Dopingskandale in der alten Bundesrepublik
Öffentlicher Diskurs und sportpolitische Reaktionen
Henk Erik MeierMarcel ReinoldAnica Rose Anica Rose Marcel Reinold Henk Eric Meier
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Diese Untersuchung der Rezeption von Dopingskandalen in der Bundesrepublik Deutschland geht von der Grundüberlegung aus, dass Skandale »Fenster zur sozialen Ordnung« darstellen und es erlauben, ethische Normen in einem konkreten gesellschaftlichen Kontext zu analysieren. Die Analyse der öffentlichen Rezeption von vier ausgewählten Dopingskandalen und der darauf folgenden sportpolitischen Reaktionen verdeutlicht, dass in den 1950er- und 60er-Jahren und teilweise bis in die 1980er-Jahre Doping nicht als allgemeines Problem des bundesdeutschen Sports wahrgenommen wird. Doping ist zu allen Untersuchungszeitpunkten zwar normativ negativ besetzt, die sportpolitischen Reaktionen darauf müssen aber als inadäquat charakterisiert werden und nahmen zunehmend scheinheilige Züge an.
Einleitung
Ungeachtet prominenter Dopingkritiker in der Bundesrepublik wie Brigitte Berendonk, Werner Franke und Gerhard Treutlein hat erst die Auseinandersetzung mit dem "Staatsdoping" in der untergegangenen DDR intensivere Bemühungen inspiriert,
die Dopingvergangenheit des bundesdeutschen Sports aufzuarbeiten. Zu dieser Aufarbeitung gehört einerseits die Rekonstruktion von Dopingpraktiken, aber auch die Untersuchung der öffentlichen und sportpolitischen Reaktionen auf bekannt gewordene Dopingverfehlungen.
Der vorliegende Aufsatz widmet sich diesem zweiten Aspekt und begreift "Dopingskandale" im Anschluss an Kurt Imhof als "Fenster zur sozialen Ordnung", anhand derer Normen und moralische Codes in einem konkreten gesellschaftlichen Kontext analysiert werden können. Darüber hinaus stellen Dopingskandale für bestimmte Akteure Gelegenheitsfenster dar, ihre jeweiligen sportpolitischen Überzeugungen durchzusetzen. Sie geben damit auch Aufschluss darüber, wie ernst es den bundesdeutschen Sportpolitikern und -funktionären mit der Bekämpfung des Dopings tatsächlich gewesen ist.
Der vorliegende Beitrag untersucht daher einerseits den Mediendiskurs in der bundesdeutschen Tagespresse zu den Dopingskandalen, andererseits die sportpolitischen Reaktionen. Zunächst muss allerdings kurz der theoretische Stellenwert von Skandalforschung diskutiert werden.
Skandale als "Fenster zur sozialen Ordnung"
Der vorliegende Beitrag folgt Stefan Hauser, Skandale im Anschluss an Imhof als "Fenster zur sozialen Ordnung" zu begreifen, welche die Chance bieten, Normen und moralische Codes einer Zeit verdichtet zu analysieren. Um nicht vorschnell von Vorstellungen moralischer Kohäsion auszugehen, muss der theoretische Status einer solchen "Skandalforschung" genau reflektiert werden, da sich in der Debatte sowohl funktionalistische als auch instrumentelle Interpretationen finden.
Die funktionalistische Deutung von Skandalen ist den klassischen Überlegungen Émile Durkheims zur sozialen Devianz verpflichtet. Wie das Verbrechen ist demnach auch der Skandal ein "regulärer Faktor des sozialen Lebens", wonach die gesellschaftliche Sanktionierung abweichenden Verhaltens die Grenzen sozial tolerierbaren Verhaltens verdeutlicht und die Bereitschaft zur Konformität verstärkt. Analog wird die Funktion von Skandalen darin gesehen, auf gesellschaftliche Missstände und Normverstöße hinzuweisen und soziale Wertvorstellungen zu bekräftigen bzw. einen moralischen Konsens herzustellen. Ein Skandal definiert sich dabei ausdrücklich über das Vorliegen eines Verstoßes gegen zentrale Werte und Normen. Diese definitorische Setzung ignoriert jedoch den diffusen und ambivalenten Charakter von sozialen Normen.
Darüber hinaus müssen Skandale nicht notwendig funktional sein, da sie wesentlich ein Medienprodukt darstellen, das nach journalistischen Verarbeitungs- und Selektionsroutinen erzeugt wird, um journalistische Erzeugnisse so ansprechend wie möglich zu gestalten. Skandalisierung gehört somit zum Gestaltungsrepertoire von Massenmedien als einer Branche "involved with excess, with the voracious appetite and capacity for substitutions, displacements, repetitions and signifying absence". Die permanente Skandalisierung in der Politikberichterstattung kann überdies zu Politikverdrossenheit führen, was eher gegen ein funktionales Skandalverständnis spricht.
Die "moral panic"-Forschung in der Tradition Stanley Cohens vertritt daher eine instrumentelle Sicht auf öffentliche Skandale. Danach dienen Skandale und öffentliche Empörung (auch) der Durchsetzung gesellschaftlicher und politischer Forderungen bestimmter sozialer Gruppen, insbesondere von Machteliten und spezifischen Berufsgruppen. Die öffentliche Empörung muss daher nicht durch "objektive" Normverstöße ausgelöst werden oder im angemessenen Verhältnis zur Schwere begangener Normverstöße stehen. Allerdings existieren auch bei diesem Ansatz einige grundlegende theoretische und empirische Probleme, die hier nur angedeutet werden können. So hat Cohen eingestanden, dass moralische Paniken nur dann initiiert werden können, wenn sie eine Resonanz mit grundlegenderen sozialen Ängsten herstellen können. Vor allem aber macht eine pluralistische und fragmentierte Medienlandschaft die Vorstellung einer konzertierten Sanktionierung von Normverstößen durch "die" Medien zunehmend problematisch.
Für den vorliegenden Beitrag dient der Hinweis auf diese unterschiedlichen Interpretationen der gesellschaftlichen Rolle von Skandalen vorwiegend als Ermahnung, notwendige empirische Beobachtungen nicht vorschnell durch theoretische Annahmen zu substituieren. So gilt etwa im Hinblick auf das Definitionskriterium "Normverstoß" für das Vorliegen eines Skandals, dass "Doping" eben keine transhistorische Entität darstellt, sondern in Diskursen konstruiert worden ist. Dabei sahen sich Akteure erheblichen Ambiguitäten gegenüber und unterlagen die angewandten moralischen Maßstäbe bei der Unterscheidung zwischen erlaubten und verbotenen Methoden der Leistungssteigerung historischen Veränderungen. Es wird nicht angenommen, dass ein Skandal notwendig eine klar akzentuierte soziale Norm voraussetzt. Ebenso stellt es eine empirische Frage dar, ob sich die öffentliche Empörung über Dopingskandale im Zeitverlauf in Richtung auf mehr oder weniger moralische Kohäsion bewegt. Hier wird lediglich von der Ausnahme ausgegangen, dass Dopingskandale Reflexions- und Artikulationsanlässe darstellen, die verschiedenen "moralischen Unternehmern" Gelegenheiten bieten, sich grundsätzlich zu Fragen der pharmakologischen Leistungssteigerung im Sport zu äußern und auf sportpolitische Reaktionen zu drängen.
Dementsprechend fragt der vorliegende Beitrag einerseits nach der öffentlichen Reaktion auf Dopingskandale, also zunächst nach der Einschätzung der Brisanz und Verbreitung des Dopings im Mediendiskurs sowie den dort präsentierten ethischen Bewertungen und sportpolitischen Forderungen. Andererseits wird danach gefragt, ob und inwieweit sich der Mediendiskurs in sportpolitischen Reaktionen niedergeschlagen hat.
Methodisches Vorgehen
Im ersten Untersuchungsschritt wurden für jede Dekade der "alten Bundesrepublik" zentrale Dopingskandale mit einem deutschen Bezug ausgewählt. Dabei handelt es sich um folgende Fälle:
- 1950er-Jahre: die Suspendierung des Sportmediziners Martin Brustmann im Jahr 1952,
- 1960er-Jahre: der Tod des Berufsboxers Jupp Elze im Jahr 1968,
- 1970er-Jahre: der Skandal um die sogenannte "Kolbe"-Spritze bei den Olympischen Spielen 1976,
- 1980er-Jahre: der Tod der Siebenkämpferin Birgit Dressel im Jahr 1987.
Auf der Basis verfügbarer Pressestatistiken wurden die meistverkauften zehn bundesdeutschen Tageszeitungen identifiziert. Diese erzielten im Durchschnitt eine Gesamtauflage von rund acht Millionen Exemplaren (siehe Anhang). Aufgrund unzureichender Archivierung oder Zugänglichkeit wurde die Analyse auf fünf Zeitungen beschränkt ("Bild", "WAZ", Kölner "Express", "FAZ" und "SZ"). Für diese wurde eine Totalerhebung aller zum jeweiligen Skandal gehörenden Veröffentlichungen realisiert sowie der thematische Fokus und jene Textpassagen erfasst, die sich auf wahrgenommene Verbreitung und Brisanz, ethische Bewertung und sportpolitische Forderungen beziehen.
Ein Blick auf die Verteilung der Berichterstattung weist bereits auf deutliche Unterschiede in den einzelnen Skandalverläufen hin. Der Fall Brustmann als erster bundesdeutscher Skandal um Versuche einer pharmakologischen Leistungssteigerung im Sport fand relativ wenig Aufmerksamkeit (18 Veröffentlichungen) und verschwand bald aus dem Blickpunkt der Öffentlichkeit (113 Tage). Die Berichterstattung im Fall des toten Profiboxers Elze weist dagegen eine steile öffentliche Erregungskurve auf. Nach einer kurzen Phase der intensiven öffentlichen Betrachtung ist der Skandal abgearbeitet (141 Veröffentlichungen, 169 Tage). Die sogenannte "Kolbe-Spritze" erhält zunächst weniger Aufmerksamkeit, beschäftigt die Öffentlichkeit aber länger (46 Veröffentlichungen, 396 Tage). Hingegen zeigt die zeitliche Verteilung der Berichterstattung im Fall Dressel, dass dieser Skandal die nachhaltigste Wirkung entfacht hat (146 Veröffentlichungen, 491 Tage). Ein Vergleich der Berichterstattung der Tagespresse mit den Thematisierung der Skandale in den beiden Wochenpublikationen "Der Spiegel" und "Die Zeit" spiegelt dieses Bild (Brustmann: zwei Veröffentlichungen, Elze: vier, Kolbe: sechs, Dressel: 30).
Schließlich wurden die sportpolitischen Reaktionen auf der Basis von einschlägigen Archivquellen analysiert. Unveröffentlichte Quellen wie Korrespondenzen sowie Berichte und Protokolle von Sitzungen des Deutschen Bundestages und dessen Sportausschusses sowie des Deutschen Sportbundes (DSB), Nationalen Olympischen Komitees (NOK) und von Sportverbänden bringen interne Vorgänge zum Vorschein und besitzen daher für die historische Rekonstruktion der Abläufe einen hohen Wert. Die Unterlagen finden sich zum einen in den Archiven des deutschen Sports, wobei die Quellen aus dem Archiv des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) in Frankfurt am Main von besonderer Relevanz sind. Seit Mitte der 1960er-Jahre erfolgte in unterschiedlicher Intensität ein staatliches Engagement beim Antidoping. Dementsprechend fanden sich vor allem im Bundesarchiv weitere zentrale Unterlagen. Für den Fall Dressel waren die Quellen aus dem Nachlass des ehemaligen Präsidenten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) und Direktor des Bundesinstituts für Sportwissenschaft August Kirsch im Carl und Liselott Diem-Archiv von besonderer Bedeutung.
Die Brustmann-Affäre
Hintergrund
Die Brustmann-Affäre als erster deutscher Dopingskandal ist in doppelter Hinsicht bemerkenswert. Zum einen war der Vorwurf des negativen Dopings Auslöser der Affäre, zum anderen kündigte sich mit der Verwendung von Hormonen zur Leistungssteigerung bereits die Ära des Anabolikadopings an. Besonderes öffentliches Interesse erlangte die Affäre schließlich, weil sie den bekannten Sportarzt Martin Brustmann und den deutschen Unternehmer und Sportfunktionär Georg von Opel betraf.
Brustmann hatte als 100-Meter-Läufer 1906 an den Olympischen Zwischenspielen in Athen teilgenommen und war danach als Sportmediziner und Trainer tätig. Die Tatsache, dass er in einem 1912 veröffentlichten Buch zum Leichtathletiktraining der Dopingthematik ein ganzes Kapitel gewidmet hat, ist für die damalige Zeit bemerkenswert. Brustmann hat sich schon früh mit dieser Thematik beschäftigt und vermutlich auch selbst mit der Verabreichung von Medikamenten an Sportler experimentiert.
Georg von Opel war bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs Präsident des Ruderclubs RV Rüsselsheim 08, der in der Nachkriegszeit eine Rudergemeinschaft mit dem Ruderclub Flörsheimer RV 08 eingehen musste. Die entstandene Rudergemeinschaft Flörsheim-Rüsselsheim (RFR), in der Georg von Opel und der damals verantwortliche Trainer die treibenden Kräfte waren, erwies sich als sehr erfolgreich. Zudem spielte von Opel eine zentrale Rolle im "Wiederaufbau" des deutschen Rudersports, als der Deutsche Ruderverband (DRV) von der Teilnahme an internationalen Wettkämpfen noch ausgeschlossen war. Zugleich war von Opel Präsident der Deutschen Olympischen Gesellschaft (DOG), DRV-Vizepräsident sowie Mitglied des NOK. Darüber hinaus hatte er als Sportler hatte mehrere Nachkriegsmeisterschaften im Rudern gewonnen und war zum Zeitpunkt der Affäre Ruderer des RFR-Achters. Der Achter kämpfte um die Nominierung zu den Olympischen Spielen von Helsinki 1952, war aber vor dem entscheidenden Rennen auf der Duisburg-Regatta vom 29. Juni 1952 dem Achter des Kölner RV 1877 fünf Mal unterlegen.
Nach Darstellung Brustmanns hat der RFR ihn um leistungssteigernde Mittel gebeten. Brustmann empfahl die Verabreichung von Testoviron, ein Medikament, das das männliche Sexualhormon Testosteron als Wirkstoff enthielt, fünf Tage vor den deutschen Meisterschaften. Nach Darstellung des verantwortlichen Trainers hingegen wurden dem Achter die Pillen durch Brustmann solange aufgedrängt, bis er als Trainer nachgegeben habe. Die Pillen wurden letztlich nicht nach den Empfehlungen Brustmanns, sondern erst kurz vor dem Wettkampf, analog zu den damals verbreiteten klassischen Aufputschmitteln verabreicht. Doch berichteten die Achtermitglieder nicht von einer Leistungssteigerung, sondern von Lähmungserscheinungen nach den ersten 500 Metern des Rennens. Das Qualifikationsrennen wurde klar verloren. Sofort machte die RFR Brustmanns Pillen dafür verantwortlich und ließ diese analysieren. Eine "vorläufige" gerichtsmedizinische Analyse behauptete, dass es sich um Schlafmittel handelte.
Auf der Basis dieser Untersuchung versuchte von Opel zunächst durchzusetzen, dass zumindest ein RFR-Boot nach Helsinki entsandt würde. Der NOK-Vorsitzende Karl Ritter von Halt wies eine solche "Kompensation" zurück. Die DRV-Führung berief jedoch am 3. Juli 1952 eine Sondersitzung ein, in deren Folge Brustmann mit Blick auf vermeintliche Nebenwirkungen des verabreichten Testoviron unverzüglich von seiner Funktion als Arzt der Olympischen Rudermannschaft suspendiert wurde.
Der öffentliche Skandal
Einer einfachen Bewältigung der Affäre standen die kaum entwickelten Antidopingregelungen der Sportverbände entgegen. Der DRV hatte keine Antidopingbestimmungen in seinen Regularien verankert, sondern solche nach einer Erhebung des DSB von 1978 nicht vor 1972 erlassen. Allerdings hatte auch der internationale Dachverband erst in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre Dopingbestimmungen in seinen Regularien verankert. Das Fehlen von Antidopingbestimmungen war aber durchaus typisch für den zeitlichen Kontext. Noch im Jahre 1969 wiesen von den 42 vom DSB befragten nationalen Spitzenverbänden lediglich vier Dopingbestimmungen in ihren Ordnungen auf.
Darüber hinaus stellte die Verwendung von Hormonen im Fall Brustmann eine Innovation im Bereich der leistungssteigernden Substanzen dar, die das bisherige auf Aufputschmittel konzentrierte Dopingverständnis herausforderte. Trotz fließender Grenzen des Dopingbegriffs zeigte sich durchaus ein historisch gewachsener Kern der Dopingdefinition, der sich auf Stimulanzien und Aufputschmittel bezog. Das "Lexikon des Sports" von 1956 beispielsweise bezeichnet Doping als "Versuche, durch künstliche Reizmittel jeder Art die Leistungsfähigkeit des Körpers über seine natürliche Grenze hinaus zu heben". Eine Sanktionierung des Hormonexperiments gestaltete sich auch wegen der noch unklaren leistungssteigernden Wirkung von Hormonen als schwierig. So wurde die Frage des tatsächlichen Effekts von Testoviron auf die sportliche Leistung in der öffentlichen Debatte zentral. Brustmann behauptete eine Leistungssteigerung, während die RFR vermeintliche Nebenwirkungen für ihre sportliche Niederlage verantwortlich machte. Obwohl die Affäre in den untersuchten Medien nur relativ wenig Aufmerksamkeit erhielt, stand das öffentliche Ansehen der beiden Hauptakteure auf dem Spiel. Gegen Brustmann waren sowohl Vorwürfe des "negativen Dopings" als auch der Bestechlichkeit erhoben worden. Von Opel dagegen drohte als schlechter Verlierer zu erscheinen, der das Ansehen eines anerkannten Sportmediziners aufgrund enttäuschter Ambitionen beschädigte. Dabei stellte sich der überwiegende Teil der Presse, inklusive der Wochenpublikationen "Spiegel", "Stern" und "Zeit", auf die Seite Brustmanns, lediglich die "FAZ" und andere regionale Zeitungen aus der Rhein-Main-Region unterstützten von Opel und die RFR.
Aus der Perspektive einer zeitgeschichtlichen Skandalforschung ist relevant, dass im Fall Brustmann keine klar definierte Norm verletzt wurde. Stattdessen war die entscheidende Frage, ob überhaupt Doping vorlag. Allerdings verdeutlichen die Verteidigungsstrategien der Beteiligten und die Reaktion des Ruderverbandes, dass der Vorwurf des Dopings als ehrenrührig empfunden wurde, obwohl innerhalb des deutschen Rudersports zum damaligen Zeitpunkt kein formal in den Regeln verankertes Dopingverbot existierte. Die Debatte belegt nicht nur, dass Doping dennoch moralisch negativ besetzt war. Sie zeigt auch, dass der Einsatz von Pharmazeutika im Leistungssport damals bereits eine akzeptierte Praxis darstellte, da eine entscheidende Differenzierung zwischen Aufbaupräparaten auf der einen und Doping- bzw. Arzneimitteln auf der anderen Seite vorgenommen wurde. Die Unsicherheiten bei der Bewertung des Vorfalls werden in der Frage der "Bild"-Zeitung: "War es Doping?", deutlich, die auch darauf hinweist, dass Testoviron, "ein Hormonpräparate für ältere Männer" sei, das im Handel frei verkäuflich sei. Die "FAZ" bemüht sich zu erklären, dass es sich bei den verabreichten Pillen nicht um Doping handele: "Nach Ansicht medizinischer Kreise […] habe es sich um keinerlei Dope-Mittel gehandelt. Vielmehr haben die grünen Pillen, die von Dr. Brustmann als 'Aufbaupräparate' den Mitgliedern des Flörsheimer Achters vor dem Start verabreicht wurden, eine schwerwiegende und plötzliche Erschlaffung der Arm- und Beinmuskeln wenige hundert Meter nach dem Start zur Folge gehabt."
Auch von Opels öffentliche Erklärung zur Affäre nimmt diese Differenzierung vor: Seiner Überzeugung nach war es "üblich und auch völlig korrekt, Aufbaupräparate, die den besonders starken Kräfteverbrauch bei Leistungssportlern ausgleichen, zu geben und zu nehmen." Dabei wird von Opels Behauptung einer Leistungsminderung durch Testoviron von den untersuchten Zeitungen einzig von der "Frankfurter Allgemeinen" bejaht, die ausführt, dass Testoviron bei jungen Männern nicht angewandt werden dürfe, weil "es bei ihnen Ermüdungserscheinungen hervorruft". Diese Annahme wird jedoch in den anderen Zeitungen nicht geteilt. Von Opel wird stattdessen als schlechter Verlierer dargestellt, und seine Vorwürfe gegen Brustmann werden als "peinlich" qualifiziert.
Während sich die öffentliche Debatte auf die Frage nach den Nebenwirkungen von Testoviron konzentriert, finden sich kaum grundlegende Erwägungen zur Verbreitung und zur Brisanz des Dopings als sportpolitischem Problem oder zur Medikalisierung des Leistungssports. Am klarsten äußert sich die "WAZ" zu den sportethischen Fragen: "Immerhin ist es interessant, dass sich der Achter von Flörsheim-Rüsselsheim, der in diesem Jahr noch kein bedeutendes Rennen gewinnen konnte und trotzdem von interessierte Seite immer wieder für die Teilnahme in Helsinki präsentiert wurde, vor dem bedeutendsten Rennen des Jahres, der Meisterschaft, 'Aufbau-Präparate' verabreichen lässt. Wenn auch abgestritten wird, dass man an aufpulvernde Dop-Mittel gedacht habe, so kommt eine solche Methode doch gewissen Grundsätzen sehr nahe, die im Sport eben nicht üblich sein sollten."
Das Motiv für das (missglückte) Experiment mit leistungssteigernden Substanzen wird daher in übertriebenem sportlichem Ehrgeiz gesehen, der sowohl auf Pillen als auch auf politische Einflussnahme setzt: "Der NOK-Präsident Ritter von Halt atmete auf, als er in der […] Maschine saß, die ihn nach Helsinki brachte. Noch einen Tag vor seiner Abreise rissen die Telefongespräche nicht ab. Georg von Opel, ein harter Nehmer, nahm aufgrund seiner eingefädelten Pillen-Affäre nochmals Anlauf, den Flörsheimer Achter durchzuboxen."
Sportpolitische Reaktionen
Für eine Einordnung der sportpolitischen Reaktionen ist relevant, dass in keiner der öffentlichen Erörterungen der Affäre sportpolitische Maßnahmen zur Bekämpfung des Dopings durch Sportverbände oder -politik gefordert werden. Umso bemerkenswerter ist, dass die Brustmann-Affäre erste sportpolitische Reaktionen im gesamten bundesdeutschen Sport auslöste. Der Deutsche Sportärztebund (DSpÄB) verabschiedete noch im selben Jahr seine vielzitierte Dopingdefinition. In den dazu gehörenden Erläuterungen wurde die Verwendung von Hormonpräparaten klar abgelehnt.
Trotz vergleichsweise geringer öffentlicher Aufmerksamkeit zeigte sich auch der DRV in erheblichem Maße beunruhigt, dass die Diskussion um Doping die Reputation des deutschen Ruderns beeinträchtigen würde, zumal die Affäre angesichts der fehlenden Dopingregeln und der unklaren Effekte von Testoviron schwer zu bewerten war. Umso bemerkenswerter ist, dass es der Verbandsführung gelang, eine salomonische Entscheidung zu fällen, die die Zustimmung aller Beteiligten erhielt. Dies gelang, indem Brustmann vom Vorwurf des beabsichtigten negativen Dopings freigesprochen, aber gleichzeitig unterstellt wurde, Testoviron habe leistungsmindernde Effekte gehabt. Diese Entscheidung ermöglichte es vor allem von Opel, sein Gesicht zu wahren. Brustmann war es dagegen – vielleicht mit Blick auf die Diskussion unter den Sportärzten – im Laufe der DRV-internen Verhandlungen immer mehr darum gegangen, dass der DRV öffentlich feststellte, dass er keine Dopingmittel verabreicht habe. Während die DRV-Verbandsführung bemüht war, von Opel nicht öffentlich zu kompromittieren, wurde das Experiment mit leistungssteigernden Präparaten intern heftig kritisiert: "Hinsichtlich der Einnahme der Pillen durch Herrn von Opel ist der [Verbandsausschuss] der Meinung, dass ein Doping im Sportbetrieb der deutschen Rudervereine unter allen Umständen abgelehnt werden müsste."
Darüber hinaus inspirierte die Brustmann-Affäre den Deutschen Sportärzte-Bund, sich in der Dopingfrage zu positionieren. Am Tag der endgültigen Entscheidung des DRV veröffentlichte der DSpÄB seine "moralische" Dopingdefinition, die mit ihrer Betonung der Selbstbeschränkung der Athleten in der traditionellen Amateurethik verwurzelt war: "Die Einnahme eines jeden Medikaments – ob es wirksam ist oder nicht – mit der Absicht der Leistungssteigerung während des Wettkampfes ist als Doping zu bezeichnen." Die Definition stellt erkennbar eine als zeitlos intendierte Aufforderung zur ethischen Selbstreflexion von Ärzten und Athleten über den Gebrauch von leistungssteigernden Substanzen im Sport dar. In den Erläuterungen stellte DSpÄB-Präsident Werner Ruhemann fest, dass Doping aufgrund der damit verbundenen Gesundheitsgefährdungen abzulehnen sei, aber auch, dass es Athleten ein (unfaires) Gefühl der Überlegenheit verschaffen würde.
Der DSpÄB präsentierte auch deshalb keine Positivliste verbotener Substanzen, um den Athleten keine Hinweise auf mögliche Dopingsubstanzen zu geben. Aus Ruhemanns Erläuterungen geht hervor, dass die Definition dem Paradigma des Dopings mit Aufputschmitteln verpflichtet war und dem durch die Brustmann-Affäre aufgeworfenen Problem des Dopings außerhalb von Wettkämpfen nicht gerecht wurde. Die Anwendung von Hormonen wurde mit der Begründung abgelehnt, dass sie ungeeignet seien, die fehlende Einhaltung sexueller Abstinenz zu kompensieren, und dass sie Nebenwirkungen zur Folge haben könnten. Mit diesen Ausführungen positionierte sich der DSpÄB klar gegen Brustmanns Experimente.
Auch der DSB sah sich veranlasst, auf die Brustmann-Affäre zu reagieren und seine Position zum Doping zu klären. Nachdem der DSpÄB seine Definition verabschiedet hatte, machte DSB-Präsident Willi Daume dies in einem Brief an Ruhemann einen Monat später deutlich: "Allgemein wird erwartet, dass der Deutsche Sportbund zu dieser Sache Stellung nimmt, damit die Fachverbände sich hierauf berufen können […] Ich würde Ihnen sehr dankbar sein, wenn das Präsidium des Deutschen Sportärztebundes, bzw. Sie eine klipp und klare Stellungnahme zu diesem ganzen Fragenkomplex ausarbeiten und damit ganz eindeutig Grenzen abstecken würden. In unseren Mitteilungsrundschreiben sowie im allgemeinen Mitteilungsblatt in der Presse würden wir dann dieses Resumé als amtliche Unterlage für alle Fachverbände bzw. alle Sportarten herausstellen".
Der DSB übernahm die Dopingdefinition der Sportärzte schließlich im Jahr 1953. Sie entfaltete nur begrenzte Wirkungen. Dies lag daran, dass die Definition von vornherein als Aufforderung zur ethischen Selbstreflexion intendiert war und die Einführung eines Dopingkontroll- und -sanktionsregimes nicht beabsichtigte. Ruhemann lehnte Dopingkontrollen aus "technischen und ethischen Gründen" ab und empfahl im Einklang mit erzieherischen Idealen eine bessere Aufklärung als Mittel der Dopingbekämpfung. Dopingkontrollen in den 1950er-Jahren finden weltweit nur äußerst sporadisch statt und konzentrieren sich fast ausschließlich auf Italien und den Radsport.
Der erste deutsche "Dopingtote": Jupp Elze
Hintergrund
Während sich der Fall Brustmann in einem sportpolitischen Umfeld ereignete, in dem Doping kaum thematisiert worden war, waren DSpÄB, DSB und das Bundesinnenministerium (BMI) ab Mitte der 1960er-Jahre in Reaktion auf Initiativen des Europarats erstmals in der Dopingfrage aktiv geworden. Das Ministerkomitee des Europarats hatte in seiner Resolution "Doping of Athletes" vom 29. Juni 1967 allerdings die Verankerung sportinterner Regelungen etwaigen staatlichen Maßnahmen vorgezogen. Vor dem Hintergrund der deutschen Doktrin der Autonomie des Sports ist es nicht verwunderlich, dass in der Bundesrepublik – wie in der Mehrheit der westeuropäischen Staaten – der Weg der sportinternen Regelung eingeschlagen und kein staatliches Antidopinggesetz wie 1965 in Frankreich und Belgien erlassen wurde. Infolgedessen forderte der Deutsche Sportärztebund auf dem Bundestag des DSB 1966 eine Verpflichtung der DSB-Mitgliedsorganisationen zur satzungsmäßigen Verankerung eines gegen Doping gerichteten "Schutz-Paragraphen". Da in der Debatte beim DSB-Bundestag hervorgehoben wurde, dass der Verband als Dachorganisation keinen bindenden Beschluss gegenüber den Mitgliedsverbänden fassen konnte, wurde lediglich eine unverbindliche "Empfehlung" ausgesprochen.
Um die öffentliche und sportpolitische Debatte um den tragischen Tod des Berufsboxers Jupp Elze zu verstehen, muss vergegenwärtigt werden, dass der gesamte Profisport im Nachkriegsdeutschland auf wenig Akzeptanz traf. Nachdem der deutsche Sport durch seine Zusammenarbeit mit den Nazis kompromittiert worden war, hatten die Sportfunktionäre den Versuch eines Neuanfangs unternommen und den Sport unter Anknüpfung an den olympischen Amateurismus als Gegenwelt zu Politik und Berufsleben positioniert. Der Berufssport hatte in diesem stark ideologisierten Bild keinen Platz. Daher grenzte sich auch der Deutsche Amateur Box Verband (DABV) klar vom Berufsboxen und dessen Verband, dem Bund Deutscher Berufsboxer (BDB) ab, dem zum Zeitpunkt der Affäre ein Kölner Nachtclubbesitzer vorstand. Während der DABV 50.000 Amateurboxer repräsentierte, vertrat der BDB nur circa 50 Berufsboxer.
Die Bundesregierung wurde bereits vor dem Tod Elzes mit Forderungen nach einem Verbots des Berufsboxens konfrontiert. Auf die Kritik eines Orthopäden antwortete das BMI jedoch knapp: "Es gibt bereits zahlreiche Gerichtsurteile zu diesem Problem. Dabei ist – gestützt auf gutachtliche Stellungnahmen – allgemein festgestellt worden, daß im Verhältnis zu anderen Sportarten der Boxsport keinen besonders gefährlichen Sport darstellt."
Der tragische Protagonist der Affäre, Joseph "Jupp" Elze, war seit 1961 Profiboxer und bestritt bis zu seinem Tod 42 Profikämpfe, von denen er 34 gewann. Während Elze ein regionales Sportidol war, galt er als taktisch und technisch limitiert, aber auch als schlagkräftig und risikofreudig. Im Kampf gegen den amtierenden Europameister im Mittelgewicht, Juan Carlos Duran, zeigte Elze bereits während des intensiven Schlagabtausches Anzeichen von Desorientierung, bevor er in der 15. und letzten Runde zu Boden ging und nach seiner Aufgabe bewusstlos zusammenbrach. Acht Tage später erlag Elze seinen schweren Gehirnverletzungen. Bei der Obduktion wurde durch den zuständigen Gerichtsmediziner die Einnahme eines Dopingmittels, vermutlich des Aufputschmittels Pervitin, festgestellt. Obwohl ein zweifelsfreier Nachweis, dass Elzes Tod durch Doping verursacht worden ist, nicht vorlag, hatte dieser Dopingbefund ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren zur Folge und löste eine öffentliche Grundsatzdiskussion um den Boxsport in Deutschland aus. Zudem sorgte die Tatsache, dass Elze seine Frau und den anderthalbjährigen Sohn faktisch mittellos hinterließ, für große öffentliche Betroffenheit und inspirierte eine Spendenaktion, durch die Elzes Management der Witwe ein Dreifamilienhaus kaufen konnte.
Der öffentliche Skandal
Die erhebliche Medienaufmerksamkeit ist auch darauf zurückzuführen, dass sich vor allem der Kölner "Express" in der "Hilfsaktion Jupp Elze" engagierte. Großes Medieninteresse zogen auch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft auf sich. Die Beteiligten wiesen zunächst jeden Dopingverdacht von sich, leugneten eine Beteiligung, verstrickten sich in Widersprüche und griffen schließlich den zuständigen Gerichtsmediziner an. Darüber hinaus wurden der Ringrichter sowie Elzes Manager und Trainer dafür verantwortlich gemacht, dass sie zu spät eingegriffen hätten. Auch wurde darüber spekuliert, ob die schweren Acht-Unzen-Handschuhe die Wahrscheinlichkeit von Verletzungen erhöhten, wie Elzes Gegner behauptete. Neben der Todesursache wurden die sportpolitischen Reaktionen intensiv dargestellt, wobei die positive Würdigung der zeitnahen Reaktion des Bundes Deutscher Berufsboxer relevant für das sportpolitische "Überleben" des Profiboxens gewesen sein dürften.
Deutlich wurde weiterhin das schlechte Image des Profiboxens. Es galt als Sport mit besonderen Gesundheitsrisiken; die "SZ" nannte 263 tote Berufsboxer in der Nachkriegsära, die "WAZ" zählte 500 Tote seit der Jahrhundertwende. Obwohl keine Belege für die Verbreitung von Doping im Profiboxen existierten, wurde auf fehlende Dopingkontrollen hingewiesen. Diese Wahrnehmung des Profiboxens als besonders gefährlichen Sport wurde lediglich in "Bild" relativiert, in der der einstige Profi-Europameister Bubi Scholz das Boxen als "harten, ritterlichen Sport" bezeichnet, der nur in der Hand falscher Leute brutal und gefährlich sei. Die Presse sah die Erklärung für die besonderen Gesundheitsgefahren im Profiboxen in der Profitorientierung von Management und Veranstaltern. Die "FAZ" fasste die Vorbehalte gegen das Profiboxen exemplarisch zusammen: "Die Diskussion, ob Boxsport lizenzierter Totschlag ist, flammt wieder auf […] Neue Schutzmaßnahmen werden immer wieder gefordert, helfen aber wenig, solange die Vernunft und das natürliche Leistungsvermögen der Boxer von beruflichem Ehrgeiz und Gewinnsucht immer wieder verdrängt werden. Das ist beim professionellen Radfahren (Doping) ebenso, und auch im Motorsport." Dem Profiboxen wurde die Existenzberechtigung abgesprochen, "da finanzsüchtige Interessengruppen von Veranstaltern dem Gelde mehr zugetan sind als der Gesundheit ihres Schützlings, der im Fahrwasser der Abhängigkeit oft auch selbst nicht mehr die eigene Kontrollfähigkeit besitzt." Das Bild skrupelloser Geschäftspraktiken im Profiboxen wurde dadurch komplettiert, dass der Boxer aufgrund erheblicher Provisionen an sein Management, Trainingsgebühren sowie einer Ablösezahlung wenig von seinen Kampfbörsen profitiere.
So zeigt sich im Hinblick auf die ethischen Maßstäbe der Kommentatoren, dass das Profiboxen deshalb abgelehnt wurde, weil mit Berufssport die prinzipielle Gefahr verbunden wurde, dass die Gesundheit der Sportler den Profitinteressen geopfert würde. Die Wahrnehmung des Profisports war somit 1968 immer noch von einer ethischen Neuausrichtung des Sports in der Nachkriegsära als "zweckfreiem Spiel" geprägt, worauf eine Stellungnahme der Amateurboxer zur Affäre auch erkennbar anspielte. Allerdings ist festzuhalten, dass die beiden Boulevardzeitungen keine prinzipiellen Vorbehalte gegen den Profiboxsport äußerten. Zwar mahnte "Bild" eine bessere soziale Absicherung der Profiboxer durch ihr Management an, wertete aber die Tatsache, dass Elze nach dem Ende seiner Boxlaufbahn zum Sozialfall geworden wäre, nicht grundsätzlich gegen das Profiboxen. Der "Express", immerhin Initiator der "Hilfsaktion Jupp Elze", beschränkte sich auf die Darstellung der prekären finanziellen Situation der Familie und äußerte keine eigenständige grundsätzliche Kritik am Profiboxen. Allerdings positionierte sich "Bild" klar gegen "Doping-Gangsterei" im Sport und artikulierte am deutlichsten sportpolitische Forderungen.
Die beiden Qualitätsblätter "Frankfurter Allgemeine" und "Süddeutsche Zeitung" stellten die Existenzberechtigung des Profiboxens nur indirekt in Frage, indem sie auf die Diskussion über ein generelles Boxsportverbot besonders in der SPD-Bundestagsfraktion hinwiesen. Die liberale Position der Bundesgesundheitsministerin Käte Strobel erfuhr nur wenig Resonanz. Strobel machte zwar die politischen Vorbehalte gegen den Boxsport wegen der Gesundheitsgefährdungen und vermeintlich verrohender Wirkungen deutlich, erklärte aber, man habe "nicht die Möglichkeit, in einem freiheitlichen Staatswesen die Menschen zu ihrem Glück zu zwingen und bestimmte Dinge zu verbieten."
Die "WAZ" äußert sich dagegen dezidiert kritisch gegenüber dem Profiboxen und fordert zunächst zwar nicht dessen Verbot, aber seinen Ausschluss von den Sportverbänden. Schließlich beschränkt sich die "Westdeutsche Allgemeine" später auf die Forderung nach einer größeren Entscheidungsbefugnis der Ärzte. Die klarsten und deutlichsten Forderungen finden sich in der "Bild"-Zeitung, die das Profiboxen nicht grundsätzlich ablehnt, sondern eine maßvolle Reaktion anmahnt. Ex-Profiboxer Bubi Scholz wird zum Sprachrohr der Forderung: "Alle Macht den Ärzten!"
Der Kölner Sporthallen-Direktor, der in Reaktion auf einen Antrag der Kölner CDU-Fraktion nach dem Kampf angekündigt hatte, vorläufig kein Profiboxen in Köln mehr zu erlauben, präsentierte in der "Bild"-Zeitung einen Reformkatalog für das deutsche Profiboxen. Dieser beinhaltete eine Beschränkung auf zehn Runden, eine Stärkung der Ringärzte, befristete und permanente Lizenzentzüge für Boxer nach K.O.-Niederlagen sowie strengere ärztliche Dopingkontrollen und eine Rezeptpflicht für Dopingmittel. "Bild" bezeichnete zudem die DSB-Initiative zur Schaffung eines staatlichen Antidopinggesetzes als überfällig ("Endlich!"): "Dem Dopingsünder müssen strafrechtliche Folgen drohen …", als "schnelle Hilfe für den Sport" sei aber ein staatliches Dopingkontrollinstitut erforderlich. DSB-Präsident Willi Daume erneuerte in "Bild" seine Forderungen nach einem staatlichen Dopinggesetz, selbst wenn dafür eine Grundgesetzänderung notwendig sei.
Angesichts der grundsätzlichen Vorbehalte gegen das Berufsboxen ist bemerkenswert, dass die zeitnahen Änderungen des BDB zum Schutz der Profiboxer die öffentliche Empörung sehr bald dämpften. Die Regeländerungen kommentierte "Bild" positiv ("Endlich! Endlich! Endlich!"). Die "WAZ" bescheinigte dem Profiverband, dass er "diesmal nicht versucht hat, bisherige Maßnahmen nachträglich noch zu rechtfertigen, sondern über den eigenen Schatten gesprungen ist und schnell und positiv reagiert hat." Auch die "SZ" begrüßte die Regeländerungen, forderte aber weitere Anstrengungen und eine ethisch zu verstehende "Neuorientierung", wonach das Boxen humaner werden und sich dem uneingeschränkten Schutz der Athleten widmen müsse.
Sportpolitische Reaktionen
Der Skandal um den Tod Jupp Elzes löste folgende sportpolitische Reaktionen aus: Erstens wurden Maßnahmen zur Reduzierung der Gefahren des Boxsports diskutiert und umgesetzt. Zweitens lebte die Antidopingdebatte wieder auf. Zunächst illustrierte der Fall Elze allerdings die Grenzen einer strafrechtlichen Aufarbeitung von Dopingvergehen. Aufgrund der schwierigen Kausalzurechnung blieben die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen trotz erheblichen Medieninteresses ergebnislos.
Fünf Tage nach Elzes Tod forderte das BMI den DSB unter Hinweis auf die "heftig" geführte öffentliche Diskussion auf, Stellung zu nehmen zu einem Boxverbot, zu den bestehenden Sicherungsmaßnahmen sowie zu deren tatsächlicher Einhaltung im Fall Elze. Das Präsidium des DSB reagierte darauf im Gegenzug unter anderem mit der Forderung an die Bundesregierung, beim Berufsboxverband auf eine Neuordnung der Schutzbestimmungen im Sinne der Richtlinien des DABV einzuwirken. Der Amateurboxverband seinerseits distanzierte sich vom Profiboxen und stellte fest, dass der Amateurboxsport nicht als gefährlich gelten könne, wenn streng nach den geltenden Schutzbestimmungen des DABV verfahren werde. Dennoch stärkte der DABV die Rolle der Sportärzte sowohl während der Kämpfe als auch in den Verbandsstrukturen.
Der BDB argumentierte nach dem Tod Elzes, dass nicht das Boxen die Todesursache gewesen wäre, sondern Doping und daher keine besondere Gesundheitsgefahr vom Profiboxen selbst ausgehe. Dem Profiverband waren die politischen Gefahren für das Berufsboxen jedoch bewusst, da die Mitglieder des BDB noch vor der Beerdigung Elzes zu einer Sondersitzung zusammenkamen und "verschärfte Schutz- und Dopingvorschriften" verabschiedeten. Diese sahen vor, dass der Ringarzt jederzeit den Kampf abbrechen durfte, Dopingproben nach jedem Kampf genommen wurden sowie ein Lizenzverlust und die Einbehaltung der Kampfbörse bei Dopingmissbrauch drohten. Die Rundenzahl wurde von 15 auf zehn Runden verkürzt. Diese Initiativen waren auch geboten, weil die Direktoren der deutschen Sporthallen sie zur Bedingung für weitere Profikämpfe machten. Allerdings akzeptierte die European Boxing Union nur eine Verkürzung auf zwölf Runden, wenngleich sie in Reaktion auf Elzes Tod ebenfalls ein striktes Dopingverbot erließ. Die Hoffnungen der Berufsboxer auf mehr Einfluss im BDB und auf bessere soziale Absicherung wurden jedoch bald enttäuscht. Ebenso hielten Klagen über den dilettantischen Charakter des deutschen Profiboxens an.
Darüber hinaus führte der Fall Elze zur Wiederaufnahme der Antidopinginitiativen im deutschen Sport. In Reaktion auf die bereits erwähnte Aufforderung des BMI zur Stellungnahme beschloss das Präsidium des DSB, die Bundesregierung zu bitten, "ein Gesetz gegen das Doping zu schaffen, nachdem offenbar die Wettkampfbestimmungen diesen gegen alle sportlichen Regeln verstoßenden Missbrauch nicht verhindern können".
Im November 1968 wurde Doping zum ersten Mal im Deutschen Bundestag thematisiert, als der SPD-Abgeordnete Franz Josef Zebisch eine Anfrage zu den Konsequenzen aus dem Dopingfall Elze stellte. In seiner Antwort verwies der zuständige Bundesinnenminister Ernst Benda auf die bereits erfolgten Initiativen der Bundesregierung, des DSB und des DSpÄB und stellte fest, dass "die bestehenden strafrechtlichen Bestimmungen über die fahrlässige und vorsätzliche Körperverletzung und Tötung bereits einen weitergehenden Schutz gegen das Doping bieten und weitere Maßnahmen von den Sportfachverbänden in deren Statuten geregelt werden sollten."
Allerdings bat das BMI im Mai 1969 in ähnlich lautenden Briefen DSB, NOK und DSpÄB um Informationen, welche Schritte bislang gegen Doping eingeleitet worden wären. Der DSB befragte daraufhin seine Verbände und kam zu dem ernüchternden Ergebnis, dass lediglich vier der 42 angeschriebenen Verbände Antidopingbestimmungen in ihren Satzungen aufwiesen. Damit wurde die weitgehende Wirkungslosigkeit vorangegangener Initiativen deutlich. Zudem wiesen die existierenden Dopingbestimmungen mit Ausnahme der Regelungen im Radsport nur eine geringe Komplexität auf. Die Regelungen des Deutschen Leichtathletik- und des Deutschen Amateur Box Verbandes umfassten wenige Zeilen und kamen über eine Spezifizierung des Dopingbegriffs, moralische Verurteilung und relativ allgemeingehaltene Sanktionen nicht hinaus. In den Regelungen des DLV und des DABV ist von Dopingkontrollen noch nicht die Rede. Damit waren die formalen Voraussetzungen für eine wirksame Kontrolle und Sanktionierung von Dopingvergehen zu dieser Zeit nicht vorhanden.
Schließlich führte die wiederbelebte Dopingdebatte zu einem Meilenstein in der Dopingbekämpfung, den "Rahmen-Richtlinien zur Bekämpfung des Dopings" von 1970. Diesen Richtlinien ging ein Expertensymposium im November 1969 unter der Leitung des Freiburger Sportmediziners Joseph Keul voraus, in dessen Folge beim Bundestag des DSB im folgenden Jahr die Annahme von Dopingbestimmungen beantragte. Diesmal wurden konkrete inhaltliche Vorschläge zur Ausgestaltung der Rahmenrichtlinien präsentiert, die vom Hauptausschuss des DSB im September 1970 verabschiedet wurden. Die Rahmenrichtlinien stellten ein gegliedertes Regelwerk mit ausführlicher Dopingliste dar, das den komplexen regulativen Anforderungen von Antidoping deutlich gerechter wurde als vorherige Regelungen. Zudem waren diese Bestimmungen nicht mehr nur als unverbindliche Empfehlung an die Sportverbände, sondern als Erlass an alle im DSB zusammengeschlossenen Turn- und Sportverbände formuliert. Diese verpflichteten sich, "die Verwendung von Dopingmitteln im Sport zu verbieten und das Doping mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln zu bekämpfen".
Damit führte der Fall Elze nicht zu grundsätzlich neuen Diskussionen und Initiativen im Antidoping, jedoch zu einer Wiederaufnahme und deutlichen Verstärkung sportpolitischer Bemühungen. Im Gegensatz zur Debatte nach dem Fall Brustmann, die sich wesentlich auf die Dopingdefinitionsfrage beschränkte, stand nun die konkrete Ausgestaltung von Antidopingmaßnahmen im Mittelpunkt, wobei die bundesdeutsche Sportpolitik trotz der öffentlichen Erregung an dem gewählten Weg der sportinternen Regelung festhielt. Diese Prozesse mündeten in die Verabschiedung der Rahmenrichtlinien des DSB zur Bekämpfung des Dopings 1970, die einen konkreteren und stärker verpflichtenden Charakter trugen. Allerdings vernachlässigten die Rahmenrichtlinien Fragen der praktischen Umsetzung von Antidoping in Form von Dopingkontrollen. Tatsächlich wurden Kontrollen zu dieser Zeit fast ausschließlich im Radsport vorgenommen.
Nebenwirkungen leistungssteigernder Experimente: Die "Kolbe-Spritze"
Hintergrund
Der sportpolitische Kontext in der Bundesrepublik Deutschland hatte sich seit dem Tod Jupp Elzes entscheidend verändert, da die Vergabe der Olympischen Sommerspiele 1972 nach München umfangreiche Modernisierungsanstrengungen im bundesdeutschen Leistungssport inspirierte. Im Zuge dieser Veränderungen nahmen nicht nur die staatliche Finanzierung des Sports, sondern auch die damit verbundenen Leistungserwartungen erheblich zu. Im "Kalten Krieg auf der Aschenbahn" war das sportliche Abschneiden der beiden politischen Blöcke zum Indikator für die generelle Leistungsfähigkeit und Überlegenheit des jeweiligen Gesellschaftsmodells geworden, wobei sich im geteilten Deutschland die Frage der Systemkonkurrenz in besonderer Schärfe stellte.
Im Gefolge der politisch vorangetriebenen Modernisierungsbestrebungen im bundesdeutschen Sport war die mangelnde Effizienz der dezentralisierten Strukturen immer wieder kritisiert worden und hatte unter anderem zur Einrichtung bzw. sukzessiven Stärkung des Bundesausschusses für Leistungssport (BAL) als zentraler Koordinationsinstitution geführt. Da weder Landessportbünde noch Fachverbände ihre Kontrolle über den Spitzensport vollständig aufgeben wollten, hatte sich schließlich ein halbautonomer leistungssportlicher Bereich herausgebildet, der aufgrund der vielfältigen Interessenverflechtungen nur bedingt der Verbandskontrolle durch den DSB unterlag. Mit dem Ausbau des Leistungssports hatte die Sportwissenschaft im Allgemeinen und die sportmedizinische Forschung im Besonderen einen erheblichen Aufschwung erfahren.
Allerdings erreichte die Leistungsexplosion im DDR-Sport zu dieser Zeit in einigen Sportarten ihren Höhepunkt. Selbst nachdem die DDR-Mannschaft in München 1972 den innerdeutschen Zweikampf für sich entschieden hatte, hielt die bundesdeutsche Sportpolitik an der Idee des sportlichen Wettbewerbs der Systeme fest, wie der Bundesinnenminister auf einer Sitzung des Sportausschusses des deutschen Bundestages deutlich machte: "Als der Leiter der Ständigen Vertretung der Deutschen Demokratischen Republik, [Michael] Kohl, bei mir zu seinem Antrittsbesuch war, habe ich ihm herzlichst gedankt für den Aufschwung der Körperkultur in der DDR, denn der habe uns so erst richtig den Stachel ins Fleisch gedrückt und angespornt, nun auch selbst in unserem politischen System das Äußerste zu tun, um auf unsere ganz andere Weise unsererseits den Spitzensport zu fördern. Ich habe ihm allerdings verhießen, daß wir der DDR das nächste mal zeigen werden, was wir vermögen. Dieses Ziel würde ich gerne gemeinsam mit Ihnen erreichen."
Allen Beteiligten konnte klar gewesen sein, dass im sportlichen Kampf der Systeme auf medizinisch-pharmakologische Unterstützung gesetzt wurde, da sich der gesamte Hochleistungssport vor den Olympischen Spielen von 1976 einer anhaltenden Diskussion um die Aufnahme von anabolen Steroiden in die Dopingverbotsliste ausgesetzt sah. Nach den Studien von Berendonk sowie Andreas Singler und Gerhard Treutlein waren Anabolika ab Mitte der 1960er-Jahre in einigen leichtathletischen Disziplinen und im Gewichtheben beinahe flächendeckend verbreitet und übten einen statistisch nachweisbaren Effekt auf die erhebliche Leistungssteigerung in den 1970er-Jahren aus. Die Verbreitung von Anabolika beeinträchtigte die Konkurrenzfähigkeit der bundesdeutschen Athleten weiter und veranlassten den DLV-Bundestrainer Hansjörg Kofink vor den Spielen von München zum Rücktritt, da die westdeutschen Kugelstoßerinnen nicht nominiert worden waren, weil die vom NOK vorgegebenen Leistungsnormen ohne den Einsatz von Anabolika nicht zu erfüllen waren. Aus sportethischer Sicht waren derartige Nominierungsvorgaben angesichts der Forderung nach einem "sauberen Sport" problematisch, wie der Präsident des Sportärztebundes Herbert Reindell später vor dem Bundestag zugab: "Hier war Schizophrenie im Spiel. Denn wenn sich maßgebende Funktionäre mit den Leistungsgrenzen befaßt hätten, dann müßten sie wissen, daß einer die Kugel 10 Meter weit stoßen kann, aber nicht 22. Also hier muss ein Geschehen vorliegen, das mit physiologischer Anpassung nichts mehr zu tun hat. Trotzdem hat man die Normen aufgestellt."
Während in der DDR die zentrale Phase des anabolen Dopings 1974 einsetzte, hatten auch bundesdeutsche Sportmediziner Anabolika mit der Rechtfertigung verabreicht, das "wilde Schlucken" durch eine ärztlich überwachte Verabreichung zu ersetzen. Die Verwendung anaboler Steroide war dabei mit ihrer relativen Harmlosigkeit – im Vergleich zu Aufputschmitteln – gerechtfertigt worden. Da der gewünschte anabole Effekt nur bei gleichzeitigem adäquatem Training eintrat, war überdies geschlussfolgert worden, dass mit Anabolika lediglich "substituiert" werde, was dem durch das deutlich gestiegene Trainingspensum substitutionsbedürftigen Athletenkörper verloren gegangen sei. So argumentierten führende bundesdeutsche Sportmediziner, eine ärztlich kontrollierte Verabreichung von Anabolika sei harmlos. In der Leichtathletik waren die anabolen Steroide bereits 1971 verboten worden, in München hatten 1972 aber noch keine Kontrollen auf anabole Steroide stattgefunden. Nachdem ein Nachweisverfahren entwickelt worden war, nahm die Medizinische Kommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) 1974 anabole Steroide in die Liste der verbotenen Substanzen auf.
Allerdings war den bundesdeutschen Sportmedizinern dank einer Reihe von Flüchtlingen aus der DDR bekannt, dass der Wettbewerb der Systeme dort nicht nur mit Hilfe von Anabolika unterstützt wurde. Zu diesen DDR-Flüchtlingen gehörte vor allem Alois Mader, der zunächst an der Sportärztlichen Hauptberatungsstelle des DDR-Bezirks Halle tätig gewesen war. Zu dem Insiderwissen, das Mader 1974 in den Westen brachte, gehörte auch der Einsatz eines Kombinationspräparats aus Cocarboxylase und Thioctacid, das nach seiner Darstellung erstmals bei der Schwimmweltmeisterschaft in Belgrad 1973 erfolgreich durch die DDR zum Einsatz kam. Die DDR-Schwimmerinnen schockierten mit einem beispiellosen Siegeszug die internationale Konkurrenz. Wie im DDR-Leistungssport, in dem "keine Applikation von irgendwelchen Substanzen im Zusammenhang mit Wettkämpfen ohne vorherige Untersuchung ihrer Wirkung erfolgt", begannen vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft finanzierte experimentelle Untersuchungen zum Effekt dieser Kombination, die unter dem Namen "Kolbe-Spritze" in die bundesdeutsche Dopinggeschichte einging, im Frühjahr am Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin in Köln. Bei den durchgeführten Tests gelang es, zu zeigen, dass "fast ausnahmslos eine höhere Ausbelastung erreicht werden konnte". Dabei lagen die Leistungsverbesserungen in der Regel bei 1–1,5 Prozent und erreichten in Ausnahmefällen drei Prozent. Die positiven Befunde standen kurz vor den Olympischen Spielen in Montreal fest und wurden sowohl dem Bundesausschuss für Leistungssport (Direktor: Helmut Meyer) als auch Joseph Keul als sachverständigem Olympiaarzt mitgeteilt.
Wie aus einem Brief des Präsidenten des Deutschen Sportärztebundes Reindell an den Tübinger Sportpädagogen Ommo Grupe hervorgeht, wurden dementsprechend "in Übereinstimmung mit verantwortlichen Funktionären vom DSB für Montreal entsprechende Vorbereitungen getroffen. Soviel mir bekannt ist, sind mehrere hundert Spritzen nach Montreal geschickt worden".
Peter Michael Kolbe, nach dem die Injektion benannt wurde, war einer der weltbesten Einer-Ruderer und gewann insgesamt fünf Weltmeistertitel. Nach seiner ersten Weltmeisterschaft wurde er 1975 zum Sportler des Jahres in der Bundesrepublik gewählt. Kolbe, der insbesondere von der "Bild"-Zeitung protegiert wurde, galt jedoch als unbequemer Sportler. In der Berichterstattung wurden ihm Arroganz bescheinigt und seine Isolierung in der Mannschaft betont. Bei den Olympischen Spielen von Montreal war Kolbe klar favorisiert und ging fest davon aus, die Goldmedaille zu gewinnen. Diese Erwartungen teilte auch der DRV. So erklärte der Ehrenpräsident des DRV, Walter Wülfing, nach Kolbes zweitem Platz, maßlos enttäuscht zu sein und 100-prozentig mit Gold gerechnet zu haben.
Im olympischen Endlauf führte Kolbe 1.800 Meter lang die Konkurrenz klar an, brach aber schließlich auf den letzten Metern ein. Der nur über den Hoffnungslauf in Finale gekommene Finne Pertti Karppinen zog an ihm vorbei. Während der Siegerehrung wirkte Kolbe fassungslos, das Mitleid der Kommentatoren hielt sich jedoch in Grenzen: "Wer so wenig Bindung zur Mannschaft hat, kann auch nicht damit rechnen, nach einem solchen Sturz von ihr aufgefangen zu werden. Vielleicht möchte er das auch gar nicht."
Die "SZ" charakterisierte Kolbe nach dem Gewinn der Silbermedaille als einen Sportler, "für den nur olympisches Gold gut genug war, weil er sich als der Größte dünkte, als der er in verschiedenen Gazetten auch mit fast penetranter Hartnäckigkeit hinaufgelobt worden war", und bescheinigte ihm eine "überhebliche Fahrweise". Kolbe gab wenige Stunden nach dem Finallauf der Injektion durch die Verbandsärzte der deutschen Olympiamannschaft die Schuld an der Niederlage.
Der öffentliche Skandal
Nach seiner Darstellung war Kolbe fünf Tage vor dem Rennen von einem Mitglied des DRV mit der Information kontaktiert worden, dass der Verband über eine neue Vitamin-B-Mixtur aus der DDR verfüge, die die Ermüdung verzögere. Kolbe weigerte sich zunächst, ließ sich nach eigener Darstellung sich zu der Injektion überreden, als er aber vor dem Finalrennen erkältet hatte. Den Effekt dieser Spritze, die Kolbe zwei Stunden vor dem Rennen erhielt, beschrieb er wie folgt: "Bei 1.500 Meter fühlte ich mich plötzlich leer. Ich hatte keine Kraft mehr, konnte nicht mehr richtig sehen. Die Sonne tat meinen Augen weh. Kurz vor dem Ziel konnte ich mich kaum noch bewegen. Die Schleimhäute in der Nase und im Rachen schmerzten furchtbar. Später hatte ich blaue Lippen. Wer weiß, was da noch alles in der Spritze gewesen ist."
Die öffentliche Debatte beschäftigte sich jedoch bald nicht mehr mit den vermeintlichen Effekten der "Kolbe-Spritze". Vielmehr provozierten nicht zuletzt die Ausführungen der involvierten Sportmediziner zur "Chancengleichheit" eine Grundsatzauseinandersetzung über die Rolle der Sportmedizin.
Zunächst erklärte der Mannschaftsarzt des bundesdeutschen Olympiaaufgebots, Josef Nöcker, in Reaktion auf Kolbes Vorwürfe, dass es sich bei der Spritze nicht um Doping, sondern um eine Hilfe zur "Leistungsstabilisierung" gehandelt habe, die in jeder Apotheke erhältlich sei. Nöcker gab außerdem zu, dass diese Spritzen sowohl beim gesamten Ruderteam als auch bei Leichtathleten, Radfahrern und Schwimmern angewandt worden waren. Dass es sich bei der Spritze um kein verbotenes Dopingmittel handelte, wird auch vom Internationalen Ruderverband FISA bestätigt. Nöcker charakterisierte die Spritze als Teil eines Komplexes von Maßnahmen zur Betreuung aller Athleten durch gezielte Ernährung und richtiges Mineralgemisch. Er behauptete, dass in allen Ländern Athleten auf diese Weise vorbereitet würde, wobei die Rezeptur der Spritzen ein nationales Geheimnis sei, selbst wenn es sich um ein harmloses Mittel handele.
Zunächst wurde allerdings deutlich, dass sich Kolbe mit seinen Anschuldigungen im Ruderverband und im Ruderkader isolierte. NOK-Präsident Willi Daume stellte sich demonstrativ vor die Ärzte und sprach ihnen das Vertrauen aus, "nichts [zu] tun, was den ihnen anvertrauten Athleten oder dem Ansehen des Sports schaden könnte". Die Presse folgte bereitwillig dieser offiziellen Darstellung, selbst wenn sie ein "Unbehagen" über die leistungssportliche Aufrüstung notierte: "Daß es sich bei den Spritzen, die eine Reihe von Sportlern aus den verschiedensten Disziplinen erhielt, um kein Dopingmittel handelt, dürfte ganz sicher sein. Dafür bürgt auch das Team der deutschen Ärzte, die nicht nach Montreal mitgeflogen sind, um Sportler verbotenerweise aufzuputschen."
Darüber hinaus griffen führende Sportmediziner Kolbe an und behaupteten, dass dieser auf die Spritze bestanden hätte und sie nun als Alibi benutze. Michael Kolbes überhöhtes Anfangstempo wurde von dem Sportmediziner Joseph Keul auf Autosuggestion zurückgeführt: "Kolbe hatte überall Zettel liegen, auf denen 'Du bist der Größte!' stand."
Allerdings unterstützte der langjährige Mannschaftsarzt der bundesdeutschen Ruderer, Paul Nowacki, die Behauptungen Kolbes. In einem Brief an das NOK protestierte Nowacki gegen die Injektionen und bezeichnete diese als medizinische Manipulation und "peripheres Doping". Kolbes Zusammenbruch stelle einen "sportmedizinischen Kunstfehler" dar, da die Spritze zumindest ein psychisch bedingtes Fehlverhalten im Wettkampf ausgelöst habe. Keul warf daraufhin Nowacki fehlende wissenschaftliche Sachlichkeit und Spekulation vor. Allerdings sah sich NOK-Präsident Daume nun veranlasst, eine Untersuchung einzuleiten.
Kolbe selbst blieb bei seiner Behauptung und gab an, von den Funktionären unter Druck gesetzt worden zu sein. Schließlich gab er im Juni 1977 seinen Rücktritt bekannt und erklärte: "Den Spaß am Rudern habe ich verloren. Bis Montreal wusste ich nicht, dass es medizinische Manipulationen im Sport gab. Ich bin nicht zum Arzt gegangen und habe gefragt: 'Wie kann ich schneller werden?' Ich habe einfach mehr trainiert." – "Ich sehe keinen Sinn, weiterzurudern, wenn Funktionäre und Verbandsärzte ihre Sportler mit Spritzen schneller machen wollen."
Die öffentliche und sportpolitische Debatte hatte sich zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits sportethischen Grundsatzfragen zugewandt. Ursächlich dafür waren nicht zuletzt die offensiven Bekenntnisse bundesdeutscher Sportmediziner zur pharmakologischen Leistungssteigerung. So hatte Nöcker in seiner unmittelbaren Reaktion auf Kolbes Behauptungen ausgeführt, Sportmediziner hätten für "Chancengleichheit" zu sorgen. Diese Aussagen warfen die prinzipielle Frage auf, welche medizinischen Praktiken vom Hochleistungssport der DDR zu übernehmen seien. So bezeichnete die ehemalige Athletin Heidi Schüller die Spritze zwar nicht als Doping, aber als unsportlich, da gezielt nach Lücken im Regelwerk gesucht worden sei. Nach Schüller stellte sich die Grundsatzfrage, ob "man in diesem medizinischen Wettstreit mitmachen will oder nicht", wobei sie sich klar festlegte: "ich persönlich halte eine medizinische Leistungssteigerung für schlichtweg unsportlich".
DDR-Flüchtling Alois Mader betonte die Harmlosigkeit der Spritze, gab aber nüchtern zu, dass mit einem traditionellen sportmedizinischen Verständnis internationale Spitzenleistungen nur noch in wenigen Ausnahmefällen möglich sein. Mader entwarf ein Rollenverständnis der Sportmedizin, das mit der traditionellen Arztrolle wenig zu tun hatte: "Der Sportmediziner ist nicht dazu da, den Sportler daran zu hindern, Spitzenleistungen zu erzielen, sondern zu fördern, dass der Sportler auf schnellstem Wege und mit dem geringsten Risiko seine Höchstleistungen erreicht."
Damit war die Grundsatzfrage "Hinterherlaufen oder Chancengleichheit" gestellt, wobei den Kommentatoren klar war, dass unter dem Stichwort "Chancengleichheit" eine Kopie der Methoden der Ostblock-Konkurrenz impliziert wurde, während andere Akteure für einen strikt sauberen Sport plädierten. So forderte DSB-Präsident Willi Weyer unter dem Stichwort "Chemie im Sport gegen die Menschenwürde", die Grundsätze beizubehalten. Rückblickend erscheint dabei die Offenheit der Debatte bemerkenswert. So redete
Joseph Keul in einer Fernsehdiskussion führender Sportmediziner der biologischen Unterstützung bundesdeutscher Athleten offensiv das Wort, was die "FAZ" zu der Feststellung inspirierte: "Mit der Spritze werden wir im Leistungssport offensichtlich weiterleben müssen."
Diese Zuspitzung der Debatte barg die Gefahr, die Legitimität des Spitzensports zu bedrohen. So konstatierte die Deutsche Sporthilfe einen imageschädigenden Effekt der Diskussion über die "Kolbe-Spritze" für den Leistungssport. Ein Teil der Kommentatoren schlug einen resignativen Ton an. So prangerte die "Frankfurter Allgemeine" die "schönen" Reden über den Primat ethischer Prinzipien als "Volksverdummung, Naivität oder schlichtweg Unkenntnis" an und verwies auf die faktischen Leistungserwartungen an bundesdeutsche Spitzensportler. Ein chemiefreier Leistungssport und die Politik des erhobenen Zeigefingers wurden daher aufgrund der Konkurrenz mit dem Osten als unrealistisch bezeichnet: "Ungewöhnliche Leistungen, wie sie heute in den Stadien vollbracht werden, können nicht mehr mit gewöhnlichen Mitteln erreicht werden. Das ist eine Binsenweisheit. Und man sollte sich endlich entweder ehrlich zu dieser Entwicklung bekennen oder die vielen Millionen für die Förderung des Leistungssports lieber in Kinderspielplätzen anlegen." Die "WAZ" wiederum fragte: "Wie es weitergeht? Mit einer internationalen medizinischen Abrüstungskonfernenz vielleicht."
Willi Daume kündigte in Reaktion auf den Skandal an, dass sich das Nationale Olympische Komitee mit diesem fundamentalen Problem des Hochleistungssports beschäftigen werde. Schließlich setzte es im September 1976 die sogenannte "Dreier-Kommission" ein. Sie bestand aus dem Vorsitzenden des BAL und Chef der Mission in Montreal, Heinz Fallak, dem Vizepräsidenten des DSB Dieter Graf Landsberg-Velen sowie federführend Ommo Grupe, der seit 1967 eine Professur für Theorie der Leibeserziehung an der Universität Tübingen innehatte.
Die öffentliche Debatte verschärfte sich allerdings im Oktober 1976, als die Arbeitsgemeinschaft der Verbandsärzte im Bundesausschuss für Leistungssport im Hinblick auf die durch Mader offengelegten Praktiken im DDR-Sport die Verwendung von Anabolika billigte, solange diese nicht gesundheitsschädlich wären. Nach medialer Berichterstattung schien sich der "harte Kern" der deutschen Sportmediziner damit konsequent für "Chancengleichheit" entschieden zu haben. Gegen diese Stellungnahme der prominenten Sportmediziner regte sich Protest innerhalb der Sportärzteschaft. Ungeachtet dessen konnte die interessierte Öffentlichkeit der "FAZ" entnehmen, dass sich die medizinischen Praktiken der Sportärzte schon weit jenseits der Grenze befanden, bei denen Normalmediziner den Einsatz von Medikamenten für gerechtfertigt hielten. Nichtsdestotrotz vertraten die im Hochleistungssport tätigen Sportmediziner auch auf internationalen Tagungen weiter die These, im "Sport-Krieg" müsse man "ja sagen, wolle man nicht von den Ländern des Ostblocks lächerlich gemacht werden", und ernteten den Protest ihrer ausländischen Kollegen.
Die beiden wichtigsten Repräsentanten des deutschen Sports, NOK-Präsident Daume und DSB-Präsident Weyer, arbeiteten dagegen an der Herstellung einer "Einheitsfront gegen Hormondoping". Die war im März 1977 soweit gediehen, dass mit der Verabschiedung eines baldigen "generellen, einschneidenden und folgenreichen Manipulationsverbot" gerechnet werden konnte. Da sich die große Mehrheit der 5.000 Sportmediziner gegen pharmakologische und medikamentöse Leistungsbeeinflussung ausgesprochen hatte, konstatierte die "SZ": "In der […] Diskussion über pharmakologische und medikamentöse Leistungsbeeinflussung […] werden die Fronten immer klarer. Diejenigen, die nach wie vor der Einnahme von Anabolika das Wort reden, darunter ein kleiner Kreis von prominenten Sportmedizinern, geraten immer mehr in die Minderheit." Der bekannte Dopingkritiker Horst Klehr griff zudem auf dem Verbandstag des DLV einige der prominentesten Sportärzte direkt an und behauptete, dass der
Dopingbeauftragte des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp), Manfred Donike, Dopingpraktiken vertusche: "Ich stelle fest, daß die DLV-Ärzte [Joseph] Keul, [Armin] Klümper und [Wilfried] Kindermann nach ihren eigenen Aussagen an Athleten Anabolika verabreichten, um – wie sie betonen – die Athleten vor Selbstmedikation zu schützen. Die Nötigung des ärztlichen Gewissens scheint hier Purzelbäume zu schlagen."
Tatsächlich war bereits während der Vorbereitungen für den Sportärzte-Kongress in Kiel klar, dass mit einem einhelligen Votum gegen Doping zu rechnen war. Bei der "FAZ" hatte sich allerdings schon der Eindruck verfestigt, es sei "der traurige Schluss nicht unbegründet, dass es im Hochleistungssport der Bundesrepublik nicht korrekt zugeht". Daher traf der von den Sportärzten unternommene Versuch, eine "große Koalition gegen das Doping" zu präsentieren, auf Skepsis und wurde angesichts der offenbaren Präferenz einiger Sportmediziner für "Chancengleichheit" als "krampfhaft" aufgenommen. Die Tragfähigkeit dieser "Muß-Ehe" wurde bezweifelt: "Die vom Deutschen Sportärztebund ausgearbeiteten Rahmenrichtlinien zur Bekämpfung des Dopings wird man an der künftigen Entwicklung messen müssen. Dann nämlich wird es sich erweisen, ob die zur Verfügung stehenden Kontrollmöglichkeiten ausreichen, den Anabolika-Mißbrauch wirksam einzudämmen. Dr. Donike, der für die zentrale Durchführung der Doping-Kontrollen verantwortlich ist, ist eher skeptisch, was diesen Punkt betrifft. […] Ob 'in fünf Wochen in Deutschland niemand mehr vom Doping spricht', wie es sich dieser Professor Grupe (Tübingen) wünscht, wird einzig und allein von der weiteren Entwicklung abhängen."
Sportpolitische Reaktionen
Die fragwürdigen Vorgänge bei den Spielen von Montreal führten auch zu einem sportpolitischen Nachspiel. So veranstaltete der Sportausschuss des Bundestages 1977 eine öffentliche Anhörung, auf der der Vorsitzende des Ausschusses, Hans Evers, erklärte: "Das Parlament muß Antwort auf die Frage bekommen, was wir eigentlich mit den Sportförderungsmitteln der öffentlichen Haushalte fördern. Deckt sich das, was wir fördern, mit den sportpolitischen Zielvorstellungen, die von den Fraktionen und von den Parteien entwickelt worden sind? Das ist der Kernsatz und das Kernanliegen, das der Sport mit dem heutigen Anhörungsverfahren verfolgt."
Darüber hinaus gab es im Bundestag zwischen 1977 und 1979 eine Reihe von kritischen Nachfragen zu den zukünftigen Förderungszielen und den Kriterien für eine Bereitstellung von Sportförderungsmitteln. Die Bundesregierung hatte auf die Debatte am 17. März 1977 mit einer Ergänzung der Besonderen Bewirtschaftungsgrundsätze reagiert, durch die die Bereitstellung von Sportförderungsmitteln davon abhängig gemacht wurde, dass der Zuwendungsempfänger die von den zuständigen internationalen und nationalen Sportorganisationen erlassenen Bestimmungen gegen Doping beachtete. Des Weiteren sollte die Vergütungsordnung für Bundestrainer im Einvernehmen zwischen BMI und DSB mit einer Dopingklausel versehen werden, nach der Dopingvergehen zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigten. Allerdings ist aus den Akten der beteiligten Behörden nicht ersichtlich, dass aufgrund dieser Dopingklauseln in den folgenden Jahren jemals staatliche Zuwendungen gestrichen wurden.
Während die wissenschaftliche Kommission des katholischen Arbeitskreises Kirche und Sport DSB und NOK den Rat gab, "auf die Teilnahme an internationalen Wettkämpfen und Olympischen Spielen in den Disziplinen zu verzichten, in denen die festgesetzten Normen und die für ein erfolgreiches Abschneiden sportliche Leistungssteigerung ohne diese Mittel nicht mehr zu erreichen sind", beschritt der bundesdeutsche Sport den Weg der Einsetzung der sogenannten Dreier-Kommission, die eine Grundlage für die weitere Behandlung des Problems der medizinischen Leistungsbeeinflussung im Sport erarbeiten solle. Dabei sollten auch ethische, pädagogisch-psychologische, soziale und sportpolitische Gesichtspunkte einbezogen werden.
Mit dieser Entscheidung gingen die Sportfunktionäre deutlich auf Distanz zu den Sportmedizinern. Obwohl Fragen individueller Schuld und Verantwortung gestellt wurden, sollte die Kommission keine Vergangenheitsbewältigung betreiben. Dementsprechend führte ihre Arbeit auch nicht zu nennenswerten Sanktionen. Erwähnenswert ist jedoch, dass Sportärztepräsident Herbert Reindell die Dunkelzahl des Dopings im bundesdeutschen Sport in der Anhörung des Sportausschusses als größer beschrieb, als von Grupe suggeriert.
In ihrer Grundsatzerklärung sprach sich die Kommission schließlich für ein grundsätzliches Verbot medikamentöser Leistungsbeeinflussung unter Einbezug von Anabolika aus, bekannte sich aber zum Leistungssport. Darüber hinaus wurde Doping als strukturelles Problem eines ganzen Sportsystems thematisiert. Jedoch wurde diese Einsicht in eine Rechtfertigung für die Forderung nach weiteren finanziellen Mitteln für den Leistungssport umgemünzt, weil Doping auf fehlende Betreuung und fehlende soziale Absicherung der Spitzenathleten zurückgeführt wurde. Für diese Argumentation war zentral, dass die Dreier-Kommission davon ausging, dass es keinen überzeugenden Grund für die Annahme gäbe, dass der "weitere Fortschritt im Spitzensport nur medikamentös erreicht werden könne".
So standen neben sportethischen Aspekten zwei konkrete Forderungen im Mittelpunkt der Grundsatzerklärung: Erstens sollte eine verbesserte trainingsspezifische, medizinische und pädagogisch-psychologische Betreuung die erfolgreiche Teilnahme am internationalen Wettkampfgeschehen zukünftig auch ohne Doping sicherstellen. Zweitens wurde die soziale Fürsorge für den Athleten in den Mittelpunkt zukünftigen Handelns gerückt. Die faktische Professionalisierung des Hochleistungssports benachteilige bundesdeutsche Athleten "gegenüber allen Sportlern aus den sozialistischen Ländern, die als Repräsentanten ihres Systems jede nur erdenkliche soziale Hilfe erhalten". Doping wurde somit als Kompensationsstrategie charakterisiert: "Es kann nicht hingenommen werden, daß Spitzensportler – mit späterem Schaden an Leib und Leben – die erforderlichen Trainingsstunden z.B. mit Anabolika kompensieren, weil sie mit ihrer Zeit sonst in Schule, Hochschule, Betrieb oder Büro nicht auszukommen glauben. Diese Entwicklung steht auch einer Gesellschaft schlecht an, die nach besseren Lebensqualitäten sucht." Die Forderungen standen unter der Prämisse, dass geeignete Förderungs- und soziale Hilfsmaßnahmen die erfolgreiche Teilnahme am internationalen Wettkampfgeschehen zukünftig sichern könnten und dadurch Anreize zum Doping abgemildert würden.
Trotz der Einsicht in den internationalen Einsatz von Dopingmitteln und der kritischen Thematisierung seiner Nominierungskriterien hielt das NOK aber weiterhin an dem Kriterium "Endkampfchance" fest, wenngleich es sich dabei an Leistungsmaßstäben orientierte, die unter Einsatz von Doping erbracht worden waren. Obwohl die Unabhängige Dopingkommission im Juni 1991 die Kritik an den Nominierungskriterien erneuerte, blieb die Prognose der "Endkampfchance" bis heute ein entscheidendes Kriterium der Nominierungsrichtlinien.
In der bundesdeutschen Dopinggeschichte gilt vor allem der Fall Birgit Dressel in der öffentlichen Wahrnehmung des Dopings als eine Zäsur. Die tragische Protagonistin, die Siebenkämpferin Birgit Dressel, hatte einen erheblichen Leistungssprung auf Platz 6 der Weltjahresbestenliste erfahren und war bei den Leichtathletik-Europameisterschaften in Stuttgart 1986 im Siebenkampf Vierte geworden. Nachdem Dressel im folgenden Frühjahr aufgrund erheblicher Schmerzen ins Krankenhaus eingewiesen worden war und ein dreitägiges Martyrium erlitten hatte, starb sie am 10. April 1987 im Uniklinikum Mainz. Während des Todeskampfes hatten sich 24 Ärzte vergeblich bemüht, ihren Tod zu verhindern, indem sie unter anderem verschiedenste Schmerzmittel verabreichten.
Der Tod der Athletin löste nicht nur große Betroffenheit aus, sondern eröffnete der Öffentlichkeit einen Blick in die Realität des vollmedikalisierten Hochleistungssports, da sich zum "erstenmal […] minutiös belegen [ließ], wie Hochleistungsathleten medizinisch betreut werden, welche Unmengen von Medikamenten sie spritzen, schlucken, trinken – bis zum bitteren Ende."
Das rechtsmedizinische Gutachten vom 23. Juli 1987, das im Auftrag der Staatsanwaltschaft Mainz erstellt worden war, stellte fest, dass Dressel an einem durch Medikamente ausgelösten toxisch-allergischen Schock gestorben war. In Dressels Körper wurde eine Vielzahl verschiedener Medikamente festgestellt. Darunter befanden sich unter anderem zwei Anabolikasubstanzen, Stromba und Megagrisevit. Dressel hatte Megagrisevit im März 1987 wenige Wochen vor ihrem Tod erstmals genommen und aufgrund von Hautreaktionen wieder abgesetzt, während sie das Anabolikum Stromba ungefähr seit Beginn 1986 konsumierte.
Vor allem die Involvierung des charismatischen Sporttraumatologen Armin Klümper, der von bundesdeutschen Athleten als "Guru" verehrt wurde, machte den Fall für den deutschen Sport brisant. Im Gegensatz zur Schulmedizin behauptete der als "Wunderdoktor" apostrophierte Klümper unter anderem, Knorpelsubstanz regenerieren zu können. Während laut Presseberichten Hunderte deutscher Spitzenathleten zu Klümpers Klinik in Freiburg pilgerten, erwiesen sich seine Behandlungsmethoden, vor allem die Injektionen mit dem sogenannten "Klümper-Cocktail", unter Schulmedizinern als äußerst umstritten.
Darüber hinaus befand sich der internationale und deutsche Sport zum Zeitpunkt des Fall Dressel in einer intensiven Auseinandersetzung über die Einführung von Trainingskontrollen, die innerhalb des deutschen Spitzensports kontrovers diskutiert wurden. Etwa zwei Monate nach Dressels Tod diskutierte die "Arbeitsgruppe Dopingfragen" des Bundesinstituts für Sportwissenschaft in der Sitzung am 2. Februar 1987 das Thema Trainingskontrollen. Es wurde dabei kritisch vorgebracht, "daß es nicht vertretbar sei, mehrere Dopingexperten anzustellen, wobei bis heute noch keine hauptamtlichen Ärzte für trainings- und wettkampfbegleitende Betreuung, die zugleich die Unterweisung in Dopingproblemen vornehmen könnten, vorhanden seien. Schädigungen durch anabole Steroide, um die es bei den Trainingskontrollen auch gehe, seien bei Sportlern bis heute nicht belegt worden. Wohl aber sei gesichert, daß bei Spitzensportlern eine Vielzahl von Erkrankungen und Verletzungen durch unzureichende ärztliche Versorgung eingetreten sei".
Aus Sicht der Sportmediziner bestand zwischen einer verbesserten Dopingbekämpfung und einer verbesserten sportmedizinischen Betreuung ein Verteilungskonflikt. Während die Kommission letztlich eine freiwillige Unterwerfung der Spitzenathleten unter stichprobenartige Dopingkontrollen empfahl, lehnte das NOK-Präsidium diese Empfehlung ab und redigierte sie wie folgt: "Die Arbeitsgruppe diskutierte den Komplex Dopingkontrollen außerhalb von Wettkämpfen, ohne zu einem abschließenden Ergebnis zu kommen." Ungeachtet dieser Verweigerungshaltung forderte der Beauftragte für Dopinganalytik, Manfred Donike, vom Bundesinnenministerium die Einführung von Trainingskontrollen, nachdem der überproportional hohe Anteil an positiven Proben im Jahr 1986 als alarmierend empfunden wurde. Noch vor dem Fall Dressel wurde der DSB zu einer Stellungnahme aufgefordert.
Der öffentliche Skandal
Die öffentliche Erregung im Fall Dressel fiel zunächst weniger intensiv als beim Tod Elzes aus. Allerdings verschoben sich sowohl der thematische Fokus der Berichterstattung als auch ihr Tenor. Dabei stand die Frage nach der genauen Todesursache aufgrund der damit verbundenen potenziellen Ansehensverluste des Spitzensports und der sportpolitischen Implikationen im Mittelpunkt eines "Interpretationskampfes" der Betroffenen. Trotz der Bemühungen der Sportärzte wuchs sich der Fall Dressel zu einer Grundsatzauseinandersetzung über die Medikalisierung des Hochleistungssports aus, die stark personalisiert ausgetragen wurde.
Zunächst wiesen die Beteiligten alle aufkommenden Dopinggerüchte vehement von sich. Der Birgit Dressel vorrangig behandelnde Sportmediziner Armin Klümper reklamierte ein Versagen der behandelnden Ärzte der Uniklinik Mainz und erklärte alle Verdächtigungen für "trostlos": "Völliger Quatsch! Birgit und ich hatten eine Vertrauensbasis, von Doping wüsste ich. Wer so etwas behauptet, den nenne ich Aasgeier, der bekommt es mit mir zu tun."
Die Presse schenkte diesen Beteuerungen bereitwillig Glauben, zumal die Eltern Dressels Strafanzeige gegen Unbekannt wegen unterlassener Hilfeleistungen erstatteten. Dabei hielt Dressels Vater Doping ausdrücklich für ausgeschlossen: "Aufputschmittel schließt er bei seiner Tochter 'völlig aus'. Er habe zu ihr ein 'so offenes Verhältnis' gehabt, daß er dies gewußt haben müßte."
Ehrenerklärungen zu Gunsten Birgit Dressels wurden einerseits von den Athleten abgegeben, die Dopingverdächtigungen durch die Presse als Beschmutzung ihres Andenkens bezeichneten, andererseits von den verantwortlichen Sportfunktionären, die sogar den Vorschlag eines Birgit-Dressel-Wanderpreises präsentieren: "Eine spontane Ehrenerklärung gab in dieser Hinsicht auch Ilse Bechthold (Frankfurt) ab, die Vizepräsidentin des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. […] 'Ich meine das wirklich sehr ernst, wenn ich sage: Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Birgit nichts Verbotenes genommen hat.'"
In diesem Stadium des Skandals wies nur eine Minderheit der zitierten Stimmen auf den großzügigen Umgang einiger Sportmediziner mit Medikamenten hin oder wagte es, Dopingverdächtigungen zu äußern: "800-Meter-Weltmeister Willy Wülbeck […] sprach im Zusammenhang mit dem tragischen Tod von Birgit Dressel von Doping. Er fügte hinzu: 'Es gibt Sportler, die einer wandelnden Apotheke gleichkommen, in Trainingslagern und dergleichen. Die glauben einfach auch an die Unterstützung und Hilfe von Medikamenten in ihrer Leistungsentwicklung und Regeneration.'" Die Presse vertraute allerdings den Versicherungen der Sportärzte: "Dopingmittel und jene Substanzen, die in den drei gegen Hexenschuss verabreichten Spritzen gewesen sein könnten, schlössen unheilvolle Prozesse untereinander aus. Das erklärten uns Laien die Ärzte, dazu brauchen sie das Resultat der Gewebeproben-Untersuchung nicht erst abzuwarten. Die Mehrkämpferin starb nicht an Doping."
Die Deutungsstrategie, Dressels Tod sei ein Unglücks-, genauer: ein Allergiefall gewesen, der nichts mit Doping zu tun habe, wurde vor allem vom leitenden Verbandsarzt des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, Hartmut Krahl, verfolgt. Krahl erklärte, dass, selbst wenn Dopingmittel verabreicht worden wären, diese keinen Allergieschock hätten auslösen können. Im Juni stellte er in einem Offenen Brief fest, dass eine vollständige Aufklärung immer unwahrscheinlicher werde. Da zweifelsfrei eine allergische Reaktion vorgelegen habe, handele es sich aber nicht um einen "sportspezifischen Fall", sondern um "ein schwieriges allgemeinmedizinisches Problem". Krahl verteidigte auch die intensive medizinische Betreuung der Athleten mit dem Argument, dass deren Körper stärker gefordert werde.
Die unbestreitbare intensive Medikamentierung der Athleten wurde dabei anfangs nur wenig kritisch hinterfragt und von der "SZ" auf den Ehrgeiz der Sportler oder auf die Reisetätigkeit der Athleten zurückgeführt, das heißt auf die "meistens aus fremden Klimazonen eingeschleppten Infektionen". Die öffentliche Aufmerksamkeit galt zunächst der Angst der intensiv betreuten Athleten vor Fehlbehandlungen ("Alle haben Angst vor der Spritze"). Anscheinend wurde die intensive medizinische Betreuung der Athleten als notwendige Voraussetzung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des bundesdeutschen Leistungssports akzeptiert. Die logische Schlussfolgerung bestand daher in der Forderung nach einer professionelleren sportmedizinischen Betreuung: "Die Athleten wünschen sich ein gewisses Maß an Sicherheit. Aber wo immer sie sich hinwenden, entdecken sie zuerst die Unzulänglichkeiten. Die Selbstverständlichkeit eines sportmedizinischen Zentrums ist in der Bundesrepublik noch nicht vorhanden. Anderswo ja, etwa in Holland oder in Italien, vom Ostblock ganz zu schweigen. Es gibt hierzulande nicht einmal einen anerkannten Ausbildungsweg zum Sportmediziner. Wo sollen die Erfahrungen und Erkenntnisse eigentlich zusammenfließen, Entwicklungen unter dem besonderen Blickwinkel des Hochleistungssports sorgfältigst unter die Lupe genommen werden?"
Konkret wurden angesichts der Tatsache, dass Dressels Tod auf einen toxisch-allergischen Schock zurückging, vor allem ein Athletenpass sowie eine verbesserte sportmedizinische Ausbildung gefordert, um Fehlbehandlungen zu vermeiden. Diesen Forderungen schloss sich auch der Betreuer Dressels an. Insbesondere die "SZ" machte sich dieses Anliegen zu eigen, wobei ihr Gewährsmann der später wegen Dopingvergehen verurteilte Jochen Spilker war: "'Wenn man es streng juristisch sieht, dann erfüllt unser sportmedizinisches Versorgungssystem beinahe schon den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung.' Jochen Spilker, der dies so lautstark wie nur irgend möglich sagt, ist Rechtsanwalt, und er ist Leichtathletik-Organisator sowie Trainer in Hamm."
Die Leichtathleten verlangen darüber hinaus die Ermittlung und Bestrafung der Schuldigen: "In einem offenen Brief haben Ingrid Thyssen, die Aktivensprecherin des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), und ihre Stellvertreterin Gaby Bußmann den leitenden Mannschaftsarzt der Leichtathleten aufgefordert, sich in die Ermittlungen der Todesursache der Mainzer Siebenkämpferin, Birgit Dressel einzuschalten, denn: 'Ähnlich Verhängnisvolles kann sich täglich wiederholen.' An Professor Dr. Krahl schrieben sie: 'Wir appellieren an Sie, sich in die Ermittlungen einzuschalten und auf eine Intensivierung der Untersuchungen und eine exakte Aufklärung zu drängen. Stellen Sie bitte sicher, dass die Verantwortlichen zur Verantwortung gezogen werden. Die Formulierung ‚Verkettung unglücklicher Umstände‘ können wir nicht akzeptieren. […] Unser sportmedizinisches System hat offensichtlich Schwächen. An den Kosten darf es angesichts der Gesundheitsgefahren nicht scheitern. Um des sportlichen Erfolges willen nehmen wir viel auf uns. Das Risiko, unser Leben zu verlieren, gehört nicht dazu.'"
Tatsächlich wurde der DLV bei der Mainzer Staatsanwaltschaft vorstellig und wurden Vorarbeiten zur Einführung eines sportmedizinischen Betreuungspasses unternommen. Bereits im Juni wurde dieses Projekt allerdings von Krahl als gescheitert bezeichnet.
Ende Juli gab die Staatsanwaltschaft Mainz die Einstellung der Ermittlungen im Fall Dressel bekannt, da den Ärzten kein schuldhaftes oder fahrlässiges Verhalten nachzuweisen wäre. Auf der Basis des gerichtsmedizinischen Gutachtens erklärte die Staatsanwaltschaft, dass Dressel in erster Linie an einer Überdosis des Schmerzmittels Metamizol in Form des Präparates Buscopan Compositum gestorben wäre, das einen toxisch-allergischen Schock ausgelöst hätte. Allerdings definierte die Staatsanwaltschaft die weitere Agenda der Debatte um Dressels Tod, indem sie diesen Schock in Zusammenhang mit Dressels sportmedizinischer Dauermedikation brachte. Die von Klümper vorgenommene Behandlung mit Kombinationspräparaten und Fremdeiweißapplikationen sei nicht mehr überschaubar und ihre Folgen seien nicht mehr abschätzbar gewesen. Die dadurch ausgelösten ständigen Immunreaktionen wären mit der Gefahr der Überforderung des Immunsystems einhergegangen. Damit waren die juristischen Ermittlungen im Fall Dressel abgeschlossen, obwohl einige Juristen die Anwendung aller staatlichen Sanktionsmöglichkeiten gegen dopende Ärzte verlangten.
Die Erklärung der Staatsanwaltschaft, dass die Überdosis eines Schmerzmittels die Todesursache war, ließ durchaus den Schluss zu, dass Dressels Tod kein "Doping-Fall" gewesen war. Ihr Vater interpretierte das rechtsmedizinische Gutachten auch als "Freispruch" für Klümper. Nach Thematisierung der Fülle an Medikamenten in Dressels Körper in der Erklärung der Staatsanwaltschaft geriet der Spitzensport ins "Zwielicht". Dadurch wurden Klümper und andere "Gurus" der angewandten Sportmedizin im Spitzensport zunehmend in die argumentative Defensive gedrängt. Der zentrale und schwer zu widerlegende Vorwurf gegen Klümper lautete "Polypragmasie", das heißt weitgehend konzeptlose und daher nebenwirkungsträchtige Behandlung mit zahlreichen Arznei- und Heilmitteln. Zunächst beklagten ehemalige Athleten noch einmal das Ausmaß des unkritischen Medikamentenmissbrauchs im bundesdeutschen Sport und warnten vor Nebenwirkungen. Dann äußerte sich DLV-Präsident Eberhard Munzert öffentlich kritisch gegenüber Klümpers Behandlungsmethoden. Armin Klümper zog sich daraufhin aus dem Ärzteteam des DLV zurück, was umgehend die Kritik einiger Spitzenathleten nach sich zog: "'Ohne Klümper keine Medaillen', glauben Jürgen Hingsen und Siegfried Wenz."
Die Titelgeschichte des "Spiegel" zur "Rutschbahn in den legalen Drogensumpf" vom 7. September 1987 stellte schließlich einen entscheidenden Wendepunkt im öffentlichen Diskurs dar. "Der Spiegel" zitierte aus dem bis dahin unter Verschluss gehaltenem rechtsmedizinischen Gutachten und zeichnete ein erschreckendes Bild des Spitzensports: "Die 'im höchsten Maße gesunde' Birgit Dressel (Klümper zur Kripo) war in Wahrheit eine chronisch kranke, mit Hunderten von Arzneimitteln vollgepumpte junge Frau. Der Sport hatte sie längst zum Krüppel gemacht, ihre Gelenke zerstört, die inneren Organe vor der Zeit zerschlissen."
Die erhebliche Menge an Medikamenten – "zum Frühstück täglich neun Tabletten", "mindestens 400 Spritzen", die Klümper appliziert hatte – schockierte die Öffentlichkeit und drängte Klümper in die argumentative Defensive. Dieser wehrte sich gegen diese Darstellung, die er als "pseudo-humanistische Kampagne gegen den Hochleistungssport" geißelte, indem er die Schuld an Dressels Tod der Universitätsklinik Mainz gab und erklärte, dass Birgit Dressel "kerngesund" gewesen sei, solange sie bei ihm in Behandlung war. Allerdings unternahm der Sportmediziner keine gerichtlichen Schritte gegen den "Spiegel". Stattdessen attackierte Klümper kritische Sportfunktionäre ("Heuchler und Pharisäer") und warf diesen vor, die Athleten selbst zum heimlichen Doping zu animieren und unrealistische Leistungsnormen vorzugeben. Die Presse betrachtete den Leistungssport jedoch zunehmend kritischer, wobei der Hinweis auf die Professionalisierung des Sports eine zentrale Rolle spielte: "Wahrscheinlich war Birgit Dressels plötzlicher Tod nämlich kein Zufall, kein bedauerlicher Ausrutscher eines verblendeten Einzelgängers, sondern Ausdruck des fatalen Risikos einer ganzen Sportart." Auch wurde jetzt offen diskutiert, ob der vermeintliche Wunderdoktor in Wahrheit ein Scharlatan sei. Zwar erfuhr Armin Klümper Unterstützung vom leitenden Direktor des Bundesausschusses für Leistungssport, Helmut Meyer, DLV-Präsident Eberhard Munzert hielt jedoch an seiner Ablehnung Klümpers als Olympiaarzt der Leichtathletik fest.
Darüber hinaus zeichnete die Anhörung des Sportausschusses des Bundestages zum Thema "Humanität im Spitzensport" ein recht ernüchterndes Bild des Spitzensports, da einige Sportmediziner recht unverblümt erklärten, dass Doping bei vielen Athleten zum Trainingsprogramm gehöre. Schließlich wurden tiefe Gräben innerhalb der deutschen Sportmedizin hinsichtlich des angemessenen Einsatzes von Medikamenten im Spitzensport deutlich. Am Ende hinterließ die Anhörung bei einigen Beobachtern einen zynischen Eindruck: "Unter dem Strich bleibt, dass die alte Rechnung stimmt: Spitzensport gleich Spritzensport."
Die kritischen Stimmen innerhalb der deutschen Sportmedizin forderten allerdings nun Sanktionen gegen Dopingärzte und "manische Therapeuten", wobei auch weitere Betreuer von Spitzenteams und -athleten wie der Paderborner Sportmediziner Heinz Liesen kritisiert wurden, denen Scharlatanerie und – aufgrund des extensiven Einsatzes von Medikamenten und Injektionen – eine "Doping-Mentalität" vorgeworfen wurde. Ungeachtet dieser öffentlichen Debatten engagierten sich die Spitzensportler wie auch NOK-Präsident Willi Daume weiter massiv für Klümper, nachdem dieser aufgrund der Ablehnung durch Munzert seinen Rücktritt als Olympiaarzt bekanntgegeben hatte. "Klar wie nie zuvor stellte sich auch Willi Daume hinter Klümper. 'Ich habe festgestellt, daß der Tod von Birgit Dressel kein Problem Klümper ist. Er ist völlig unschuldig. Das ist klargestellt", sagte der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK). Als Sprecherin der deutschen Frauen-Nationalmannschaft der Leichtathleten stellte auch 800-Meter-Läuferin Gaby Bußmann (Hamm) fest: 'Für mich war wichtig, daß alle bisherigen Gutachten gezeigt haben, daß Klümper nicht an Birgits Tod schuld war. Fast alle Athleten, die ich kenne, haben begrüßt, daß dieser Sachverhalt klar bewiesen wurde.'"
Diese Positionierung Daumes in der Affäre stieß allerdings auf einiges Unverständnis, selbst wenn Klümper am Ende nicht zu den Olympischen Spielen nach Seoul fuhr. DLV-Präsident Munzert blieb bei seiner ablehnenden Haltung, obwohl diese innerhalb des Verbandes nicht unterstützt wurde und schließlich einer der Gründe für seinen überraschenden Rücktritt im August 1988 war. Außerdem galt der Fall Dressel im Juni 1988 für den DLV als abgeschlossen.
Nachdem Klümper auf Klagen gegen den "Spiegel" verzichtet hatte, veranstaltete er im Juli 1988 einen Tag der offenen Tür, um seine Reputation zu retten. Zwar erreichte er die notwendige Medienaufmerksamkeit, seine Bemühungen um Reputationspflege waren jedoch wenig erfolgreich. Klümpers Angriffe gegen "unqualifizierte" Schulmedizin und "arrogante" Funktionäre wurden nur ironisch gebrochen wiedergegeben. Seine Erklärungen zum Fall Dressel erschienen selbstgerecht ("Professor Klümpers Glaube an die eigene Methode ist unerschütterlich") und wurden in den Kontext seiner früheren Verabreichung von Anabolika gestellt.
Sportpolitische Reaktionen
Während hier die sportpolitischen Reaktionen auf den Fall Dressel im Mittelpunkt stehen, ist darauf hinzuweisen, dass der Skandal auch die Praxis der Arzneimittelzulassung in der Bundesrepublik in Frage stellte. Er veranlasste das zuständige Bundesgesundheitsamt dazu, die Zulassung von 26 Schmerzmitteln zurückzuziehen und die Zulassung aller injizierbaren Arzneimittel der Zellulartherapie ruhen zu lassen. Darüber hinaus führte die schwierige Kausalattribution – wie schon im Fall Elze – zur Einstellung der eingeleiteten Strafverfahren, was nicht erklärte, warum Dressels Freund und Trainer seine Trainertätigkeit ebenso fortsetzen konnte wie der betreuende Sportmediziner Armin Klümper.
Aus sportpolitischer Sicht warf der Fall Dressel einerseits die Frage nach der Ausgestaltung der sportmedizinischen Betreuung, andererseits nach einer verbesserten Dopingbekämpfung, insbesondere in Form von Trainingskontrollen, auf. Hier zeigte sich, dass der bundesdeutsche Sport den Fall Dressel vorrangig nutzte, um auf eine verbesserte sportmedizinische Betreuung zu drängen. Hinsichtlich der Einführung von Trainingskontrollen nahmen die Funktionäre dagegen eine Verweigerungshaltung ein.
Im Hinblick auf Trainingskontrollen antwortete der BAL auf die Anfrage des BMI einen Monat nach dem Tod Dressels: "Eine gesundheitliche Gefährdung durch die Einnahme irgendeines den Dopingmitteln zuzuordnenden Medikamentes konnte bisher nicht festgestellt werden. Es muß jedoch mit großer Besorgnis zur Kenntnis genommen werden, daß die Zahl der sportbedingten Verletzungen und Erkrankungen sich auf einem hohen Niveau eingependelt hat, ohne daß es bis heute möglich gewesen ist, eine Finanzierung von Ärzten für den Hochleistungssport zu erlangen. Eine Ausweitung der Doping-Analytik und der Zahl der Doping-Bestimmungen scheint somit nicht geboten, wohl eine weitere Verbesserung der ärztlichen Fürsorge […] Die Durchführung von Doping-Kontrollen im Training läßt einen unverhältnismäßig hohen personellen und finanziellen Aufwand erwarten, der nicht im Verhältnis zu möglichen Auswirkungen steht, zudem gesundheitliche Störungen durch irgendwelche medikamentösen Maßnahmen im Training bis heute nicht belegt werden können."
Das Bundesinnenministerium signalisierte dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft, dass man die Ausführungen des DSB für "angreifbar" halte. Das Institut schrieb daraufhin den Inhalt des Schreibens allein Joseph Keul zu und bezeichnete die Einschätzung der Nebenwirkungen von Doping als kontrovers. Darüber hinaus arbeitete das Bundesinstitut an einer juristischen Prüfung von Trainingskontrollen. Allerdings war ein juristisches Gutachten bereits 1983 zu dem Ergebnis gekommen, dass Trainingskontrollen vertraglich verankert werden konnten. Obwohl diese Einschätzung auf dem Treffen der "Arbeitsgruppe Dopingfragen" des Bundesinstituts am 3. Juni 1987 von einem Juristen bestätigt wurde, argumentierten die Sportfunktionäre weiter mit den juristischen Problemen von Trainingskontrollen. So erlärte Heinz Fallak beim öffentlichen Hearing des Sportausschusses des Deutschen Bundestags, "daß uns die Juristen sagen werden: Das wird nicht möglich sein".
Um einen Reputationsverlust der bundesdeutschen Sportmedizin zu vermeiden, versuchten vor allem die Sportmediziner eine spezifische Interpretation des Fall Dressels durchzusetzen. Die Sporttraumatologie der Universität Freiburg, deren Äußerungen vom BAL vollständig mitgetragen wurden, erklärte sich im April 1987. Nach dieser öffentlichen Erklärung waren die Wurzeln der Angriffe auf die Sportmedizin "im pseudophilosophischen und pseudosozialen Gestrüpp von Kollektivneurose, brutalem Opportunismus und Neidideologie" zu suchen. Die Persönlichkeit Klümper stelle in diesem Zusammenhang nur eine "Zielscheibe dieser pseudohumanistischen Angriffe" dar, bei denen versucht werden würde, "den tragischen Tod Birgit Dressels zu missbrauchen, um Prof. Dr. Klümper zu verunglimpfen und die Athleten zu verunsichern". Zusammen mit einem Beitrag des Freiburger Sportmediziners Bernd Kasprzak zu Möglichkeiten und Grenzen der Sportmedizin im Leistungssport wurde dieser Beitrag im August an alle Bundeskaderathleten verschickt.
Wie bereits dargestellt, bemühten sich in weniger aggressiver Form weitere Sportmediziner um eine weniger gefährliche Deutung des Todesfalls. Der leitende DLV-Verbandsarzt Hartmut Krahl sprach in einem Offenen Brief lediglich von einer Medikamentenunverträglichkeit Dressels und versuchte den Vorwurf des gerichtsmedizinischen Gutachtens zu entkräften, dass die polypragmatische Behandlung von Klümper "nicht überschaubar" gewesen sei. Angesichts der Überdosierung des Dressel verabreichten Schmerzmittels bezeichnete Krahl die Einschätzung der Gutachter, die Behandlung durch Klümper habe das toxisch-allergische Geschehen ausgelöst, als "rein hypothetisch".
Auf dem vom Sportausschuss auf Antrag der SPD veranstalteten Hearing wurde diese Deutungsstrategie weiter verfolgt. Der Kölner Sportmediziner Heinz Liesen betonte unter Zwischenrufen, dass es sich im Falle Dressels um kein sportmedizinisches Problem, sondern um ein klinisches Problem der Behandlung eines Patienten gehandelt habe. Er erhielt dabei die Unterstützung des Vorsitzenden der Trainerkommission des Bundesausschusses für Leistungssport, Emil Beck. Für seine großzügige Auslegung des Begriffs der Substitution erfuhr Liesen ebenfalls Beistand durch den BAL-Vorsitzenden Helmut Meyer. Liesen bezeichnete die Forderung nach der Erweiterung von Dopingkontrollen auch als "Irrweg". Ebenso argumentierte Keul, dass Deutschland im Bereich der Dopinganalytik gut abgedeckt sei und es vielmehr an sportärztlicher Versorgung der Spitzenathleten mangele. Die ehemalige Athletin und Medizinerin Heidi Schüller hingegen richtete in der Frage der medizinischen Verantwortung für den Tod von Dressel deutliche Kritik an Liesen: "Ich halte es gelinde gesagt, für ein intellektuelles Foul, diese Ursächlichkeit an die Universitätsklinik Mainz zu verschieben."
Im Nachhinein erstaunt die offensive Weise, mit der der Fall Dressel zum Anlass genommen wurde, die in der Grundsatzerklärung 1977 verankerte und der Version von 1983 bekräftigte Linie der sportmedizinischen Athletenbetreuung weiter zu forcieren, um zusätzliche finanzielle Mittel und Infrastruktur für den Spitzensport zu akquirieren. Diese sportpolitische Leitlinie fügte sich auch in das nach den Olympischen Spielen 1984 angeregte Konzept der Olympiastützpunkte, welche die vermeintlich ungenügende sportmedizinische, trainingsphysiologische und physiotherapeutische Athletenbetreuung in den Leistungszentren und Bundesstützpunkten überwinden sollten.
Getreu der Doktrin von der Autonomie des Sports übernahm die Bundesregierung zunächst die Position der Sportverbände und erklärte, dass die Verbesserung der sportmedizinischen und physiotherapeutischen Betreuung, Laufbahnberatung und sozialen Betreuung in den Olympiastützpunkten ein adäquates Mittel darstelle, um Versuche der medizinisch-pharmakologischen Leistungssteigerung zu verhindern. Zudem behauptete die Bundesregierung, dass leistungssteigernde Effekte durch pharmakologische Behandlung nicht gesichert seien. Hinsichtlich der Forderung nach Trainingskontrollen erklärte sie sich für nicht zuständig: "Aufgrund der ihm zukommenden Autonomie muß der Sport zu diesen Kontrollen […] Stellung beziehen. Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, in diesen Entscheidungsprozess einzugreifen".
Die ablehnende oder abwartende Haltung gegenüber Trainingskontrollen war jedoch nicht durchzuhalten. Auf nationaler Ebene sprachen sich die Sportminister der Länder am 26. November 1987 eindeutig für Trainingskontrollen aus. Die Bundestagsfraktion der Grünen forderte sogar die Einstellung des Hochleistungssports und bezeichnete die Sportmedizin als Teil des Dopingproblems: "Geradezu bedenklich ist der Ruf nach mehr und intensiverer Betreuung durch die Sportmediziner. Betrachtet man dazu die Stellungnahme der Sportmediziner, wird deutlich, daß unter dem Deckmantel der Prävention und der Substitution eine pharmakologische Dauerbehandlung durchgeführt werden soll […] Der Glaube, mit mehr Medizin weniger Doping zu erreichen, ist ein fataler Irrglaube. Denn wer verabreicht den Sportlern die Wundermittel?" Diese Position traf jedoch allenfalls bei der SPD auf Resonanz, die das Wirken einzelner deutscher Sportmediziner zunehmend kritisch beäugte.
So veranlassten vor allem internationale Entwicklungen die Bundesregierung zu einem Kurswechsel. Der Dopingbeauftragte Donike hatte DSB, Bundesinstitut und Bundesinnenministerium wiederholt auf die Notwendigkeit der Verankerung von Kontrollen außerhalb von Wettkämpfen aufmerksam gemacht und dabei meist auf einschlägige Beschlüsse internationaler Institutionen wie Europarat, IOC oder IAAF Bezug genommen. Diesen Forderungen waren einige Sportorganisationen und Staaten zu diesem Zeitpunkt auch bereits partiell nachgekommen. Für das Bundesinnenministerium wurde die zögernde Haltung des deutschen Sports damit zunehmend untragbar. Nachdem im Europarat über einen Empfehlungsentwurf zur Verankerung von Kontrollen außerhalb von Wettkämpfen abgestimmt wurde, dem letztlich alle Delegationen mit Ausnahme der Niederlande und der Bundesrepublik zustimmten, wurde der Abstimmungsprozess mit den Sportverbänden pragmatisch verkürzt. In der Abstimmung des Europarates hatte sich die Bundesregierung unter Hinweis auf die notwendige Abstimmung mit den Sportorganisationen eine endgültige Entscheidung noch vorbehalten. Unter dem Eindruck einer drohenden internationalen Isolation wurde vom Bundesinnenminister in einem Rundschreiben an sämtliche in dieser Hinsicht relevanten bundespolitischen Akteure nun klar zum Ausdruck gebracht, "daß bei dieser Sachlage eine Ablehnung der Empfehlung einen falschen Eindruck hinsichtlich der deutschen Haltung zum Dopingproblem erwecken würde. Im Hinblick auf den Empfehlungscharakter halte ich eine Zustimmung trotz der in der Bundesrepublik Deutschland teilweise ungeklärten Fragen für vertretbar".
Die internationalen Initiativen erwiesen sich somit wirksamer als der Skandal um Birgit Dressel. So signalisierte der Vorsitzende des Bundesinstituts umgehend Zustimmung zum Vorgehen des BMI sowohl von Seiten des Bundesinstituts als auch des NOK. Im Juni 1988 verstärkte sich der internationale Anpassungsdruck, als die europäische Sportministerkonferenz, der Europarat und die Ständige Weltkonferenz gegen Doping in Ottawa Empfehlungen zur Verankerung von Trainingskontrollen beschlossen. Nachdem das NOK in einem Grundsatzbeschluss vom 30. August 1988 seine Mitgliedsverbände aufgefordert hatte, gemäß den Empfehlungen der internationalen Institutionen Kontrollen außerhalb von Wettkämpfen einzuführen und in diesem Zusammenhang ankündigte, die Kriterien für die Benennung der Olympiamannschaft entsprechend zu verändern, beschloss man am 19. November 1988 unangemeldete Dopingkontrollen außerhalb von Wettkämpfen mit einer Pilotphase in den Jahren 1989 und 1990. Darin enthalten waren auch entsprechende Ergänzungen der Nominierungs- und Förderungsrichtlinien. Innerhalb des DSB stellte das Präsidium kurze Zeit später einen entsprechenden Antrag im Hauptausschuss. Das Pilotprojekt für die Jahre 1989/90 wurde schließlich am 10. Februar 1989 vom DSB-Präsidium beschlossen.
Moralische Ächtung und Symbolpolitik?
Im Mittelpunkt dieser Untersuchung standen zwei Aspekte: Die Frage der öffentlichen Thematisierung von Dopingskandalen im deutschen Sport und die darauf folgenden sportpolitischen Reaktionen. Damit erlaubt die hier präsentierte Untersuchung keine Rückschlüsse auf die Verbreitung von Dopingpraktiken im bundesdeutschen Sport oder darauf, wie ähnlich sich Dopingpraktiken in West- und Ostdeutschland wirklich gewesen sind. Wohl aber gestattet sie eine Einschätzung der öffentlichen Akzeptanz von Methoden der pharmazeutischen Leistungssteigerung im Sport sowie die implizite Akzeptanz fragwürdiger Praktiken durch die Sportfunktionäre.
In der veröffentlichten Meinung wird Doping offensichtlich einhellig abgelehnt, selbst wenn erhebliche Unsicherheit über die Definition und Abgrenzung von Doping herrscht. Die Rhetorik des Kalten Krieges, wonach im Sinne eines "Wettbewerbs der Systeme" Dopingpraktiken in Kauf zu nehmen seien, um mit dem Ostblock konkurrieren zu können, findet sich in der veröffentlichten Meinung nicht. Die Politisierung des Sports im Zuge der Blockkonfrontation hat also zu keiner "Dopingmentalität" in der öffentlichen Meinung geführt, die vermeintlichen Leistungserwartungen der Öffentlichkeit können daher auch nicht ex post als Rechtfertigung für Dopingpraktiken im Westen herangezogen werden.
Zunächst erweckt die öffentliche Thematisierung den Anschein, dass in den 1950er- und 60er-Jahren Doping nicht als allgemeines Problem des Sports wahrgenommen wird; die zum Teil resignative Reaktion auf die "Kolbe-Spritze" – auf dem Höhepunkt der anhaltenden Anabolikadebatte – hinterlässt den Eindruck, dass Doping in den 1970er-Jahren als inhärentes Phänomen des Leistungssports begriffen wurde. Die Bereitwilligkeit deutscher Journalisten, den anfänglichen Unschuldsbeteuerungen der Beteiligten im Fall Dressel Glauben zu schenken, scheint dagegen zu belegen, dass der bundesdeutsche Sport Ende der 1980er-Jahre nicht als stark dopingbelastet gilt.
Während Doping zu allen Untersuchungszeitpunkten normativ negativ besetzt war, belegt die Analyse der öffentlichen Auseinandersetzung, dass eine differenzierte Bewertung komplexer sportmedizinischer Praktiken im öffentlichen Diskurs kaum gelingt. Jedoch ist darauf hinzuweisen, dass im Fall Brustmann der Gebrauch von "Aufbaupräparaten" noch kritisch beäugt wurde, während im Fall Dressel der medizinisch intensiv betreute Athlet Ende der 1980er-Jahre fast als normal und gesellschaftlich akzeptiert galt. Erst als die enorme Menge an Medikamenten und Injektionen bekannt wurde, die Dressel konsumiert hatte, traf die Medikalisierung des modernen Hochleistungssports auf grundsätzliche Kritik.
Hinsichtlich der sportpolitischen Reaktionen ist festzuhalten, dass der Fall Brustmann die Öffentlichkeit nur in geringem Maße erregte und bald der Vergessenheit anheimfiel, jedoch ernsthafte Prozesse der ethischen Reflexion und Selbstvergewisserung auslöste. Angesichts der entfesselten Leistungsorientierung im Hochleistungssport muss der damals beschrittene Weg eines Appells zur ethischen Selbstreflexion als inadäquates Mittel der Dopingbekämpfung erscheinen. Allerdings zeigte sich im Fall Brustmann auch die Neigung der Sportverbände, "Nestbeschmutzer", die die Öffentlichkeit über Dopingpraktiken informieren, zu bestrafen.
Im Fall Elze zwang das schlechte Image des Sports die Berufsboxer zu schnellen Reaktionen, um drastischere politische Sanktionen zu vermeiden. Der tragische Tod des Berufsboxers inspirierte aber auch den DSB zu neuen Initiativen in der Dopingbekämpfung, die insoweit bemerkenswert sind, als der Verband hier zum einzigen Mal Überlegungen zu einem staatlichen Dopinggesetz anstellte, was sich in erster Linie auf zeitgenössische Diskussionen innerhalb des Europarats zurückführen lässt. Letztlich entschied man sich in Übereinstimmung mit der Mehrheit der europäischen Staaten und in Anbetracht des zentralen Axioms der Autonomie des Sports nach 1945 für den Weg der sportinternen Regelung. Die sportinternen Initiativen des DSB zur Dopingbekämpfung beschränken sich nicht auf symbolische Politik, müssen aber aufgrund des geringen verpflichtenden Charakters ebenfalls als inadäquat qualifiziert werden.
Der Fall Kolbe steht im Zusammenhang mit einer Reihe von fragwürdigen Vorgängen im Kontext der Olympischen Spiele von Montreal im Jahr 1976. Der bundesdeutsche Sport beweist hier ein erhebliches Geschick, nicht nur einschneidende interne Sanktionen und strukturelle Veränderungen zu vermeiden, sondern den Skandal auch für Forderungen nach höheren finanziellen Zuwendungen zu instrumentalisieren, um die "Dopingneigung" der Athleten durch bessere soziale Absicherung zu reduzieren. Eine prinzipielle Distanzierung vom sportlichen Wettbewerb der Systeme fand ebenso wenig statt wie ein Abrücken von der leistungsorientierten Mittelvergabe innerhalb des bundesdeutschen Spitzensports. Zwar verstärkten organisierter Sport und Staat ihre Bemühungen zur Dopingbekämpfung. Die barocke Ankündigungsrhetorik der Sportfunktionäre konnte jedoch kaum darüber hinwegtäuschen, dass die sportpädagogischen Ansätze angesichts der Dopingmentalität prominenter Sportmediziner kaum ein probates Mittel waren und der Umfang der Dopingkontrollen für eine effektive Dopingbekämpfung zu gering ausfiel. Insoweit bietet der Fall Kolbe hervorragendes Anschauungsmaterial dafür, wie der bundesdeutsche Sport Reden und Handeln entkoppelte, um den widersprüchlichen Erwartungen eines erfolgreichen und gleichzeitig "sauberen Leistungssports" genügen zu können.
Der Tod Birgit Dressels stellt zweifelsfrei den traurigen Höhepunkt der bundesdeutschen Dopingskandale dar. Während der Tod Jupp Elzes sogleich als Beleg für grundlegende Missstände im kommerzialisierten Sport interpretiert wird, widmet sich die öffentliche Debatte im Fall Dressel zunächst der unzureichenden ärztlichen Betreuung des medikalisierten Spitzenathleten. Auch nachdem der Umfang der verabreichten Medikamente für ein öffentliches Entsetzen sorgte, wurde die öffentliche und sportpolitische Debatte stark personalisiert ausgetragen, da sie sich vor allem gegen den sportmedizinischen "Guru" Armin Klümper und nicht gegen allgemeine Missstände in der deutschen Sportmedizin richtete. Der organisierte Sport versuchte zudem, den Fall Dressel offensiv zu einer weiteren Verstärkung des Ausbaus der sportmedizinischen Betreuung zu instrumentalisieren, indem eine sportärztliche Verantwortung geleugnet wurde. Die Realisierung von Trainingskontrollen ab 1989 war daher nicht das Ergebnis sportinterner Aufklärungs- und Reformbemühungen, sondern internationalen Anpassungsdrucks, der das Bundesinnenministerium ab 1988 veranlasste, Umsetzungsprozesse innerhalb des Sports zu beschleunigen.
Das Festhalten Willi Daumes an dem kompromittierten "Wunderdoktor" Klümper und die Isolierung des DLV-Präsidenten und Klümper-Kritikers Eberhard Munzerts müssen als stillschweigendes Einverständnis mit fragwürdigen medizinischen Praktiken im bundesdeutschen Sport interpretiert werden. Der Verzicht auf konsequentere institutionelle Eingriffe nährt wiederum den Vorwurf der Scheinheiligkeit an die Sportverbände. Dabei vollbringen die verantwortlichen Funktionäre abermals das sportpolitische Kunststück, politische Interventionen nicht nur durch Symbolhandlungen zu vermeiden, sondern fragwürdige Praktiken im bundesdeutschen Sport zum Anlass für weitere Subventionsforderungen zu nehmen.
Die sportinternen Reaktionen auf den Fall Dressel, genauer: ihr Ausbleiben, scheinen die Einschätzungen von Treutlein und Singler zur fehlenden Ernsthaftigkeit der Antidopingbemühungen innerhalb des bundesdeutschen Sports zu bestätigen und haben daher den Vorwurf genährt, dass bei der Bewertung der Dopingvergangenheit beider deutscher Staaten doppelte Maßstäbe angewandt würden. So stellte der Chefideologe des DDR-Sports, Klaus Huhn, fest, dass die Ermittlungen im Fall Dressel "der Suche nach einem Karnickeldieb" geglichen hätten.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der bundesdeutsche Sport kaum adäquat auf die hier untersuchten Dopingskandale reagiert hat. In den 1950er- und 60er-Jahren geht diese unzureichende Bearbeitung des Dopingproblems auf Fehleinschätzungen über die Eignung moralischer Appelle und Empfehlungen zurück. Mit dem Ausbau des Spitzensports in der Bundesrepublik, der nur dank eines erheblichen staatlichen Engagements möglich war, nimmt die Auseinandersetzung mit dem Dopingproblem zunehmend scheinheilige Züge an. Einer sportpädagogisch und philosophisch überhöhten Gesinnungsrhetorik steht die Nicht-Sanktionierung von Fehlverhalten und die Duldung belasteter Akteure gegenüber. Offenbar hat der Ausbau des leistungssportlichen Systems in der Bundesrepublik eine Entfesselung von Leistungs- und Siegesorientierungen zur Folge, um die politischen Erwartungen an den Hochleistungssport befriedigen zu können. Dabei soll hier nicht suggeriert werden, dass es im Westen Deutschlands ein "Staatsdoping" ähnlich dem der DDR gegeben habe. Vielmehr haben sich die Sportfunktionäre bemüht, den teilautonomen leistungssportlichen Sektor vor politischen Eingriffen in der Folge von Dopingskandalen abzuschirmen. Inwieweit diese Funktionäre Kenntnis von Dopingpraktiken hatten, diese bewusst geduldet oder gar eingefordert haben oder es nur nicht genau wissen wollten, entzieht sich der Bewertung dieser Untersuchung.
Anhang
Deutsche Tageszeitungen nach verkaufter Auflage (1970–1989)
Rang
Zeitung
durchschnittliche Auflage in Tsd.
1
Bild
4.534
2
Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ)
607
3
B.Z.
502
4
Rheinische Post
361
5
Nürnberger/Nordbayrische Zeitung
344
6
Kölner Express
339
7
Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)
328
8
Südwestpresse
325
9
Süddeutsche Zeitung (SZ)
324
10
Nürnberger Nachrichten
321
Jun.-Prof. Dr., Juniorprofessor am Arbeitsbereich Sozialwissenschaften des Sports am Institut für Sportwissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsbereich Sportpädagogik/Sportgeschichte am Institut für Sportwissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
M.A., Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich Sozialwissenschaften des Sports am Institut für Sportwissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.