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Das kurze Glück der Donauschwaben

Karl-Markus Gauß

/ 10 Minuten zu lesen

Sie bestiegen die "Ulmer Schachteln" in der Hoffnung auf ein besseres Leben im Osten. Den Nationalismus lernten sie erst spät kennen. Dennoch wurden sie nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Batschka, aus Slawonien, Syrmien und dem Banat vertrieben. Heute leben sie in aller Welt verstreut.

Flucht von Donauschwaben mit deutschen und rumänischen Soldaten aus Rumänien im Juli 1944. (© Bundesarchiv, Bild 1011-144-2311-19 Foto: Bauer / 1944 Sommer)

Mein Großvater

Mein Großvater Michael Herdt, der 1880 in Futog geboren wurde, einer Gemeinde, die längst als Vorort in die damals Neusatz genannte Interner Link: Provinzhauptstadt Novi Sad eingemeindet ist, ging nur sechs Jahre zur Schule. Aber er sprach fünf Sprachen. Er war das Kind armer Leute, aber er wurde als geschickter Hutmacher zum Inhaber des größten Kaufhauses der Südbatschka, der seinen Wohlstand, entsprechend den bäuerlichen Traditionen seiner Vorfahren, in Feldern und Weinbergen anlegte. Er war ein treuer Untertan des habsburgischen Kaisers, und er wurde, als die k.u.k. Monarchie 1918 zerfiel, ein treuer Untertan des Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen.

Sein erstes Geld verdiente er in österreichischen Kronen und Heller, die Währung seines geschäftlichen Erfolges aber war der jugoslawische Dinar. Als er 1944 mit Hunderttausenden Donauschwaben vor den heranrückenden Partisanenverbänden floh, nahm er einen Koffer mit sich, der randvoll mit Geld angefüllt war, mit ungarischen Pengö. Nachdem die Wehrmacht Jugoslawien überfallen hatte, waren die Batschka und das Banat, die sich traditionell über Ungarn, Rumänien und Serbien erstreckten, den ungarischen Verbündeten des Dritten Reiches zugefallen, und diese hatten die Eroberung auch währungspolitisch vollzogen. Er hatte den Koffer noch bei sich, als er nach einer langen Irrfahrt endlich in einem bayrischen Weiler namens Garching an der Alz landete, der von ein paar Tausend donauschwäbischen Flüchtlingen getreu dem Bauplan ihrer verlassenen pannonischen Siedlungen zur Kleinstadt erweitert wurde: Schnurgerade die staubige Straßen, die schachbrettartig angeordnet waren; ein Haus dem anderen zum Verwechseln ähnlich, und jedes mit einem Wohnzimmer, das unbenutzt blieb und dessen mit Schonbezügen ausgestattetes Mobiliar nur zum Herzeigen diente; zwischen den Häusern die Gärten, in denen extensiv noch das letzte Fleckchen genutzt wurde, um Bohnen zu ziehen, Tomatenstauden zu pflanzen, Salatbeete anzulegen. Ich bin im etwa fünfzig Kilometer entfernten Salzburg aufgewachsen, und wenn ich als Kind mit meinen Brüdern die Großeltern in Garching besuchen musste, erschien mir das Dorf so steppenlangweilig, dass ich darüber stets in namenlose Trauer versank. Ausnahmslos trugen die donauschwäbischen Frauen damals auch in Deutschland noch ihre Tracht, diese schwarzen, gebauschten Röcke, und keine von ihnen hätte sich, unbehelligt von den Anfechtungen der Moderne, je ohne Kopftuch auf der Straße sehen lassen. Das einzig Aufregende im trostlosen Ort blieb der Koffer des Opas, den wir unter dem Bett hervorziehen, öffnen und in dem wir wühlen durften: Wir warfen uns die Bündel von Pengö um den Kopf, die von der Nichtigkeit irdischen Strebens zeugten. Seinen ganzen Reichtum hatte der Großvater in der Batschka zurückgelassen, und was er mit sich geschleppt hatte über alle Stationen der Flucht, den Koffer mit dem Geld, das war nichts mehr wert. Der Tata, wie wir den Opa ungarisch nannten, saß am Fenster, blickte ratlos in die Ferne, und hat sich in den zwanzig Jahren, die er noch lebte, beharrlich ausgeschwiegen.

Ins ferne "Hungarland"

Interner Link: Wer die Donauschwaben gewesen sind, wie sie auf den Balkan gerieten und warum ihre Geschichte nach über 200 Jahren unwiderruflich zu Ende ging, darüber gibt es viele Gerüchte. Das erste hat sich schon in ihrem Namen materialisiert. Denn die Donauschwaben waren gar keine Schwaben, oder genauer: die Schwaben bildeten nur eine Minderheit in jenen Gruppen, die erst kurz vor ihrem historischen Untergang im 20. Jahrhundert in den gemeinsamen Namen Donauschwaben gefasst wurden. Es waren Franken, Pfälzer, Hessen, Aargauer, Elsässer, Lothringer, Luxemburger, Thüringer und die Auswanderer aus vielen österreichischen Ländern, die vom Ende des 17. Jahrhunderts an in einigen großen Wellen, den später so genannten "Schwabenzügen", tief nach Südosteuropa gelangten. Sie kamen in ein verödetes Gebiet, in dem nach einer schier endlosen Folge von Schlachten zwischen dem Osmanischen und dem Habsburgischen Reich die Gebeine gefallener, hingemordeter Generationen moderten.

Nach den Siegen, mit denen die kaiserlichen Heere unter dem Prinzen Eugen von Savoyen die Osmanen endgültig aus Mitteleuropa zurückwarfen, ging die Habsburgische Verwaltung es mit bürokratischem Eifer an und suchte das nahezu menschenverlassene Land systematisch neu zu besiedeln; ein Land, das, in den staatlichen Kategorien von heute gedacht, den Süden Ungarns, den Osten Kroatiens sowie weite Teile Serbiens und Rumäniens umfasste und damals in Gänze zur Donaumonarchie gehörte.

Historische Darstellung einer "Ulmer Schachtel". (Externer Link: Wikimedia Commons) Lizenz: cc publicdomain/zero/1.0/deed.de

Zu solchem Siedlungswerk brauchte es Menschen, viele Menschen, die bereit waren, ihre Heimat zu verlassen. Die deutschnationale Mythologie hat sie später zu kühnen Ostlandfahrern erklärt, die deutsche Kultur und Gesittung in den Boden Südosteuropas einpflanzen wollten, zu wehrhaften Grenzlandbauern, die als deutsches Bollwerk das Abendland gegen die stets drohende islamische Gefahr zu verteidigen suchten. Doch wer waren sie tatsächlich, die sich auf den beschwerlichen Weg in die pannonische Tiefebene machten, der so vielen von ihnen den Tod bringen sollte, weil ihre überladenen Schiffe, die sogenannten Ulmer Schachteln, an einer der Stromschnellen der Donau kenterten, ihnen in den ersten kalten Wintern die Nahrung ausging oder weil sie von Seuchen dahingerafft wurden?

Auch damals hat seine Heimat nur verlassen, wer keine Aussicht sah, Not und Unterdrückung in ihr selbst zu wenden. Die in großen Trecks ins ferne "Hungarland" aufbrachen, hatten unter der Willkür feudaler Herrschaft gelitten, unter Fürsten, die ihnen religiöse Freiheit und politische Mitsprache nicht zubilligen mochten; viele von ihnen waren aus der Bahn geworfene Existenzen, Handwerker, die sich als Tagelöhner verdingen mussten, Bauernsöhne, die bei der Erbteilung leer ausgegangen waren. Sie verließen ihre Städte und Dörfer nicht aus ideologischer Verblendung oder Abenteuerlust, sondern weil sie Wohlstand und Freiheit, die ihnen in der alten Heimat vorenthalten wurden, dort zu erlangen hofften, wo sie anfänglich fremd waren und sich arbeitend ihr Heimatrecht erwerben würden.

Importierter Nationalismus

Um 1900, als die verschiedenen Gruppen von Ausgewanderten zu ihrer gemeinsamen Identität als "Donauschwaben" gefunden hatten und diese als "jüngster deutscher Stamm" galten, zählten sie rund 1,5 Millionen Menschen. Bis 1918 waren sie allesamt Bürger oder Untertanen der Donaumonarchie, deren Struktur, wie unvollkommen immer sie angelegt war und wie konfliktreich sie sich auch ausformte, eine übernationale war. Die Donauschwaben lebten teils als unmittelbare Anrainer der Donau, teils weiter entfernt von ihr, aber stets in Nachbarschaft zu anderen Nationalitäten, zu Ungarn, Kroaten, Serben, Rumänen, Juden, Roma und einem halben Dutzend kleinerer Völkerschaften. Nicht, dass das Zusammenleben so vieler Nationalitäten zur friedlichen Völkeridylle verklärt werden soll, aber fast bis in 20. Jahrhundert herauf ist von nationalen Kämpfen in den historischen Quellen keiner dieser Nationalitäten die Rede; sie lebten wohl mehr neben- als miteinander, aber der Wohlstand aller hing doch untrennbar mit der Existenz jeder einzelnen von ihnen zusammen.

Der historische Raum war von der Koexistenz verschiedener Völker geprägt, und das sorgsam austarierte Gleichgewicht, das bis in die alltäglichen Belange reichte, in die kleinen und großen Geschäfte, die auf dem Dorf, in der Stadt, zwischen Bauern und Händlern getrieben wurden, zu stören, hieß die Sicherheit eines jeden zu gefährden. Tatsächlich hat die alltägliche Begegnung der Nationalitäten nach und nach so etwas wie eine gemeinsame "Identität" geschaffen, zu der alle Bewohner Slawoniens, Syrmiens, der Batschka und des Banats, um nur diese donauschwäbischen Regionen zu nennen, das Ihre beitrugen. Wie meist in der Geschichte, wurden diese Gemeinsamkeiten erst entdeckt und gerühmt, als ihre Grundlagen bereits nicht mehr existierten: kaum war ihre Nachbarschaft blutig zerstört, wurde von Serben, Ungarn, Rumänen und Donauschwaben ihr gemeinsames, die Grenzen der Nationalitäten überschreitendes "Pannoniertum" verklärt, in der Dichtung, aber auch in der Erinnerung zahlloser Menschen. Der Nationalismus, der wenigen Regionen Europas so unangemessen war wie dieser, deren Reichtum und Eigenart gerade in der Vielfalt gründete, wurde importiert. Er kam nach 1866 auf, als durch die Staatsreform des "österreichisch-ungarischen Ausgleichs" die östliche Reichshälfte der Donaumonarchie den Ungarn zufiel – oder präziser gesagt: den ungarischen Magnaten. Der nationale Druck, der von der jetzt führenden Nationalität ausging, war so groß wie die Verlockung, sich dieser im Lebensstil anzugleichen; gerade von den Donauschwaben haben sich Unzählige aus der gebildeten städtischen Oberschicht noch im 19. Jahrhundert magyarisiert, sie sind schlichtweg Ungarn geworden, was sich sinnfällig in der Magyarisierung ihrer Namen äußerte.

Der Nationswechsel ist, sofern man für historische Dinge dieses Wort verwenden darf, eine "natürliche", in jeder Epoche millionenfach neu vollzogene Sache. Aber der Druck der herrschenden Nation erschafft sich auch den Gegendruck der anderen Nationen, den er benötigt, um sich selber als rechtens zu empfinden, und so haben sich gemäß dem Beispiel der Ungarn auch die anderen Pannonier nach und nach als Angehörige einer bestimmten "Nation" entdeckt. Nach 1918 schnitten durch ihr Gebiet die Grenzen dreier Staaten, und in jedem, in Ungarn, Jugoslawien und Rumänien, gab es viele, die sich, einst Bürger eines übernationalen Reiches, jetzt als Angehörige einer nationalen Minderheit wiederfanden. Und der Konflikt der Nationalitäten wurde bald zäh um jede einzelne Schule geführt; es dauerte aber noch, bis aus ihm unter faschistischen Vorzeichen ein "Volkstumskampf" wurde.

Kollektive Verdächtigung

Warum ist mein Großvater, der es zu etwas gebracht hatte, eben weil er, als echtes Kind der Donau, dieses übernationalen Flusses, in fünf Sprache seine Geschäfte zu tätigen wusste, warum ist mein Großvater, der bei Serben, Ungarn, Rumänen gleichermaßen geachtet war, als alter Mann eigentlich auf die Flucht gegangen? Hätte er, der kein Nazi war und sich individuell nichts hatte zuschulden kommen lassen, nicht bleiben können?

Nach dem Überfall der Wehrmacht, der Bombardierung Belgrads haben die nazistischen Sondereinheiten eine ungeheure Blutspur durch den Balkan gezogen.Interner Link: Der Völkermord an den Juden wurde mit tödlicher Effizienz organisiert. Die Serben waren kollektiv der Verdächtigung ausgesetzt, Kommunisten zu sein und es mit den Partisanen zu halten, und je größer deren militärischen Erfolge wurden, umso grausamer hat die SS wahllos gegen die Zivilbevölkerung gewütet. Auch unter den Donauschwaben gab es Helfershelfer der Besatzungstruppen, wenngleich Dokumente, die seit einigen Jahren auch von serbischen Historikern anerkannt werden, dafür sprechen, dass es eher eine nazistische Gleichschaltung der politischen Elite gegeben hat denn eine Faschisierung der Volksgruppe selbst.

Die Siedlungsgebiete der Donauschwaben im Südosten Europas (rosa) (William R. Shepherd; Externer Link: Wikimedia Commons) Lizenz: cc publicdomain/zero/1.0/deed.de

Gleichwohl war mit der sich abzeichnenden Niederlage des Dritten Reiches auch über die Donauschwaben das Urteil verhängt. Sie wurden zur kriminellen Minorität erklärt, die ihren Anspruch, im sozialistisch-föderativen Jugoslawien zu bleiben, verwirkt hatte. Als die Partisanen sich den Dörfern und Städten in der Batschka und im Banat näherten, haben sich die Donauschwaben folglich auf die Flucht begeben. Ihre Panik war begründet, denn die, die blieben, mussten erleben und erleiden, dass zwischen Tätern, Mitläufern, stillen Verweigerern und Widerständigen nicht unterschieden wurde. Allesamt, auch Kinder und Greise, wurden sie in Lager gesteckt, in denen Abertausende an Hunger und Auszehrung starben, und wer überlebte, wurde in den folgenden Jahren ohne Hab und Gut außer Landes gejagt.

In Rumänien, das im Zweiten Weltkrieg anfangs an der Seite Deutschlands gestanden hat, lagen die Dinge anders; eine ethnische Säuberung wie in Jugoslawien hat es dort nicht gegeben, aber die Lage der Banater Schwaben war auch in Rumänien schwierig genug. In stalinistischen Prozessen wurden Tausende zu mörderischer Zwangsarbeit oder, wie die Repräsentanten der bürgerlichen Intelligenz, zu jahrelanger Haft verurteilt; sobald es dazu die Möglichkeit gab, haben seit den späten sechziger Jahren daher Hunderttausende das Land verlassen. In Ungarn wiederum konnte bleiben, wer mochte und sich in das Schicksal fügte, künftig seine Nationalität zu verschweigen und dankbar sein stilles Glück als braver Proletarier unter braven Proletariern zu genießen.

Global Village

Aus vielen Richtungen waren sie gekommen und hatten durch ihre zähe Arbeit das Ihre dazu beigetragen, dass das ganze, einst menschenverlassene Gebiet eine reiche europäische Region geworden war. In alle Richtungen wurden sie nach über 200 Jahren wieder verstreut. Wie immer, wenn eine multiethnisch geprägte Region national purifiziert wird, hat das auch jenen zum Schaden gereicht, die sich anfänglich als Sieger oder Nutznießer fühlen mochten. Schon zu Titos Zeiten, als das jetzt Vojvodina genannte Gebiet noch eine besondere Autonomie genoss, musste in die einstige Kornkammer des Balkans Getreide importiert werden. In den blühenden Dörfern der Donauschwaben waren Montenegriner und Mazedonier angesiedelt worden, die als Gebirgler mit der agrarischen Kultur der Schwaben nichts anzufangen wussten und deren Reichtum verfallen ließen.

Auf Nachfahren der Donauschwaben kann man heute fast überall auf der Erde stoßen, in Chicago und in Toronto, in Australien, Brasilien, Argentinien, Frankreich und natürlich in Deutschland und Österreich. Tüchtig, wie sie immer schon waren, haben sich die meisten von ihnen, wohin es sie auch verschlug, rasch den Verhältnissen angepasst, die sie vorfanden. Da und dort pflegen sie in Vereinen noch eine folkloristische Gemeinschaft und die Erinnerung an eine Heimat, von der sie nicht zu Unrecht meinen, dass sie ihnen zu Unrecht genommen wurde. Zumal in den USA ist das Vereinsleben noch rege, und im Internet gibt es zahllose Communities, in denen sich Abkömmlinge von Donauschwaben auf Englisch darüber austauschen, aus welchem Land ihr Vorfahren einst in das Banat gezogen waren und in welches sie 1945 geflüchtet sind. Ganze Dörfer mit all ihren Straßenzügen, Friedhöfen, Katasterverzeichnissen werden mittels genealogischer Recherchen als virtuelle Heimat neu aufgebaut, während die konkrete Sprache, dieser regional facettenreiche Dialekt, dessen dunklen Klang ich in meiner Kindheit noch von so vielen Donauschwaben vernommen habe, gerade dabei ist, für immer zu erlöschen.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Karl-Markus Gauß, geboren 1954, lebt als Schriftsteller, Essayist und Kritiker in Salzburg. Zuletzt erschienen die Bücher Die Donau hinab, Haymon Verlag, Innsbruck 2009, Im Wald der Metropolen. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2010 sowie Ruhm am Nachmittag. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2012. Die Originalfassung erschien 2006 in der Schweizer Zeitschrift DU. Wir danken der Redaktion für die freundliche Genehmigung zum Nachdruck.