Antisemitismus hat - nach wissenschaftlicher Erkenntnis, die oft im Gegensatz zur gefühlten Situation steht - in Deutschland eine eher abnehmende Tendenz. Zu den Ergebnissen der Langzeitstudie des Wissenschaftlerteams um Wilhelm Heitmeyer an der Universität Bielefeld über gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit mit dem assoziativen Titel "Deutsche Zustände"
Judenfeindschaft hat viele Formen
Auch das zuständige amtliche Organ entdeckte keine zunehmende Tendenz des Antisemitismus, wenn man dem jüngsten Verfassungsschutzbericht glauben darf.
Antizionismus ist eine weitere Version von Judenfeindschaft. Ihr Kern ist die Verweigerung des Existenzrechtes Israels. Hier treffen sich arabische Feinde Israels mit Gesinnungsgenossen in aller Welt. Und hier docken die Antisemiten an, die etwas gegen "die Juden" haben, dies aber so nicht äußern dürfen, weil das dem politischen Comment unserer Gesellschaft fundamental widerspricht. Unter dem Deckmantel der Israelkritik finden sie sich; weil sie aber nicht (oder nicht nur) den Staat Israel und dessen Handlungen meinen, sondern "die Juden" generell, erkennt man sie. Ihr Feindbild sind die Juden als solche, und das charakterisiert den Antisemitismus.
Nicht nur die Judenhasser und die Israelfeinde bieten Anlass zur Sorge. Aktivisten versuchen, den Begriff Antisemitismus auf die Haltung gegenüber Israel zu verengen und beziehen in ihr Verdikt jede kritische Haltung zur israelischen Politik mit ein. Fest steht leider, dass die Stimmung gegenüber Israel erodiert. Das ist aber nicht gleichbedeutend mit altem oder neuem Antisemitismus. Und das rechtfertigt nicht Vergleiche der gegenwärtigen Situation mit dem Nationalsozialismus oder die Klage, die Juden in Deutschland seien derzeit in einer Lage wie nicht mehr seit dem "Dritten Reich". Im Gegenteil: Politik, Medien und Gesellschaft sind mit den jüdischen Bürgern der Bundesrepublik und dem Staat Israel solidarisch wie in keinem anderen Land – als Lehre aus der Geschichte, aus Schuldgefühl, aus Verantwortung gegenüber einer Minderheit, die Ziel eines Völkermords aus deutscher Ideologie war.
Notwendige Vergleiche aber keine Gleichsetzung
Das unterscheidet die Haltung gegenüber der Minderheit der Sinti und Roma, die überwiegend durch Abneigung und Gleichgültigkeit gekennzeichnet ist. Dafür bürgert sich, analog zum Begriff Antisemitismus, neuerdings der Terminus Antiziganismus ein.
Strukturell gibt es viele Gemeinsamkeiten im Vorurteil der Mehrheit gegen beliebige Minderheiten. Die von Ressentiments bestimmte Haltung der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Juden, Sinti und Roma, um nur die drei wichtigsten und größten Gruppen zu nennen, ist vergleichbar (und setzt keineswegs die diskriminierten Gruppen gleich). Der Vergleich ist notwendig, um allgemeingültige Aussagen über das Verhalten der Mehrheit zu ermöglichen.
Das Opfer als Schuldiger
Die Vorstellung, die Abneigung gegen eine Minderheit sei von dieser selbst, nicht von der ausgrenzenden Mehrheit, verursacht, korrespondiert mit dem Wunsch der Mehrheit, über Herkunft, Sitten und Gebräuche der Minderheit ins Bild gesetzt zu werden. Muslimfeinde unterhalten deshalb ihr Publikum mit Schauergeschichten über den Islam und diejenigen, die in Traktaten und Pamphleten die angeblichen Schandtaten der Juden und deren Ursprung in der mosaischen Religion anprangern, haben seit Jahrhunderten den Beifall von Judenfeinden gefunden. Die Beschreibung des Fremden soll bestimmten Erwartungen entsprechen, sie hat den Zweck, überlieferte Mutmaßung zu festigen, "Beweise" zu erbringen und die Ablehnung der missliebigen Gruppe zu rechtfertigen. Ritualmordlegenden und Brunnenvergiftungsvorwürfe gegen Juden wurden so lange und immer wieder literarisiert, bis sie kanonisiert und fest in der Volkskultur und im öffentlichen Bewusstsein verankert waren. Nicht anders funktionieren die populären Zigeunerbilder, die leicht abgerufen werden können, um die Gewissheit über Diebstahl und Kinderraub, Rosstäuscherei und anderen Betrug als kulturelle Eigenart und gewöhnliche Erwerbsquelle der "Zigeuner" zu fixieren.
Bestätigung durch "Experten"
Informationen über Herkunft, Kultur, Rechtsauffassung, Folklore, soziales Leben usw. der Roma, die von "Experten" geboten werden, haben im besten Fall die wohlmeinende, aber nie funktionierende Intention, patriarchalisches Verständnis für die Minderheit zu wecken, so wie im Verständnis der Kolonialherren die Eingeborenen, über die sie herrschten, mit ihren Sitten und Gebräuchen wahrgenommen wurden. Höhepunkt solcher Einstellung waren die bis Anfang des 20. Jahrhunderts beliebten Völkerschauen, bei denen sich zur Belustigung eines gaffenden Publikums Afrikaner oder Indianer präsentieren mussten. Auch Heinrich Himmler, als Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei einer der mächtigsten Männer des NS-Regimes, war von solchen Reminiszenzen geleitet, als er darüber nachdachte, ein paar "reinrassige Zigeunerfamilien" nach der Ermordung aller anderen am Leben zu lassen, als Anschauungsobjekte für "wissenschaftliche" Ambitionen.
Die herablassende Beschreibung der Zustände im "Negerdorf" bleibt Ausdruck von Rassismus und erklärt weder Armut noch Wohlstand, weder gute noch schlechte Charaktereigenschaften einzelner Individuen des Kollektivs. Mit anderen Worten: die Beschreibung und Erklärung des Verhaltens einer ethnischen, nationalen, religiösen oder sozialen Gruppe durch Außenstehende dient manches Mal der Bestätigung von Vorurteilen, nicht deren Auflösung.
Die Frage nach ihrer geografischen und ethnischen Herkunft, die Suche nach ihrer Eigenart, ihrer Sprache, ihrem Wesen hat Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seit dem 18. Jahrhundert veranlasst, sich mit "den Zigeunern" zu beschäftigen. Anders als bei anderen "Fremden" wie vor allem den Juden, die ebenfalls seit Jahrhunderten in Mitteleuropa lebten und als randständige Existenzen ausgegrenzt blieben, bot die Religion keine Anhaltspunkte, sie als fremd und feindlich zu definieren. Allenfalls Aussehen und Sprache waren Merkmale des Andersseins, im Wesentlichen waren es sozialer Status und Zuschreibung durch die Mehrheitsgesellschaft. Die Zuschreibungen waren negativ, sie bedienten Konnotationen wie "asozial" und "kriminell" und sicherten den Abstand zur Minderheit. Damit war auch gewährleistet, dass der soziale Status der Angehörigen der Minderheit unverändert blieb, nämlich am unteren Ende der Skala.
Im Ressentiment vereint
In ihrer Abneigung gegen Sinti und Roma sind sich die Europäer einig. Auch in der Bundesrepublik bilden sie die am stärksten abgelehnte Minderheit, das bestätigen Umfragen immer wieder. Eine Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie ergab im Jahr 1988, dass 50 Prozent der Bundesbürger Ressentiments gegen "Zigeuner" hegten, 1992 war die Zahl auf 64 Prozent angestiegen. Zwei Jahre später ermittelte EMNID, dass jetzt 68 Prozent der Deutschen Sinti und Roma grundsätzlich ablehnend gegenüberstanden und zum Beispiel nicht in deren Nachbarschaft leben wollten.
Wissen um die Geschichte
Die Studie "Bevölkerungseinstellungen gegenüber Sinti und Roma", die von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2013 in Auftrag gegeben wurde, erbrachte erstmals Zahlen darüber, welches Bild sich die Mehrheitsgesellschaft von der Minderheit macht. Die repräsentative Befragung hatte das Ziel, das Wissen und die Ressentiments der Deutschen über Sinti und Roma zu ermitteln.
Einschätzungen der Situation - Bilder und Vorurteile
Die Begriffe Sinti und Roma sind weithin bekannt, nur jede(r) Zwölfte kann sie nicht zuordnen. Eine Differenzierung zwischen den Sinti und den Roma ist allerdings für 93 Prozent der Deutschen nicht möglich. Beide werden gleichgesetzt, was Folgen für die Beurteilung der Situation beider Gruppen hat.
Die Lebensumstände der Minderheit in Deutschland werden von einem Viertel der Befragten als ziemlich schlecht eingeschätzt, nur zwei Prozent meinen, es gehe ihnen sehr gut, während neun Prozent glauben, sie lebten sehr schlecht. Im Vergleich zur Situation in anderen europäischen Ländern bewerten sie die Situation der in Deutschland lebenden Sinti und Roma etwas besser: 20 Prozent halten die Lage außerhalb Deutschlands für ausreichend, 27 Prozent für mangelhaft, 22 Prozent für ungenügend und 14 Prozent für noch schlechter.
Bemerkenswert sind, trotz der zwangsläufig sehr allgemein gehaltenen Aussagen, die Vorschläge für ein gutes Zusammenleben von Mehrheit und Minderheit. Fast alle Befragten (91 Prozent) verlangen (möglicherweise ohne sich im Klaren zu sein, was das bedeutet) Integrationsangebote, 83 Prozent plädieren für den freien Zugang zum Arbeitsmarkt, aber 80 Prozent wünschen die "Bekämpfung von Leistungsmissbrauch", 78 Prozent fordern die Bekämpfung von Kriminalität, 70 Prozent wollen, dass Jugendämter Aktivitäten entfalten ("Eingreifen"). Dass auf dem Wohnungsmarkt keine Diskriminierung stattfindet, möchten 68 Prozent, dass Minderheitenrechte gestärkt werden, wollen 63 Prozent. Die Bereitstellung von Sozialleistungen ist 56 Prozent der Befragten ein Anliegen. Aber die Hälfte (50 Prozent) fordert Einreisebeschränkungen, ein gutes Drittel (34 Prozent) ruft nach mehr Polizei. Mehr als jede(r) Fünfte hält Abschiebung für das richtige Mittel, das Zusammenleben zu fördern und 14 Prozent, das heißt fast jede(r) sechste Deutsche hält die "gesonderte Unterbringung" (zu übersetzen als Ghettoisierung oder Lageraufenthalt) für eine wünschenswerte Methode des Umgangs mit der Minderheit. Die Umfrage zielt auf Erkenntnisse über die Einstellung gegenüber einer Minderheit. In den Antworten werden Maßnahmen gefordert, die man für üblich oder zweckdienlich hält, die zugleich Ressentiments widerspiegeln (Einreisebeschränkungen, Ruf nach Polizei, Abschiebung, Sorge vor Leistungsmissbrauch), aber auch unspezifiziert Gebote der politischen Kultur und Toleranz (freier Zugang zum Arbeitsmarkt, keine Diskriminierung beim Wohnungsmarkt) deklinieren. Mehr lässt sich von einer Meinungsumfrage nicht erwarten.
Ignoranz und Gleichgültigkeit
Als zentrale Erkenntnis ergibt sich aus der empirischen Studie der Eindruck, dass sich die Mehrheit für die Minderheit weder interessiert noch engagiert. Die Mehrheit sieht auch die deutschen Staatsbürger, die der missachteten Ethnie angehören, als Fremde, von deren Schicksal man sich nicht im Geringsten berührt fühlt. In diese Gleichgültigkeit stoßen die neuen Fremdbilder über zuwandernde Roma aus Südosteuropa und werden zu Feindbildern.
Auch die jüngste Rechtsextremismus-Studie "Die stabilisierte Mitte" der Universität Leipzig
Mit den Methoden der Vorurteilsforschung
Aus der Perspektive der Vorurteilsforschung, die sich als Erweiterung der Antisemitismusforschung versteht,
Bedrohungsängste
Die Situation ist derzeit gekennzeichnet durch Bedrohungsängste, die seit den 1990er Jahren im steigenden Maß durch Zuwanderer aus Ostmittel- und Südosteuropa ausgelöst werden. Unerwünschte Migranten wurden und werden allzu pauschal als Roma verortet, obwohl es weder Hinweise noch belastbare statistische Erhebungen gibt, die den tatsächlichen Anteil der Roma an den Migranten aus Rumänien, aber auch aus Ungarn oder Bulgarien ausweisen würden. Lange bevor das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 1999 die ethnische Herkunft von Migranten erfasste (und damit zwischen Türken und Kurden oder im Falle des Kosovo zwischen Albanern, Serben und Roma unterschied), wussten Tageszeitungen, dass der größte Teil der Zuwanderer Roma seien. Das war allenfalls dumm vermutet oder ahnungslos unterstellt, schürte aber die Sorgen der Bürger, eine gewaltige Welle räuberischer, gewalttätiger und bösartiger Horden überflute vom Balkan her Deutschland.
Die medialen Feindbilder sind wirkungsvoll, auch wenn sie nicht der Realität entsprechen. Aber Tatsache ist, dass Roma in ihren Herkunftsländern Opfer unverhältnismäßiger Repressalien und Gewalt sind, ausgeübt von Behörden und der Polizei, die atavistischen Umgang pflegen mit den Angehörigen einer Minderheit, die traditionell als rechtlos gilt, weil sie arm und ausgegrenzt ist.
Die mit lustvollem Grausen geschriebenen Features über junge Roma-Frauen, die zur Prostitution abgerichtet, über Kinder, die zur organisierten Bettelei in den Westen verfrachtet werden, über die Reichtümer, die sich "Bulibaschas" an der Spitze von Clans und Großfamilien durch solche organisierte Kriminalität verschaffen, zeigen nicht die gültige Wahrheit über die Roma. Sie bilden lediglich einen unerfreulichen und meist verzerrten Teil der Wirklichkeit ab und durch Art und Stil der Berichterstattung wird nahegelegt, die Ursachen seien in der Natur der "Zigeuner" zu suchen, nicht in den katastrophalen Lebensumständen, in die die Roma gezwungen sind.
Begrifflichkeiten
Aus der von der Mehrheit in Deutschland akzeptierten Bezeichnung Sinti und Roma lässt sich kein Begriff ableiten, der Ressentiments und Feindschaft gegen die ethnisch und kulturell definierte Bevölkerungsgruppe adäquat bezeichnen würde. So wurde der Terminus "Antiziganismus" gebildet, der freilich im Wortstamm auf die rassistische Begrifflichkeit "Zigeuner" verweist. Zum "Antiziganismus" gibt es, ebenso wie zum "Antisemitismus" keinen positiven Gegenbegriff. Weder das Wort "Ziganismus" noch der Ausdruck "Semitismus" ergeben einen Sinn, auch wenn sich Antisemitismus als Oberbegriff für alle Formen von Judenfeindschaft längst eingebürgert hat und Antiziganismus zunehmend Akzeptanz gewinnt. Auch die präzise Bezeichnung des Sachverhalts der Ablehnung des Islam und der Muslime ist schwierig. Der gängige Begriff "Islamophobie" löst bei denen, die sich selbst "Islamkritiker" nennen, besonders erbitterte Wutschreie aus, Muslimfeindschaft wäre richtig, wird aber von denen nicht akzeptiert, die behaupten, sie hätten Probleme mit "dem Islam", nicht aber mit Muslimen (was freilich absurd ist, weil es auch kaum möglich sein dürfte, "das Judentum" abzulehnen, aber gegen "die Juden" keine Abneigung zu hegen).
Die Beispiele Antisemitismus und Islamophobie sind allerdings auch deshalb nur bedingt tauglich zur Konstruktion von Parallelbegriffen, denn in beiden Feindstrukturen geht es ursprünglich um die Religion der abgelehnten Minderheit. Der Begriff Antisemitismus ist seit 1879 nachweisbar. Der Pamphletist und Judenhasser Wilhelm Marr benutzte ihn, um die bislang religiös begründete Ablehnung der Juden neu zu begründen durch ihre "Rasse". Der religiöse Antijudaismus bildete das Fundament des neuen, pseudowissenschaftlich argumentierenden rassistischen Ressentiments, das die Juden aufgrund ihrer angeblichen Rasseeigenschaften definierte. Es hat aber nie eine "Rasse" der Semiten gegeben. Philologen haben im 18. Jahrhundert der semitischen Sprachfamilie zahlreiche Idiome zugeordnet, außer dem Arabischen und dem Hebräischen auch Akkadisch, Kanaanäisch, Aramäisch, Moabitisch, Amharisch, Tigre usw. Fanatische Judenfeinde folgerten aus dem philologischen Sachverhalt eine ethnische Gruppierung – sie nannten sie "Rasse" – der vermeintlich Juden und Araber gemeinsam angehören. Dem Irrtum hängen viele bis zur Gegenwart an. Man lernt daraus nicht nur, dass Vorurteile zählebig sind, sondern auch, dass Begriffsbildungen, um den Sachverhalt zu benennen, schwierig sind. Das Ergebnis ist oft schief und irreführend, aber kaum korrigierbar.
Ein Anspruch auf Deutung
Die Abneigung gegen und Diskriminierung von Sinti und Roma ist noch schwerer in einen Begriff zu fassen als das Ressentiment gegen Juden, da das Vorurteil gegen die Religion, das gegenüber Juden ursprünglich und gegen Muslime hauptsächlich bestimmend ist, bei Sinti und Roma, die mehrheitlich Christen sind, keine Bedeutung hat. Umso stärker wirkt der rassistische Vorbehalt, der den damit Stigmatisierten genetisch bedingte üble Eigenschaften wie den angeblichen Hang zur Kriminalität und die behauptete Zivilisationsverweigerung, Bildungsunlust und Verschlagenheit zum Vorwurf machen.
Der Terminus Antiziganismus fixiert den Sachverhalt der Ablehnung einer großen und differenzierten Minderheit. Antiziganismus umfasst (wie der Antisemitismus) die ganze Skala ablehnenden Verhaltens, beginnend bei Einstellungen gegenüber Sinti und Roma, über Formen der Diskriminierung, der Vertreibung bis zur Gewalt und existenziellen Vernichtung. Antiziganismus richtet sich gegen Sinti und Roma, weil sie Sinti und Roma sind, das heißt das Ressentiment grenzt pauschal das Kollektiv als solches aus und differenziert nicht nach Individuen. Auch das ist eine Analogie zum Antisemitismus. Antiziganismus richtet sich nicht nur gegen Sinti und Roma, sondern auch gegen Gruppen wie die Jenischen oder die irischen Travellers (pavee) und andere, die als "Zigeuner" wahrgenommen werden.
Antiziganismus ist eine Haltung der Mehrheit zur Normensetzung, die dazu dient, Sinti und Roma auszugrenzen. Antiziganismus ist zugleich ein Anspruch auf Deutung, nämlich der Definition der Minderheit, um deren Ausgrenzung zu rechtfertigen. Antiziganismus ist schließlich ein Akt der Erzeugung von Mehrheitskonsens durch Ausschluss und Selbstbestätigung. Antiziganismus bedient sich rassistischer, kultureller und sozialer Methoden und greift auf Stereotypen zurück, die eine lange Tradition haben. Die Stereotypen sind Zuschreibungen, die als Charaktereigenschaften der Minderheit verstanden werden sollen. Auch dies ist eine Parallele zum Antisemitismus.
Zitierweise: Wolfgang Benz, Antisemitismus und Antiziganismus: Vorurteile gegen Minderheiten, in: Deutschland Archiv 30.9.2014, Link: www.bpb.de/191739