Die erste ausländische Hauptstadt, die Erna Solberg, Norwegens neue Premierministerin, im Herbst 2013 besuchte, war Berlin. Dies rührte nicht nur von der parteipolitischen Verwandtschaft und der persönlichen Bewunderung für Bundeskanzlerin Angela Merkel her. Viel wichtiger war die politische Überzeugung, dass Deutschland Norwegens wichtigster Partner in Europa sei.
Diese Freundschaftspflege war bislang relativ problemlos, weil auch das wiedervereinigte Deutschland Interesse an der Zusammenarbeit mit Norwegen hatte. Beide Länder teilen sicherheitspolitische und handelspolitische Interessen. Als Norwegen 1994 den Beitrittsvertrag verhandelte, war Deutschland innerhalb der Europäischen Union die treibende Kraft für eine norwegische EU-Mitgliedschaft. Seitdem hat Deutschland Norwegen unterstützt, sowohl innerhalb der EU, als auch in Verhandlungen mit Russland. Merkels Initiative von 2014, Norwegens ehemaligen Premierminister Jens Stoltenberg zum Generalsekretär der NATO zu machen, sollte auch im Licht dieser Interessengemeinschaft verstanden werden. Die Vorstellungen von Werten und Normen, nach denen die internationale Gemeinschaft organisiert werden sollte, gleichen sich in beiden Hauptstädten.
Bundeskanzler Gerhard Schröder sagte während eines inoffiziellen Besuchs in Norwegen im Jahr 2000, dass "das größte Problem in der Beziehung zwischen unseren Ländern ist, dass es überhaupt keine Probleme gibt."
Der Ausgangspunkt: Die lang anhaltende Vorstellung von einem "deutschen Problem"
1988 wurden Norwegens Außenpolitiker auf eine neue Dynamik im deutsch-deutschen Verhältnis aufmerksam und gestanden sich auch offiziell ein, dass die Teilung Europas nicht als irreversibel gesehen werden musste.
Seit den 1970er Jahren spiegelte diese Diskriminierung aber immer weniger ein tatsächlich vorhandenes Misstrauen in der Bevölkerung wider. Bei vielen Norwegerinnen und Norwegern hatte Willy Brandts Ostpolitik seit 1969 zu neuem Vertrauen in Deutschland beigetragen: 1971 erhielt er in Oslo den Friedensnobelpreis. Mit seiner antinazistischen Vergangenheit als Flüchtling in Norwegen und Schweden besaß Brandt schon früh Glaubwürdigkeit bei den Norwegern.
Die immer intensiveren Wirtschaftsbeziehungen mit der Bundesrepublik, insbesondere in der Ölwirtschaft, führten auch zu einer engeren politischen Zusammenarbeit. 1974 wurde das erste Abkommen über den Transport von fossilen Brennstoffen aus der Nordsee nach Deutschland (Ekofisk-Gebiet) unterzeichnet. 1976 unterzeichneten beide Länder das sogenannte Gjerde-Friedrichs-Protokoll, welches die bilaterale Zusammenarbeit in Energie- und Industriefragen erweitern sollte. Das Protokoll war die Grundlage für einen ständig wachsenden Export von Erdöl und Erdgas aus Norwegen nach Deutschland, mit der Eröffnung einer ersten Erdgas-Pipeline 1977. Weitere große Erdgasabkommen wurden in den 1980er Jahren abgeschlossen. Diese Form der energiepolitischen Zusammenarbeit wurde der Grundstein für die immer intensiveren deutsch-norwegischen Wirtschaftsbeziehungen. Denn dadurch vertieften sich auch die industrielle Zusammenarbeit sowie der Handel in weiteren Bereichen. 1986 wurde erneut eine deutsch-norwegische Handelskammer gegründet. Die letzte Handelskammer war 1940 zum Instrument der deutschen Besatzer geworden und wurde 1945 abgeschafft.
Auf die immer engere Zusammenarbeit folgte in den 1970er Jahren auch eine symbolische Kulturpolitik. Als Meilenstein ist der Norwegenbesuch von Bundespräsident Richard von Weizsäcker von 1986 zu sehen.
Selbst wenn das Misstrauen tendenziell entkräftet wurde, gab es immer wieder Gelegenheiten, bei denen es in den Medien an die Oberfläche kam. In großen außenpolitischen Fragen, in denen die Bundesrepublik eine Rolle spielte - ob es sich um die Nuklear-Strategie der NATO oder die Frage einer EG/EU-Mitgliedschaft handelte - war es immer noch sichtbar. 1994 behauptete zum Beispiel der oft sehr unverblümt argumentierende norwegische Parlamentarier Per Olaf Lundteigen, gegen eine Mitgliedschaft Norwegens in der EG/EU spreche, dass "eine Union mit Deutschland an der Spitze" nicht passe.
Reaktionen auf die deutsche Vereinigung und das vereinte Deutschland
Mit Helmut Kohls überraschendem Zehn-Punkte-Plan für eine deutsche Einheit vom 28. November 1989 war auch für Norwegen "die deutsche Frage" wieder aktuell geworden. In den Regierungskanzleien in Oslo wurde der Zehn-Punkte-Plan zunächst gebilligt. Das Programm stimmte mit dem - von der Regierung im Allgemeinen geteilten - Recht auf nationale Selbstbestimmung überein. Der Westen hatte auch während des Kalten Krieges daran festgehalten, dass dieses auch für "die deutsche Frage" gelte. Solange der Prozess der Wiedervereinigung im Rahmen einer größeren europäischen Zusammenarbeit stattfinden würde, an der sich auch die USA beteiligte, stellte er auch keine Herausforderung für die norwegische Außenpolitik dar. Der norwegische Außenminister Kjell Magne Bondevik sagte im Parlament, dass eine Wiedervereinigung im Anschluss an "den Intergrationsprozeß der EWG, an die Verpflichtung Deutschlands in der NATO und an den KSZE-Prozess" geschehen müsse.
Die Ursache für dieses Beharren auf einer NATO-Mitgliedschaft war sicherlich nicht nur der Wunsch, das Bündnis zu stärken, sondern auch die alte Vorstellung, dass die NATO Deutschland einhegen würde. Obwohl das starke Misstrauen aus den 1950er Jahren zweifellos verschwunden war, schaffte "die deutsche Frage" in Norwegen immer noch Unruhe. Die konservative Zeitung Aftenposten äußerte in einem Leitartikel Besorgnis über die Situation und die Möglichkeit, dass sich eine neue Diskussion über die Ost-Grenze Deutschlands entwickeln könnte. Bezug nehmend auf - als zweideutig empfundene - Aussagen von Bundeskanzler Kohl, malte sie offen das Schreckgespenst eines expansiven deutschen Nationalismus an die Wand.
Daraus kann man schließen, dass die Unruhe, welche die Frage einer Wiedervereinigung in Norwegen anfänglich ausgelöst hatte, vor allem auf die Sorge vor einem gestärkten, expansiven Deutschland zurückzuführen war. Doch diese Bedenken verschwanden, als sich die NATO-Mitgliedschaft des wiedervereinigten Deutschlands abzeichnete.
Die Freundschaftspflege gegenüber dem vereinten Deutschland
In der Zeit nach der Wiedervereinigung verstärkte Norwegen seine Kulturpolitik. Ziel war die Förderung eines positiven Deutschlandbilds in Norwegen. Dies ist in enger Zusammenarbeit mit deutschen Akteuren geschehen. Ein Beispiel ist die Gründung der norwegisch-deutschen Willy-Brandt Stiftung im Jahr 2000. Die Stiftung will zu einer "Vertiefung der Beziehungen und zu einem besseren gegenseitigen Verständnis beider Länder beitragen."
Es gibt allen Grund anzunehmen, dass die häufige und andauernde Betonung einer beiderseitigen Interessengemeinschaft nach der Wiedervereinigung zu einem positiveren Deutschlandbild in Norwegen beigetragen hat. Wie dies genau geschehen ist, kann nicht rekonstruiert werden. Es gibt weder ausreichend Meinungsumfragen noch empirische Medienanalysen über den gesamten Zeitraum. Sicher ist jedoch, dass die Strategie Norwegens, ein zeitgemäßes Deutschlandbild bei den Norwegern zu bilden, aufgegangen ist. Die zunehmende Bedeutung Deutschlands führte auch dazu, dass die norwegische Regierung 1999 eine spezifische Deutschland-Strategie formulierte. Um die Freundschaft zu stärken, sollten die beiderseitigen Kontakte intensiviert und erweitert werden. Die Freundschaftspflege sollte das gegenseitige Ansehen in den Ländern erhöhen. Die Strategie enthielt spezifische Zielsetzungen in ausgewählten Schwerpunktbereichen wie beispielsweise Europapolitik, Wirtschaftspolitik, Handel und kulturelle Zusammenarbeit. Sie ist 2003, 2007 und 2014 überarbeitet worden. Seit 2007 wurde der Strategie auch ein eigener Handlungsplan beigefügt.
In seinem Vorwort von 2007 bestätigte Außenminister Jonas Gahr Støre, die Strategie "war und ist, ein sinnvolles und nützliches Instrument für die Weiterentwicklung der deutsch-norwegischen Beziehungen auf bilateraler Ebene. Die Zusammenarbeit mit Deutschland ist von größter Bedeutung für Norwegen, sie erfordert von uns eine ganzheitliche und zielgerichtete Vorgehensweise in allen Bereichen."
Fazit
In der Zeit des Misstrauens entwickelte sich langsam eine Interessengemeinschaft zwischen Norwegen und Deutschland. Das war mitentscheidend für eine Überarbeitung der norwegischen Strategie gegenüber Deutschland. Nach der Wiedervereinigung wurde die Bundesrepublik als "zuverlässiger" Partner bezeichnet, eine Bezeichnung, die bis dahin neu war. Das Misstrauen, das sich in den 1970er und 1980er Jahren abgeschwächt hatte, verschwand mit der Wiedervereinigung 1990 vollständig. Seitdem hat die Kombination aus einer zielgerichteten Kulturpolitik und einer stärkeren wirtschaftlichen Integration scheinbar funktioniert. Die gemeinsame Energiepolitik ist zum Fundament der deutsch-norwegischen Zusammenarbeit geworden, und sowohl Oslo als auch Berlin wollen diese Zusammenarbeit noch erweitern.
Zitierweise: Hans Otto Froland: Von Misstrauen (bis) zur zuverlässigen Interessengemeinschaft. Eine Kontextualisierung der norwegischen Freundschaftspflege mit dem vereinten Deutschland, in: Deutschland Archiv, 19.12.2014, Link: http://www.bpb.de/197834