Einleitung
Von April 1995 bis Oktober 1999 wurde in deutschen und österreichischen Städten die Wanderausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" gezeigt, die das Hamburger Institut für Sozialforschung organisiert und finanziert hatte. Im November 1999 erklärte Jan Philipp Reemtsma, Leiter und Finanzier des Instituts, ein Moratorium für die Ausstellung, um sie auf etwaige sachliche Fehler zu überprüfen, die laut geworden waren.
Die Überprüfung dauerte mehrere Monate und erschütterte Reemtsma sichtbar, denn die sachlichen Mängel, Fehler und Manipulationen waren zahlreich und gravierend. So hatten die Ausstellungsmacher mehrere Dutzend Bilder mit "abweichenden Bildlegenden" (mindestens 45) versehen, das heißt mit selbst erfundenen und dazu auch falschen. Sie hatten mehrere Fotos, die jeweils verschiedene Ereignisse zeigten, zu Bildgeschichten/"Bildfolgen" montiert, die sie dann vielfach mit einheitlichen und falschen Bildlegenden versahen, wodurch "dramatische Effekte erzielt" und "das Geschehen visuell dramatisiert" wurde. Es gab mindestens 16 solche Bildgeschichten in der Ausstellung.
Ferner präsentierten die Aussteller Fotos zum selben Tatkomplex in verschiedenen Zusammenhängen und mit verschiedenen Begleittexten. Sie führten erpresste "Geständnisse" und andere zweifelhafte Dokumente als glaubwürdige Quellen an. Hinzu kamen besonders aussagekräftige Fotos, die Leichenberge zeigten, welche jedoch nicht Verbrechen der Wehrmacht dokumentierten, wie die Aussteller behaupteten, sondern sowjetische. In mindestens zwei Fällen verwechselten die Aussteller finnische Soldaten mit deutschen und vieles mehr.
Die Beseitigung und Korrektur all dieser Mängel, Fehler und Manipulationen hätte die Ausstellung bis zur Unkenntlichkeit verändert. Jan Philipp Reemtsma stellte am 23. November 2001 fest, dass "weitreichende Eingriffe in Argumentationsweise und Ästhetik der alten Ausstellung nötig" wären, um die bestätigten Kritikpunkte zu berücksichtigten, so "daß gleichsam von selbst eine Transformation in eine neue stattfände."
Gleichwohl reduzieren manche Befürworter der alten Ausstellung bis heute die zahlreichen Fehler auf einige wenige Fotos, die nicht korrekt zugeordnet worden seien. Die offenkundigen Manipulationen übergehen sie.
Trotz (oder dank) ihrer gravierenden Mängel war und ist die (erste) Wehrmachtsausstellung hinsichtlich der Emotionen, die sie auslöste, ohne Beispiel in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Es stellt sich nun die Frage, welche Faktoren dieses Interesse und diese Emotionen hervorgerufen haben mögen. Nicht wenige haben noch während des Bestehens der Ausstellung danach gefragt. Damals überwog die Auffassung, dass die Ausstellung ein Tabu gebrochen und die Legende von der "sauberen" Wehrmacht zerstört habe. Dies habe heftige und emotionale Abwehrreaktionen von Betroffenen, Hunderttausender noch lebender ehemaliger Soldaten, ausgelöst, die mit ihrer "Lebenslüge" von der "sauberen" Wehrmacht konfrontiert worden seien. Sie hätten die Ergebnisse der historischen Forschung, die in der Ausstellung präsentiert worden seien, nicht akzeptieren wollen.
Diese Deutungen gingen von der Prämisse aus, die Ausstellung präsentiere gesicherte wissenschaftliche Forschungsergebnisse und sei "faktentreu" gewesen. Helmut Konrad, ein Grazer Zeithistoriker, erklärte im Jahre 1997 laut Zeitungsberichten: "Alle Zeithistoriker mit Lehrstuhl stehen der Ausstellung positiv gegenüber und bescheinigen ihr wissenschaftliche Seriosität in der Bearbeitung des Themas." Und er führte weiter aus, "die Schau sei sorgfältig und sauber gearbeitet und sicher mit weniger Fehlern behaftet als praktisch jede andere historische Ausstellung."
Dies war aber falsch, wie sich später herausstellen sollte. Insofern gingen die erwähnten Erklärungsansätze an den Tatsachen vorbei. Folglich müssen die Ursachen für den außergewöhnlichen Erfolg der Ausstellung woanders gesucht werden. Sie lassen sich auch nicht monokausal erklären. Vielmehr handelt es sich um ein Bündel von sich gegenseitig bedingenden Ursachen, Umständen und Elementen: das gesellschaftspolitische Klima (der geschichtspolitische Ort), der mediale Kontext, der Umgang der Aussteller mit der Öffentlichkeit sowie die Politisierung der Ausstellung und Polarisierung der öffentlichen Meinung.
Vergangenheitsbewältigung und Geschichtskultur der 1990er-Jahre
Der Umgang der deutschen Gesellschaft mit der NS-Vergangenheit hat sich von 1945 bis in die 1990er-Jahre grundlegend gewandelt. Nach einer kurzen Periode der von den Alliierten verordneten Abrechnung mit der NS-Vergangenheit folgte in den 1950er-Jahren kollektives Verdrängen. Ab Ende des Jahrzehnts zeichnete sich ein Wandel in der Einstellung breiter Kreise der deutschen Gesellschaft gegenüber der NS-Vergangenheit ab. Bis heute hat sich das Bild der NS-Zeit fundamental geändert. In das Zentrum der Betrachtung rückte allmählich der Mord an europäischen Juden, der heute sowohl in Deutschland als auch in den anderen westlichen Ländern die Diskussionen über die NS-Vergangenheit dominiert.
In den 1970er- und 80er-Jahren entwickelte sich die kritische Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte zu einem der Grundprinzipien der deutschen Innen- und Außenpolitik. Auch die heutige Bundesrepublik definiert sich durch ihre kritische Distanz zur NS-Zeit, durch die Politik der sogenannten Vergangenheitsbewältigung, die sich nach Helmut Dubiel durch die "fast religiöse Sehnsucht nach einer radikalen Abkehr von der Vergangenheit" auszeichne.
Man sprach sogar von einem "negativen Nationalismus", den Aleida Assmann wie folgt definierte: "Im Zentrum dieser Form des Nationalismus steht eine Sakralisierung des Holocaust, eine 'Holocaustfixierung', die die Vernichtung der Juden zur negativen Sinnstiftung deutscher Geschichte macht. [...] Der Nationalstolz findet eine Umkehrung im deutschen 'Schuldstolz' (G[yörgy] Konrad)."
In den 1990er-Jahren bekam der ritualisierte Prozess der Vergangenheitsbewältigung einen neuen Schub, der sich durch hohe Emotionalisierung und Mobilisierung individueller Betroffenheit auszeichnete. Und gerade die Wehrmachtsausstellung entwickelte sich zu einem Symbol und einem festen Bestandteil dieser Etappe der deutschen Vergangenheitsbewältigung. Sie brachte neue Impulse in die eingefahrene und mechanische Routine der Vergangenheitsbewältigung der 1980er-Jahre ein. Die Ausstellung jagte "Schrecken" ein, setzte Emotionen frei und artete teilweise in eine kollektive Hysterie (so wurde es nötig, einen Seelsorge-Dienst für Ausstellungsbesucher einzurichten) und Krawalle aus.
Die Gegner und Befürworter der Ausstellung gründeten Förder-, Träger-, Initiativ- bzw. Anti-Wehrmachtsausstellung-Vereine, sie schrieben Petitionen und füllten Zeitungsspalten mit Leserbriefen, sie protestierten und demonstrierten, lieferten sich Rededuelle und zuweilen Straßenschlachten. Es gab Sachschäden, Verletzte, Verhaftete, Morddrohungen, Bombenanschläge und zahlreiche Anklagen und Gerichtsprozesse. Im Mittelpunkt all dieser Geschehnisse stand die Wehrmachtsausstellung. Sie wurde bald zu einem beinahe religiösen Kultobjekt und Symbol des Kampfes gegen die "Ewiggestrigen", gegen die "revisionistischen" Kräfte in Deutschland, welche die deutsche Schuld nicht akzeptieren wollten.
Die Eröffnungsveranstaltungen an den einzelnen Stationen der Ausstellung, an denen regelmäßig Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens teilnahmen, wurden immer feierlicher, sie zogen Tausende von Besuchern und Hunderte von Journalisten an. Ausstellungsorte entwickelten sich zu Pilgerstätten, zu denen ganze Schulklassen im Rahmen des Unterrichts geführt wurden. Jan Philipp Reemtsma stellte in einem Interview selbstkritisch fest: "Oft wurde die intellektuelle Auseinandersetzung verlassen, und der Ausstellungsbesuch bekam etwas Religiös-Bekenntnishaftes."
Auch die Ausstellungsräume wurden immer repräsentativer, vom ehemaligen Fabrikgebäude Kampnagel in Hamburg, dem Foyer der Humboldt-Universität in Berlin, den Rathäusern in München, Bremen und Hannover, der Paulskirche in Frankfurt am Main bis zu Gebäuden des Schleswig-Holsteinischen Landtages in Kiel. Es gab sogar die Initiative, die Ausstellung im Bundestag zu zeigen, die jedoch im April 1997 scheiterte.
Die Schau wurde zum Gegenstand zahlreicher zum Teil bewegender Landtagsdebatten (in Bremen, Wiesbaden, Hannover, Kiel, Saarbrücken und Hamburg) und löste beinahe eine Regierungskrise in Bremen aus.
Eine wichtige Etappe in dem Wandel der Ausstellung zum fast religiösen Kultobjekt des vereinigten Deutschlands war die Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille der Internationalen Liga für Menschenrechte an die Ausstellungsmacher im Dezember 1997.
Der Vorsitzende des Hamburger Institus für Sozialforschung Jan Philipp Reemtsma, und die Kuratoriumsmitglieder des Vereins zur Foerderung der Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" Franz Vranitzky, Ex-Bundeskanzler Österreichs, mitte, und der ehemalige Vorsitzende der SPD Hans-Jochen Vogel auf einer Pressekonferenz am Dienstag, 22.Juni 1999, in Hamburg. (© AP, Foto: Michael Probst)
Der Vorsitzende des Hamburger Institus für Sozialforschung Jan Philipp Reemtsma, und die Kuratoriumsmitglieder des Vereins zur Foerderung der Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" Franz Vranitzky, Ex-Bundeskanzler Österreichs, mitte, und der ehemalige Vorsitzende der SPD Hans-Jochen Vogel auf einer Pressekonferenz am Dienstag, 22.Juni 1999, in Hamburg. (© AP, Foto: Michael Probst)
Mit der Gründung des "Vereins zur Förderung der Ausstellung Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944", der am 1. August 1999 die Ausstellung vom Hamburger Institut für Sozialforschung übernahm, fand diese Entwicklung ihren vorläufigen Höhepunkt. Zu den Mitglieder des Trägervereins gehörten unter anderen der damalige Bundesinnenminister Otto Schily, Ignatz Bubis, Hans Koschnick, Hans-Jochen Vogel und Franz Vranitzky. Dem Verein stand ein wissenschaftlicher Beirat aus 22 Historikern zur Seite, die der Ausstellung das Siegel der Wissenschaftlichkeit verliehen. Auf Provinzebene bildeten sich ähnliche Vereine, etwa in Düsseldorf.
Paradoxerweise wurde eine Ausstellung, die darauf abzielte, den Mythos von der "sauberen" Wehrmacht zu zerstören, selbst zu einem Mythos.
Noch im Sommer 1999 glaubten viele, dass "die Ausstellung die Wahrnehmung deutscher Geschichte und Gegenwart in den kommenden Jahren nachdrücklich bestimmen" werde, und zwar nicht nur in Deutschland.
Die Ausstellung als Medienereignis
Von Beginn an war das Interesse der Medien an der Ausstellung groß, keineswegs aber konstant. Dies bezieht sich sowohl auf die Intensität als auch auf den Fokus der medialen Aufmerksamkeit. Bereits die Eröffnung der Ausstellung in Hamburg am 5. März 1995 stieß auf ein bemerkenswertes mediales Interesse, was auf die professionelle Öffentlichkeitsarbeit der Organisatoren hinweist. Zugleich zeigt dies die Bereitschaft der Medien, sich dieses Themas anzunehmen. Die wichtigsten deutschen Presseorgane wie "Die Zeit", "Der Spiegel", die "Frankfurter Allgemeine", "Die Welt", die "Frankfurter Rundschau", die "Süddeutsche Zeitung", die "taz" sowie Kulturkanäle in Rundfunk und Fernsehen berichteten darüber. Sogar die ausländische Presse fand es wichtig, ihre Leser darüber zu informieren.
In dieser Phase berichteten die Medien über die Thesen der Ausstellung und die Inhalte, also die gezeigten Bilder, ohne sie jedoch kritisch zu hinterfragen. Bald ließ jedoch das Interesse der überregionalen Medien nach, denn die Thesen und Inhalte waren nach einigen Monaten keine Neuigkeit mehr. Ab Mai/Juni 1995 beschränkte sich die Berichterstattung weitgehend auf regionale Medien in jenen Städten, wo die Ausstellung gerade gezeigt wurde. Auch hier wurde über Inhalte und Thesen der Ausstellung berichtet.
Im folgenden Jahr blieb die Ausstellung ein Thema vorwiegend für die regionale Presse. Immer häufiger wurde aber auch über die Proteste und Konflikte, die die Ausstellung auslöste, berichtet. Das Interesse der überregionalen Medien erwachte erneut Anfang 1997, als die Ausstellung in München weltweit Schlagzeilen machte. Der Anlass waren aber nicht mehr Thesen und Inhalte der Ausstellung, sondern der Konflikt um sie. Im Frühjahr 1997 berichteten regelmäßig alle Medien über die Demonstrationen gegen und für die Ausstellung, über Aufmärsche der Neonazis und Linksradikalen, Straßenschlachten, Krawalle, Polizeieinsätze, Verhaftete, Verletzte, Sachschäden. In dieser Zeit verschob sich der Fokus der medialen Aufmerksamkeit endgültig von den Inhalten und Thesen auf den Konflikt um die Ausstellung: Die Kontroverse wurde zu einem nationalen und sogar globalen Medienereignis.
In der Folgezeit verharrte die Aufmerksamkeit der überregionalen Medien auf einem hohen Niveau, denn der Konflikt um die Ausstellung deeskalierte keineswegs. Ab 1997 wurde sie auf all ihren Stationen von Aufmärschen, Krawallen, Protesten und heftigen Debatten begleitet. Sie war immer dort ein heißes Thema, wo sie gerade gezeigt wurde. Im Januar 1999 kam zu besonders gewalttätigen Auseinandersetzungen in Kiel (mit zehn Verletzten und hohen Sachschäden), am 9. März 1999 wurde in Saarbrücken ein Bombenanschlag auf die Ausstellung verübt.
Parallel zu dem anschwellenden Medienecho stieg die Besucherzahl der Ausstellung. In Hamburg (7.3.–14.4.1995) waren es 7.000, in Potsdam (10.5.–22.6.1995) 2.500, in Stuttgart (10.9.–12.10.1995) etwa 10.000.
Besucherin in der Wehrmachtausstellung in Frankfurt am Main, April 1997. (© AP)
Besucherin in der Wehrmachtausstellung in Frankfurt am Main, April 1997. (© AP)
in Frankfurt am Main (13.4.–23.5.1997) waren es 100.000.
In mehr als vier Jahren bauten die Medien die Ausstellung zu einem außergewöhnlichen Ereignis auf, um sie zum Schluss in wenigen Wochen noch spektakulärer zu demontieren.
Politisierung und Polarisierung: Verhältnis zur Ausstellung als Prüfstein demokratischer Reife
Keine zeithistorische Debatte war in der Geschichte der Bundesrepublik so politisiert und keine wirkte so polarisierend wie die um die Ausstellung. Sie war von Anfang an ein Politikum, das im Lauf der Zeit an Brisanz gewann und die deutsche Öffentlichkeit in zwei Lager spaltete: in Gegner und Befürworter der Ausstellung.
In der Regel bestimmte die politische Einstellung der Kontrahenten, ob jemand für oder gegen die Ausstellung war. So sprachen sich die konservativen Parteien (CDU und CSU) im Allgemeinen gegen die Ausstellung aus. In der FDP und der SPD waren die Fronten nicht mehr so klar, die FDP tendierte jedoch eher gegen und die SPD überwiegend für die Ausstellung. Grüne und PDS waren von Anfang an für die Ausstellung, ihre Thesen und Inhalte fanden in diesem politischen Spektrum geradezu reflexartig einen vorbehaltlosen Zuspruch. Den Kontrast dazu bildete die instinktive und ebenfalls reflexartige Ablehnung auf der politischen Gegenseite.
Befürworter sprachen von "Tabubruch", "Verantwortung für die NS-Vergangenheit", "Moral" und "historischen Tatsachen" und polemisierten gegen die "Ewiggestrigen". Die Gegner empörten sich über "Geschichtsklitterung", "Generalisierung", "Kollektivschuld", "Pauschalurteil" und "Diffamierung". Je mehr nach links oder rechts die politische Einstellung der jeweiligen Akteure (etwa PDS, verschiedene Antifa-Komitees; Republikaner oder DVU) tendierte, desto heftiger und emotionaler fielen die Stellungnahmen dafür oder dagegen aus.
In den ersten Wochen hofften die Gegner der Ausstellung noch, dass das öffentliche Interesse an der Schau bald abflauen und sie gewissermaßen eines natürlichen Todes sterben würde. Diese Hoffnung verflog jedoch rasch. Am 25. April 1995 schrieb der Ehrenvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion Alfred Dregger an den Bundesverteidigungsminister Volker Rühe: "Die ursprünglich wohl sinnvolle Strategie, diese Ausstellung im wahrsten Sinne des Wortes 'links' liegen zu lassen, ist damit überholt."
Außer den Thesen, die polarisierten und die teilweise heftige Reaktionen hervorriefen, trug das organisatorische Verfahren, das mit dieser Ausstellung einherging, zur weiteren Politisierung des Konflikts um sie bei. Die Schau war als Wanderausstellung angelegt. Um sie zeigen zu können, mussten an den jeweiligen Orten finanzielle Mittel und Räume besorgt werden. So war allein eine Mindestsumme von 30.000 DM notwendig, um die Ausstellungstafeln an den gewünschten Ort zu holen. Hinzu kamen Kosten für Begleitprogramme, Betreuung vor Ort (Führung, Überwachung), Räume usw.: "Das Verfahren der Antragstellung zur Finanzierung der Ausstellung mit öffentlichen Mitteln mobilisiert die am Ort einflußreichen politischen Akteure – Parteien, Bürgermeister, Organisationen, Kirchen, Vereine, Interessengruppen – und spaltet sie durch die Prozedur der Mehrheitsentscheidung in Gegner und Befürworter, Sieger und Unterlegene."
Beispielsweise beantragten die Grünen beim Präsidium des Baden-Württembergischen Landtags, die Ausstellung im Foyer des Parlaments in Stuttgart zu zeigen. Der Antrag wurde mit den Stimmen der CDU, der FDP und der Republikaner abgelehnt. Dies rief eine unkonventionelle Gegenkoalition von Juristen und Gewerkschaften auf den Plan: Die Neue Richtervereinigung Baden-Württemberg tat sich zusammen mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund aus dem Kreis Stuttgart-Döblingen, der schließlich als Organisator der Ausstellung auftrat. Sie wurde dann in den Räumen des DGB gezeigt. Diese Auseinandersetzung wurde in der regionalen Presse ausführlich und emotional diskutiert und schuf zugleich eine "gespannte öffentliche Aufmerksamkeit".
Ähnlich war es in anderen Orten: In Konstanz traten "20 kommunale Mitveranstalter – von kirchlichen Organisationen über das Stadttheater, den Fachbereich Geschichte der Universität bis hin zu kommunalen Kinos" auf, in Hannover 72 und in Aachen 45.
In Bremen führte Ende 1996 der Konflikt um Austragungsort gar zu einer Krise der schwarz-roten Landesregierung. Die CDU, welche die Ausstellung nicht abwenden konnte, versuchte wenigstens zu verhindern, dass sie im Rathaus gezeigt werden würde – vergeblich. Dies führte zu heftigen Kontroversen.
In München, im Frühjahr 1997, erreichte der politische Konflikt seinen Höhepunkt und mündete in eine verbale Schlacht, die weltweit Schlagzeilen machte. Peter Gauweiler, der Chef der Münchner CSU, empfahl am 14. Februar 1997 dem Initiator der Ausstellung, Jan Philipp Reemtsma, er "'solle eine Ausstellung machen über die Toten und Verletzten, die der Tabak angerichtet hat, den er verkauft hat', anstatt mit dieser 'Einseitigkeit' viele Menschen in ihrer Ehre zu kränken."
Auch die Ausstellungsmacher mischten sich aktiv in das Geschehen ein. Hannes Heer warf der CSU vor, sie habe eine "normale Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit in einen Krieg verwandelt."
Aus den heftigen Auseinandersetzungen in München und anschließend in Frankfurt am Main gingen die Befürworter der Ausstellung als klare Sieger hervor. Die Ursache dafür lag aber nicht in den besseren Argumenten – eine sachliche Diskussion fand nicht statt und sie war in diesem Klima auch kaum möglich –, sondern unter anderem darin, dass die Rechtsradikalen die Auseinandersetzung um die Ausstellung und die enorme mediale Aufmerksamkeit für ihre politischen Zwecke instrumentalisierten.
Neonazi-Aufmarsch gegen die Wehrmachtausstellung in München, 30. November 1999. (© AP, Foto: Diether Endlicher)
Neonazi-Aufmarsch gegen die Wehrmachtausstellung in München, 30. November 1999. (© AP, Foto: Diether Endlicher)
So mobilisierte die NPD etwa 5.000 ihrer Mitglieder und Sympathisanten für eine Demonstration in München gegen die Ausstellung: der größte Aufmarsch der Neonazis in der Geschichte der Bundesrepublik.
Dieser Umstand drängte die Gegner der Ausstellung in die Defensive, da ihnen immer wieder vorgeworfen wurde, sie würden mit den Neonazis gemeinsame Sache machen. So sprach der grüne Bundestagsabgeordnete Gerald Häfner "von einem Sturz der CSU ins ultrarechte Spektrum".
Im Frühjahr 1997 wurde die Haltung gegenüber der Ausstellung von den linken Parteien (SPD, Grüne, PDS) zum Prüfstein demokratischer Reife erhoben. So erklärte der sozialdemokratische Landtagspräsident Schleswig-Holsteins, Heinz-Werner Arens, im November 1998, die Ausstellung werde eine "Bewährungsprobe für unsere Demokratiefähigkeit" sein.
Das Hamburger Institut für Sozialforschung beobachtete diese Entwicklung nicht ohne Unbehagen, wie die "taz" am 14. März 1997 berichtete: "'Die Ausstellung wird benutzt, um parteipolitische Querelen auszutragen', beklagte die Sprecherin des Hamburger Instituts: 'Jetzt wird nach Parteidisziplin entschieden, für oder gegen die Ausstellung zu sein.'" Michael Wolffsohn konstatierte im Februar 1997, die Ausstellung leide "auch daran, daß jede Seite von Geschichte spricht aber Parteipolitik betreibt. Das ist ein Skandal. Heinrich Heine würde dazu sagen: 'Und es will mir dünken, daß sie alle beide stinken.'"
Nach den Auseinandersetzungen in München gerieten die Kritiker der Ausstellung immer mehr in die Defensive. In Bonn wurde die Ausstellung in der Beethovenhalle, in Hannover im Rathaus und in Kiel schließlich erstmals in einem Landesparlament gezeigt. Dessen Präsident, Heinz-Werner Arens (SPD), begründete diese Entscheidung wie folgt: "Ein solches Thema gehört in seiner Bearbeitung in die Mitte des Volkes, und nicht an den Rand. Und zumindest symbolische Mitte ist das Parlament des Landes."
Die Auseinandersetzung als Generationenkonflikt
Die Ausstellung löste von Anfang an einen heftigen Widerspruch unter ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht aus. Ihre Zahl ging damals noch in die Hunderttausende, ein nicht zu unterschätzendes Wählerpotential. Viele von ihnen waren trotz des fortgeschrittenen Alters in der Politik aktiv, wenngleich nicht mehr in der ersten Reihe, so zum Beispiel Richard von Weizsäcker, Helmut Schmidt oder Alfred Dregger. Vor allem von diesen Reihen gingen die ersten öffentlichen Proteste gegen die Ausstellung aus, und diese Reaktion war vorprogrammiert. Altbundeskanzler Helmut Schmidt warnte noch vor der Eröffnung der Ausstellung am 3. März 1995: Wenn man ehemalige Soldaten als Angehörige einer verbrecherischen Organisation bezeichne, dann treibe man sie in eine Ecke, "wo sie anfangen, sich vehement dagegen zu wehren. Und das halte ich für ganz besonders gefährlich."
In der Tat wurde die Ausstellung bald nach ihrer Eröffnung zum Gegenstand eines hochemotionalen Generationenkonflikts. Die "Badische Zeitung" berichtete am 10. Februar 1996 über eine Veranstaltung zum Abschluss der Ausstellung in Freiburg: "Die Podiumsdiskussion [...] war selber eine Katastrophe. Was als Dialog angekündigt war, geriet zum monologischen Tribunal [...]. Eine Gerichtsverhandlung mit lauter Anklägern und keinem advocatus diaboli, eine Diskussion, in der abweichende Stimmen kaum zu Wort kommen. [...] Ihre [der ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht] Erregung wurde mit wissenschaftlicher Kälte und einem aggressiven psychoanalytischen Bekenntniszwang gekontert, ihre Beiträge nicht einmal als Material einer Diskussion ernstgenommen. [...] Ein billiger Sieg, aber der Preis, dass sich selbst die schlimmen Fakten und besseren Argumente nun der Übermacht arroganter Selbstgerechtigkeit zu verdanken scheinen; so werden neue Ressentiments und Legenden geboren."
Der Verlauf dieser Podiumsdiskussion war keine Ausnahme, sondern symptomatisch für die Auseinandersetzung um die Ausstellung – auch in Österreich. Fast alle Kommentatoren waren sich darin einig, dass die Auseinandersetzung um die Ausstellung zu einem Generationenkonflikt wurde.
"Opa war ein Mörder": Junge Demonstranten gegen den Aufmarsch von Neonazis anlässlich der Wehrmachtausstellung in Hamburg, 27. März 2004. (© AP, Foto: Fabian Bimmer)
"Opa war ein Mörder": Junge Demonstranten gegen den Aufmarsch von Neonazis anlässlich der Wehrmachtausstellung in Hamburg, 27. März 2004. (© AP, Foto: Fabian Bimmer)
Selbst Bernd Greiner, ein Mitarbeiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung, musste dies einräumen: "Die Hoffnungen auf einen 'Dialog der Generationen' erfüllten sich also nicht – sofern damit eine Überbrückung von Gegensätzen gemeint war. Vielmehr dokumentiert die Ausstellung eine tiefe Kluft zwischen Alt und Jung."
Die Verweigerung der ehemaligen Wehrmachtssoldaten, ihre "Schuld" zu bekennen, sollte allerdings nicht verwundern. Vielmehr war es geradezu grotesk, von ihnen ein "Schuldbekenntnis" zu verlangen, wenn sie auf den Fotos, die ihre Verbrechen zu dokumentieren vorgaben, andere Formationen erkannten, wie zum Beispiel finnische und ungarische Soldaten oder SS-Angehörige (diese Fälle waren spätestens seit 1997 bekannt).
Diese Haltung brachte viele ehemaligen Soldaten geradezu in Rage; sie waren überzeugt, dass es hier nicht um die Wahrheit gehe. Sie schrieben Petitionen, Protest- und Schmähbriefe; 70- und 80-jährige Männer demonstrierten, ein einmaliges Ereignis in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Sie sprachen dabei von der Ehre gefallener Kameraden und von Nationalstolz. Ihre emotionalen Proteste erreichten aber genau das Gegenteil, man stempelte sie pauschal zu Ewiggestrigen und Unbelehrbaren ab.
Nun erhoben sich die rechten Blätter und Autoren zu Anwälten der alten Männer, die sich diffamiert und ausgegrenzt fühlten. Die Schau war geradezu ein Geschenk für jene. Am rechten Rand des politischen Spektrums delektierte man sich fortan an den Fehlern in der Ausstellung. Spätestens 1997 berichtete man von Fotos mit finnischen und ungarischen Soldaten in der Ausstellung, über die vom NKWD erpressten Aussagen, die als glaubwürdige Beweise für Verbrechen der Wehrmacht präsentiert wurden. Mit Hinweisen auf zahlreiche und zum Teil leicht erkennbare Fehler der Ausstellung stellten diese Autoren nun die seriöse NS-Forschung in Frage und gewannen neue Kunden und Anhänger. Die sonst zersplitterte rechte Szene wurde mobilisiert. Es entstanden neue Netzwerke, und man knüpfte neue Kontakte. Der Kampf gegen die Ausstellung führte sie zusammen. Mit glänzenden Augen erzählten sie von Demonstrationen in München; dies sei ein einmaliges Ereignis gewesen, berichten sie, man habe dabei Gleichgesinnte aus der ganzen Republik kennengelernt. Rechte Blätter und Autoren fütterten sie mit Informationen über Fälschungen in der Ausstellung und transportierten gleichzeitig ihr rechtsradikales Gedankengut.
Schlussbemerkung
Die schonungslose Aufarbeitung der eigenen Geschichte in Deutschland ist einmalig und wird den Deutschen im Ausland hoch angerechnet und zweifellos erwartet. Wahr ist aber auch, dass die aufklärerische Aufarbeitung der NS-Vergangenheit zuweilen sehr emotional geführt und von Mystifizierungen, wissenschaftlich unhaltbaren Thesen, peinlichen Ungenauigkeiten, ideologischem Eifer und Manipulationen begleitet wird. Dies sind in der Regel Randerscheinungen jedes sensiblen und politisch brisanten Prozesses. Die Wehrmachtausstellung und der Konflikt um sie waren Produkte des gesellschaftlichen Klimas, das in den 1990er-Jahren in Deutschland herrschte, und reflektieren die Probleme der Deutschen, die ihnen der Umgang mit der NS-Vergangenheit bis heute bereitet.
Anm. der Redaktion: Im November 2001 wurde die zweite Wehrmachtsausstellung unter dem Titel "Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944" in Berlin eröffnet. Sie wurde an elf Orten in Deutschland, Luxemburg und Österreich gezeigt, letztmals von Januar bis März 2004 in Hamburg. Anschließend wurde die Ausstellung in den Bestand des Deutschen Historischen Museums (DHM) Berlin überführt.
Anders als dem Team um Hannes Heer wurde den Machern der zweiten Wehrmachtsausstellung um Ulrike Jureit zu keinem Zeitpunkt vorgeworfen, sie hätten unseriös gearbeitet. Dies lag auch an der veränderten Ausstellungskonzeption, wonach die Bilder zugunsten ausführlicherer Texte weniger dominant waren und zudem genauestens ausgewiesen wurden. Wo Bilder strittig waren, wurde die Quellenproblematik eigens thematisiert.