Haftarbeitslager in der DDR
Arbeitslager, so wird im Allgemeinen angenommen, dienten vor allem der Ausbeutung der Arbeitskraft von Inhaftierten. Insbesondere an nationalsozialistische Lagereinrichtungen wird man denken, möglicherweise auch an den Gulag der stalinistischen Sowjetunion. In beiden Gesellschaftssystemen waren Lager zumeist extralegale Sondereinrichtungen für Regimegegner unterschiedlicher politischer, religiöser oder ethnischer Zugehörigkeit. Zunächst liegt daher die Vermutung nahe, dass die DDR-Arbeitslager gewissermaßen in dieser "Tradition" standen, handelte es sich doch phänomenologisch um ähnliche Einrichtungen. Allerdings waren die Haftarbeitslager (HAL) in Ostdeutschland keine Einrichtungen eines mehr oder weniger permanenten Ausnahmezustandes,
In den DDR-Lagern saßen keine Straftäter, die sich wegen besonders schwerer Verbrechen zu verantworten hatten, sondern insbesondere Personen, die vergleichsweise kürzere Haftstrafen wegen leichterer Vergehen verbüßen mussten. Des Weiteren konnten auch "Langstrafer", die einen Teil ihrer Haftzeit bereits hinter sich gebracht hatten, in ein Lager verlegt werden. Die Haft in einem Arbeitslager wurde von den Verantwortlichen und auch von vielen Häftlingen als Vergünstigung angesehen. Die Haftbedingungen waren gelockert, es gab keine Zellen, sondern Gruppenunterkünfte, es bestand die Möglichkeit des Austauschs mit den Betriebsangehörigen des Arbeitseinsatzbetriebes und bis 1962 bestand die Option, durch Übererfüllung der Produktionsleistung die Haftzeit zu verkürzen, "Tage einzuarbeiten". Gleichwohl waren die Lager militärisch straff organisiert und geführt, das Leben dort sehr hart. In Lagerhaftanstalten sollte in einer besonderen Kombination aus sozialistischer Arbeit und politisch-kultureller Erziehung der "neue Mensch" nach Maßgabe der SED auch gegen Widerstände geschaffen werden.
"Die Erziehung zur Einhaltung der allgemeinen gesellschaftlichen Normen und Verhaltensweisen ist ein wesentliches Ziel der Erziehung im Strafvollzug. Letztlich sollen die Strafgefangenen nach ihrer Entlassung daran gewöhnt sein, sich gesellschaftsgemäß zu verhalten. [...] Erziehung im Strafvollzug bedeutet also Erziehung des Strafgefangenen zu einem Menschen mit Kollektivgeist, der in der Lage ist, seine Interessen mit den Interessen der Gesellschaft in Einklang zu bringen und auf die Entwicklung nicht gesellschaftsgemäßer Interessen zu verzichten."
Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, wie in den Lagern versucht wurde, jene erzieherische(n) Maßgabe(n) praktisch umzusetzen. Wie wurde auf Inhaftierte in Arbeitslagern der DDR Einfluss genommen, wie versuchte man sie zu erziehen? Dabei gestatten insbesondere die überlieferten Gefangenenakten intime Einblicke in die Praktiken hinter den Lagerzäunen. Bislang wurde den DDR-Gefangenenakten in der Forschung kaum Beachtung geschenkt, obwohl sich mit ihnen zahlreiche Rückschlüsse auf Leben und Arbeiten der Menschen in den Lagerhaftanstalten ziehen lassen.
I. Gefangenenakten als Quelle
Gefangenenakten sind aus allen Jahrzehnten der Existenz der DDR überliefert. Teilweise wurden sie jedoch vor ihrer Archivierung sehr stark ausgedünnt. So enthalten die Akten der Lager Sollstedt und Pöthen aus den späten Fünfzigerjahren kaum mehr als Aufnahme- und Abgangsbogen, Arbeitskarte, Arbeitsbescheinigung und Gesundheitskarte eines Gefangenen.
Haftarbeitslager Oelsnitz beim Gottes-Hilfe-Schacht um 1955. (© Bergbaumuseum Oelsnitz/Erzgebirge)
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Haftarbeitslager Oelsnitz beim Gottes-Hilfe-Schacht um 1955. (© Bergbaumuseum Oelsnitz/Erzgebirge)
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Ebenso können aus den nicht mehr vorhandenen Unterlagen Folgerungen gezogen werden. So waren die meisten Gefangenen in diesen Jahren zu kurz in den beiden genannten Lagern, um mit ihnen ein Erziehungsprogramm festzulegen und durchzuführen. Viele waren "Kurzstrafer" und arbeiteten zudem Tage ein, sodass sie das Lager oft bereits nach einigen Monaten wieder verließen. In den Inhaltsverzeichnissen der Akten finden sich daher keine Hinweise auf die Existenz von Erziehungsprogrammen oder gar Protokolle von Erziehungsgesprächen. Ehemalige Inhaftierte berichten davon, dass in den Fünfzigerjahren ohnehin keine Erziehungsgespräche oder ähnliches stattfanden.
Auch die Gefangenenakten aus den Siebzigerjahren sind stark ausgedünnt worden,
Spätestens in den Achtzigerjahren hatten die Gefangenenakten einen Umfang erreicht, der auf ernsthafte Versuche individueller Einflussnahme schließen lässt.
Insgesamt ist damit die Überlieferung in den Gefangenenakten insbesondere aus den Achtzigerjahren gut geeignet, um Theorie und Praxis der Erziehung in den Arbeitslagern der DDR einander gegenüberzustellen. Allerdings müssen stets weitere Materialien hinzugezogen und dürfen die Einschätzungen der Vollzugsangehörigen in den Akten nicht für bare Münze genommen werden. Man kann an den vorhandenen Unterlagen gleichwohl nachvollziehen, wie Angehörige des Strafvollzugs (SV) versuchten, die Erziehungsvorgaben ihrer Behörde umzusetzen. Dabei handelten einige schematisch, andere engagiert und durchaus mit Menschenkenntnis. Die Aufzeichnungen erlauben Rückschlüsse auf die Praktiken des Erziehens, damit verbunden des Bewertens und Einordnens von Menschen in die von der Vollzugsverwaltung erstellten Kategorien. Oft widerspiegeln sie insbesondere das, was falsch lief. Sie können nicht erklären, wie die zu Erziehenden dachten, inwieweit sie sich beeinflussen ließen. Ein Gefangener konnte seinen Erzieher täuschen, indem er falsche Tatsachen, andere Überzeugungen vorspielte. Insbesondere persönliche Briefe, die die Erzieher öffneten und auswerteten, legten viel eher offen, "wes Geistes Kind" ein Gefangener war. Die schriftlichen Hinterlassenschaften der Erzieher und des SV-Personals geben nur sehr begrenzt Aufschluss über mögliche Erziehungserfolge, aber sie gewähren tiefe Einblicke in die Arbeit des "Organs Strafvollzug".
II. "Umerziehung" im Spiegel von Gefangenenakten
Industrieanlagen des VEB Maxhütte in Unterwellenborn 1949. (© Bundesarchiv, Bild 183-S81540, Foto: Gerhard Graf)
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Industrieanlagen des VEB Maxhütte in Unterwellenborn 1949. (© Bundesarchiv, Bild 183-S81540, Foto: Gerhard Graf)
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In den ersten Jahren ihrer Existenz waren Haftlager unter der Verwaltung der Justizbehörden Bestandteil einer Strafvollzugsreform, die von reaktivierten Gefängnisreformern der Weimarer Republik konzipiert wurde. In den Haftlagern sollten Gefangene mit kürzeren Haftstrafen unter gelockerten Bedingungen in produktive Arbeit gebracht werden. Einen solchen Weg beschritt ab 1949 das Lager bei der Maxhütte Unterwellenborn.
Erst in den folgenden Jahren, nachdem das Ministerium des Innern (MdI) die Lager 1951 übernommen hatte, wurden die Hafteinrichtungen zu reinen Arbeitslagern, in denen die Erziehungsbemühungen auf ein Minimum schrumpften. Nicht zuletzt der Einsatz zahlreicher Gefangener im Schichtdienst erschwerte eine erzieherische Einflussnahme erheblich. Die größte Sorge der Verantwortlichen galt der Inarbeitbringung der Strafgefangenen.
Erst in den Sechzigerjahren wurden ältere Überlegungen wieder aufgegriffen. Vollzugstheoretiker wiesen darauf hin, dass Arbeit allein einen Menschen nicht bessern könne, wenn sie nicht von politisch-kulturellen Erziehungsmaßnahmen begleitet werde. Politisch-aktuelle Gespräche, Politinformationen und Wandzeitungen, Vorträge und Produktionsberatungen hielten (wieder) Einzug in den Lagern. Zudem sollte Häftlingen die Möglichkeit gegeben werden, sich beruflich weiterzuqualifizieren oder Schulabschlüsse nachzuholen. Das Spektrum der Erziehungsmaßnahmen wurde also diversifiziert. Zentral blieb allerdings der Arbeitseinsatz der Gefangenen, auf den die DDR-Staatswirtschaft immer weniger verzichten konnte.
Stets dauerte es einige Zeit, bis diese und andere theoretische Innovationen umgesetzt wurden. Die Bemühungen darum belegen einige für den Dienstalltag wichtige Publikationen, die zwischen 1979 und 1982 erschienen.
III. "Umerziehung" in den Achtzigerjahren
Vor allem mit den Gefangenenakten des letzten Jahrzehnts der DDR lässt sich abbilden, wie die Vollzugsangehörigen ihren Erziehungsauftrag in den Lagern umsetzten. Dies geschieht hier anhand eines konkreten Falls aus dem Unterwellenborner Lager.
Gegen den Gefangenen W. wurde 1980 aufgrund von "Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch asoziales Verhalten" Haftbefehl erlassen. Er wurde nach § 249 des Strafgesetzbuches der DDR zu einer Haftstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Ein Auszug zeigt, dass W. bereits als Schüler wegen Körperverletzung zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt und zu einem 10.-Klasse-Abschluss, fünf Tagen gemeinnütziger Freizeitarbeit sowie monatlicher Berichtspflicht unter Androhung einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verpflichtet worden war. Diese Vorstrafe wurde nun angerechnet. Nach der Untersuchungshaft und dem Ergehen des Urteils verlegte man W. in das Arbeitslager Unterwellenborn, wo der zuständige SV-Angehörige ein Aufnahmegespräch mit ihm führte.
Dieses erste Gespräch diente dem Kennenlernen des Gefangenen. Auf einem speziellen Formular hielt der Erzieher Angaben zu Charaktereigenschaften und Persönlichkeitsmerkmalen fest und machte sich Notizen zum Verhalten des Inhaftierten während des Gesprächs: W. sei aufgeschlossen, habe aber eine "lasche Haltung". Erzieher und Strafgefangener sprachen über Schuldbekenntnis und Bereitschaft zu Bewährung und Wiedergutmachung. Auf der Rückseite des Formulars war Raum für Eintragungen zu "Strukturmerkmalen der Persönlichkeitsentwicklung", die der Strafvollzug an Dingen wie geordneter sozialer Entwicklung, geordneten Familienverhältnissen, gesellschaftlicher Arbeit, Wehrdienst und Mitgliedschaft in gesellschaftlichen Organisationen festmachte. Beim Aufnahmegespräch wurde mit dem Gefangenen die Höhe der Rücklage festgelegt, die monatlich bis zur Entlassung angespart werden sollte. W. wollte 20 Mark im Monat zurücklegen, um 300 Mark ansammeln zu können.
Offenbar waren die Vollzugsverantwortlichen tatsächlich darauf bedacht, eine präzise Einschätzung eines Gefangenen vorzunehmen, um ihn erziehen zu können. Maßnahmen hierfür wurden in einem Erziehungsprogramm festgelegt, das Angaben zur Persönlichkeit des Gefangenen sowie zu Schwerpunkten und Tätigkeiten der Erziehung, etwa staatsbürgerlichen Schulungen, enthielt. Verhalten und Umgang eines Gefangenen sollten stets kontrolliert und in regelmäßigen Abständen mit ihm ausgewertet werden.
© Bundesarchiv, Bild 183-1989-0425-019)
Industrieanlagen des VEB Maxhütte Unterwellenborn 1989. (© Jan Peter Kasper © Bundesarchiv, Bild 183-1989-0425-019)
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Industrieanlagen des VEB Maxhütte Unterwellenborn 1989. (© Jan Peter Kasper © Bundesarchiv, Bild 183-1989-0425-019)
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Bald nach der Aufnahme des Gefangenen W. in das Lager Unterwellenborn erfolgte tatsächlich das erste Erziehungsgespräch, worüber der Durchführende handschriftlich Nachweis führte. Offensichtlich zeigte sich der Häftling zu dieser Zeit noch willig, durch gute Leistungen seine vorzeitige Entlassung auf Bewährung zu erreichen: "Während des Gesprächs war W. sachlich u. aufgeschlossen u. diszipliniert, redet relativ viel." In anderen Fällen fielen die Notizen erheblich knapper aus. Hier gab es deutliche Unterschiede zwischen den Erziehern.
Schon knapp zehn Tage später legte der Verantwortliche eine weitere Kurzeinschätzung des Betragens des Gefangenen an. Beurteilt wurde W. anhand seines Gesamtverhaltens, seiner Disziplinarstrafen, seiner Anerkennungen bzw. der verfügten Sicherungsmaßnahmen, der persönlichen Ordnung und Sauberkeit und aufgefallenen Besonderheiten. Sein Gesamtverhalten war ohne wesentliche Beanstandungen, sein Auftreten ruhig und diszipliniert, seine Arbeitsleistungen gut; sein Verhalten im Strafgefangenenkollektiv war verträglich, so der SV-Angehörige, der seinen Erziehungsauftrag ernst zu nehmen schien.
Gut zweieinhalb Monate nach seiner Einweisung legte der zuständige Erzieher einen Führungsbericht an, in dem eingeschätzt werden sollte, ob der Gefangene bereits für eine bedingte Strafaussetzung in Frage käme. Hier zeigen sich nun die Richtwerte, an denen das Vollzugswesen die Besserung eines Gefangenen, also Erziehungserfolge, messen wollte. Angeführt wurden eine allgemeine Beurteilung des Gefangenen und Angaben darüber, wie er sich führte, es folgten die sehr bedeutsame Einschätzungen seiner politischen Grundhaltung sowie seiner Arbeitsleistung. Gerade die beiden letztgenannten Bewertungen entschieden über das weitere Schicksal eines Sträflings. Wurden hier keine Verbesserungen festgestellt, war an eine Strafaussetzung auf Bewährung nicht zu denken – wie im Falle von W., dessen "politische Grundhaltung" laut Erzieher "als negativ eingeschätzt werden" müsse. Und sein Arbeitseinsatzbetrieb, der VEB Transportgummi Bad Blankenburg, meldete dem Strafvollzug, dass W. "zwar in der Lage ist, gute Leistungen zu vollbringen, jedoch aufgrund seiner mangelnden Einstellung zur Arbeit dieses nur erreicht wird, wenn er ständig unter Kontrolle bzw. des staatlichen Zwanges [sic!] steht."
Möglicherweise veränderte sich unter dem Eindruck der abgelehnten Entlassung auf Bewährung W.'s Verhalten. Während er anfangs bereit zu sein schien, sich auf die Erziehungsvorgaben der Vollzugsangehörigen einzulassen, legte er in der Folgezeit in deren Augen ein eher renitentes Verhalten an den Tag. Davon zeugen die Nachweise über Disziplinarmaßnahmen in seiner Akte. Im Mai 1980 etwa erhielt der Gefangene eine Verwarnung wegen Arbeitsverweigerung: Er hatte sich von einem SV-Angehörigen ungerecht behandelt gefühlt. Dafür wurde er mit Arrest bestraft. Vor dem Strafantritt wurden ihm verschiedene persönliche Dinge abgenommen, die er nach der Arreststrafe zunächst nicht zurückerhielt. Grund genug für ihn, eine Beschwerde einzureichen, der prompt stattgegeben wurde.
An anderer Stelle legte sich W. mit einem SV-Angehörigen wegen der Ausgabe von Tabletten an. Deshalb wurde mit ihm eine Aussprache geführt. Regelmäßig beschwerte er sich über das Verhalten von Vollzugsangehörigen, verlangte und erhielt auch eine Unterredung mit dem für die Haftaufsicht zuständigen Staatsanwalt. Das hatte zur Folge, dass ein gegen W. gerichteter Gesäßtritt eines SV-Angehörigen disziplinarisch geahndet wurde, weil der Wärter gegen die "sozialistische Gesetzlichkeit" verstoßen hatte. Die Gefangenen waren also nicht vollkommen rechtlos oder gar der Willkür des Vollzuges völlig hilflos ausgeliefert, jedenfalls nicht mehr in den Achtzigerjahren.
Nachdem W. die Möglichkeiten der Gegenwehr erkannt hatte, begann er offenbar den Vollzugsangehörigen regelrecht herauszufordern. Die in der Akte vorhandene Entwicklungsübersicht zeigt, dass er zunehmend "trotzig" auftrat. W. wird beschrieben als "charakterlich unausgeglichen, schnell erregbar, unsachlich und stur". Zwischenzeitlich hatte der Gefangene in einem weiteren Erziehungsgespräch ganz offen mit der Antragstellung auf Übersiedlung in die Bundesrepublik gedroht. Außerdem forderte er unverhohlen eine Umschulung zum Gärtner, die der Strafvollzug ihm ermöglichen sollte. Mitte September hatte W. illegal ferngesehen, nachdem eine Gruppe von Inhaftierten den Fernsehraum eigenmächtig geöffnet und den Fernsehschrank aufgebrochen hatte. Gegen Ende des Jahres 1980 machte W. Schwierigkeiten beim Wecken und beim Bettenbau, was disziplinarisch geahndet wurde. Erst im November hatte er für seine "Eskapaden" mit fünf Tagen Einzelarrest gebüßt. Im Kommando war er zu diesem Zeitpunkt eindeutig als einer der Unruheherde auszumachen, so die Vollzugsangehörigen. Zu allem Überfluss kündigte W. in einem Brief an einen Freund an, nach der Entlassung mit ihm einen "abtrinken" zu wollen. "Die 6 Monate sind doch geschenkt.", teilte er seinem Bekannten postalisch mit. Offenbar hatte der Vollzug im Lager jeglichen Abschreckungseffekt verloren.
Die Strafvollzugsangehörigen reagierten im Fall W. offenbar nicht mit subtileren Sanktionsmitteln, was durchaus möglich gewesen wäre. Am Ende resignierten die Verantwortlichen. In der Abschlussbeurteilung wurde vermerkt, dass der Gefangene W. öfter die Arbeit verweigerte, sich illegal tätowierte oder gar SV-Angehörige bedrohte bzw. beleidigte. Er wurde achtmal disziplinarisch zur Verantwortung gezogen. Alle eingeleiteten Maßnahmen hatten keinerlei Erfolg gebracht.
Es handelt sich hier nicht um einen Einzelfall, wie andere Gefangenakten nachdrücklich belegen. Spätestens in den Achtzigerjahren war die Haft in einem Arbeitslager gleichbedeutend mit der Unterbringung in einer baulich etwas anders angelegten Vollzugseinrichtung. Die Inhaftierten sollten vielleicht auf dem Papier umerzogen und zu "neuen" Menschen gemacht werden. Lässt man die Ideologie beiseite, handelte es sich aber in praxi um Steuerungs- und Einwirkungsversuche, wie sie in vielen Vollzugssystemen der Welt üblich waren und sind. Wie dort nahm wenigstens ein Teil der Vollzugsangehörigen den Erziehungsauftrag ernst, setzte sich mit einem Gefangenen auseinander, war gewillt, Perspektiven aufzuzeigen. Aber auch in der DDR scheiterten diese Versuche oft nicht zuletzt an den Menschen, an die sie sich richteten. Gerade in den Achtzigerjahren vermochten die sozialistischen Heilsversprechen der SED immer weniger DDR-Bürger zu überzeugen.
Fazit
Während insbesondere in den Fünfzigerjahren die starre Staatsdoktrin vorgab, im Strafvollzug unter Anwendung von Zwang einen besseren Menschen zu formen, war die Realität in den Arbeitslagern davon weit entfernt. Vor allem in diesen frühen Jahren der DDR ging es vorrangig darum, Häftlinge zu produktivieren. Begleitende Maßnahmen der politisch-kulturellen Erziehung waren, wenn sie denn überhaupt durchgeführt wurden, nicht mehr als ein Zeitvertreib in den arbeitsfreien Stunden. Von politischen wie kriminellen Strafgefangenen gleichermaßen ungeliebt, waren die hehren Versuche der Beeinflussung und Erziehung Gefangener im Sinne der geltenden Staatsideologie von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
Auch die im Laufe der Jahre zunehmend individuelle Beschäftigung mit den Gefangenen und spezifischere Einflussnahme auf sie änderte daran nichts Grundlegendes. Zwar standen und stehen alle Vollzugssysteme der Welt vor ähnlichen Problemen der "Besserung" Straffälliger; aber die Verantwortlichen in der DDR wollten eben mehr. Sie beabsichtigten, nicht einfach Bürger aus dem Strafvollzug zu entlassen, die in Zukunft die Gesetze achten würden. Der Anspruch des DDR-Vollzugswesens war es vielmehr, einen sozialistischen Menschen wiedereinzugliedern.
Unmöglich scheint es, propagierte Erziehungserfolge auf ihren Tiefgang zu überprüfen. Oftmals handelte es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um bloße Anpassungsleistungen. Kaum ein Strafgefangener wird eines der Lager als glühender Kommunist verlassen haben. Dies gilt insbesondere für politische Gefangene, deren Gegnerschaft zum SED-Regime eher gewachsen sein dürfte, aber auch für kriminelle Gefangene, die politische Fragen oft überhaupt nicht interessierten. Strafvollzugsangehörige warfen vielen Häftlingen vor, dass ihnen Bildung und Intelligenz fehlten und ihnen die einfachsten politischen Zusammenhänge nicht begreiflich zu machen seien.