Die Geschichte eines Landes setzt sich aus dem Zusammenspiel vieler kleiner Geschichten zusammen; sie wird von Personen, Orten, Ereignissen, aber auch von der materiellen Umwelt geprägt. Und sie wird in ihren unterschiedlichen Zeitabschnitten von verschiedenen Forschungseinrichtungen untersucht. Bei der historiografischen Analyse der DDR bringen dabei neben den großen Forschungsstellen auch Institute ihre disziplinäre Sicht in den Diskurs ein, die sich mit einem zunächst eher sektoral zugeschnittenen Zugriff mit Teilsegmenten von Geschichte und Gesellschaft Ostdeutschlands beschäftigen. Dabei arbeiten sie aber durchaus mit dem Anspruch, einen eigenen Beitrag zu einer differenzierten Gesellschaftsgeschichte der DDR zu liefern.
Mit diesem Themenschwerpunkt, der von einer solchen Forschungseinrichtung, der Historischen Forschungsstelle des Leibniz-Instituts für Regionalgeschichte und Strukturplanung (IRS) in Erkner,
Die aktuelle Forschungslage oder: Warum es (immer noch) spannend und wichtig ist, die Geschichte der DDR zu erforschen und zu vermitteln
Die DDR bietet den Historikern als Staat und Gesellschaftssystem einer abgeschlossenen historischen Epoche ein vielversprechendes Untersuchungsfeld, das dank reichlich vorhandener (und inzwischen auch gut erschlossener) Archivquellen und noch lebender Zeitzeugen wie im geschichtswissenschaftlichen Labor unter die Lupe genommen werden kann. Dabei lassen sich im Umgang mit der DDR durchaus widersprüchliche Tendenzen feststellen. Einerseits gibt es große Lücken im Geschichtsbewusstsein und im Kenntnisstand selbst hinsichtlich der Grundzüge und -fakten der DDR-Geschichte – gerade von Schülern und nicht nur von den westdeutschen Bewohnern der Bundesrepublik.
Ähnlich wie in der Öffentlichkeit besteht auch in der geschichtswissenschaftlichen Forschung nach wie vor ein starkes Interesse an der DDR-Geschichte.
Schwarzbauten: In der DDR konnten neben Schwimmhallen auch zahlreiche alte und kriegszerstörte Sakralbauten nur durch das eigensinnige Zusammenziehen übriggebliebener Investitionsmittel im Baubereich am Ende des Planjahres und außerhalb des Planes realisiert werden. Hier das Beispiel der auf diese Weise seit 1979 wiederaufgebauten Marienkirche in Frankfurt (Oder) durch den Stadtarchitekten Manfred Vogler (© Wikimedia)
Schwarzbauten: In der DDR konnten neben Schwimmhallen auch zahlreiche alte und kriegszerstörte Sakralbauten nur durch das eigensinnige Zusammenziehen übriggebliebener Investitionsmittel im Baubereich am Ende des Planjahres und außerhalb des Planes realisiert werden. Hier das Beispiel der auf diese Weise seit 1979 wiederaufgebauten Marienkirche in Frankfurt (Oder) durch den Stadtarchitekten Manfred Vogler (© Wikimedia)
Wenn aber nicht das Ziel verfolgt wird, allein den defizitären demokratischen und legitimatorischen Charakter des DDR-Systems quasi als Vergleichsfolie zur Entwicklung der Bundesrepublik aufzubauen, dann besitzt die Geschichte der DDR als die Historie eines eigenständigen, gleichzeitig aber mit vielfältigen politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Abhängigkeiten in den Ostblock eingebundenen und damit gegenüber dem Westen abgegrenzten Sozial- und Politiksystems besondere Relevanz. Dabei können hier spezifische gesellschaftliche Aushandlungsprozesse und (geduldete bzw. erkämpfte) Handlungsspielräume beobachtet werden, die die Bewohner der DDR als betroffene Akteure der Geschichte besaßen.
Aneignung und Widerstand durch die Bevölkerung: Der Neugestaltung des Areals eines alten Gaswerks aus dem 19. Jahrhundert im Ost-Berliner Bezirk Prenzlauer Berg als Wohngebiet "Ernst-Thälmann-Park" gingen heftige Proteste der Bevölkerung voraus, die mit Parolen wie "Gasometer sprengt man nicht" und einer riesigen Menschenmenge im Juli 1984 vergeblich die Sprengung der alten Gasometer verhindern wollte (© IRS Erkner, Wissenschaftliche Sammlungen)
Aneignung und Widerstand durch die Bevölkerung: Der Neugestaltung des Areals eines alten Gaswerks aus dem 19. Jahrhundert im Ost-Berliner Bezirk Prenzlauer Berg als Wohngebiet "Ernst-Thälmann-Park" gingen heftige Proteste der Bevölkerung voraus, die mit Parolen wie "Gasometer sprengt man nicht" und einer riesigen Menschenmenge im Juli 1984 vergeblich die Sprengung der alten Gasometer verhindern wollte (© IRS Erkner, Wissenschaftliche Sammlungen)
Eine moderne Geschichte, die beide Seiten der Erinnerung und Identität ernst- und wahrnimmt, erfordert zudem eine dichte Beschreibung der DDR – als eigenständiges Phänomen und als Teil einer (gesamt-)deutschen Kultur-, Sozial- und Politikgeschichte zugleich.
Vom Politbüro abgebrochenes Pionierprojekt: Unter der Leitung des führenden Landschaftsarchitekten der frühen DDR, Reinhold Lingner (1902–1968), wurde 1950–1952 eine Bestandsaufnahme der gesamten DDR vorgenommen, in der die Zerstörung von Landschaften durch Bergbau und andere Eingriffe des Menschen dokumentiert wurden. Die brisanten Ergebnisse (hier das Beispiel um Klettwitz/Bezirk Cottbus) veranlassten die SED, das Projekt abzubrechen und unter Verschluss zu halten (© IRS Erkner, Wissenschaftliche Sammlungen)
Vom Politbüro abgebrochenes Pionierprojekt: Unter der Leitung des führenden Landschaftsarchitekten der frühen DDR, Reinhold Lingner (1902–1968), wurde 1950–1952 eine Bestandsaufnahme der gesamten DDR vorgenommen, in der die Zerstörung von Landschaften durch Bergbau und andere Eingriffe des Menschen dokumentiert wurden. Die brisanten Ergebnisse (hier das Beispiel um Klettwitz/Bezirk Cottbus) veranlassten die SED, das Projekt abzubrechen und unter Verschluss zu halten (© IRS Erkner, Wissenschaftliche Sammlungen)
Bei aller Notwendigkeit einer solchen integrativen Herangehensweise geht die Geschichte der beiden Teilstaaten in einer derartigen Vergleichsperspektive freilich nicht ganz auf. Dafür tragen die jeweiligen Entwicklungen gerade nach der Grenzschließung vom August 1961 zu viele eigenständige und hermetische Züge, die im Rahmen einer differenzierten Nachkriegsgeschichte ebenso herausgearbeitet werden müssen wie die deutsch-deutschen und internationalen Bezüge. Und schließlich darf in Zeiten der Turbo-Internationalisierung auch das Bedürfnis nach (nationaler) Selbstvergewisserung nicht vergessen werden: Hier sind die Historiker durchaus gefragt, wissenschaftlich fundierte Deutungsangebote zu liefern, welche gängige Mythen und Narrative kritisch in Frage stellen – die Geschichte der beiden deutschen Staaten bietet hierfür reichlich Stoff und Betätigungsmöglichkeiten.
Weshalb ist die Planungs-, Bau- und Architekturgeschichte der DDR spannend?
Das Bedürfnis des Menschen, in der bebauten Welt Zuflucht und Schutz vor der ihn umgebenden Umwelt zu suchen, bildet eine anthropologische Grundkonstante des Lebens und der Sozialisation. Architekturen formen aber nicht nur das materielle Rückgrat der Gesellschaft, sie stellen auch wichtige Identitätsfaktoren dar. Angesichts der profunden Auswirkungen, die Veränderungen der materiellen Umwelt für den Lebensalltag der Menschen besitzen, bieten die Planung und Gestaltung der gebauten Welt – beispielsweise als Kaufhäuser oder Autobahnen, wie in den Beiträgen von
Erinnerungs- und Sozialisationsort "Platte": Heute weitgehend negativ konnotiert, bedeuteten Großsiedlungen wie hier in Leipzig-Grünau für viele DDR-Bürger das ersehnte und hart erkämpfte Ziel einer modernen Wohnung – ein subjektiv-identitätsstiftender Ort der Sozialisation und Erinnerung der besonderen Art (© IRS Erkner, Wissenschaftliche Sammlungen)
Erinnerungs- und Sozialisationsort "Platte": Heute weitgehend negativ konnotiert, bedeuteten Großsiedlungen wie hier in Leipzig-Grünau für viele DDR-Bürger das ersehnte und hart erkämpfte Ziel einer modernen Wohnung – ein subjektiv-identitätsstiftender Ort der Sozialisation und Erinnerung der besonderen Art (© IRS Erkner, Wissenschaftliche Sammlungen)
In dieser Gemengelage der Interessen und Wahrnehmungen dient Architektur also nicht nur als ebenso wirkmächtiges wie umstrittenes Kommunikationsmedium der Gesellschaft,
Ungeliebtes DDR-Erbe: Auch wenn sie interessante Beispiele einer Architektur der Ostmoderne darstellen, bilden Bauten wie der Kulturpalast in Dresden von 1969 (Architekt: Werner Hänsch) in den Augen bestimmter nostalgieorientierter Kritiker ein architektonisches und städtebauliches Ärgernis dar, das schnellstmöglich verschwinden soll (© IRS Erkner, Wissenschaftliche Sammlungen)
Ungeliebtes DDR-Erbe: Auch wenn sie interessante Beispiele einer Architektur der Ostmoderne darstellen, bilden Bauten wie der Kulturpalast in Dresden von 1969 (Architekt: Werner Hänsch) in den Augen bestimmter nostalgieorientierter Kritiker ein architektonisches und städtebauliches Ärgernis dar, das schnellstmöglich verschwinden soll (© IRS Erkner, Wissenschaftliche Sammlungen)
Ikone der DDR-Moderne: der "Teepott" in Warnemünde von Ulrich Müther, 1968 – einer der wenigen DDR-Bauten, die es in die neue deutsche Architekturwirklichkeit geschafft haben (© IRS Erkner, Wissenschaftliche Sammlungen)
Ikone der DDR-Moderne: der "Teepott" in Warnemünde von Ulrich Müther, 1968 – einer der wenigen DDR-Bauten, die es in die neue deutsche Architekturwirklichkeit geschafft haben (© IRS Erkner, Wissenschaftliche Sammlungen)
Als Folie und Spiegel gesellschaftlicher Zustände und Entwicklungen kann die Bau- und Planungsgeschichte als Sektionsfeld einer tiefensondierten Gesellschaftsgeschichte dienen, und zwar sowohl historisch als auch aktuell-rezeptionsgeschichtlich.
Die Beiträge in diesem Themenschwerpunkt
Architektur ohne Architekten?: Bei der Eröffnung des Ost-Berliner Fernsehturms am 3. Oktober 1969 durch SED-Chef Walter Ulbricht wurden nicht etwa die Planer, sondern die am Bau beteiligten Poliere namentlich genannt (© IRS Erkner, Wissenschaftliche Sammlungen)
Architektur ohne Architekten?: Bei der Eröffnung des Ost-Berliner Fernsehturms am 3. Oktober 1969 durch SED-Chef Walter Ulbricht wurden nicht etwa die Planer, sondern die am Bau beteiligten Poliere namentlich genannt (© IRS Erkner, Wissenschaftliche Sammlungen)
Innovation oder Ärgernis?: Obgleich schon zeitgenössisch umstritten, bemühten sich die Planer im Kollektiv von Wilfried Stallknecht beim Umbau von Bernau (nördlich von Berlin) seit Ende der 70er Jahre um eine farblich differenzierte und die alten Höhendominanten der Stadt respektierende Transformation der Mittelstadt in adaptierter Plattenbauweise (© IRS Erkner, Wissenschaftliche Sammlungen)
Innovation oder Ärgernis?: Obgleich schon zeitgenössisch umstritten, bemühten sich die Planer im Kollektiv von Wilfried Stallknecht beim Umbau von Bernau (nördlich von Berlin) seit Ende der 70er Jahre um eine farblich differenzierte und die alten Höhendominanten der Stadt respektierende Transformation der Mittelstadt in adaptierter Plattenbauweise (© IRS Erkner, Wissenschaftliche Sammlungen)
Im vorliegenden Themenschwerpunkt zur Bau- und Planungsgeschichte werden ausgewählte Beiträge des letzten IRS-Werkstattgesprächs vom Januar 2012 vorgestellt. Ziel war es dabei zum einen, die Forschungen zur DDR in einen vergleichenden Kontext zu stellen, um gerade mit Blick auf die Entwicklungen in der Bundesrepublik und im inter- wie transnationalen Kontext Spezifika und systemübergreifende Gemeinsamkeiten zwischen den beiden deutschen Staaten zu akzentuieren. Zum anderen sollten einige markante Forschungslücken auf dem Gebiet der Planungs- und Architekturgeschichte der DDR geschlossen werden. Insgesamt liefern die hier zusammengestellten Beiträge einen mehrfachen Einblick in die Mikroebene der Bau- und Architekturgeschichte, wobei sie auch den makrostrukturellen Kontext der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen reflektieren und mit einem deutsch-deutschen Vergleich einen Beitrag zur Einordnung der DDR in die Verlaufsgeschichte der gesellschaftlichen Moderne – gespiegelt an der Folie Bundesrepublik – bieten.
Dass in der DDR Architekten trotz begrenzter individueller Handlungsspielräume durchaus interessante Wirkungsmöglichkeiten entfalten konnten, präsentiert
Ebenfalls am Beispiel Halle dokumentiert
Schließlich analysieren Tobias Wolf und Sylvia Necker in ihren deutsch-deutsch vergleichenden Beiträgen Parallelen und Abweichungen bei Bauprojekten in der Bundesrepublik und der DDR. Wolf untersucht die