Subventionsabhängigkeit, Deindustrialisierung und ein aufgeblähter öffentlicher Sektor haben das Image West-Berlins wesentlich mitgeprägt. Die wirtschaftlichen Strukturprobleme und die politischen Versuche ihrer Bewältigung verweisen zugleich auf den Symbolcharakter der Stadt im Kalten Krieg: Die Zerschneidung gewachsener Markt-, Verkehrs- und Kommunikationsbeziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg spiegelte die Spaltung Europas in zwei feindliche Blöcke. Die finanzielle Unterstützung signalisierte, dass der Westen die von der DDR eingemauerte Stadt nicht preiszugeben gedachte.
In wirtschaftlicher Hinsicht gilt die Berlinförderung als „erfolglos, aber teuer“ – so der Titel einer Analyse aus den 1980er Jahren. Berüchtigt sind etwa die Transporte von Schweinehälften und Rindervierteln, die allein zwecks Zerlegung aus dem Bundesgebiet nach Berlin und anschließend wieder zurücktransportiert wurden, um damit erhebliche Steuervorteile zu erzielen. Eine nüchterne historische Betrachtung muss allerdings berücksichtigen, dass Subventionen auch in vielen anderen Regionen eingesetzt wurden, um wirtschaftlichen Strukturwandel zu bewältigen. Solche allgemeinen Trends sollen zumindest angedeutet werden, wenn im Folgenden die Sonderentwicklung in West-Berlin skizziert wird.
Eine dieser Besonderheiten ist der frühzeitige Beginn der Subventionierung. Als „Berlinförderung“ wurde eine ganze Reihe steuerlicher Anreize bezeichnet, die mit dem 1950 verabschiedeten „Gesetz zur Förderung der Wirtschaft von Groß-Berlin (West)“ etabliert, nach der Abriegelung der Halbstadt durch den Mauerbau ergänzt und 1964 im Berlinhilfegesetz gebündelt wurden. Im Zuge der Verstetigung einiger zunächst befristeter Regelungen wurde das Förderinstrumentarium seit 1970 im ebenfalls mehrfach geänderten Berlinförderungsgesetz zusammengefasst. Erst zwischen 1990 und 1994 wurde es sukzessive wieder abgeschafft. Die Berlinförderung sollte durch Vergünstigungen gegenüber den bundesdeutschen Steuersätzen („Präferenzen“) private Investitionen und damit die Schaffung von Arbeitsplätzen unterstützen. Neben Vergünstigungen bei der Umsatz-, Einkommen- und Körperschaftsteuer wurden dazu Investitionszulagen und Abschreibungsvorteile, die steuerliche Abzugsfähigkeit von Darlehen sowie eine steuerfreie Zulage für Arbeitnehmer eingeführt. Der Umfang, in dem dadurch auf Steuereinnahmen verzichtet wurde, lässt sich zwar grundsätzlich berechnen. Das Ergebnis bleibt allerdings sehr fragwürdig, weil ein großer Teil der entsprechenden Geschäfte ohne die Vergünstigungen gar nicht stattgefunden hätte.
Jedenfalls reichte dieses Anreizsystem nicht aus, um West-Berlins Existenz aus eigener Wirtschaftskraft zu gewährleisten. Dazu bedurfte es vielmehr regelmäßiger Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt, die zeitweise mehr als die Hälfte des Landesbudgets ausmachten. Zwar erhielten auch andere strukturschwache Bundesländer Überweisungen aus dem Länderfinanzausgleich, jedoch in deutlich geringerem Umfang. Der jährlich neu festgelegte Zuschuss und weitere Bundesdarlehen, die im Laufe der Zeit an Bedeutung verloren, trugen von Anfang an ausdrücklich der besonderen politisch-geografischen Lage der Stadt Rechnung. Daneben gab es eine ganze Reihe weiterer Ausgaben des Bundes in und für Berlin etwa in der Wissenschafts- oder Kulturfinanzierung. Das Bundesfinanzministerium bezifferte die Gesamtkosten West-Berlins für den Bundeshaushalt von 1951 bis 1989 auf 243,3 Milliarden D-Mark netto. Den Löwenanteil von 186,7 Milliarden nahm der Zuschuss zum Landesbudget ein.
Eingemauertes Wirtschaftswunder
Berlin als eines der großen Industriezentren und unbestrittene Finanzmetropole des Deutschen Reichs wurde nicht nur durch den Luftkrieg, die militärische Eroberung und die anschließenden Demontagen empfindlich geschädigt. Bereits in der letzten Kriegsphase, aber vor allem seit der sowjetischen Besetzung wanderte eine große Zahl von Unternehmen nach Westdeutschland ab. Die Errichtung der vier Besatzungssektoren, die politische Spaltung und die Etablierung der Planwirtschaft in der Sowjetischen Besatzungszone, schließlich die separaten Währungsreformen und die Berlin-Blockade trennten außerdem den Westteil der Stadt von seinem wirtschaftlichen Umland.
Die finanzielle Unterstützung West-Berlins aus Westdeutschland begann während der sowjetischen Blockade der Halbstadt 1948 mit dem „Notopfer Berlin“, einer Sondersteuer. Nachdem zunächst noch amerikanische Zuschüsse zum Berliner Haushalt flossen, musste die Stützung nach dem Ende der Blockade vollständig aus westdeutschen Steuermitteln erfolgen. Neben diese letztlich politisch motivierte Finanzhilfe trat indes sehr bald eine gezielte Wirtschaftsförderung durch Kredite und Subventionen an Unternehmen. Ziel war es, die auf bis zu 30 Prozent gestiegene Arbeitslosenquote zu reduzieren. Produktion und Absatz der Industrie sollten vor allem durch den Zugang zu Marshallplan-Krediten und die Einführung von Umsatzsteuerpräferenzen gefördert werden. Das bedeutete, dass West-Berliner Unternehmen ihre gesamte Umsatzsteuerschuld um einen Betrag mindern konnten, der einem bestimmten Anteil (zunächst vier Prozent) ihrer Verkäufe nach Westdeutschland entsprach. Westdeutsche Unternehmen sollten durch eine analoge Regelung zum Einkauf von Berliner Erzeugnissen motiviert werden. Die Förderung der West-Berliner Industrieproduktion sollte also zugleich die wirtschaftliche Verflechtung mit der Bundesrepublik unterstützen. Bis 1961, als Vollbeschäftigung erreicht war, stieg die Zahl der Industriebeschäftigten tatsächlich auf mehr als das Doppelte.
Der Mauerbau veränderte die Bedingungen auf dem West-Berliner Arbeitsmarkt erheblich. Ganz im Gegensatz zu der strukturellen Arbeitslosigkeit, mit der sich die Berlinförderung in den 1970er und 1980er Jahren auseinanderzusetzen hatte, drohte zunächst Arbeitskräftemangel. Neben einer ungünstigen Altersstruktur der Bevölkerung und dem Ausfall von geschätzten 63.000 Grenzgängern bestand vor allem die Sorge, dass sich junge Arbeitnehmer vermehrt in den Westen absetzen würden. Die Subventionierung West-Berlins wurde daher massiv erhöht, um den Standort vor allem für qualifizierte Arbeitskräfte attraktiv zu erhalten. Besonders offensichtlich war das bei der „Zitterprämie“, aus der 1970 die achtprozentige Berlin-Zulage auf die Bruttobezüge aller Beschäftigten hervorging.
Berlins Regierender Bürgermeister Willy Brandt und sein Wirtschaftssenator Karl Schiller besaßen aber zugleich durchaus ein strukturpolitisches Konzept. Weitere investitionsfördernde Maßnahmen, nämlich eine Investitionszulage und die steuerliche Begünstigung von Darlehen an die Berliner Wirtschaft, sollten dazu dienen, die Halbstadt „zu einer der modernsten und vorbildlichen Industriestädte Europas auszubauen“, so Brandts Regierungserklärung 1963. Der überzeugte Marktwirtschaftler Schiller fürchtete allerdings im selben Jahr auch schon, dass infolge der umfangreichen Unterstützung „die ‚Subventionsmentalität‘ sich breitmacht und das Ganze einer Marktwirtschaft nur dem Scheine nach gleicht, tatsächlich aber zu einer Angelegenheit kollektiver Fürsorge denaturiert“.
Einige Jahre später benannte nicht nur Schiller, nun als Bundeswirtschaftsminister, die Probleme konkreter. 1968 bemängelte auch eine „Wissenschaftliche Beratungskommission beim Senat von Berlin“ eine abnehmende Investitionsneigung. Von der pauschalen Steuerersparnis gingen aber vor allem offensichtliche Fehlanreize für Industrie und Bauwirtschaft aus. Subventionierte Geschäftsgebäude standen leer. Die Umsatzsteuerpräferenz zielte nicht auf die Wertschöpfung innerhalb Berlins, sondern motivierte Unternehmen dazu, nur die letzte und umsatzstärkste Stufe ihrer Produktionskette in die Stadt zu verlagern. Nicht nur die von den geltenden Regelungen gleich mehrfach begünstigte Tabak- und Spirituosenindustrie, bei der die Umsatzsteuerreduzierung sogar noch die auf den Produkten lastenden speziellen Verbrauchssteuern umfasste, nutzte den Standort in erster Linie als „Steuer-Oase“.
Arbeitsplatzabbau in der „Steuer-Oase“
Die wesentliche Neuerung des ab 1970 geltenden Berlinförderungsgesetzes war deshalb eine Staffelung der Umsatzsteuerpräferenzen nach der innerhalb Berlins erbrachten Wertschöpfung. Die Steuervergünstigungen förderten aber weiterhin kapitalintensive, besonders rationalisierungswirksame Investitionen. Sie lockten in hohem Maße „verlängerte Werkbänke“ westlicher Unternehmen an, die mit gering qualifizierten Arbeitskräften große Umsätze erwirtschafteten, aber nur geringe Verflechtungen mit der übrigen Berliner Wirtschaft aufwiesen. Die Kapazitäten beruhten auf Mitnahmeeffekten und waren dauerhaft förderabhängig.
Diese Fehlanreize wirkten sich in Zeiten der allgemeinen Deindustrialisierung fatal aus. Im Januar 1978 legte das Prognos-Institut ein vom Senator für Wirtschaft angefordertes Gutachten vor, das eine ernüchternde Bilanz zog. Die Zahl der Industriebeschäftigten war in Berlin zwischen 1962 und 1976 von 302.000 auf 192.000, also um mehr als ein Drittel, gesunken (im Bundesgebiet hingegen nur um 11,7 Prozent). Inzwischen war auch nachdrücklicher von jener „Subventionsmentalität“ die Rede, vor der Schiller seinerzeit gewarnt hatte. Etwa zur selben Zeit rechnete das in Berlin ansässige Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) vor, dass 1977 auf jeden West-Berliner Erwerbstätigen Subventionen von 2700 D-Mark entfielen. In den strukturschwachen Gebieten der westlichen Bundesländer beschränkten sich die vergleichbaren Staatshilfen auf 20 bis 150 D-Mark.
Die eingemauerte Stadt genoss also offensichtlich einen subventionspolitischen Sonderstatus. Allerdings profitierte Berlin nur in geringem Maße von der gezielten Unterstützung einzelner Branchen, weil die in Westdeutschland hochsubventionierte Landwirtschaft, der Steinkohlenbergbau und die Luft- und Raumfahrtindustrie hier kaum vertreten waren. Die Subventionierung pro Kopf der Beschäftigten war in diesen Branchen teils wesentlich höher als im Berliner Industriedurchschnitt. Nichtsdestoweniger erreichte der Haushaltszuschuss des Bundes inzwischen über 7000 D-Mark pro Kopf der Berliner Bevölkerung, er stieg in den 1970er Jahren deutlich schneller als der Bundeshaushalt insgesamt.
West-Berlin schien sich in einer politisch nicht mehr infrage gestellten Normalität der Strukturschwäche eingerichtet zu haben. Mit einer stärker produktivitäts- und innovationsorientierten Industriepolitik suchte der West-Berliner Senat zwar an bundesweite Trends zur Bewältigung ökonomischen Strukturwandels anzuschließen, doch am weit überproportionalen Verlust von Industriearbeitsplätzen änderte das nichts. In weit höherem Maße als andernorts wurde zugleich der öffentliche Dienstleistungssektor ausgebaut. Das schuf zwar Arbeitsplätze, die aber unmittelbar aus den Bundes- und Landeshaushalten finanziert werden mussten. Anfang der 1980er Jahre stellten staatliche Stellen (einschließlich Sozialversicherungen) in West-Berlin mehr Beschäftigte als das verarbeitende Gewerbe, im Bundesdurchschnitt lag das Verhältnis lediglich bei 1:2.
Steigende Kosten, ernüchternde Resultate
Die Attraktivität des Standorts West-Berlin für private Investitionen erhöhten auch politische Appelle nicht wesentlich. Ein Gespräch des Regierenden Bürgermeisters und des neuen Bundeskanzlers Helmut Kohl mit der Führung westdeutscher Großunternehmen im Dezember 1982 führte etwa zur Zusage diverser größerer Investitionsentscheidungen. Die dadurch angeblich entstandenen 650 Arbeitsplätze blieben allerdings weit hinter den geweckten Erwartungen zurück. Dass der Beschäftigungsabbau in West-Berlin 1984 zum Stillstand kam, war vielmehr auf Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im öffentlichen Dienst und die Förderung von Teilzeitarbeit zurückzuführen. Die allgemeine Ratlosigkeit kam beispielhaft im Resümee eines Referenten im Bundeswirtschaftsministeriums zum Ausdruck: Immerhin seien „noch ungünstigere Entwicklungen neutralisiert“ worden – durch die Aufblähung des öffentlichen Dienstes sowie die Abwanderung „und die Überalterung der Bevölkerung (Rentner statt arbeitslos)“.
In den späten 1970er und frühen 1980er Jahren rückte auf Bundesebene die Haushaltskonsolidierung immer mehr ins Zentrum der Finanzpolitik, was sich in sehr gedämpfter Weise auch in den Verhandlungen über den Bundeszuschuss niederschlug. Dennoch stieg der Subventionsaufwand für die Berlinförderung deutlich an. Dadurch wurden jedoch absurderweise weder der Berliner Wirtschaftskreislauf noch die Produktionsverflechtung mit Westdeutschland gefördert. Vielmehr war festzustellen, dass inzwischen fast 80 Prozent der von Berlin ins Bundesgebiet gelieferten Erzeugnisse „ohne weitere Be- oder Weiterverarbeitung“ in andere Länder exportiert wurden – die Berlinförderung hatte sich zum guten Teil zu einer Exportförderung für westdeutsche Unternehmen mit Berliner Betriebsstätten oder Tochtergesellschaften entwickelt. Der Bundeszuschuss stieg ebenfalls weiter an und erreichte 1989 rund 13 Milliarden D-Mark oder 49,9 Prozent der Einnahmen West-Berlins, zeitweise hatte der Anteil auch schon darüber gelegen.
Die letzte umfassende Erfolgskontrolle der Subventionen fand Ende der 1980er Jahre durch das DIW statt. Sie kam anhand verschiedener quantitativer Indikatoren zu dem Ergebnis, die zuletzt noch einmal erheblich ausgeweiteten Fördermittel würden „den erforderlichen Strukturwandel eher hemmen als beschleunigen“. Den Wirtschaftsforschern erschien es angesichts der offenkundigen Fehlanreize, die von den Umsatzsteuerpräferenzen ausgingen, „nicht verwunderlich“, dass die massiven Subventionen nicht gegen „gravierende Schwächen“ der Berliner Wirtschaft geholfen hatten.
Erstaunlich bleibt, dass trotz der seit langem bekannten Fehlanreize nicht über eine grundlegende Änderung der Förderungsmechanismen nachgedacht wurde. Erklärbar ist dies letztlich nur durch den besonderen Status der eingemauerten Stadt. Die Berlinförderung und die Stützung des West-Berliner Haushalts durch den Bund waren schon insofern keine „normale“ Subventionspolitik, als ihr Umfang ein Vielfaches der westdeutschen Regionalförderung und der Umverteilung zugunsten anderer Bundesländer betrug. Diese Tatsache relativiert sich allerdings, wenn man berücksichtigt, dass in anderen Regionen bestimmte Branchen durchaus in ähnlichen Pro-Kopf-Größenordnungen gefördert wurden. Im Vergleich ebenfalls unübersehbar ist das Missverhältnis von Subventionierung und Arbeitsplätzen: Bei Subventionen pro Erwerbstätigen, die sich auf mehr als das 20-fache anderer Problemregionen beliefen, hätte man wohl erwarten dürfen, dass in Berlin nicht ein doppelt so hoher Anteil von Industriearbeitsplätzen weggebrochen wäre wie im Bundesdurchschnitt.
Der Verlust an Arbeitsplätzen wäre zwar ohne die Förderausgaben vermutlich noch weit höher ausgefallen. Zudem wurden die Steuerermäßigungen zum Teil auf Geschäfte gewährt, die ohne sie gar nicht stattgefunden hätten und stellten insoweit keine echten Kosten dar. Doch wurden dadurch überproportional gering qualifizierte Arbeitsplätze gefördert, die die Berliner Wirtschaft gerade nicht gegen die Herausforderungen des Strukturwandels stärkten. Hinzu kam die teure Neuschaffung von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst, die über den Bundeszuschuss ebenfalls aus westdeutschen Steuergeldern mitfinanziert wurde.
Dass die enormen Summen aus dem Bundeshaushalt überhaupt mobilisiert werden konnten, war der Bedeutung West-Berlins als Symbol eines freiheitlichen politischen Systems und eines gesamtdeutschen Anspruchs der Bonner Republik geschuldet. Die finanziellen Kosten waren allerdings langfristig nicht allein mit dem heroischen Gestus des „Notopfers“ begründbar – anders als in den 1940er und 1950er Jahren, als es anfangs tatsächlich um das wirtschaftliche Überleben der eingeschlossenen Halbstadt ging. Der Mauerbau war der letzte wirklich dramatische Anlass, das Förderinstrumentarium massiv auszubauen. In den 1970er und 1980er Jahren bildete sich schließlich ein politischer Konsens heraus, an der wirtschaftlich offenkundig ineffizienten Subventionierung festzuhalten, weil echte Alternativen nicht erkennbar waren.
Zitierweise: Ralf Ahrens, Stadt am Tropf: Die Bundeshilfe für West-Berlin und das Subventionssystem der Berlinförderung, in: Deutschland Archiv, 20.12.2017, Link: www.bpb.de/262043