I
"Vom Rechtsbeuger zum Rechtsanwalt" titelte das ARD-Fernsehmagazin "Kontraste" schon am 7. August 1990.
Jürgen Wetzenstein-Ollenschläger, mutiert. Dieser hatte als Vorsitzender einer sogenannten I a-Kammer Verfahren geleitet, die das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) ermittelt hatte. Prozesszuschauer waren nicht selten MfS-Mitarbeiter, die vom benachbarten Ministerium durch den Heizungskeller ins Gerichtsgebäude kamen.
Seit dem Februar 1990 war das Zulassungsrecht für Rechtsanwälte in der DDR Schritt für Schritt liberalisiert worden. Bis dato hatte es nur knapp 600 Anwälte gegeben, so wenige wie nirgends sonst im Ostblock. Die Zulassung war mit wenigen Ausnahmen an die Mitgliedschaft in einem Rechtsanwaltskollegium auf Bezirksebene gebunden; Justizministerium, SED, Stasi und Kollegium hatten den Zugang reglementiert.
Auf dem Verordnungswege, kurz vor der Vereinigung der beiden deutschen Staaten per Gesetz, wurden im Verlauf des Jahres 1990 diese Hürden abgebaut. Das Kollegium verlor mit dem Rechtsanwaltsgesetz (RAG) vom 15. September seine Existenzberechtigung.
II
Die Opposition im Brandenburgischen Landtag verlangte vor einigen Monaten Auskunft über die Bilanz dieser Überprüfung. Seit 2010 tagt dort auf deren Initiative die Enquete-Kommission "Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einen demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg".
Doch Landesregierung und Landtagsmehrheit tun sich schwer mit der Aufarbeitung der Aufarbeitung, teilweise blockieren sie diese. Der Antrag, mittels einer wissenschaftlichen Expertise die Rechtsanwaltsüberprüfung zu untersuchen, wurde von der Mehrheit in der Enquete abgelehnt. Die Opposition konnte immerhin einen Vortrag im Rahmen einer Anhörung durchsetzen.
Auch das Oberlandesgericht behauptete, "hier keine Unterlagen/Akten" zu haben. In Wirklichkeit liegen die Verwaltungsakten, die Generalakten noch im Keller des brandenburgischen Gerichtes.
Auch die Rechtsanwaltskammer weigerte sich, entsprechende Informationen zuzuarbeiten oder auch nur einen Gesprächspartner zu nennen, weil dies "nur mit unverhältnismäßigem Aufwand" zu bewerkstelligen sei.
III
Schon die SPD-Regierung Manfred Stolpes hatte dem Landtag 1994 verharmlosende Auskünfte über Rechtsanwaltsüberprüfungen gegeben. Danach waren nach dem 3. Oktober 1990 in Brandenburg 327 Anwälte zugelassen. Nach ersten Auskünften sei die Überprüfung für "hiervon … 14 belastend, 46 nicht belastend" ausgefallen.
Aus heutiger Sicht stellt sich die Entwicklung in Brandenburg wie folgt dar: In den drei Bezirken (Potsdam, Frankfurt/Oder, Cottbus), die später das Land konstituierten, hatte es 1989 etwa 80–90 Anwälte gegeben.
Das zuständige Justizministerium sollte laut § 8 RAG die Kammern durch Stellungnahmen in die Zulassung einbeziehen. Es ist allerdings zu bezweifeln, dass dies in den letzten Tagen der DDR überhaupt praktiziert wurde, zumal die Kammern sich erst später bildeten. Wer den "minimalen Anforderungen" genügte, so der altgediente DDR-Anwalt Friedrich Wolff, wurde vom Justizministerium "noch schnell zugelassen."
Die Zulassung war nach § 7 Abs. 2 RAG zu versagen, wenn "sich der Bewerber eines Verhaltens schuldig gemacht hat, die ihn unwürdig erscheinen lässt, den Beruf eines Rechtsanwaltes auszuüben". Dieser Passus orientierte sich wie das ganze Gesetz an der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Es fehlten daher aber Kriterien, die spezifische ostdeutsche Nichteignungsmerkmale definiert hätten.
Schon seinerzeit war bekannt, dass noch in der Nacht vom 2. zum 3. Oktober 1990 im Ost-Berliner Ministerium Zulassungen abgezeichnet wurden. In der Literatur heißt es beschönigend, "Sachbearbeiter" wären dafür zuständig gewesen.
Manfred Walther, Porträtfoto als Abgeordneter in der 1. Wahlperiode des Brandenburgischen Landtags (© Landtag Brandenburg)
Manfred Walther, Porträtfoto als Abgeordneter in der 1. Wahlperiode des Brandenburgischen Landtags (© Landtag Brandenburg)
Manfred Walther, zuvor Rechtsanwalt im Bezirk Cottbus. Was bislang nicht bekannt ist, dass Walther 1980–1982/83 als inoffizieller Mitarbeiter (IM) "Freddy" für die Hauptverwaltung Aufklärung des MfS (HV A) registriert gewesen war. Das MfS bescheinigte ihm, über ein "spezifisch ausgeprägtes Feindbild" zu verfügen, das "eine kontinuierliche und zielstrebige Zusammenarbeit" ermöglichte, "in deren Ergebnis operativ interessante Ergebnisse, vorwiegend im Abwehrbereich erarbeitet wurden". Konkret soll Walther laut Stasi-Angaben "Stimmungsberichte aus der CDU erarbeitet, Informationen übermittelt, die Abwehrcharakter haben". Außerdem habe er seine Verbindungen in den Westen zu US-Bürgern im Ausland, Mitarbeiter der West-Berliner Universitätsverwaltung und einem Mitarbeiter des Reichstagsgebäudes "umfassend darlegt" und sei bereit "bei Notwendigkeit für das MfS bestimmte Aufträge im soz[ialistischen] oder kap[italistischen] Ausland zu übernehmen".
Das Trio "mit Vergangenheit" ließ also die Anwälte zu: Die Regierung mit dem ehemaligen DDR-Anwalt Lothar de Maizière an der Spitze, der in Stasi-Karteien und Akten bekanntlich als IM "Czerni" geführt worden war,
Lothar de Maizière, Porträtfoto vom April 1990 (© Bundesarchiv, Bild 183-1990-0412-439; Elke Schöps/ADN-ZB)
Lothar de Maizière, Porträtfoto vom April 1990 (© Bundesarchiv, Bild 183-1990-0412-439; Elke Schöps/ADN-ZB)
gewährleistete mit dem Einigungsvertrag die Fortgeltung der DDR-Zulassungen und damit die Gleichstellung der DDR-Anwälte.
Das "Gesetz zur Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen, Notarbestellungen und Berufungen ehrenamtlicher Richter" vom 24. Juli 1992 (ReNotPrüfG)
Das ReNotPrüfG regelte im § 1 Abs. 1: "Vor dem 15. September 1990 durch Aufnahme in das Kollegium oder durch den Minister der Justiz der Deutschen Demokratischen Republik ausgesprochene Zulassungen zur Rechtsanwaltschaft werden widerrufen, wenn sich der Rechtsanwalt nach seiner Zulassung, aber vor dem 15. September 1990, eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen lässt, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben, weil er gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit insbesondere im Zusammenhang mit einer Tätigkeit als hauptamtlicher oder inoffizieller Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes verstoßen hat." Das Stasi-Unterlagengesetz (StUG), das ein halbes Jahr zuvor in Kraft getreten war, gab bis zum Jahr 2005 die Handhabe Stasi-Akten zur Überprüfung heranzuziehen. Bei Neuzulassungen bildeten in einer Übergangszeit das RAG, dann die BRAO die Überprüfungsgrundlage, ob der Anwärter "unwürdig" war.
IV
Das Land Brandenburg orientierte sich zunächst an der Praxis der Länder Sachsen und Berlin. Die Anwälte wurden um eine Selbstauskunft mittels Fragenbogen gebeten. Wer auf die Frage, ob er Kontakte zur Staatssicherheit gehabt habe, mit Ja oder gar nicht geantwortet hatte, wurde ab 1992 einer genaueren Untersuchung unterzogen.
Ob bei den ersten Neuzulassungen nach dem 3. Oktober 1990 bis ins Jahr 1991 vor dem Inkrafttreten des StUG überhaupt Überprüfungen auf Stasi-Tätigkeit stattgefunden haben, ist derzeit nicht nachvollziehbar. Es gibt begründete Zweifel. Zeitzeugen berichten davon, dass zahlreiche Anträge auf Zulassung in der Berliner Außenstelle des Bundesjustizministeriums aufgelaufen waren, die der neuen Landesverwaltung bereits zu einem Zeitpunkt übergeben worden seien, als diese kaum arbeitsfähig war. Zusätzlich gab es Druck, die Unterversorgung mit Anwälten zu kompensieren.
An die Anwaltszulassung wurden weniger strenge Maßstäbe gelegt als bei der Richter- und Staatsanwaltsüberprüfung. Zum einen, weil es sich um einen grundgesetzlich verbürgten freien Beruf handelt, zum anderen, weil das Brandenburgische Justizministerium (MJ) davon ausging, dass sich jeder seinen Anwalt frei wählen kann. Diese Annahme ist allerdings zu hinterfragen. Erstens gab es in den ländlichen Regionen Brandenburgs eine deutliche Unterversorgung mit Anwälten.
Eine Geschäftsordnung für die Überprüfung gab es ebenso wenig wie ein Überprüfungsraster. Bei Belastungen wurden die Betroffenen angehört, die Rechtsanwaltskammer gab ihre Stellungnahme ab.
Bei den Überprüfungen der Hauptamtlichen Mitarbeiter des MfS kam es anscheinend zu gravierenden handwerklichen Mängeln: "Normalerweise" lagen laut MJ-Auskunft bis 1994 "nur die Kaderkarteikarten vor, die zwar Auskunft über Dienstgrad und Einsatzort, nicht aber über die tatsächlich innegehabte Funktion und den Tätigkeitsbereich geben."
Auch die Behauptung, dass aus der Kaderkarteikarte die Tätigkeit nicht hervorginge, ist unzutreffend. Im Gegenteil ist es gerade der Sinn dieser Personalkartei, den Bildungs- und beruflichen Werdegang in Kurzform abzubilden.
So enthält beispielsweise die Karteikarteikarte von Norbert Lindner ganz deutlich den Hinweis, dass er Referatsleiter der Abteilung IX, also des Untersuchungsorgans, der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Potsdam war.
Im Ergebnis waren mindestens 24 hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter in Brandenburg als Rechtsanwalt zugelassen worden. Selbst heute sind es noch mindestens 14.
Wie das Potsdamer Justizministerium seit Februar 2012 einräumt, waren das auch in "einzelnen Fällen" Personen, die nur an der Kaderschmiede des MfS, an der sogenannten Juristischen Hochschule in Eiche-Golm, ihr juristisches Diplom erworben haben.
Das Überprüfungsverfahren litt auch unter organisatorischen Problemen. Mit der Ländergründung und damit Landeszuständigkeit existierte noch kein funktionierendes Ministerium. Dessen Arbeit spielte sich erst im Laufe des Jahres 1991 ein.
Da die Landesregierung Brandenburg bisher die Einsicht in die entsprechenden Akten verweigert, ist nur schemenhaft nachvollziehbar ob und mit welchen politischen Vorgaben überprüft wurde. Schon im Gesetzgebungsverfahren hatte Brandenburg darauf hingewirkt, dass der Widerruf der Zulassung an "enge und strenge" Vorsetzungen geknüpft ist und dass die "Tätigkeit für das MfS als solche" nicht ausreicht, um eine Zulassung als Anwalt zu versagen.
Die Überprüfungsergebnisse, soweit vorhanden, spiegeln diese Aussagen durchaus. Von Regierungsseite liegen bis heute keine wirklich belastbaren Ergebnisse der Rechtsanwaltsüberprüfungen vor. 1994 hieß es in der zitierten Anfrage, es seien 14; 2010 hieß es, es seien 61
Die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) teilte auf Nachfrage folgende Zahlen mit: Brandenburg stellte bis zum Auslaufen des Überprüfungsgesetzes 1998 insgesamt 242 Anfragen zu Anwälten. Von ihnen waren 123 mit Erkenntnissen formal belastet
Der Vergleich mit anderen östlichen Bundesländern zeigt, dass Brandenburg nach anfänglichen Defiziten seine Überprüfungspraxis 1991 zunächst jener in den anderen östlichen Bundesländern anpasste, nicht ganz so scharf wie der Sachsens, aber vom Verfahren ähnlich wie der in Berlin. Im Ergebnis wurden jedoch in keinem Land so wenige Rechtsanwälte überprüft wie in Brandenburg. Es wurde nach Auskunft des Justizministeriums keine Zulassung widerrufen. Das hat es in keinem anderen der östlichen Bundesländern gegeben.
Weitgehend unklar ist die Bilanz der ca. 1.900 Neuzulassungen bis 1998. Das Stasi-Unterlagengesetz gab rechtlich die Handhabe zu Anfragen bis 2006. Ob und in welcher Form die Rechtsanwaltskammer überhaupt so lange davon Gebrauch gemacht hat, bleibt im Nebel, entsprechende Fragen beantwortet sie nicht. Offenbar gab es in jenen Jahren nur wenige Anfragen. Nach BStU-Angaben stellte Brandenburg nach Mecklenburg-Vorpommern die wenigsten Anfragen von allen östlichen Bundesländern. Ganz selten, in drei Fällen, kam es zu Zulassungsverweigerungen.
Auch wenn dies derzeit mangels Kooperationsbereitschaft der Brandenburgischen Landesregierung und der Rechtsanwaltskammer nicht aufgeklärt werden kann, lässt die punktuelle Darstellung von bekannt gewordenen Fällen Zweifel aufkommen, dass das Verfahren konsequent genug war bzw. dass es überhaupt den selbst gesetzten Ansprüchen genügte:
Wilhelm Pilz erhielt in den 90er-Jahren laut Internet seine Anwaltszulassung etwa zur gleichen Zeit, als die Ermittlungen gegen seine Beteiligung als Staatsanwalt im Verfahren gegen Robert Havemann aufgenommen wurden. Er wurde deswegen im Jahr 2000 wegen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung zum einem Jahr auf Bewährung rechtskräftig verurteilt.
Horst Zank. Aufnahme des MfS (© BStU, MfS, KS 12701/90, S. 14)
Horst Zank. Aufnahme des MfS (© BStU, MfS, KS 12701/90, S. 14)
Horst Zank war Professor für Strafprozessrecht an der Stasi-Hochschule in Eiche-Golm. Zank, Jahrgang 1936, war 1956 der SED bei getreten und seit 1955 als operativer Mitarbeiter beim MfS tätig. Ab 1957 diente er sich im Untersuchungsorgan für Strafverfahren, der HA IX, vom Hilfssachbearbeiter zum Stellvertretenden Abteilungsleiter hoch. Ab 1977 leitete Zank den Lehrstuhl an der Juristischen Hochschule (JHS) des MfS, ab 1988 im Range eines Oberst. Seine juristische Ausbildung hatte er im Wesentlichen in MfS-eigenen Ausbildungslehrgängen vor allem an der JHS absolviert. 1988 war er vom Minister für Hoch- und Fachschulwesen zum Professor ernannt worden.
Udo Lemme. Aufnahme des MfS (© BStU, MfS, KS 27217/90, S. 14)
Udo Lemme. Aufnahme des MfS (© BStU, MfS, KS 27217/90, S. 14)
Udo Lemme, Leiter der Rechtsstelle des MfS, war in den letzten Dienstjahren Justitiar des Ministers für Staatssicherheit, Erich Mielke. Später wurde er in Brandenburg Rechtsanwalt.
Henrik Poller, Porträtfoto als Abgeordneter in der 1. Wahlperiode des Brandenburgischen Landtags (© Landtag Brandenburg)
Henrik Poller, Porträtfoto als Abgeordneter in der 1. Wahlperiode des Brandenburgischen Landtags (© Landtag Brandenburg)
Henrik Poller musste wegen einer IM-Belastung Anfang der 90er-Jahre sein Landtagsmandat zurückgeben. In "Kontraste" war berichtet worden, dass Poller in jungen Jahren die angeblichen Fluchtpläne von Freunden verraten hat. Die verbüßten dies mit Haft. Heute ist Poller Rechtsanwalt.
Der heutige Potsdamer Rechtsanwalt Harald Holland-Nell unterschrieb in den 80er-Jahren eine Erklärung, in Folge derer er auf die Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe angesetzt wurde, um ihr "eine Alternative zu ihrem bisherigen Leben" aufzuzeigen und sie "von strafbaren Handlungen abzuhalten".
In Nordbrandenburg behielt ein Rechtsanwalt seine Zulassung, der als IM "Steiner" während seines Studiums an der Ost-Berliner Humboldt-Universität Listen von Kommilitonen an das MfS weitergereicht hat. Diese wurden laut Akten alle vom MfS überprüft.
Eva-Maria Müller war wegen Rechtsbruch vom Landgericht Cottbus im Jahr 2000 zu einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung verurteilt worden, da sie an der Verhängung von Haftstrafen gegen Ausreisewillige beteiligt gewesen war.
Auch der ebenfalls an diesen Urteilen beteiligte Richter Alfred Czerwiatiuk ist seit 2006 in Brandenburg zugelassen. Jahrelange war er wegen der Unrechtsurteile mit internationalem Haftbefehl gesucht worden, hatte sich der Strafverfolgung aber bis zur Verjährung durch Flucht nach Polen entzogen.
Der frühere Stasi-Offizier Günter Jäkel (l.) neben seinem Anwalt, Karl Pfannenschwarz, der gleichzeitig Bürgermeister des brandenburgischen Ortes Dolgenbrodt ist, am 19. Februar 1997 im Kriminalgericht Berlin-Moabit. (© picture-alliance, Andreas Altwein/dpa)
Der frühere Stasi-Offizier Günter Jäkel (l.) neben seinem Anwalt, Karl Pfannenschwarz, der gleichzeitig Bürgermeister des brandenburgischen Ortes Dolgenbrodt ist, am 19. Februar 1997 im Kriminalgericht Berlin-Moabit. (© picture-alliance, Andreas Altwein/dpa)
Interessant ist auch die Vita von Karl Pfannenschwarz. Laut "Berliner Zeitung" war er von der SED in die Bundesrepublik geschickt worden, um dort im Sinne der SED und der DKP als Rechtsanwalt zu wirken. Nach dem Zusammenbruch des SED-Regimes bezog er ein Haus des ehemaligen DDR-Innenministers Friedrich Dickel in Dolgenbrodt und ließ sich in Brandenburg nieder.
Schon bei dieser unvollständigen Auflistung drängt sich die Frage auf, ob Brandenburg in den 90er-Jahren nicht eine Art Rückzugsgebiet für Juristen mit einschlägiger Vergangenheit war. Zwar ist kaum zu bestreiten, dass die sehr an den liberalen Normen der Altbundesrepublik orientierte höchstrichterliche Rechtsprechung zur Rechtsanwaltsüberprüfung Mitte der 90er-Jahre
Rechtsanwaltsüberprüfungen in den östlichen Bundesländern, Stand: Januar 2012 | |||||
DDR-Anwälte | Überprüfte | Belastete | Überprüfte der Gesamtzahl (in %) | Widerrufe* | |
Berlin | 4 | ||||
Dombek | 727 | 536 (74%) | |||
Busse | 727 | 536 (74%) | 4 | ||
Senat | 528 | 203 (von 523) | 39/28 | 4 (2) | |
BStU | 939 | 338 | 36 | ||
Brandenburg | 0 | ||||
Anfrage 1994 | 14 (von 61) | 23/4 | 0 | ||
MJ 2010 | 327 | 148 (45%) | 61 | 41/19 | |
BStU 2011 | 242 | 123 | 51 | ||
Mecklenburg-Vorpommern | 8 | ||||
Dombek | 73 | 1 | |||
Busse | 210 | 1 (1) | |||
MJ 2011 | 433 (O+W)** Okt. 1991 | 210 | 8 (4) | ||
BStU 2011 | 917 | 121 | 13 | ||
Sachsen-Anhalt | 303 | 7 | |||
RAK | 180 | mind. 7 (0) | |||
BStU 2011 | 1.425 | 139 | 10 | ||
Thüringen | 15 | ||||
Busse | 241 | 15 (2) | |||
BStU 2011 | 450 | 104 | 23 | ||
MJ bis 1993 | 840 (O+W)** (520+340) | 90 | 11 (von Gesamtzahl) | 15 (3) | |
MJ 2011 | 140 (bis Ende 1990) | 20 | 14 | ||
Sachsen | 5 | ||||
MJ Anfrage 1996 | 2.674 | 283 (2.560) | 11 der Rückläufe | ||
MJ 2011 | 2.674 (O+W) | 283 (2.277) | 11 der Gesamtzahl/ 12 der Rückläufe | (1) | |
Berliner Zeitung | 5 | ||||
BStU 2011 | 1.723 | 227 | 13 | ||
Gesamt | 39 | ||||
BMJ | 1.212 | 17 | |||
Anmerkungen: *) in Klammern die rechtskräftigen Widerrufe. Es wurde die höchste verifizierbare Zahl von Widerrufen berechnet. **) Ost und West. |
Tabelle nach publizierten Angaben.
Resümee
Ziel der Rechtsanwaltsüberprüfung nach 1990 war es, das Vertrauen der Bevölkerung in die Anwaltschaft und Rechtspflege zu stärken. Dies sollte durch Transparenz, die Nichtzulassung in eindeutigen Fällen und durch eine Art Unbedenklichkeitserklärung – dies ist ja der Sinn einer staatlichen Zulassung – geschehen. Dieses Ziel wurde in Brandenburg verfehlt. Es gibt bis heute keine Transparenz über Verfahren und Ergebnisse und nie eine öffentliche Schlussbilanz der Überprüfungen. Insofern kann man etwas polemisch fragen, ob die Vertrauensbildung nicht in Wirklichkeit umgekehrt durch Intransparenz und Vergessen stattfinden sollte – und immer noch stattfinden soll.
Es wurde in Brandenburg nicht verhindert, dass Juristen mit Verstrickungen in repressive bzw. rechtsstaatsfeindliche Praktiken Anwälte wurden. Wer hier das Überprüfungsverfahren letztlich unbeschadet überstanden hat, kann im juristischen Sinne vielleicht als unbescholten gelten. Wenn aber heute von Anwaltsfunktionären behauptet wird, dass damit erwiesen sei, dass alle Juristen unbelastet seien, wäre dies im historischen und moralischen Sinne eine fragwürdige Schlussfolgerung. Wer gar Menschen, die in der DDR bitteres Unrecht erfahren haben oder gar in Haft saßen, weismachen wollte, dass das staatliche Gütesiegel der Zulassung eine Unbedenklichkeitserklärung sei, würde diese Menschen, die oft strengere Maßstäbe anlegen, täuschen.
Zwar ist keinem der damals Handelnden eine solche Täuschungsabsicht zu unterstellen, aber die Intransparenz in dieser Angelegenheit bis heute wirft doch die Frage auf, ob die Überprüfung nicht in Teilen einen Placebo-Charakter hatte. Das Überprüfungsverfahren in Brandenburg litt unter laufenden Zuständigkeits- und Personalwechseln. Vor allem bei den vormals hauptamtlichen Stasi-Mitarbeitern gab es offenbar Überprüfungsmängel. Es ist nicht ausgeschlossen, dass eine Reihe von Zulassungen überhaupt nicht überprüft wurde.
Die Überprüfungspraxis in Brandenburg wich im Ergebnis stark von der Praxis der anderen ostdeutschen Länder, einschließlich Berlin, ab. Nirgendwo gab es so wenige Anfragen und nachweisbare Beanstandungen wie in Brandenburg. Dass sich gerade in Brandenburg offenbar zahlreiche hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter niedergelassen haben, legt den Schluss nahe, dass die Überprüfungspraxis Brandenburgs eine entsprechende Sogwirkung hatte.
Landesregierungen stellten es zuweilen so dar, als habe man mit einer vorsichtigen Linie von vornherein die spätere restriktive Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichtes antizipiert. Es ist allerdings genau umgekehrt Brandenburg hatte sich schon im Gesetzgebungsverfahren dafür eingesetzt, dass der Zulassungswiderruf an "enge und strenge" Vorsetzungen geknüpft sein und die "Tätigkeit für das MfS als solche" nicht ausreichen solle, eine Zulassung als Anwalt zu versagen.
Die Mitglieder der Enquete zeigten sich in der Sitzung vom 17. Februar 2012 durchaus interessiert angesichts des vorläufigen Zwischenstandes, alarmiert angesichts der Defizite der Überprüfung und Wissenslücken auf Grund der geringen Kooperationsbereitschaft von Kammer und Regierung. Dadurch ermutigt, brachte die Opposition, unterstützt von der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur (LAkD), Ulrike Poppe, erneut einen Antrag ein, die Geschichte der Rechtsanwälte und ihrer Überprüfung mit einer Expertise aufzuarbeiten. Doch die rot-rote Mehrheit im Ausschuss lehnte wiederum ab. Man wisse schon genug, es sei zweifelhaft, ob sich ein Sachkundiger für die Expertise finde, lauteten die Argumente.
Die Devise "Deckel drauf" folgt wie so oft in Brandenburg offenbar parteistrategischem Kalkül. Der Generalsekretär der Brandenburgischen SPD, ein ehemaliger Aufbauhelfer aus dem Westen, kommentierte im Februar die günstigen Ergebnisse für die SPD, die die jüngste Sonntagsfrage ergeben hatte: "Wer ständig über die Stasi redet, wird nicht mit anderen Themen wahrgenommen."