Klagen
Die Klagen der DDR-Führung über mediale Beeinflussungen der Bevölkerung durch die Westmedien sind bekannt. Weniger bekannt ist, dass die DDR jährlich mehrere Millionen Valutamark einsetzte, um in ihren Kinos Spielfilme aus der Bundesrepublik zeigen zu können. Zudem stellt es einen bemerkenswerten Kontrast dar, dass westdeutsche Filme in den offiziellen Analysen als wesentlicher Bestandteil des Kino-Spielplans eingeschätzt wurden, während die Übernahme von Filmen sozialistischer Länder zunehmend als "unzumutbar" qualifiziert wurde.
Auf diesen beiden Ebenen – auf der des Filmhandels und auf der innerfilmischer Vorstellungswelten – soll im Folgenden über Film-"Besuche von drüben" gesprochen werden. Zunächst wird auf die innerfilmische Dimension eingegangen, anschließend auf die Importpolitik des DEFA Außenhandels und auf deren Auswirkungen.
Leerstelle
Die Geschichten, die der DEFA-Film über Ost-West-Begegnungen erfand, hatten eine fehlende Mitte: Die Darstellung der Mauer als Grenzsicherungsanlage blieb ausgespart – sie war ein Tabu des Spiel- wie auch weitestgehend des Dokumentarfilms. Zu dieser Abstinenz gab es kaum Alternativen: Nicht nur, dass das offiziell zur "Friedenssicherung" gedachte Bauwerk deutlich nach innen, gegen die DDR ausgerichtet war und damit die "Schutzwall"-Propaganda unterlief, und nicht nur, dass dokumentarische Aufnahmen Informationen für Fluchtversuche hätten liefern können.
Die Tatsache, dass die Mauer eine Leerstelle im öffentlichen Diskurs bildete, wurde von einem ganzen Geflecht erzählerischer Metaphern und Stereotype überdeckt.
Renate Blume und Eberhard Esche in "Der geteilte Himmel" (1964) als Rita Seidel und Manfred Herrfurth. (© Bundesarchiv, Bild 183-C0825-0019-002 / Fotograf: o. Ang.)
Renate Blume und Eberhard Esche in "Der geteilte Himmel" (1964) als Rita Seidel und Manfred Herrfurth. (© Bundesarchiv, Bild 183-C0825-0019-002 / Fotograf: o. Ang.)
Konrad Wolfs "Der geteilte Himmel" (1964) – da muss Westdeutschland sein. Dort, wo dies alles Vergangenheit ist, ist DDR. Diese Analogien dienten der verdeckten Thematisierung der Mauer und zugleich ihrer Rechtfertigung. Das Filmmotiv des "Besuchs von drüben" musste dabei in solch stereotyper Weise gezeichnet werden, da es eine verbergende Funktion erfüllte.
Erst in den letzten Monaten des DDR-Kinos entstanden Filmentwürfe, die die Grenze selbst und die Frage ihrer Durchlässigkeit thematisierten. Diese Konkretisierungsversuche blieben ein kaum sichtbarer Teil der DEFA-Produktion, denn es handelt sich um Filme, die zwar erfunden, aber nicht realisiert wurden. Ein Blick auf zwei dieser geplanten Filmprojekte zeigt jedoch, dass Geschichten über Flucht, Aus- und Westreise durchaus präsent waren und dass zuletzt Wege gesucht wurden, sie zu erzählen.
Im Mai 1989 war ein DEFA-Film mit dem Titel "Zwischenaufenthalt" in Vorbereitung.
Ein anderer später Filmversuch über die Durch- bzw. Undurchlässigkeit der Grenze ist "Notizen für leere Blätter", über den die DEFA im Dezember 1988 einen Vertrag abschloss (Autor: Thomas Bischoff). Mittelpunkt dieser Gegenwartsgeschichte ist die "Republikflucht" einer jungen Frau im Jahr 1978. Ein in der DDR lebender Mann, der sie liebt, versucht einige Jahre später, die Gründe für ihre Flucht zu erkennen. Doch diese Liebe ist unmöglich: Nicht nur, weil die Rückkehr der Frau in die DDR von einem Anwalt in West-Berlin verhindert wird, sondern vor allem, weil die in den Westen geflüchtete Frau ausgesprochen negativ charakterisiert wird: Sie lügt, betrügt, nutzt andere aus, stiehlt, hurt, trinkt, benutzt eine rohe, den Zuschauer abstoßende Sprache. Ihr früheres Engagement in der DDR-Opposition wird als Flucht in Ideale und Faulheit denunziert, während andere das Geld für sie verdienen. Hier vermischt sich die Thematisierung des alten Tabus Flucht
Grenzüberquerungen
Verlässt man die innerfilmische Betrachtungsweise und die Frage nach den DDR-Imaginationen über Begegnungen von Ost und West, stößt man auf überraschend viel Gelingen im Kino der DDR: Vermittels des Filmhandels überquerten Spielfilme in einem ganz materiellen Sinne die Grenze.
Wie aus den Akten des Ministeriums für Kultur/Hauptverwaltung Film hervorgeht, erwarb der DEFA-Außenhandel in den 1970er- und 80er-Jahren jährlich etwa 35 bis 40 Spielfilme aus dem westlichen Ausland, was ungefähr einem Viertel der Filmimporte entsprach. Nach Zulassung durch die HV Film wurden die Filme an den DDR-Verleih "Progress" weiterverkauft, wo schließlich der Einsatz in den Kinos der DDR geplant wurde. Deren jährlicher Bedarf lag bei etwa 150 Filmen. Davon waren ca. 15 DEFA-Filme, zwei abendfüllende Dokumentarfilme und fünf Wiedereinsätze. Es blieben ungefähr 130 Spielfilme, die der DEFA-Außenhandel abzudecken hatte. Unter diesen waren, und zwar unabhängig vom Angebot, jeweils Proportionen zu wahren: Im Jahr 1977 sollten beispielsweise bei 125 ausländischen Filmen 33 aus der UdSSR stammen, 52 aus den restlichen sozialistischen Ländern und 40 aus "kapitalistischen Ländern" und "Nationalstaaten". Noch zehn Jahre später gab der Plan ein nahezu gleiches Verhältnis vor. Für die DDR-Einkaufsdelegation wurde es jedoch immer schwerer, diese Vorgaben zu erfüllen. Jahresanalysen und Planungen beklagten regelmäßig, dass es im Spielfilmangebot der osteuropäischen Vertragspartner an Komödien und Abenteuerfilmen mangele, an Filmen aus dem Sportmilieu, utopischen Filmen, Musikfilmen, spannenden Kriminalfilmen und anderen Unterhaltungsformaten. Da auch die DDR-eigene Filmproduktion diesen Bedarf qualitativ und quantitativ nicht abdecken konnte, mussten solche Filme im Westen eingekauft werden. Die Hauptverwaltung warnte bereits 1978: Es entstünde eine "Abhängigkeit des Spielplans", "da wir für die Spielplangestaltung auf wichtige künstlerische und publikumswirksame Filme des NSW angewiesen sind".
Der Filmeinkauf im Westen wurde nicht nur von einer wachsenden Orientierung des DDR-Spielplans an publikumswirksamen Unterhaltungsfilmen bestimmt. Auch bei der Suche nach kulturpolitisch geeigneten Produktionen wurden die Filmfunktionäre eher beim westlichen Spielfilmangebot fündig. Denn in den meisten Kinematographien der Ostblockstaaten hatte sich in den 1970er-Jahren ein Filmschaffen entwickelt, das sich – aus dem Blickwinkel der DDR – zu kritisch mit der jeweiligen sozialistischen Gesellschaft und deren stalinistischer Vergangenheit beschäftigte. Bereits Ende der 1970er-Jahre stellte die HV Film fest, die Übernahme solcher Filme werde zunehmend komplizierter – zehn Jahre später wurden allein noch Filme aus der ČSSR als "sichere Bank" eingeschätzt. Anstelle der osteuropäischen Ausfälle kamen albanische, chinesische oder lateinamerikanische Filme in die DDR-Kinos. In dieser Lage – das sozialistische Kino gab mehrheitlich "ein verzerrtes Bild des realen Sozialismus"
Plakat aus der DDR zum Film "Ödipussi" (1988) von Vicco von Bülows, alias Loriot. (© DEFA-Stiftung, Deutsches Filminstitut/Filmportal.de)
Plakat aus der DDR zum Film "Ödipussi" (1988) von Vicco von Bülows, alias Loriot. (© DEFA-Stiftung, Deutsches Filminstitut/Filmportal.de)
"Ödipussi" von Loriot ist das Beispiel eines aus offizieller Sicht idealen westdeutschen Filmes, bei dem alles glatt lief: Er sicherte volle Kinos, der Regisseur selbst hatte eine für die DDR prestigeträchtige, gleichzeitige Premiere in Ost- und West-Berlin gewünscht, der erste Teil der Veranstaltung fand im Ost-Berliner Filmtheater "Kosmos" am 9. März 1988 unter Anwesenheit des Ständigen Vertreters der Bundesrepublik statt, Loriot ließ sich im Pressegespräch von einem der 19 zugelassenen Westjournalisten nicht provozieren und beantwortete die Frage, warum diese Aufführung unter den in der DDR herrschenden Bedingungen überhaupt stattfinde, dass es ihm nicht um Politik, sondern um Kunst ginge, und schließlich verliefen auch die Zuschauerbefragungen "im Rahmen genehmigter Vorhaben", so der Bericht des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), "ohne Störungen".
Fremdheit
Bereits im April 1973 hatte das SED-Politbüro festgelegt, dass sich der Spielfilmimport aus westlichen Ländern auf Unterhaltungsfilme und Filme mit gesellschaftskritischer Tendenz zu konzentrieren habe. Letzterem ist auch der Neue Deutsche Film zuzuordnen, dessen Regisseure der DDR mit ihren Themen und mit ihrer kritischen Haltung gegenüber der Bundesrepublik nahe zu sein schienen. Gut vertreten waren hier die Filme Margarethe von Trottas: "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (1975), "Schwestern oder die Balance des Glücks" (1979), "Die bleierne Zeit" (1981), "Rosa Luxemburg" (1985), "Fürchten und Lieben" (1988). Dennoch herrschte gegenüber dem gesellschaftskritischen Film aus der Bundesrepublik bei den DDR-Filmverantwortlichen Skepsis. Denn der Neue Deutsche Film erwies sich nicht nur in Bezug auf Publikumszuspruch von geringer Wirksamkeit, sondern auch in ideologischer Hinsicht: Die Gesellschaftskritik dieser Filme berücksichtige "nur selten [den] Kontext der sozialen Zusammenhänge"
Was die HV Film von der Übernahme osteuropäischer Perestroika-Filme in die DDR-Kinos befürchtete, waren nichtkalkulierte Wirkungen und Interpretationen beim Publikum. Erstaunlicherweise wurde nicht gesehen, dass solche Rezeptionsangebote in viel stärkerem Maße von denjenigen Filmen ausgingen, die der DEFA-Außenhandel aus der Bundesrepublik importierte. Denn sowohl bei den gesellschaftskritischen Filmen wie auch bei den scheinbar unpolitischen Unterhaltungsfilmen handelte es sich um Filme, die in erster Linie für Aufführungen in der Bundesrepublik und für das dortige Publikum produziert worden waren. In dem, was sie erzählten und wie sie es erzählten, brachten sie daher Blickwinkel und Darstellungsweisen zum Ausdruck, die im westdeutschen Kontext selbstverständlich und alltäglich waren. In den Filmen selbst blieben sie folglich unkommentiert, im Rezeptionskontext der DDR fielen sie jedoch auf.
Welche Blickwinkel und Darstellungsweisen es waren, die hier ihre Alltäglichkeit einbüßten, lässt sich zum einen den Analysen der HV Film entnehmen, zum anderen der Analyse der importierten Filme selbst. Zunächst wird bei der HV Film die erwähnte Fremdheit gegenüber den westdeutschen Filmen sichtbar. Bei deren Einkauf wurden ideologische und ästhetische Kompromisse eingegangen, die im Wesentlichen in vier Bereichen ausgemacht werden können. Offizielles Missfallen erregte erstens eine wahrgenommene Brutalisierung in den filmischen Gewaltdarstellungen. Zweitens machte man in Bezug auf die "Erotisierung" der Filme Kompromisse – so etwa die HV Film 1979: "Schweinigeleien" und "erotische Szenen überfordern die Sehgewohnheiten unseres Publikums".
Der letztgenannte Punkt der DDR-Kritik am westdeutschen Film ist der interessanteste. Denn er bezieht sich am wenigsten auf bewusste Entscheidungen für Themen und Darstellungsweisen seitens der Regisseure und Produzenten, sondern auf tieferliegende Vorannahmen über privates, gesellschaftliches und politisches Miteinander. Aus den "Einschätzungen" der HV Film lässt sich ableiten, was unter "Psychologisierung" verstanden wurde: Sie vernachlässige, so die Kritik, die "soziale Determiniertheit" menschlichen Denkens und Handelns. Der Terminus "Psychologisierung" kann hiernach verstanden werden als ein Unbehagen der Funktionäre an der Privatheit und Individualität der in den Filmen dargestellten Konflikte und Handlungen. Damit ist allerdings nicht der Rückzug auf ausschließlich private Bereiche und Probleme gemeint, wie er eher im DDR-Film der 1980er-Jahre zu beobachten ist. Abgelehnt wurde in dem Begriff "Psychologisierung", dass der DDR-Zuschauer in den westdeutschen Filmen beobachten konnte, wie individuelle, gesellschaftliche und politische Ansprüche miteinander konkurrieren und sich gegenseitig durchdringen. Diese Absage an die Dominanz des Kollektivs wurde in der Wahrnehmung der DDR zur "Psychologisierung". Aus Sicht der HV Film war dies so schwerwiegend, dass schon 1971 in den "Grundsätzen für die Zulassung ausländischer Filme" definitiv festgelegt wurde: "Filme, die [...] sich immer mehr auf die Erforschung der menschlichen Psyche beschränken, sind im Spielplan zu vermeiden."
Margarethe von Trotta (2.v.r.) auf einer Pressekonferenz zu ihrem "Rosa Luxemburg"-Film im Ost-Berliner Palast-Hotel, 29. November 1986. (© Bundesarchiv Bild 183-1986-1128-024 / Fotograf: Ludwig Rauch)
Margarethe von Trotta (2.v.r.) auf einer Pressekonferenz zu ihrem "Rosa Luxemburg"-Film im Ost-Berliner Palast-Hotel, 29. November 1986. (© Bundesarchiv Bild 183-1986-1128-024 / Fotograf: Ludwig Rauch)
1986 kam Margarethe von Trottas "Rosa Luxemburg"-Film (1985) in die Kinos der DDR. Hier erinnert sich Luxemburg während ihrer Breslauer Haft an zurückliegende politische Auseinandersetzungen – Erinnerungen, die durchsetzt sind mit Zweifel und Angst, Erinnerungen an Freundschaften und Affären, mit Nachdenken und Gesprächen – was sie wiederum zu politischen Aktionen motiviert. Das Rezeptionsangebot des "Rosa Luxemburg"-Films von Trottas vermittelt das Bild eines gleichberechtigten Zusammen- und Aufeinanderwirkens von privatem und öffentlichem Handeln. Wie andersartig eine solchermaßen dargestellte Rosa Luxemburg in der DDR wirkte, und – vor allem – zu welch brisanten Diskussionen dies zu führen vermochte, hielt eine MfS-Information fest: Am 30. Oktober 1986 hatte bei großem Publikumsinteresse eine Aufführung des Films in der Akademie der Künste in Ost-Berlin stattgefunden. Das MfS berichtete, in der nachfolgenden Publikumsdiskussion sei es um die Frage gegangen, ob dieser Film nicht zu viel private Rosa gezeigt habe und ob er nicht notwendigerweise auch von der Gründung der KPD hätte erzählen müssen. Zwei Diskussionsredner mit einer "parteiliche[n] Haltung" hierzu seien vom Publikum belächelt worden. Zwei junge Diskussionsredner hätten hingegen die Meinung geäußert, "dass in der DDR, so in der Schule, Rosa Luxemburg nicht genügend behandelt werde, schon gar nicht ihr Privatleben, außerdem würden die Art und Weise der Vermittlung der Ideologie abstoßend wirken, so dass man sich deswegen schon nicht so damit beschäftigen würde." In solchen Gegenreaktionen drückt sich aus, dass das Publikum das Fehlen von komplexen Figuren- und Konfliktdarstellungen auch im DEFA-Film durchaus bemerkte – eine Wahrnehmung, die im Vergleich mit den bundesrepublikanischen Filmen umso deutlicher hervorstach.
Stereotype
Die vorangegangenen Überlegungen zusammenfassend lässt sich sagen: Der DDR-Film handelte Ost-West-Begegnungen bis zuletzt in starren, stereotypen Vorstellungen vom "Drüben" ab, und zwar unter Auslassung von Mauer und Grenze. An deren Stelle traten Analogien, die ein positives DDR-Selbstbild mit Feindbildern vom Westen kontrastierten. Zu diesen Feindbildern gehörte die Suggestion, dass politisches Denken und Handeln einerseits und das Beharren auf einem geschützten privaten Raum andererseits einander ausschließen. Aus dieser Manipulation bezogen die Feindbilder vom lächerlichen oder auch vom gefährlichen westdeutschen Spießbürger ihre Kraft. Die geschlossene Grenze ermöglichte den Bestand solcher Feindbilder, die in der Rezeption jedoch leicht auch in Wunschbilder umschlagen konnten.
Für solche Gegenreaktionen des Publikums bot sich der westdeutsche Film in den Kinos der DDR als geeigneter Hintergrund und Katalysator an. Der Import von Spielfilmen aus der Bundesrepublik führte somit zu Ost-West-Begegnungen, die das kollektivistisch geprägte DDR-Menschenbild entkräfteten: Nicht mit Gegenentwürfen vom Rückzug ins Private, sondern mit Erzählungen vom auch politisch souveränen Einzelnen. Die westdeutschen Filme erzählten dies besonders wirksam, da indirekt, in Form selbstverständlicher Alltäglichkeit. Kinofilme aus der Bundesrepublik trugen daher dazu bei, das Dogma vom Kollektiv als maßgebender Instanz innerhalb der DDR-Gesellschaft zu schwächen.