwischen beiden Städten.
Das Überqueren der Donau ist nur mit dem Auto möglich. Doch die Bürger von Ruse bleiben lieber auf ihrer Seite des Flusses. Giurgiu ist für sie keine besondere Attraktion. Wenn es über die Brücke geht, dann meistens nach Bukarest mit seinen Shopping-Malls, der beeindruckenden Architektur und den großen Parks. Auch der Flughafen von Bukarest ist inzwischen der "Heimatflughafen" von Ruse geworden.
Allerdings bleiben die Gebühren für die Benutzung der Brücke ein großes Hindernis für die Reisenden. Die Maut wird sowie an der rumänischen als auch an der bulgarischen Seite der Brücke erhoben und ist eine wichtige Einnahmequelle für beide Staaten: die Gebühren fließen direkt in den Landeshaushalt. Bis heute sind diese Gebühren für bulgarische Verhältnisse sehr hoch. Sie betragen sechs Euro pro Richtung. Nach Protesten in Bulgarien beschloss die Regierung 2011, die Maut zu reduzieren. Die rumänische Regierung aber erklärte, an den alten Preisen festhalten zu wollen. Eine solche Asymmetrie gibt es auch beim Zustand der Brücke. Der bulgarische Teil wurde 2011 erstmals seit dem Bau in den fünfziger Jahren grundlegend renoviert. Der rumänische Teil wartet noch auf die Sanierung.
Seltene Zusammenarbeit
Mitunter aber zeigen beide Seiten, dass sie ihre Handlungen auch koordinieren können. Ein erfolgreiches Bespiel dafür sind die gemischten bulgarisch-rumänischen Teams von Zollbeamten, die seit 2007 zusammenarbeiten. Für die Reisenden bedeutet das eine Erleichterung: Sie werden nur noch einmal kontrolliert. Damit reduziert sich die Dauer der Abfertigung erheblich. Die Grenzkontrollen werden bis Beitritt Rumäniens und Bulgariens zum Schengen-Raum bleiben.
Darüber hinaus haben vor kurzem erst die Stadtverwaltungen in Ruse und Guirgui einen Masterplan für die Entwicklung beider Städte präsentiert. Der Plan ist sehr ambitioniert. Er beinhaltet etwa den Bau einer neuen Brücke zwischen beiden Städten, einer Hochgeschwindigkeitsbahn zwischen Bukarest und Ruse und einer S-Bahn-Verbindung zwischen Ruse und Giurgiu. Wann diese Überlegungen Realität werden, steht allerdings in den Sternen.
Fast sechzig Jahre nach ihrer Fertigstellung ist die Brücke also ein Symbol für den Stand der Zusammenarbeit zwischen Rumänien und Bulgarien. Und sie ist eine Basis für die weitere Entwicklung in der Region.
Von einer "Freundschaftsbrücke" spricht aber kaum mehr einer. Heutzutage sehen die Bewohner in Bulgarien die Beziehungen eher pragmatisch. 1,5 Millionen rumänische Touristen, darunter viele Einkaufstouristen, kommen über die Brücke nach Bulgarien. Das hat auch mit der Nähe der rumänischen Hauptstadt Bukarest zur Donau zu tun. Inzwischen werden viele dieser Touristen in Ruse auf Rumänisch bedient. Das alles ermöglicht die Brücke. Um die Freundschaft müssen sich Rumänen und Bulgaren selber kümmern.