Italienische Zuwanderung nach Deutschland
Zwischen institutionalisierten Migrationsprozessen und lokaler Integration
Grazia Prontera
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In der Bundesrepublik gab es stets eine an Bewunderung grenzende Liebe für Italien und gleichzeitig starke Vorurteile gegenüber den „Gastarbeitern“ aus dem Süden. Anders als über türkischstämmige Migranten aus jener Zeit wird über „die Italiener“ kaum mehr geredet. Was wissen wir also von ihnen? Grazia Prontera beschreibt die Geschichte der italienischen Migration nach Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.
Die Zahl italienischstämmiger Bürger in der Bundesrepublik Deutschland beträgt heute circa 776.000 Personen, von denen 334.000 in Deutschland geboren sind., letzter Zugriff am 20.10.2017. Nach der türkischen und polnischen ist dies die drittgrößte Gruppe mit Migrationshintergrund. Der größte Teil der Italiener wohnt in Baden-Württemberg (170.000), Nordrhein-Westfalen (123.000) und Bayern (89.000). Die größten italienischen Einwohnergruppen gibt es in den großen deutschen Städten wie München (circa 28.276) Berlin (22.792) und Köln (19.048). Die Präsenz der Italiener in Deutschland hat, ebenso wie die aller anderen Migranten, bedeutende Integrations- und Veränderungsprozesse in der Gesellschaft ausgelöst.
In diesem Artikel werden Hintergründe, Entwicklung und Besonderheiten der italienischen Migration nach Deutschland seit Mitte der 1950er Jahre bis heute beleuchtet. Der Migrationsprozess wird in seinen ökonomischen Kontext und die nationalen sowie internationalen politischen Rahmenbedingungen eingebettet. Dabei wird das Netz der Migrantenorganisationen – beziehungsweise der Organisationen für Migranten – auf lokaler und transnationaler Ebene und die spezifische Zusammensetzung der Migrantengruppe berücksichtigt. Die Analyse widmet sich den Mechanismen von Inklusion und Exklusion der Italiener in zentralen Bereichen der Gesellschaft: in der Bildung, der Wirtschaft und der Politik; ebenso den Formen ihrer aktiven Partizipation am gesellschaftlichen Leben. Eine Darstellung der veränderten Wahrnehmung der Italiener in der öffentlichen Meinung komplettiert den Überblick.
Italienische Zuwanderung zwischen bilateralem Abkommen und europäischer Freizügigkeit
Die Verhandlungen, die zu einem bilateralen Abkommen über die Anwerbung und Vermittlung italienischer Arbeitskräfte führten, gehen auf den Anfang der 1950er Jahre zurück, als die italienische Regierung infolge der stetigen Abnahme italienischer Exporte nach Deutschland die Bundesregierung ersuchte, italienische Saisonarbeitskräfte zu beschäftigen. Im Zuge des ökonomischen Wiederaufbaus Europas in der Nachkriegszeit, in dessen Zentrum die Steigerung der Exporte und damit einhergehend eine Liberalisierung des Außenhandels standen, war eine starke gegenseitige Abhängigkeit zwischen beiden Ländern entstanden. Die Entwicklung einer international wettbewerbsfähigen Industrie beschränkte sich in Italien allerdings auf das sogenannte Industrie-Dreieck zwischen Mailand, Turin und Genua. Im Fokus stand dabei die Steigerung der Produktivität und der Exporte, während das Problem der Arbeitslosigkeit ungelöst blieb. Unter Alcide De Gasperi versuchte die italienische Regierung, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, indem sie institutionalisierte Wege der Emigration schaffte. De Gasperi beabsichtigte, im Zuge gegenseitiger Handelskonzessionen Beschäftigungsmöglichkeiten für italienische Arbeitskräfte in den Mitgliedsländern der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC) zu finden.
Das Deutschland Konrad Adenauers hingegen hatte, um die soziale und politische Stabilität zu garantieren, die Vollbeschäftigung zum Ziel erklärt. Es verwundert wenig, dass sich noch zu Beginn des Jahres 1954 das Arbeitsministerium und die Gewerkschaften in Deutschland gegen Abkommen zur Anwerbung von Arbeitskräften mit Italien wehrten und auf die hohe Arbeitslosenquote im Agrarsektor hinwiesen. Andererseits war Italien ein sehr bedeutender Importeur von Kohle, und der Großteil der deutschen Exporte wurde an die italienische Maschinenbau-, Metall- und chemische Industrie geliefert. Die Bundesregierung schlug Italien Anfang 1955 ein „präventives“ Abkommen vor, das nur dann in Kraft treten würde, falls Deutschland Arbeitskräftebedarf hätte, also nur, falls in Deutschland die Vollbeschäftigung erreicht werden würde. Das Abkommen, das der deutsche Bundesminister für Arbeit Anton Storch und der italienische Außenminister Gaetano Martino am 20. Dezember 1955 in Rom unterzeichnen, war das letzte einer langen Reihe von Abkommen, die Italien seit 1946 mit europäischen, südamerikanischen und ozeanischen Ländern abgeschlossen hatte. Es diente als Vorlage für weitere Verträge, die die Bundesrepublik mit den Mittelmeerländern abschloss.
Der Ablauf der Anwerbung und der Vermittlung von italienischen Arbeitskräften verlief wie folgt: die deutsche Kommission in Italien, die von der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung entsendet wurde und in den Emigrationszentren in Verona und Neapel tätig war, erhielt die Anfragen der deutschen Arbeitgeber und leitete sie an das italienische Ministerium für Arbeit weiter. Dieses organisierte eine Vorauswahl nach Berufen und Gesundheitszustand der Bewerber in den verschiedenen italienischen Provinzen. Die deutsche Kommission traf die endgültige Auswahl. Die Kandidaten mussten sowohl ihre schulische und berufliche Ausbildung als auch einen stabilen Gesundheitszustand nachweisen. Einmal ausgewählt, konnten die Kandidaten den Arbeitsvertrag unterschreiben, mittels dessen sie den deutschen Arbeitnehmern mit entsprechender Qualifikation gleichgestellt wurden.
Im April 1956 verließ das erste Kontingent von 1389 Saisonarbeitern Italien. Ende des ersten Anwerbejahres arbeiteten 10.240 Arbeiter aus dem Veneto, Apulien und Kampanien im Agrarsektor und im Baugewerbe in Niedersachsen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Ab Mitte der 1960er Jahre konzentrierte sich die Migrationsbewegung, die hauptsächlich aus dem Süden Italiens kam, auf die metallverarbeitende Industrie in den Bundesländern Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Hessen. Nun nahm die Arbeitsmigration einen permanenten Charakter an.
Für Italien war es weiterhin notwendig, das Problem der Arbeitslosigkeit in Italien – über bilaterale Verhandlungen hinaus – zu einem Thema der europäischen Zusammenarbeit zu machen. Erreicht wurde dies 1957 mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, in denen die Freizügigkeit der Arbeitnehmer verankert wurde. Diese Freizügigkeit trat schrittweise zwischen 1961 und 1968 in Kraft. Der Migrationsfluss wurde also einerseits von der Konjunkturlage in der Bundesrepublik bestimmt und andererseits vom Inkrafttreten der Regeln zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Das hatte zur Folge, dass seit Beginn der 1960er Jahre neue Formen der Rekrutierung entstanden, die nunmehr unabhängig von der Vermittlung durch die Emigrationszentren waren. Die italienischen Arbeitskräfte konnten zudem die nun bereits etablierten Migrationsketten nutzen und fanden Arbeit, indem sie sich direkt im Ausland bewarben. Während 1961 etwa 65 Prozent aller Arbeitsmigranten (10.700 von 16.000) über die Emigrationszentren in Verona und Neapel gekommen waren, kam 1971 nur noch ein Prozent (2000 von 154.000) über das Emigrationszentrum in Verona. Im selben Jahr betrug die Anzahl der in der Bundesrepublik registrierten italienischen Arbeitskräfte 394.000.
Die Arbeitskräfte, die aus allen Regionen Italiens migrierten, waren hauptsächlich Männer, der Anteil von in der Bundesrepublik beschäftigten Italienerinnen blieb stets gering. Das Ziel der italienischen Arbeiter war, schnell Geld zu sparen, um in Italien ein Haus bauen oder sich dort selbständig machen zu können. Während der 1960er Jahre gab es zwar eine hohe Fluktuation unter den italienischen Arbeitnehmern, aber die Gesamtzahl der italienischstämmigen Einwohner ging, mit Ausnahme des Rezessionsjahres 1967, nie zurück. In dieser ersten Phase blieben sie, wie andere Gruppen von Arbeitsmigranten, meist unter sich; unter anderem, weil sie isoliert in Firmenunterkünften lebten, die die deutschen Unternehmen für ihre ausländischen Arbeiter gebaut hatten. Anstelle der vertraglich vorgesehenen angemessenen Unterbringung fanden die Italiener überfüllte Holzbaracken in der Nähe der großen Fabriken vor, oder improvisierte Schlafsäle in kaum bewohnbaren Gebäuden, die ihnen von kleinen und mittleren Unternehmen zur Verfügung gestellt wurden. Hohe Mieten für unsanierte Wohnungen, die für die Arbeiter mit ihren Familien vorgesehen waren, kennzeichneten die Wohnsituation italienischer und anderer ausländischer Arbeiter in der ganzen Bundesrepublik, von Hamburg über Frankfurt und Köln bis München. Lediglich die Unternehmen, die für den Bau von Unterkünften Mittel genutzt hatten, die die Bundesanstalt für Arbeit zur Verfügung gestellt hatte, hielten sich an die vorgegebenen Qualitätsnormen und Belegungszahlen. In München lebten nur zehn Prozent der ausländischen Arbeitskräfte in solchen Unterkünften. Es dauerte bis 1973, ehe das Gesetz über die „Mindestanforderungen an Unterkünfte für Arbeitnehmer” in Kraft trat, mit dem die Unterschiede zwischen den Unterkünften der deutschen und ausländischen Arbeitskräfte beseitigt werden sollten.
Auch bei der Arbeit waren die Italiener, die vor allem für unqualifizierte Tätigkeiten eingestellt wurden, in Abteilungen isoliert, in denen hauptsächlich Migranten arbeiteten. Berufliche Weiterqualifikation war in erster Linie für die deutschen Arbeitskräfte vorgesehen. Der Dachverband der deutschen Gewerkschaften, der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), sicherte den ausländischen Arbeitnehmern erst ab Anfang der 1970er Jahre seine Unterstützung zu, als Reaktion auf die europäische Gesetzgebung zur Freizügigkeit der Arbeitskräfte. Das erste Grundsatzpapier des DGB zur Wahrnehmung der Interessen der ausländischen Arbeitskräfte stammt aus dem Jahr 1971. 1972 erhielten die ausländischen Arbeitnehmer das Recht, bei internen Wahlen ihre Stimme abzugeben – ein Recht, das zunächst für Arbeiter aus den Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) galt und später auch auf solche aus Nicht-EWG-Staaten ausgeweitet wurde.
In Gegensatz zum Topos der „Italiensehnsucht”, die der deutsche Tourismus seit den 1950er Jahren befördert hatte, trug gerade die anfängliche Isolierung der ausländischen Arbeitnehmer dazu bei, dass in der öffentlichen Meinung sowie der nationalen und lokalen Presse vor allem die negativen Stereotype über die italienischen Arbeitskräfte genährt wurden. Sie galten als „unordentlich”, „heißblütig”, „Frauenhelden” und „infantil“. Die Presse und der Rundfunk berichteten über Vorkommnisse von Intoleranz und Rassismus. Der einzige Ort, an dem die Italiener sich in dieser Zeit treffen konnten, war die Italienische Katholische Mission, die von Anfang an, zusammen mit dem deutschen Caritasverband und deren italienischen Sozialarbeitern, den italienischen Arbeitern ihre Unterstützung anbot.
Seit Beginn der 1970er Jahre kam es vermehrt zum Familiennachzug. 1973 gab es 450.000 italienische Arbeitnehmer, insgesamt aber waren 620.000 Personen italienischer Herkunft registriert. Dank der EWG-Verordnungen waren die Italiener nicht vom Anwerbestopp der Bundesregierung aus dem Jahr 1973 betroffen, aber die Auswirkungen der Ölkrise machte sich vor allem im deutschen Automobilsektor negativ bemerkbar, und die Zahl der dort beschäftigten italienischen Arbeiter ging zurück. Mit 600.000 Personen blieb die Anzahl der Italiener in Deutschland jedoch beinahe stabil. Bis heute ist die Gruppe der Italiener in Deutschland die größte italienische Migrantengruppe in Europa.
Die Entstehung einer stabilen italienischen Community: Von den 1970er Jahren bis heute
Mit Beginn der 1970er Jahre waren die Italiener, ebenso wie andere Migranten, ein fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft geworden. Die Migrationspolitik unter dem Motto „Deutschland ist kein Einwanderungsland“, die die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte als vorübergehendes Phänomen ansah, wurde von der Realität widerlegt. Sowohl die Beschäftigungsdauer der Migranten, als auch die Familienzusammenführungen nahmen zu. Angesichts des Familiennachzugs und der sich abzeichnenden Dauerhaftigkeit ihrer Anwesenheit, musste sich vor allem die Lokalpolitik mit den strukturellen Problemen beschäftigen, die die Lebensbedingungen ausländischer Mitbürger hinsichtlich Arbeit, Unterkunft, Schule, Aufenthaltserlaubnis und politischer Partizipation weiterhin negativ beeinflussten. In vielen deutschen Städten entstanden die ersten Ausländerbeiräte als beratende Organe, die die Politik in Fragen der ausländischen Mitbürger unterstützen sollten. Auch die aktive Partizipation der Ausländer nahm zu. Ihr Mitgliedsanteil in den Gewerkschaften, in denen die italienischen Beschäftigten die größte ausländische Gruppe darstellten, wuchs zwischen 1974 und 1979 von 25 auf 32 Prozent. Die Aktivitäten der Ausländer in Organisationen und Vereinen mit Bezug zum Herkunftsland verstetigten sich und waren ein wichtiger Mobilisationsfaktor.
Eine Analyse der Organisationsformen der Italiener in den 1970er Jahren zeigt, dass diese ein starkes Netzwerk bildeten. Dazu gehörte der Kontakt zu den italienischen Institutionen wie der Botschaft, den Konsulaten, der Katholischen Kirche, den Gewerkschaften und politischen Parteien, aber auch zur Region im Heimatland. Die Arbeiter partizipierten intensiv an den Vereinsaktivitäten. Die Organisationen und Vereine waren unterteilt in solche, die sich im Umfeld der katholischen Kirche bewegten, und jene, die die Kommunistische Partei als Referenzpunkt hatten. Im Großen und Ganzen wurde in Deutschland der in Italien existierende politische Rahmen reproduziert.
Die Probleme, mit denen Italiener in Deutschland konfrontiert waren – die schlechten Wohnbedingungen, Arbeitsunfälle, die Bedrohung durch Entlassungen, die Schwierigkeiten der italienischen Schüler in den deutschen Schulen – wurden innerhalb der italienischen Vereinigungen und Institutionen diskutiert, die Diskussion ging aber nicht über die Grenzen der italienischen Gemeinschaft hinaus. In den Augen der Italiener waren die italienische Politik und die italienischen Politiker für ihre Situation verantwortlich, sie waren demnach diejenigen, denen die Aufgabe zufiel, ihre Probleme im Ausland zu lösen. Dieses Denken blieb bis Ende der 1980er Jahre vorherrschend, als die politischen Umwälzungen, die der Zerfall des Ostblocks mit sich brachte, die politische Landschaft in Europa veränderten und neue Möglichkeiten der italienischen Verbandstätigkeit in Deutschland eröffneten. Der Untergang der Parteien, die bis dahin die politische Bühne in Italien beherrscht hatten, also der Kommunistischen Partei und der Christdemokraten, veränderte auch das italienische Verbandswesens im Ausland.
Während die italienischen Vereinigungen bis Ende der 1980er Jahre also vor allem politisch ausgerichtet waren, oft als inoffizielle Ortsverbände italienischer Parteien, änderten sie nun mit Beginn der 1990er Jahre ihre Profile und setzten vor allem auf soziale und kulturelle Arbeit. Darüber hinaus begannen sie aktiv am Netz deutscher Institutionen und Verbände teilzuhaben und sich immer stärker lokal zu verankern. Auf lokaler Eben beeinflusste die Unterzeichnung des Abkommens von Maastricht 1992 und die Gründung der Europäischen Union das Leben der Italiener in Deutschland, besonders hinsichtlich ihrer politischen Inklusion. Die in Deutschland ansässigen europäischen Staatsangehörigen erhielten Dank des Vertrags von Maastricht nicht nur das Wahlrecht für das Europäische Parlament, sie konnten seit Mitte der 1990er Jahre auch das kommunale Wahlrecht ausüben. Letzteres veranlasste insbesondere die progressiven deutschen Parteien, Kandidaten mit ausländischem Hintergrund für ihre Wahllisten zu gewinnen. Die EU-Bürger waren ein interessantes Wählerpotenzial geworden, und die deutschen Parteien bemühten sich um engere Beziehungen zu den Migrantenorganisationen.
Während in den 1990er Jahren mit dem europäischen und kommunalen Wahlrecht zwar die politische und symbolische Inklusion der Italiener voranschritt, die nun deutlicher als europäische Mitbürger wahrgenommen wurden, war die Situation der zweiten und dritten Generation der Italiener in Deutschland hinsichtlich Arbeitsbedingungen, Schul- und Berufsausbildung nach wie vor kritisch. Die Folgen von Deindustrialisierung und Tertiarisierung wurden spürbar: Arbeitsplätze mit unqualifizierten Tätigkeiten fielen weg und prekäre Anstellungsverhältnisse nahmen zu. Eine unmittelbare Folge war die zunehmende Ausländerarbeitslosigkeit, und immer mehr Italiener kehrten nach Italien zurück. Die Beschäftigungsstruktur der Italiener modifizierte sich. Neben den noch in der Industrie beschäftigten Arbeitern fassten zunehmend Unternehmer und Angestellte in der Gastronomie und im Lebensmittelhandel Fuß. Die sogenannten ethnischen Ökonomien eröffneten den ausländischen Mitbürgern neue Beschäftigungsmöglichkeiten.
2001 begann Deutschland, sich selbst als ein Einwanderungsland zu definieren und unternahm eine Reihe von politischen Schritten zur weiteren Integration von Migranten. Allerdings musste die Bundesrepublik sich noch Ende des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts mit einer weitreichenden Exklusion der zweiten und dritten Generation von Immigranten auseinandersetzen, die sich vor allem in einer geringen sozialen Mobilität manifestierte. Für die Situation der Italiener auf dem Arbeitsmarkt war charakteristisch, dass sie in den untersten Sektoren der Industrieproduktion beschäftigt waren, im Handwerk und im Dienstleistungsbereich – die Männer hauptsächlich im Hotel- und Gaststättengewerbe, die Frauen im Bereich Dienstleistungen und Handel. Das spiegelte ihre Bildungssituation wider. 72 Prozent der Italiener in Deutschland hatten einen niedrigen Bildungsabschluss oder die Schule ohne Abschluss verlassen, was ihre Chancen, einen Ausbildungsplatz zu finden, beeinträchtigte und ihre soziale Mobilität erschwerte. Etwa 18 Prozent der italienischen Familien wurden als armutsgefährdet eingestuft. Allerdings gab es bezüglich der Situation auf dem Arbeitsmarkt und der Bildungssituation erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern. In Bayern beispielsweise, wo das Schulsystem selektiv ausgerichtet ist, erzielten die italienischstämmigen Schüler mittelmäßige Resultate, fanden aber aufgrund der günstigen Wirtschaftssituation trotzdem Arbeit. In Berlin hingegen hatten die Schüler gute schulische Resultate, trotzdem gelang es ihnen nicht, sich schnell auf dem Arbeitsmarkt zu etablieren. Berlin hatte die höchste Arbeitslosenquote unter den italienischen Migranten in Deutschland.
Aufgrund der 2008 beginnenden internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise haben die Migrationsströme aus Südeuropa nach Deutschland wieder zugenommen. Die Zahl der Italiener stieg 2010 um 1795 Personen, 2012 um 16.343. Seit 2013 kommen jedes Jahr mehr als 23.000 Personen aus Italien nach Deutschland, mit einem Höhepunkt von 25.056 im Jahr 2014. Kennzeichnend für diese Migrationsbewegung ist, dass es sich vornehmlich um junge Menschen, Studierende und Freiberufler handelt, darunter mehr als 40 Prozent Frauen. Die Neuankömmlinge sind mit einem deregulierten Arbeitsmarkt und prekären Anstellungsverhältnissen konfrontiert, was sowohl qualifizierte als auch unqualifizierte Tätigkeiten betrifft. Allerdings erleben sie nicht mehr dieselben Formen von Diskriminierung, wie die italienischen Migranten der 1960er und 1970er Jahre. Im Gegenteil: Untersuchungen zur Wahrnehmung der Italiener durch die Deutschen bestätigen eine positive Veränderung. Die neuen Migrationsströme ergänzen das Profil der Italiener in der Bundesrepublik Deutschland und dadurch wird auch die deutsche Gesellschaft immer pluralistischer und ausdifferenzierter.
Zitierweise: Grazia Prontera, Italienische Zuwanderung nach Deutschland. Zwischen institutionalisierten Migrationsprozessen und lokaler Integration, in: Deutschland Archiv, 7.11.2017, Link: www.bpb.de/259001
Dr.; Studium der Zeitgeschichte und der Philosophie in Bologna, Promotion über die Migrationsgeschichte italienischer Arbeiter in der Bundesrepublik Deutschland an der Humboldt-Universität zu Berlin, seit 2007 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Geschichte – Europäische Zeitgeschichte der Universität Salzburg.
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