Der 3. Oktober als Nationalfeiertag
Der Einigungsvertrag von 1990 legte fest, dass der 3. Oktober, der Tag der Vereinigung beider deutscher Staaten, "als Tag der Deutschen Einheit gesetzlicher Feiertag ist".
Wie und wo der 3. Oktober des ersten Einheitsjahres begangen werden sollte, wurde erst im Mai 1991 festgelegt. Der damalige Bundesinnenminister Schäuble hatte dezentrale Feiern angeregt, während der Ständige Beirat des Bundesrates sich dafür ausgesprochen hatte, dass das Fest zum Tag der Deutschen Einheit in der Hauptstadt Berlin, "am Ort des Zusammenwachsens und der Öffnung der Mauer"
Seit 1991 gestalten so die Länder im Wechsel den Nationalfeiertag, und mit der Feier in Kiel 2006 war der 3. Oktober in jedem Bundesland einmal gefeiert worden. Das wichtigste Merkmal der zentralen Feier ist daher zweifellos das föderale Element, das sowohl im offiziellen Festakt als auch im Bürgerfest stets präsent ist. Die deutsche Eigenart, einen Nationalfeiertag zu haben, der nicht schwerpunktmäßig in der Hauptstadt gefeiert wird, wurde von den Rednern beim offiziellen Festakt regelmäßig betont und als ein Grundbestandteil von Demokratie hervorgehoben. "Vielfalt war stets nicht die Schwäche, sondern die Stärke der Deutschen. Einen wirklichen deutschen Einheitsstaat hat es schließlich nur zwölf Jahre lang gegeben, und das war die schlimmste Zeit unserer ganzen Geschichte, sowohl für Deutschland wie für alle anderen Völker"
Trotz solcher Reden war die dezentrale Ausrichtung des Tages nie von einem Konsens getragen. Derlei Struktur ist untypisch für das politische Ritual eines Nationalfeiertages, "welches sich in der Regel durch Wiederholung und Starre der Abläufe auszeichnet, um die Kohärenz der Gruppe in Raum und Zeit zu suggerieren".
Trotz der Kritik wurde die Ausrichtung der zentralen Feierlichkeit am 3. Oktober bislang beibehalten. Sie besteht aus drei Teilen: einem ökumenischen Gottesdienst, einem offiziellen Festakt (beide nur für geladene Gäste) und einem Bürgerfest, dessen Hauptattraktion die sogenannte Ländermeile ist. Hier präsentieren sich die Länder durch ein kulturelles, musikalisches und kulinarisches Programm.
Das zentrale Fest in der Landeshauptstadt des jeweiligen Bundesratsvorsitzes ist allerdings nie die einzige Veranstaltung am 3. Oktober. In der Tat hat der Tag der Deutschen Einheit eine eigene Geografie, die sich bundesweit entwickelte. Seit 1994 wird der Tag stets auch in der Hauptstadt Berlin gefeiert – durch ein Volksfest, das in symbolischer Konkurrenz zur zentralen Einheitsfeier steht und von privaten Unternehmern finanziert und gestaltet wird. Außerdem wird der 3. Oktober regelmäßig in verschiedenen Landtagen (beispielsweise in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg) durch offizielle Festakte gefeiert. Welche Bedeutung bekommt der Tag der Deutschen Einheit angesichts dieser differenzierten Feiertagskulturlandschaft in Bezug auf die deutsch-deutschen Städtepartnerschaften? Und umgekehrt: Welche Rolle spielen die Städtepartnerschaften am 3. Oktober?
Die deutsch-deutschen Städtepartnerschaften
Nach der ersten Verbindung zwischen Eisenhüttenstadt und Saarlouis im Jahr 1986 wurden bis zum Fall der Mauer 98 Städtepartnerschaften geschlossen.
Es ist offensichtlich und nicht überraschend, dass sich in den vergangenen 20 Jahren die Bedeutung der Städtepartnerschaften gewandelt hat: Während sich manche Partnerschaften über die Jahre hielten und weiterführende Initiativen entwickelten, wurden andernorts die Kontakte weniger. Nach der Phase der Gründung und den Jahren des Aufbaus Ost schliefen manche deutsch-deutschen Partnerschaften auch ganz ein. Der ehemalige Oberbürgermeister von Frankfurt an der Oder, Martin Patzelt, behauptete, dass heute die Städtepartnerschaften zwischen der ehemaligen DDR und der Bundesrepublik insbesondere auf junge Leute oftmals fast schon seltsam wirkten, weil "je mehr die sprichwörtliche Mauer aus den Köpfen der Menschen verschwindet, umso weniger bedarf es innerdeutscher Städtepartnerschaften".
Die Städtepartnerschaften am 3. Oktober 1990
Manfred Kraus, der als einer der Ersten Forschung über die deutsch-deutschen Städtepartnerschaften betrieb, schrieb: "In den ersten Monaten nach der Grenzöffnung, insbesondere an den Wochenenden und zum Jahreswechsel 1989/1990, kam es mit finanzieller und logistischer Unterstützung der bundesdeutschen Seite zu unzähligen Begegnungen der Bürger, sahen viele erstmals ihre Partnerstadt".
Im September 1990 startete der Deutsche Städtetag eine Umfrage über die Veranstaltungen, die die Mitgliedsstädte des Vereins zum 3. Oktober vorbereiteten.
Bei den Veranstaltungen, welche die Partnerstädte am 3. Oktober 1990 gemeinsam durchführten, lag der Schwerpunkt eindeutig auf Austausch und Begegnung und damit auf der Vertiefung der Beziehungen. Bürgerdelegationen wurden dazu eingeladen, die Partnerstädte zu besuchen: 300 Greifswalder besuchten Osnabrück; der Trierer Bürgermeister reiste in die Partnerstadt Weimar und gleichzeitig wurden 50 Weimarer Bürgerinnen und Bürger nach Trier eingeladen. Die repräsentativen Delegationen aus Bürgermeister und Stadträten nahmen an der Veranstaltung der jeweiligen Partnerstädte teil, wie beispielsweise der Oberbürgermeister von Neustadt an der Weinstraße (Rheinland-Pfalz) an der Festsitzung des Parlaments der Partnerstadt Wernigerode (Sachsen-Anhalt). Gemeinsame Feierstunden wurden organisiert, unter anderem führten die Stadtparlamente von Magdeburg und Braunschweig zusammen eine Festsitzung durch. Der Bremer Bürgermeister Klaus Wedemeier und Dieter Klink, Präsident der Bremischen Bürgerschaft, besuchten die Partnerstadt Rostock. In der Nacht zum 3. Oktober "läuteten [sie] symbolisch mit einer historischen Schiffsglocke die Deutsche Einheit auf dem Universitätsplatz ein und führten einen ebenso symbolischen Händedruck mit dem Rostocker Oberbürgermeister Klaus Kilimann aus".
Ein weiterer Punkt war die kommunale Solidarität. Beispielsweise organisierte die Stadt Sindelfingen (Baden-Württemberg) eine Spendenaktion für das Krankenhaus in der Partnerstadt Torgau (Sachsen); Nürnberg ließ die Einnahmen eines Konzertes am Abend des 3. Oktober dem Theater der thüringischen Partnerstadt Gera zukommen.
Schließlich wurden genau am 3. Oktober 1990 neue Freundschaften geschlossen ˗ beispielsweise zwischen Forchheim (Bayern) und Pößneck (Thüringen).
Der Tag der Deutschen Einheit (1991, 2000, 2010)
Bei der ersten zentralen Feier des Tages der Deutschen Einheit, die in Hamburg stattfand, wurden die Partnerstädte der Hansestadt eingeladen. Dresden, Prag, Marseille und St. Petersburg präsentierten sich auf dem Rathausmarkt mit Gesprächspartnern aus der Politik, künstlerischen Beiträgen und kulinarischen Spezialitäten.
Auf dem Bürgerfest zum Tag der Deutschen Einheit in Saarbrücken 2009 werben Teilnehmer aus Obersdorf in einem Sylter Strandkorb für die Zipfelgemeinden Obersdorf, Selfkant, Görlitz und List (© picture-alliance / dpa)
Auf dem Bürgerfest zum Tag der Deutschen Einheit in Saarbrücken 2009 werben Teilnehmer aus Obersdorf in einem Sylter Strandkorb für die Zipfelgemeinden Obersdorf, Selfkant, Görlitz und List (© picture-alliance / dpa)
Außerdem fand in Dresden das sogenannte "Zipfelgemeinden"-Treffen statt, das auf der besonderen Partnerschaft der vier "Zipfelstädte" (Görlitz, List, Selfkant und Oberstdorf, die die äußersten Punkte aller vier Himmelsrichtungen der Bundesrepublik markieren) beruht. Dieser "Zipfelbund" wurde anlässlich des 3. Oktober 1999 in Wiesbaden ins Leben gerufen, als die hessische Landeshauptstadt, seit 1990 Partnerstadt von Görlitz, in jenem Jahr die Gastgeberin der zentralen Feier war. Deswegen wurde im Rahmen der Feier im Jahr 2000 in Dresden auch die Stadt Wiesbaden eingeladen, und wegen des gleichzeitigen zehnjährigen Bestehens der Partnerschaft wurde auch in Görlitz ein Festakt veranstaltet.
Seit dem zehnten Jubiläum der Wiedervereinigung wurde die kulturelle, kulinarische und touristische Präsentation der Zipfelstädte ein fester Bestandteil des Bürgerfests am Tag der Deutschen Einheit.
Das zwanzigste Jubiläum der deutschen Einheit lud dazu ein, den Fokus auf die Kommunalpolitiker der ersten Stunde nach der Wende zu richten. Die meisten Schritte auf dem Weg der Einheitsgestaltung wurden in den Städten und Gemeinden gegangen, weil "die Demokratie nicht von oben verordnet, sondern von unten aufgebaut wurde"
Folglich bot das Jubiläumsjahr auch die Gelegenheit dazu, einen genaueren Blick auf die deutsch-deutschen Städtepartnerschaften zu werfen und Bilanz zu ziehen. Zu diesem Thema gab es noch eine Forschungslücke, die sich anlässlich des Jubiläums zumindest teilweise schließen ließ. Derart waren die Städtepartnerschaften "in den letzten Jahren aufgrund der Aktivitäten einer Vielzahl von Institutionen auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene wieder in Bewegung geraten".
Die zentrale Feierlichkeit am 3. Oktober 2010 wurde in Bremen ausgerichtet. Die Partnerschaft der Hansestädte Bremen und Rostock gehört zu den frühen Städtepartnerschaften, die 1987 geschlossen wurden. Nach dem Herbst 1989 trugen Bremer Politiker und Bürger dazu bei, in Rostock neue Strukturen zu gestalten und neue Institutionen aufzubauen. Die geleistete Hilfe lässt sich in drei Kategorien einteilen: Geld- und Sachmitteltransfer, Personaltransfer, Wissenstransfer (Beratung, Fort-, Aus- und Weiterbildung). Die Vertreter des Bremer Senats schlossen ein Kooperations- und Hilfsprogramm ab, das fünf Millionen DM für das Jahr 1990 umfasste. 1991 wurde ein weiteres Hilfsprogramm in Höhe von drei Millionen DM aufgelegt. Außer den direkten Geldtransfers waren insbesondere die Sachmitteltransfers wichtig, "um in bestimmten städtischen Problembereichen umgehend Abhilfe leisten zu können".
2010 wurde die Bedeutung von Kommunen und Städtepartnerschaften für die Gestaltung der deutschen Einheit hervorgehoben. Zum zwanzigsten Jubiläum der Wiedervereinigung wurde die Wanderausstellung "Blick/Wechsel. Deutsch-deutsche Städtepartnerschaften 1986 bis heute" als ein zentrales Projekt der Hansestadt veranstaltet. Der damalige Bremer Bürgermeister Jens Böhrnsen betonte außerdem die Bremer Eigenart: "Als Zwei-Städte-Staat ist die Freie Hansestadt Bremen ein besonderes kommunales Element im Föderalismus. In dieser Tradition ist es uns ein besonderes Anliegen, die Rolle der Kommunen im Einigungsprozess vor 20 Jahren und in der Entwicklung bis heute zu reflektieren".
Die Besucher der Ausstellung "Blick/Wechsel" konnten über ein großes Satellitenbild Deutschlands laufen, während die Informationstafeln 15 Partnerschaften in Text und Bild erklärten. Die ausgewählten Fälle nahmen keine Bewertung der Partnerschaften vor, sondern zeigten das breite Spektrum der Fragen, Konflikte und Perspektiven dieses Kapitels der deutsch-deutschen Geschichte auf.
Fazit
Bei der Sichtung der Akten zu den zentralen Feiern wird klar, dass das Thema Städtepartnerschaften zwar immer wieder bei den Feierlichkeiten zum 3. Oktober eine Rolle spielte, seine Bedeutung aber wechselte und nicht leicht einzuschätzen ist. Die Gründe dafür sind vielfältig und haben sowohl mit der Organisation des Feiertages als auch mit den Merkmalen einzelner Partnerschaften zu tun.
Die zentrale Feier wird von den Ländern veranstaltet, die die Hauptprotagonisten auf der organisatorischen Ebene bleiben. Die Landeshauptstadt dient als Bühne des Festes, spielt aber keine entscheidende Rolle in der Ausgestaltung des Tages. Die zentrale Feierlichkeit stellt außerdem zwar die wichtigste, aber nicht die einzige Veranstaltung am 3. Oktober dar. Eigentlich regt die dezentrale und föderale Gestaltung des Tages dazu an, bundesweit und auch auf Kommunalebene zu feiern.
Und dennoch rückt der Tag der Deutschen Einheit alljährlich nicht nur die Geschichte der Trennung und der Friedlichen Revolution, sondern auch die Städtepartnerschaften ins Bewusstsein. Der Tag bietet den Städten zudem die Gelegenheit, sich immer wieder zu treffen und gemeinsam zu feiern. Ab 1990 wurde am 3. Oktober eine Tradition der Ost-West-Begegnungen begründet, die aus kleinen und vielfältigen Geschichten besteht und auf lokaler und regionaler Ebene stattfindet.
"Der Schwerpunkt dieser Städtepartnerschaften [liegt] nun nicht mehr auf Verwaltungshilfe, sondern in der Pflege von Kontakten zwischen Bürgerinnen und Bürgern, Vereinen, Einrichtungen und den Mitgliedern der Stadträte"
Auf diese Weise kommen am Tag der Deutschen Einheit auch die Städtepartnerschaften zum Ausdruck. Sie erzählen zahlreiche vielseitige, kleine und erfolgreiche Geschichten der Wiedervereinigung und des Zusammenwachsens "von unten".
Zitierweise: Costanza Calabretta, Deutsch-deutsche Begegnungen. Die Städtepartnerschaften am Tag der Deutschen Einheit, in: Deutschland Archiv, 31.8.2015, Link: www.bpb.de/211058