Im Sommer des Jahres 1950 veröffentlichte das damals noch junge Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" eine mehrteilige Serie mit dem Titel "Porsche von Fallersleben. Geschichte eines Automobils". Darin wurde der kometenhafte Aufstieg des Volkswagenwerkes und seine besondere Vorgeschichte als nationalsozialistisches Prestigeprojekt der Massenmotorisierung erzählt. Der fünfte und letzte Teil der Artikelserie widmete sich ausführlich den Lebensbedingungen in der dem Werk zur Seite gestellten Stadt. Im typischen "Spiegel"-Jargon wurde über Wolfsburg reißerisch als von einer "Stadt Klondyk, der mißratenen Menschenplantage, dem politischen Gomorra der zweiten Republik" gesprochen.
Mit eindringlichen Worten beschrieb der Verfasser das provisorische Erscheinungsbild der Stadt: Die Wohnbautätigkeit sei Anfang der 1940er Jahre kriegsbedingt weitgehend eingestellt worden, und das von überdimensionierten Betonstraßen durchzogene Wolfsburger Siedlungsgebiet gleiche einem Torso. Zwischen dieser "Abraumlandschaft" lägen die "Barackenstädte der 11.000 Fremdarbeiter aus Italien, Polen, Frankreich und Jugoslawien". Nach deren Befreiung und Abtransport bevölkere nun eine eigenwillige Mischung aus Versprengten die Baracken der Lager - Flüchtlinge aus dem Osten, Displaced Persons (DPs) und ehemalige kriegsgefangene Wehrmachtsangehörige. Ihr trostloses Dasein führte den Verfasser des Artikels zu den zeitgenössisch weit verbreiteten Befürchtungen vom gesellschaftszersetzenden Charakter dieser Art der Unterbringung. Und in Anspielung auf die sittliche Verwahrlosung und moralische Verwilderung, die das Lagerleben angeblich nach sich zog, endet der Absatz mit dem traurigen Hinweis: "In Wolfsburg hat die Liebe kein Dach über dem Kopf."
Mit erstaunlicher Deutlichkeit umreißen diese Aussagen die Lebensrealität und den alltäglichen Erfahrungshorizont der damaligen Bewohner Wolfsburgs. Zugespitzt lässt sich formulieren: Die Geschichte der Stadt ist in der Frühzeit ihrer Entwicklung über weite Strecken die Geschichte ihrer Lager. Trotz des sich rasant entwickelnden Wirtschaftswunders gehörte das Lagerdasein in Wolfsburg zu einer weit verbreiteten Lebensform. Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Beginn des eigentlichen Stadtaufbaus blieb Wolfsburg zunächst eine Barackenstadt.
Die nationalsozialistische Musterstadt wird geplant
Am 31. Dezember 1937 lebten - verteilt auf die beiden Landgemeinden Heßlingen und Rothehof-Rothenfelde - genau 857 Einwohner auf dem Gebiet des späteren Wolfsburg.
Nach dem Willen der Stadtplaner sollte an die Seite der Autofabrik nicht eine Werkssiedlung als bloßer Fortsatz oder Anhängsel des Volkswagenwerkes treten. Die am 1. Juli 1938 durch eine Verordnung des Oberpräsidenten der Provinz Hannover gegründete "Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben" war als eine mittelgroße Kommune geplant, entworfen für 90.000 Einwohner mit allen Einrichtungen, wie sie für eine funktionierende städtische Infrastruktur nötig waren. Schon auf dem ersten im Frühjahr 1938 von dem Architekten Peter Koller erstellten Gesamtbebauungsplan ist die bis heute vorherrschende räumliche Zweiteilung deutlich zu erkennen: Nördlich von Eisenbahnlinie und Mittelandkanal liegen die Hallen des Volkswagenwerkes, südlich davon die ringförmig angelegte Stadt, mit einer sogenannten Stadtkrone auf einer Anhöhe im Zentrum, die monumentale Parteibauten beherbergen sollte.
Mit der peripheren Lage dieser Industriegründung abseits der großen industriellen Ballungszentren war aber auch klar, dass die Arbeitskräfte für den Aufbau von Werk und Stadt nicht aus dem unmittelbaren Umfeld kommen konnten, sondern vielmehr von außen zugeführt werden mussten. Die Unterbringung der Beschäftigten der im Stadt- und Werksaufbau tätigen Firmen in einem zentral gelegenen "Gemeinschaftslager" stellte also keine Besonderheit dar und war wegen der nicht vorhandenen baulichen Substanz puren Notwendigkeiten geschuldet.
Schon früh trat ein Mangel an Arbeitskräften auf. Im September 1938 wurden die fehlenden Kapazitäten zunächst mit Arbeitern aufgefüllt, die von der faschistischen italienischen Schwesterorganisation der Deutschen Arbeitsfront (DAF), der "Confederazione Fascista dei Lavoratori dell’Industria (CFLI), gestellt wurden, und die ebenfalls in den Baracken des "Gemeinschaftslagers" untergebracht waren.
Die Stadt als Torso
Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und die darauf folgende Eingliederung des Volkswagenwerkes in die Rüstungswirtschaft ließen dann ein betriebliches System der Zwangsarbeit entstehen. Polnische Frauen, Militärstrafgefangene, sowjetische Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge waren diskriminierenden Arbeits- und Lebensbedingungen ausgesetzt.
In der Folge begannen die Baracken zu wuchern und das Bild der entstehenden Stadt wurde von einer Vielzahl verschiedener Lager mit unterschiedlichen Funktionen geprägt. Den Kern der Barackenstadt bildete das bereits erwähnte "Gemeinschaftslager", das südlich unmittelbar an die Bahnlinie Berlin-Hannover und den Mittellandkanal anschloss. Dort waren zunächst deutsche und italienische Arbeitskräfte untergebracht, die am Aufbau von Werk und Stadt mitwirkten. Später wurde dieser Bereich auch mit französischen, niederländischen und belgischen Zivilarbeitern bzw. Kriegsgefangenen belegt. Daneben bestand das streng bewachte, mit hohen stacheldrahtbewehrten Zäunen gesicherte "Ostlager", in dem Zwangsarbeiter aus Osteuropa untergebracht waren. Zentrale Einrichtungen der Stadtverwaltung sowie verschiedene Schulen befanden sich ebenfalls provisorisch in Baracken.
Über den gesamten Stadtbereich verstreut existierten weitere Wohnlager wie beispielsweise das Reislinger Lager, das von deutschen Arbeitern mit ihren Familien bewohnt wurde, oder das Lager Hohenstein, in dem zur Schulung abkommandierte SS-Männer untergebracht waren. Eine besondere Bedeutung in dieser Lagerlandschaft kam dem außerhalb des unmittelbaren Stadtkerns liegenden Laagberg-Lager zu, in dem seit Mai 1944 800 Häftlinge aus dem KZ Neuengamme unter menschenunwürdigen Umständen untergebracht waren.
Die hochtrabenden Pläne einer nationalsozialistischen Mustersiedlung mit Aufmarschplätzen, komfortablen Siedlungshäusern und modern ausgestatteten Stadtwohnungen waren nur in kümmerlichen Ansätzen verwirklicht worden. Steinbauten beschränkten sich im wesentlichen auf die für die Führungskräfte des Werkes geplante und gebaute Waldsiedlung Steimker Berg, den Bereich Schillerteich und den Stadtteil Wellekamp. Von den 24.000 geplanten Wohneinheiten waren Ende 1944 knapp 3.000 Wohnungen fertiggestellt.
Das Leben in der "Lagerstadt" nach 1945
"Stadtplan eines Teilgebietes der Stadt des KdF-Wagens", Stand vom Oktober 1941, Maßstab 1:10.000, mit den Stadtteilen Wellekamp, Schillerteich und Steimker Berg sowie Barackenlagern (© Stadt Wolfsburg, Institut für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation)
"Stadtplan eines Teilgebietes der Stadt des KdF-Wagens", Stand vom Oktober 1941, Maßstab 1:10.000, mit den Stadtteilen Wellekamp, Schillerteich und Steimker Berg sowie Barackenlagern (© Stadt Wolfsburg, Institut für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation)
Nach der Befreiung leerten sich im Frühsommer 1945 die Lager, um kurze Zeit später gleich wieder gefüllt zu werden. Die Alliierten nutzten die ehemaligen Baracken als Lager zur Unterbringung von Flüchtlingen und Displaced Persons (DPs). Wolfsburg wurde zum Sammelpunkt und zur Durchgangsstation für viele Displaced Persons, die aus ganz Norddeutschland hier zusammengezogen wurden. Die topografische Situation hatte sich im Vergleich zu dem Plan von 1941 in ihrem Kern nicht wesentlich geändert. Wolfsburg - wie die ehemalige "Stadt des KdF-Wagens" mittlerweile auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 25. Mai 1945 hieß - war als Stadt kaum existent, die eigentliche Wohnbebauung beschränkte sich auf einige wenige Häuserzeilen, einzig die Lager waren umbenannt und mit neuen Namen versehen: Auf dem Gebiet des heutigen Innenstadtbereichs befanden sich das "C-", "D-" und "E-Camp", das ehemalige "Gemeinschaftslager", daran schlossen sich das "F-" und "G-Camp", das ehemalige "Ostlager", an. Außerhalb des unmittelbaren Stadtkerns lagen des Laagberg-Lager als "A-Lager", das kleinere Hohenstein-Lager, das nun als "B-Camp" firmierte, und das Reislinger Lager bei den Baracken des Stadtkrankenhauses.
Das Leben im Provisorium stellte im Wolfsburg der unmittelbaren Nachkriegszeit den Normalfall der Unterbringung dar, und folgerichtig existierte in der Stadt ein ständiger Erzählstrom über das Lager. Der in der Forschung bisweilen geäußerte Eindruck vom Lagerdasein als einem tabuisierten Thema der deutschen Nachkriegsgeschichte trifft auf die Stadt Wolfsburg definitiv nicht zu.
Obwohl ein Großteil der Baracken als sprechendes Symbol an die Zwangsarbeit im Volkswagenwerk erinnerte, wurden die Lager in der kollektiven Wahrnehmung der Stadtgesellschaft mit Nachkriegselend und der Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Ostgebieten in Verbindung gebracht. Moralische Bedenken gegenüber einer Weiternutzung der Lager und Baracken, in denen kurz zuvor KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter untergebracht waren, gab es keine. Stattdessen setzte sich unter der deutschen Bevölkerung der Stadt rasch eine Umkehrung der Vorstellung von Tätern und Opfern durch: Es gab Klagen über Beschädigungen und Plünderungen der Lager durch Displaced Persons und ehemalige Zwangsarbeiter, die angeblich wagenweise Einrichtungsgegenstände und Baumaterial abtransportierten.
Unmittelbar nach Kriegsende waren sich Werk und Stadt in ihrem Wunsch einig, die noch in den Baracken lebenden ehemaligen Zwangsarbeiter und Displaced Persons, also die Hauptopfer der verbrecherischen NS-Wirtschaftspolitik, möglichst rasch loszuwerden. In einer Aktennotiz über eine Besprechung zwischen Vertretern der Stadt und des Werkes hieß es am 3. Juli 1945: "Weiterhin ist es sehr wesentlich, wenn es gelingen würde, sämtliche Fremdländer aus dem Gebiet der Stadt Wolfsburg hinauszunehmen, damit den im Arbeitsprozess eingesetzten deutschen Arbeitskräften die Gewähr gegeben ist, dass sie ihre Arbeit ungestört und unbelästigt durch Fremdländer ausführen können."
Diesen Wünschen wurde von der britischen Militärregierung nicht nachgegeben. Wolfsburg entwickelte sich im ersten Übergangsjahr nach dem Krieg vielmehr zu einer Durchgangsstation für Displaced Persons, die zunächst in den ehemaligen Lagern zusammengefasst und von dort in ihre Heimatländer abtransportiert wurden. In einem Artikel der lokalen Presse hieß es 1950 aus der Rückschau auf diese Zeit: "Laufend rollten 1945 und im Frühjahr 1946 die großen amerikanischen Sattelschlepper nach dem Laagberg und brachten DPs von Berlin. Hier bei uns wurden diese Menschen aus aller Herren Länder gesammelt und anschließend in ihr Heimatland abtransportiert. (…) Ein buntes Völkergemisch strömte auf dem Laagberg zusammen, und das Lager hatte tatsächlich den Beinamen ‚Die Welt im Kleinen‘. Zu Zeiten, an denen Hochbetrieb im Lager herrschte, wurden mehr als vierzig Nationalitäten gezählt."
LKW-Kolonne der UNRRA am Wolfsburger Bahnhof, im Hintergrund das Kraftwerk des Volkswagenwerks (© Foto: Julie Engels)
LKW-Kolonne der UNRRA am Wolfsburger Bahnhof, im Hintergrund das Kraftwerk des Volkswagenwerks (© Foto: Julie Engels)
An die Stelle von ehemaligen Zwangsarbeitern und Displaced Persons rückten spätestens seit Mitte des Jahres 1946 zunehmend deutsche Flüchtlinge aus dem Osten, deren Zuzug zunächst auf der Zuweisungspolitik der Behörden beruhte.
Der Wahlsieg der Deutschen Rechts-Partei lässt sich nicht monokausal erklären, ein Motiv für das auffällige Wahlverhalten in Wolfsburg war aber sicher die dort herrschende dramatische Wohnungsnot. Das Leben in dieser Stadt gestaltete sich beschwerlicher als anderswo: Zahlreiche Ämter der Stadtverwaltung waren in Baracken untergebracht, nach und nach errichtete die Stadt Steinbauten für Schulen, und erst im August 1957 wurde der Neubau eines Bahnhofs erstellt. Selbst das bereits 1941 eröffnete städtische Krankenhaus war in Behelfsbauten untergebracht, ein Zustand, der auch nach dem Ende des Krieges noch längere Zeit anhielt. Erst im November 1955 nahm dann das neu gebaute, mit moderner medizinischer Technik ausgestattete Stadtkrankenhaus seinen Betrieb auf.
"Elendsquartiere" oder "freundliche Wohnsiedlung"?
Wie überall verlief auch in Wolfsburg das Leben in den Behelfsunterkünften nicht ohne Reibungen. Die Beschwerden über Konflikte unter den Bewohnern und über die unhaltbaren Zustände in den Lagern fanden immer wieder Eingang in die kommunale Verwaltung, mehrmals wurde die dortige Lebenssituation im Laufe der 1950er Jahre zum Gegenstand der Sitzungen des Rates. Im Dezember 1951 beispielsweise beschloss der Rat der Stadt auf Antrag der SPD-Fraktion eine Zuzugssperre in den verschiedenen Lagern aufgrund der dort herrschenden katastrophalen Wohnraumverhältnisse. Die "Elendsquartiere" müssten dringend beseitigt werden.
Drei Jahre später kam ein Bericht über eine Inspektion der Lager durch das Staatliche Gesundheitsamt in Gifhorn zu einem ebenfalls ernüchternden Ergebnis. Durch zunehmenden Zuzug sei eine weitere Überbelegung der Baracken eingetreten. Von Seiten der Bewohner bestünden "große Klagen (…) über Feuchtigkeit und rheumatische Erkrankungen". Im Falle des sogenannten "Gemeinschaftslagers" kam das Gesundheitsamt zu dem Fazit: "Das Lager ist durchweg als abbruchreif anzusehen und eine baldige Umsetzung der Bewohner notwendig."
Andererseits gibt es aber Hinweise darauf, dass das Lagerleben in den frühen 1950er Jahren durch manche Bewohner der Baracken positiv wahrgenommen wurde. Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang Fotografien, die spielende, lachende Kinder vor mit Blumen geschmückten Baracken zeigen. Diese Aufnahmen vermitteln eine Art Barackenidylle, in der die provisorische Lagerexistenz zum Erlebnis- und Erholungsaufenthalt verklärt wurde.
Barackenidylle in Wolfsburg in den 1950er Jahren (© Aufnahme: Willi Luther)
Barackenidylle in Wolfsburg in den 1950er Jahren (© Aufnahme: Willi Luther)
Diese Wahrnehmung war zumeist abhängig von der ursprünglichen Verwendung der Lager, die zu beträchtlichen Unterschieden in der Beurteilung der dortigen Wohnverhältnisse führte. Das Lager für KZ-Häftlinge am Laagberg sowie das "Ostlager" unterschieden sich in äußerer Gestalt und Erhaltungszustand deutlich von dem bereits erwähnten Reislinger Lager, das vom nationalsozialistischen "Amt für Schönheit der Arbeit" eingerichtet worden war. Gerade für dieses Lager finden sich in den Quellen immer wieder positive Einschätzungen der dortigen Unterbringungssituation. In einem Artikel mit dem Titel "Wolfsburgs holzgebaute Vorstadt" heißt es im Februar 1950, dass aus dem ehemaligen Reislinger Lager "eine freundliche Wohnsiedlung mit weiß-grün gestrichenen Häuschen" geworden sei, alles in allem eher eine schöne Vorstadt als ein finsteres Lager, die mehr als "kleine Sommerfrische" wahrgenommen wurde.
Kurioserweise war im speziellen Fall von Wolfsburg diese Art der Unterbringung aber gerade nicht den unmittelbaren Kriegsschäden geschuldet. Die Zerstörungen an der Bausubstanz durch Bombenangriffe waren marginal, zumal eine funktionierende Stadt vor 1945 überhaupt nicht existiert hatte. Der unfertige Charakter war tatsächlich eine Folge des gescheiterten Stadtaufbaus im Nationalsozialismus. Die am Reißbrett geplante NS-Mustergemeinde fiel gewissermaßen der Lebensraumpolitik im Osten zum Opfer. Bei allen Beschwerden war eines in Wolfsburg nicht der Fall - und damit unterscheidet sich die dortige Situation von den Erfahrungen anderer Städte: Ein Ausschluss aus einer eingesessenen Stadtgesellschaft war mit der Tatsache, in einem Lager zu leben, nicht verbunden, weil diese in der "Stadt des KdF-Wagens" schlichtweg nicht existiert hatte. Da es vor 1938 keine nennenswerte "autochthone" Bevölkerung gegeben hatte, fiel das Übergewicht der Flüchtlinge, die im Jahr 1951 bei einer Gesamtbevölkerung von 28.002 Personen einen Anteil von 10.327 Personen ausmachten (36,88 Prozent), nicht so sehr ins Gewicht wie in anderen Kommunen.
Das Verschwinden der Baracken
Mit dem rasant fortschreitenden wirtschaftlichen Aufschwung wurde die Unterbringung in Behelfsunterkünften zunehmend zu einem Problem. Die Dynamik des Wirtschaftswunders und das Aufstiegsstreben waren mit dem Leben in Baracken nicht mehr in Einklang zu bringen. Kommunale Verwaltungen versuchten mit Hilfe von sogenannten Barackenräumprogrammen und einer umfangreichen Wohnbauförderung der Lagerrealität entgegenzuwirken - ein Vorgehen, dem sich auch die Wolfsburger Stadtverwaltung seit Mitte der 1950er Jahre intensiv widmete.
Die Barackenräumprogramme und die Maßnahmen zur Beschaffung von Wohnraum erwiesen sich als überaus erfolgreich. Das Wachstum der Stadt war in dieser Zeit von einer unglaublichen Dynamik geprägt. Mit den großen Wohnquartieren Detmerode und Westhagen, die als Trabantensiedlungen außerhalb des Stadtkerns entstanden, wurde Wolfsburg der Weg zur Großstadt geebnet.
"Urbanität durch Dichte" - Der Wolfsburger Stadtteil Detmerode in einer Luftbildaufnahme aus dem Jahr 1968 (© Wolfgang Muthesius)
"Urbanität durch Dichte" - Der Wolfsburger Stadtteil Detmerode in einer Luftbildaufnahme aus dem Jahr 1968 (© Wolfgang Muthesius)
Damit markieren die 1960er Jahre tatsächlich den Endpunkt der Geschichte der "Barackenstadt" Wolfsburg. Eine neue Ära der Stadtentwicklung mit neuen, anders gelagerten Aufgaben begann, wie der Einrichtung einer Fußgängerzone im Zentrum oder der Vorbereitung der Großstadtwerdung Wolfsburgs durch eine im Jahr 1972 durchgeführte Gebietsreform. Im Dezember 1969 konnte Rüdiger Recknagel, der in seiner Amtszeit als Stadtbaurat zwischen 1960 und 1970 den Aufbau der Stadt wesentlich mitgestaltet hat, in seiner Abschiedsrede darauf hinweisen, dass "Ende der 1950er Jahre (…) bei der Namensnennung der Volkswagenstadt noch die Klischeevorstellung von der Dominante der Baracken" gegolten hätte. Mancher Besucher habe inzwischen aber sein Vorurteil revidiert und nehme erstaunt zur Kenntnis, dass diese Stadt ihr Gesicht verändert habe.
Zitierweise: Günter Riederer, Die Barackenstadt: Wolfsburg und seine Lager nach 1945. In: Deutschland Archiv Online, 19.3.2013, Link: http://www.bpb.de/156714