In der DDR war das Schulwesen ein wesentliches Instrument zur Begründung einer neuen sozialen und politischen Ordnung unter der Federführung der SED.
In Frankreich gilt Lefebvre mit seiner Theorie der sozialen Produktion von Raum als zentraler und innovativer Denker der Raumforschung.
Levebvre ist vor allem für sein trialektisches Raumkonzept bekannt, mit dem er zwischen dem "espace conçu", dem "espace perçu" und dem "espace vécu" unterscheidet, also zwischen dem konzipierten, wahrgenommenen und gelebten Raum. Dies sind weniger feste Begriffe als Metaphern, was ihre Operationalisierbarkeit schwierig macht. Diese drei Raumkomponenten existieren natürlich nicht separat voneinander, sondern interagieren.
Der konzipierte Raum (espace conçu) stellt den Raum der Herrscher dar. Er entspricht dem dominierenden Diskurs über den Raum, nämlich der Raumvorstellung von Wissenschaftlern, Raumplanern oder Architekten und Technokraten, die den Raum planen. Man könnte den konzipierten Raum also als eine durch Macht und Wissen vorgestellte Territorialität definieren. Der wahrgenommene Raum (espace perçu) verweist auf die räumliche Praxis.
Dieses dreigliedrige Raumkonzept soll im Folgenden auf das Beispiel von Ostberliner Schulklassen der frühen 1950er Jahre übertragen werden. Zu diesem Zeitpunkt versuchte die SED ihre Macht mit allen möglichen Ressourcen und Mitteln durchzusetzen. Die Aufmerksamkeit richtet sich dabei auf verschiedene Räume der Schule wie die Wände der Schulklassen, die Eingangstüren, die Aulen oder die Flure.
Die zentrale Frage ist, inwieweit Levebvres dreiteiliges Raumkonzept für die historische DDR-Forschung heuristisch anwendbar gemacht werden kann. Wo liegen der Mehrwert und die Grenzen eines solchen theoretischen Gerüsts?
Der konzipierte Raum oder der SED-Diskurs über Schulräumlichkeit
Der konzipierte Raum wird hier im Kontext der DDR als die ideale Projektion der Machthaber verstanden. Er entspricht den politisch-ideologischen Normen, die sich die SED für alle Schulräume im Zusammenhang mit der Umwälzung der Gesellschaftsordnung wünschte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Schulen in der sowjetisch besetzten Zone wiederaufgebaut oder renoviert. Zum Beginn der 1950er Jahre gab es beispielsweise in Ost-Berlin 201 Grundschulen, acht 10-Klassenschulen und 21 Oberschulen, das heißt 3214 Grundschulklassen, 26 10-Klassenschulklassen und 319 Oberschulklassen.
"Die Klassenräume und Fachräume sind durchweg in einem so schlechten Zustand, dass eine Renovierung bald erfolgen muss. Die Unterrichtsräume mit schmutzigen, düsteren Wänden haben nichts Anheimelndes, eher etwas Bedrückendes. Eine frohe Lernstimmung kann bei Jugendlichen in dieser Umgebung schwer aufkommen. Das Pionierzimmer ist noch nicht fertiggestellt [...] auf beiden Höfen sind noch Schrotthaufen vorhanden. [...] Die Aula ist nicht benutzbar".
Genau zu dieser Zeit wurden Schulen Ziel einer ideologischen Offensive. Vor dem Hintergrund eines starken pädagogischen Optimismus wurde die Planbarkeit eines neuen sozialistischen Menschen angekündigt. Dieser Optimismus ging Hand in Hand mit einem tief verankerten Glauben an die machtvolle Wirkung von Erziehung beim Aufbau des Sozialismus. Diese breit angelegte ideologische Offensive betraf nicht nur die Strukturen, die Lehrerschaft oder die Lehrbücher, sondern lässt sich auch in der Inneinrichtung der Schulgebäude wiederfinden, von den Eingängen zu den Aulen über die Flure – mit der Errichtung von Gedenkecken für Stalin oder Ulbricht – bis hin zu den Klassenzimmern. Die Inneneinrichtung war eine Möglichkeit für das SED-Regime, alle Akteure der schulischen Welt zu mobilisieren, damit sie sozialistische Räume mitproduzierten. Es gab offizielle Mobilisierungskampagnen für die Inneinrichtung – ein Engagement seitens der Lehrer, der Schüler aber auch der Eltern und der Patenbetriebe wurde erwartet. Mit Blick auf das Schuljahr 1950/51 gab das Ministerium für Volksbildung im Juni 1950 eine Anweisung heraus, der zufolge "die Ausgestaltung des Schulhauses ein Zeichen ist für den Geist, der in der Schule herrscht. Bei der Liebe, die die deutsche Jugend dem Präsidenten Wilhelm Pieck entgegenbringt, gehört sein Bild in jede Schule. Losung und Wandsprüche sowie Gebote der Jungen Pioniere dienen im künstlerischen [sic!] Form als Wandschmuck."
Im "Dritten Reich" gehörten das Porträt Hitlers und das Hakenkreuz zur Dekoration der Schulaulen und Festsäle. In der DDR sollten Porträts von Pieck, Ulbricht, Stalin sowie politische Losungen in jedem Klassenzimmer vorhanden sein. Die Bedeutung der Inneneinrichtung der Schulen lässt sich auch an zahlreichen anderen Inspektionsberichten nachweisen, die von den Funktionären der Ostberliner Schulaufsichtsbehörden angefertigt wurden. In den frühen 1950er Jahren enthielten solche Berichte einen Absatz über die materielle Situation und spiegelten die Kluft zwischen konzipiertem und wahrgenommenem Raum wider. Die Funktionäre aus dem Schulamt beklagten meistens den Mangel an einem spürbaren Gestaltungswillen seitens der Lehrer und der Schüler. Die zielgerichtete symbolische Politik wurde in vielen Einrichtungen offensichtlich nicht mit dem gleichen Eifer umgesetzt.
Zu dieser Zeit begann auch die räumliche Integration der Jugendorganisationen, die bis dahin noch nicht in den Schulen präsent waren. Nach den offiziellen Richtlinien der 1949 gegründeten Pionierorganisation sollte "das Pionierzimmer der Mittelpunkt der ganzen Schule […] und […] richtungs- und wegweisend für die betreffende Schule sein".
"Um der Tätigkeit der Jungen Pioniere in den Schulen mehr Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten und damit zugleich noch eine größere Unterstützung für die Erziehungsarbeit der demokratischen Schulen zu gewährleisten, beschließt das Parlament, in allen Grundschulen der SBZ und in Berlin, ein Zimmer der Jungen Pioniere einzurichten."
Dieser konzipierte Raum spiegelt den dominierenden Diskurs über Schulräume in der DDR wider und entspricht dem spürbaren Gestaltungswillen der SED. Es bleibt allerdings die Frage nach der Umsetzung dieses herrschenden Diskurses in die soziale Praxis.
Der wahrgenommene Raum der sozialistischen Schule
In den meisten Berichten der Schulbehörden der frühen 1950er Jahre wird allgemein die Kluft zwischen Absichten und Realität beklagt wie beispielsweise die kahlen Mauern ohne politische Dekoration in den inspizierten Schulen.
Die SED-Funktionäre interpretierten diese "leeren" Räume als offensichtliches Zeichen dafür, dass sich der Lehrkörper und die Schulleitung zu wenig engagierten. Ein aufschlussreiches Beispiel ist sicherlich die Wilhelm-Pieck-Oberschule im Prenzlauer Berg, die als sozialistische Schule par excellence in Ost-Berlin galt. Der Inspektionsbericht vom Januar 1953 lässt die ungeheure Enttäuschung des Autors über die symbolische Gestaltung der Klassenzimmer in dieser Anstalt durchscheinen:
"Hier zeigen sich völlig kahle Wände in einigen Klassen. Nur selten ist ein Bild unseres Präsidenten, dessen Name diese Schule trägt, angebracht. Über die Ausgestaltung der Räume wäre noch zu sagen, dass, wenn Bilder vorhanden, sie lieblos und unordentlich angebracht sind. So stand z.B. eine Originalaufnahme unseres Präsidenten im Kreise von Schülern auf den Garderobenhaken."
Die große Diskrepanz zwischen Diskurs und Praxis wurde insbesondere bei der Einrichtung von Pionierzimmern deutlich. Auf der dritten Tagung des Zentralrates der FDJ im Dezember 1952 wurde ein Entschluss gefasst, in dem die Kluft zwischen konzipiertem und wahrgenommenen Raum kritisiert wurde: "Ein großer Teil der Pionierleiter bemüht sich ungenügend um die würdige Ausgestaltung der Pionierzimmer mit den Symbolen der Pionierorganisation".
Laut offizieller Statistik sind in 1952 rund 90 Prozent der Berliner Grundschulen mit einem Pionierzimmer ausgestattet gewesen.
Wie lässt sich diese Kluft erklären? Die Berichte lassen durchblicken, dass die Einrichtung eines für die Jugendorganisationen bestimmten Raumes nicht immer eine Priorität für die Schulleitungen war. Die Renovierung und Funktionsfähigkeit der für den Unterricht bestimmten Räumlichkeiten war Ihnen meist wichtiger als die Bewilligung eines Raums für die Jungen Pioniere oder die FDJ. Die Beurteilung eines reichlich desillusionierten FDJ-Funktionärs betont zudem die Schwierigkeiten, in manchen Fällen überhaupt einen Raum zu bekommen: "Wir konnten immer wieder den Fehler beobachten, dass die Schulbehörden die Pionierarbeit meistens als etwas Nebensächliches betrachten. Oft befindet sich auch heute noch der Pionierraum unten im Keller."
Die DDR-Schule stellte in den frühen 1950er Jahren oft noch ein Konkurrenzfeld zwischen einem Teil der Lehrer und den Funktionären der Jugendorganisationen dar. Insgesamt lehnten, jenseits des Mangels an Bauressourcen, viele Ost-Berliner Lehrer die Politisierung des Raumes noch ab und hielten an einer neutralistischen Konzeption der Schule als Tempel des Wissens fest.
Die Infragestellung des konzipierten Raums am Beispiel des 17. Juni 1953
Es ist sehr schwierig, den Raum als Erfahrung seitens der Schüler zu bemessen. Sicher ist nur: Die Schüler entgingen der Politisierung der Inneneinrichtung nicht. Im Kontext von bestimmten außergewöhnlichen Ereignissen kann es gelingen, den Schulraum als Erfahrungsraum der Schüler zu vermessen. Der 17. Juni 1953 bietet einen solchen Einblick in den gelebten Raum der Schüler. Die frühen 1950er Jahre waren die Hochphase des Aufbaus der sozialistischen Schule und der übermäßigen Politisierung dieser Institution. Diese Politik führte zu "Provokationen" seitens der Schüler, die performativen Protestaktionen entsprachen. Diese Protestakte waren eine Form der Infragestellung des sozialistischen Ordnungssystems, die darauf abzielten, die Ideologisierung zu denunzieren. Es wurden Traktate verteilt, Graffitis gezeichnet, Wortmeldung im Unterricht gemacht und Schulräume beschädigt.
Diese Protestformen kulminierten am Tag des 17. Juni 1953, der ein Vakuum der politischen Herrschaft darstellte, insbesondere in den schulischen Einrichtungen Ost-Berlins. Im Unterschied zu Aussagen aus der Abteilung Volksbildung beim Magistrat, die die Lage an den Schulen als "vollkommen stabil" definierte
Der 17. Juni 1953 war eine Art Reaktion gegen den Aufbau der sozialistischen Schule in all ihren Formen: der räumlichen und zeitlichen Gliederung, der Sprache und der Werbung für die Jugendorganisationen. Er bewies, wie tief der Graben zwischen den Machthabern und der DDR-Jugend war.
Die Räume des real existierenden Sozialismus
Jedes politische Regime versucht, seine spezifischen Räume zu produzieren. Das trialektische Raumkonzept von Lefebvre kann dabei helfen, den Grad der Durchsetzung des von der SED konzipierten Raumes sichtbar zu machen. Es ist ein wertvolles Instrument, um den Unterschied zwischen Vorstellung, Durchsetzung und Aneignung eines Raums deutlich zu machen. Im Kontext des Aufbaus des Sozialismus wurden die Schulräume in der frühen DDR neu konzipiert und stark politisiert, mit Wandlosungen, Porträts oder mit der Einrichtung spezifischer Räumlichkeiten für die Jugendorganisationen. Diese neuen Räume sollten den politischen Normen des SED-Regimes entsprechen und zur Erziehung des neuen sozialistischen Menschen beitragen.
Im Fall des schulischen Raumes der Nachkriegsjahre in der DDR stieß aber der konzipierte Raum auf materielle Grenzen und auf menschlichen Widerstand. Anhand der Theorie von Lefebvre wird klar, dass der Raum immer ein soziales Produkt und das Ergebnis einer Interaktion zwischen verschiedenen Akteuren ist. Der sozialistische Raum war nie die pure Umwandlung eines herrschenden politischen Diskurses in die Praxis. Die frühen 1950er Jahre sind durch eine noch mangelhafte Durchsetzung des konzipierten Raums gekennzeichnet. Erst nach dem Mauerbau konsolidierte sich die SED-Herrschaft und diese Form der Durchsetzung konzipierter Räume führte zu einer neuen Gestaltung des gelebten Raums. Dieser wurde als Norm angenommen und nur noch selten von Schülern in Frage gestellt. Die DDR-Schule wurde wie andere soziale Institutionen zu einem Ort der begrenzten Möglichkeiten.
Emmanuel Droit, Dr.; Studium der Geschichte, Philosophie und Literatur an den Universitäten Nancy, Göttingen, Paris I und TU Berlin. 2006 Promotion zum Thema "Vorwärts zum neuen Menschen? Die sozialistische Erziehung in der DDR 1949–1989“. Seit 2008 maître de conférences für europäische Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Rennes 2 in Frankreich. Stellvertretender Direktor des Centre Marc Bloch e.V., Forschungen unter anderem zur Geschichte des Staatskommunismus in der DDR und in Ostmitteleuropa sowie zu Erinnerungskulturen Europas seit 1945.
Zitierweise: Emmanuel Droit, Wie Schulräume politisiert wurden. Strategien und Grenzen der DDR-Erziehungsdiktatur in den frühen 1950er Jahren, in: Deutschland Archiv, 22.6.2016, Link: www.bpb.de/229939