Zwischen Versorgungsprinzip und Selbstvorsorge
Die Geschichte einer Reform des DDR-Rentensystems
Steffen Otte
/ 23 Minuten zu lesen
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Das Jahr 1968 brachte der DDR neben einer neuen Verfassung auch eine Reihe sozialpolitischer Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenslage der Bevölkerung. Den Rentnern sollte eine nachhaltige Reform des Rentensystems zu Gute kommen. Doch konnte diese Reform den allseitigen Erwartungen genügen?
Einleitung
"Selten verdiente die Ostberliner Regierung soviel Zustimmung wie jetzt mit ihrem Erlaß zur Erhöhung der Renten." Mit dieser überraschend positiven Wertung begann Hans-Dieter Schulz am 19. März 1968 seinen Bericht für den Deutschlandfunk über die bis dahin größte Rentenreform in der DDR. (Allerdings verwendete die Staats- und Parteiführung den Begriff Reform in Bezug auf das Rentensystem in der DDR nicht, sondern bei Änderungen in diesem Bereich stets von Rentenmaßnahmen oder der Entwicklung bzw. Weiterentwicklung der Renten.) Bereits ein Jahr zuvor hatte Walter Ulbricht auf dem VII. SED-Parteitag erhebliche Verbesserungen auf dem Gebiet der Renten angekündigt. Diese bildeten nur einen Teil einer großen sozialpolitischen Offensive, die unter anderem auch die Einführung der Fünf-Tage-Woche sowie die Erhöhung der Mindestlöhne und des Kindergeldes beinhaltete. Neben diesen konkreten Maßnahmen schlug die neue sozialpolitische Linie sogar bis auf die 1968 verabschiedete zweite Verfassung der DDR durch. 1968 erwies sich für die Bevölkerung der DDR somit sozialpolitisch als ein besonderes Jahr.
Im Folgenden wird die Rentenreform des Jahres 1968 eingehender untersucht. Was waren die Neuerungen im Rentensystem und welche Varianten wurden noch diskutiert? Welche Motive standen hinter der Reform? Und wie wirkte sie sich schließlich aus? Gleichsam als Überbau zu all diesen Fragen steht die Klärung der Rolle der Sozialpolitik in der DDR. Verfolgte die Staats- und Parteiführung mit ihrer Politik einen wohlfahrtsstaatlichen Ansatz, der allen Bürgern einen möglichst hohen Lebensstandard zu ermöglichen suchte, unabhängig von deren eigener Leistungsfähigkeit? Oder diente die Sozialpolitik dazu, die Leistungsbereitschaft der arbeitenden Bevölkerung zu erhalten bzw. zu steigern? Gerade für die Beantwortung dieser übergeordneten Frage bietet sich das Rentensystem als Untersuchungsgegenstand an und kann damit einen Beitrag zur Bewertung der Sozialstaatlichkeit der DDR leisten.
Zunächst wird überblickartig die Entwicklung des Rentensystems seit 1948 geschildert. Im Anschluss daran werden die Vorbereitung, die Durchführung, die Wirkung sowie die Folgen der 68er-Maßnahmen eingehender betrachtet, bevor die Reform einer abschließenden Bewertung unterzogen wird.
Das Rentensystem vor 1968
Das zukünftige Sozialversicherungswesen der DDR wurde erstmals in den Sozialpolitischen Richtlinien in seinen Grundzügen umschrieben, die das Zentralsekretariat der SED am 30. Dezember 1946 beschlossen hatte. Danach sollte die Sozialversicherung in einer einzigen selbstverwalteten Sozialversicherungsanstalt zusammengefasst werden. Alle Leistungen sollten in einer Versicherung gebündelt und nicht mehr durch das bisherige Kapitaldeckungs-, sondern nach dem Umlageverfahren finanziert werden. Letzteres erfolgte aufgrund der kriegswirtschaftsbedingt geleerten Rentenkassen. Zudem wurden gleiche Beitragsanteile für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gefordert. Bis zum vollständigen Umbau des Sozialversicherungswesens Bismarckscher Prägung nach den genannten Vorstellungen sollte es jedoch weitere zehn Jahre dauern. 1956 erfolgte schließlich die komplette Übertragung der Verantwortung für die Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten (SVAA) auf den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB). Die Übertragung der neugestalteten Sozialversicherung auf den FDGB sollte nicht nur die führende Rolle der Arbeiterklasse zum Ausdruck bringen, sondern verdeutlichte zugleich, dass die Sozialversicherung integraler Bestandteil des Planwirtschaftssystems der DDR war. Neben der SVAA, die für die "Beschäftigten der sozialistischen Wirtschaft" zuständig war, wurde im März 1956 mit der Deutschen Versicherungs-Anstalt (DVA) ein zweiter Sozialversicherungsträger geschaffen, zuständig für die Angehörigen der Produktionsgenossenschaften und für Selbständige. Diese Form der Aufteilung blieb bis 1989 unverändert bestehen.
Die Regelungen zur Berechnung der Renten wurden in der Verordnung über die Sozialpflichtversicherung (VSV) vom 28. Januar 1947 festgelegt. Laut der VSV betrug die Altersgrenze zum Erreichen des Rentenanspruchs für Männer 65 und für Frauen 60 Jahre. Diese Grenze wurde zwar wiederholt diskutiert, blieb bis zum Ende der DDR jedoch unverändert. Für die Berechnung galt ein Grundbetrag von 30 Mark, der für jedes Erwerbsjahr um einen Steigerungsbetrag erhöht wurde. Dieser betrug einen Prozentpunkt des persönlichen Monatsdurchschnittsverdienstes des jeweiligen Jahres. Dabei wurden Einkommen über 600 Mark im Monat nicht berücksichtigt, da dieser Betrag der Betragsbemessungsgrenze der Sozialversicherung entsprach. Witwer und Witwen, die keinen eigenen Rentenanspruch besaßen, erhielten ab dem 65. bzw. dem 60. Lebensjahr oder für den Fall der Arbeitsunfähigkeit 50 Prozent der Rente, die dem verstorbenen Partner zugestanden hätte. Die Mindestrente für Witwer und Witwen lag bis 1969 jedoch 10 Mark niedriger als die Mindestsätze der anderen Vollrenten.
Als Einheitssozialversicherung deckte die Sozialversicherung der DDR alle sogenannten Härten des Lebens, angefangen bei Krankheit über Arbeitslosigkeit, Invalidität bis hin zur Versorgung im Alter über eine einzige Versicherung ab. Die Ausgaben der Sozialversicherung wurden einerseits finanziert durch die laufenden Beitragseinnahmen und andererseits durch ständig anwachsende staatliche Subventionen. Die Beitragshöhe zur Sozialversicherung betrug für jeden Arbeitnehmer 20 Prozent des Einkommens bis 600 Mark. 10 Prozent hatte der Arbeitnehmer selbst und 10 Prozent der Arbeitgeber zu zahlen. Beitragsfrei blieb der Teil des Einkommens, der über 600 Mark lag. Da die Einnahmen aus den Beiträgen zu keiner Zeit ausreichten, die Leistungen der Sozialversicherung zu finanzieren, war die Staats- und Parteiführung von Beginn an gezwungen, diese durch staatliche Zuschüsse zu subventionieren.
Geburtsfehler des Rentensystems
Bereits in den 50er-Jahren zeigten sich deutlich die Unzulänglichkeiten des Rentensystems. Zum einen fehlte der Rentenformel ein dynamisches Element, das die Entwicklung der Renten an die der Löhne und/oder Preise gekoppelt hätte. Dieser Mangel führte dazu, dass sich Renten und Löhne immer weiter voneinander entfernten. Weiterhin fehlte den Rentenbeziehern ein adäquater Ausgleich für die Erhöhung der Preise, die aufgrund der Aufhebung der Rationierung erfolgt war. Mit der Einführung der dynamischen Rente in der Bundesrepublik im Jahr 1956 trat diese Problematik umso deutlicher zu Tage. Aus diesem Grund wurde bereits auf der 28. Tagung des ZK der SED im Juli 1956 die Einführung eines "sozialistischen Pensionsrechtes" angekündigt. Allerdings sollte es für mehr als zehn Jahre bei der bloßen Ankündigung einer grundlegenden Reform bleiben.
Ein weiteres Problem stellte das starre Festhalten an der Beitragsbemessungsgrenze von 600 Mark dar, da das Durchschnittseinkommen für Beschäftigte in der sozialistischen Wirtschaft diese Grenze bereits 1964 überschritt. Dies hatte nicht nur zur Folge, dass den Beschäftigten potentielle Rentenansprüche versagt blieben. Vielmehr gingen der Sozialversicherung damit auch wichtige Mehreinnahmen verloren, die eine Verringerung der staatlichen Zuschüsse hätten bewirken können.
Der dritte große Geburtsfehler des DDR-Rentensystems vor 1968 war die Einbeziehung der Einkommen aus der Zeit vor 1945 in die Rentenberechnung. Auch dieses Problem hatte zwei Seiten. Zum einen wirkten sich die oft sehr geringen Einkommen aus der Zeit vor 1945 sowie die weit verbreitete Arbeitslosigkeit während der Zeit der Weltwirtschaftskrise negativ auf die Höhe vieler Renten aus. Dies, und darin zeigt sich die zweite Seite des Problems, war wiederum ideologisch besonders problematisch. Hatte die Führung der DDR doch das Ziel ausgegeben, die Folgen des Kapitalismus zu überwinden. Und gerade bei den Renten der Bevölkerungsgruppe, die sie zu vertreten vorgab, gelang ihr das am wenigsten – bei den Arbeitern.
Um trotz dieser Geburtsfehler die Situation der Rentenbezieher zu verbessern, verfiel die Staats- und Parteiführung auf ein vermeintlich einfaches Mittel. Anstatt eine grundlegende Reform des Rentensystems vorzunehmen, erhöhte man die Renten immer wieder um Pauschalbeträge. Aufgrund der knappen finanziellen Mittel und unter der Prämisse, besonders die niedrigeren Renten zu verbessern, wurden zumeist nur die Mindestrenten angehoben. Die ständige Wiederholung dieser Maßnahme sollte dafür sorgen, den Rückstand der Rentenentwicklung zur Lohnentwicklung nicht zu groß werden zu lassen. Gleichzeitig führte dies jedoch dazu, dass immer mehr Bezieher von niedrigen Renten in den Bereich der Mindestrenten "abrutschten". Es kam somit zu einer steten Nivellierung der Renten auf dem Mindestrentenniveau, was viele Rentner als ungerecht empfanden. Laut eines Informationsschreibens der ZK-Abteilung Gewerkschaften und Sozialpolitik aus dem Jahre 1963 bezogen von insgesamt drei Millionen Rentnern 85 Prozent eine Rente, die nicht oder nur knapp über der Mindestrente lag. Zwischen 1950 und 1964 verdoppelte sich der Mindestbetrag für die Altersrente von 65 auf 120 Mark. Die durchschnittliche Altersrente stieg zwischen 1950 und 1967 um über 200 Prozent von 86 auf 175 Mark. Dennoch sank das Renten-Lohn-Verhältnis in diesem Zeitraum von 29 auf 26 Prozent ab, da der Durchschnittsbruttolohn zwischen 1949 und 1967 um fast 230 Prozent angestiegen war, von 295 auf 669 Mark.
Bei all den beschriebenen Problemen drängt sich die Frage auf, warum eine grundlegende Lösung durch die DDR-Führung so lange ausblieb. Eine Erklärung dafür findet sich in einem SED-internen Schreiben vom 2. August 1961: "Eine weitere Erhöhung der Renten ist abhängig von der Steigerung der Arbeitsproduktivität, da eine solche Erhöhung nur möglich ist, wenn gleichzeitig eine Vergrößerung des Warenfonds damit verbunden ist." Natürlich wäre trotz dieser Gleichung auch eine Rentenerhöhung ohne Produktivitätszuwachs möglich gewesen und zwar auf Kosten der Einkommen der arbeitenden Bevölkerung. Dieser Schritt sollte jedoch nach den Erfahrungen des 17. Juni während des gesamten weiteren Bestehens der DDR nicht mehr gewagt werden.
Trotz der beschriebenen Unzulänglichkeiten des Rentensystems erhöhten sich die Ausgaben für die Renten kontinuierlich. Wurden in der DDR im Jahr 1961 ca. 5,6 Milliarden Mark für Renten ausgegeben, so waren es 1967 bereits knapp 7,5 Milliarden. Im gleichen Zeitraum verdoppelten sich die staatlichen Zuschüsse zu den Renten von knapp 1,3 auf fast 2,6 Milliarden Mark. Dieser Zuwachs an Rentenausgaben und Subventionen hatte mehrere Ursachen. Eindrücklich zeigt dies ein Blick auf die Bevölkerungsentwicklung der DDR. So hatten 1950 knapp 18,4 Millionen Menschen in der DDR gelebt, während es 1961 nur noch 17,1 Millionen waren. Durch den Mauerbau konnte diese Negativentwicklung nahezu gestoppt werden. Blickt man auf die Bevölkerungsverteilung, zeigt sich ein einschneidender demografischer Umbruch, der gekennzeichnet ist durch den steten Rückgang des Bevölkerungsanteils im erwerbsfähigen Alter bei gleichzeitigem Anstieg des Bevölkerungsanteils im Rentenalter. Standen 1950 11,7 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter noch 2,5 Millionen Menschen im Rentenalter gegenüber, so änderte sich dieses Verhältnis bis 1961 auf 10,2 zu 3,1 Millionen. 1967 kam auf drei Menschen im Erwerbsalter bereits ein Rentner. Diese demografische Entwicklung führte zwangsläufig zu höheren Rentenausgaben. Ein weiterer Grund waren die beschriebenen Rentenerhöhungen. Zudem bewirkte der Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigem Alter Einnahmeausfälle für die Sozialversicherung und damit für die Finanzierung der Renten. Trotz der demografischen Entwicklung stiegen die Einnahmen der Sozialversicherung infolge erhöhter Löhne. Diese Steigerung reichte jedoch bei Weitem nicht aus, die wachsenden Ausgaben im Bereich der Sozialversicherung zu finanzieren. Zudem wurde der Anstieg in den Einnahmen der Sozialversicherung ab Mitte der 60er-Jahre dadurch gebremst, dass die Durchschnittslöhne seit 1964 über der Beitragsbemessungsgrenze von 600 Mark lagen. Die Probleme und deren Folgen waren also bekannt, es blieb nur die Frage, wie eine Lösung aussehen sollte. Eine erste Antwort darauf wurde 1967 auf dem VII. Parteitag der SED gegeben.
Der VII. Parteitag der SED
Walter Ulbricht (4.v.l.) auf dem VII. Parteitag der SED, 17. April 1967.
"Unsere Sozialpolitik ist Ausdruck der gesellschaftlichen Sorge um den Menschen. Sie hat die Aufgabe, solche Arbeits- und Lebensbedingungen zu schaffen, die der Entwicklung aller Bürger und der Erhaltung und Förderung der Arbeitskraft dienen." Mit diesen Worten begann Walter Ulbricht den Abschnitt zur Sozialpolitik seiner Hauptrede auf dem VII. SED- Parteitag. Schon hier wird deutlich, dass die Sozialpolitik nicht nur als Mittel sozialer Absicherung verstanden wurde, sondern auch als ein wichtiger volkswirtschaftlicher Hebel. Doch was bedeutete das für die Gestaltung der Renten?
Gleich im nächsten Abschnitt seiner Rede setzte sich Ulbricht mit den Problemen des Rentensystems sowie dessen zukünftiger Entwicklung auseinander. Als erstes kündigte Ulbricht eine erneute Erhöhung der Mindestrenten für das Jahr 1968 an, von 129 Mark auf nunmehr 150 Mark. Diese Maßnahme begründete der SED-Chef damit, dass aufgrund der wachsenden Zahl an Rentnern und den damit verbundenen steigenden Rentenausgaben nur begrenzte Mittel zur Verfügung stünden, die untersten Renten jedoch am dringlichsten erhöht werden müssten. Das adäquate Mittel stellte somit die erneute Anhebung der Mindestrenten dar.
Neben dieser konkreten Ankündigung legte Ulbricht auch einige konzeptionelle Entwicklungen des Rentensystems dar. Als erstes kam er hierbei auf die Problematik der Rentenberechnung zu sprechen. Hier sei die für viele Rentner nachteilige Einbeziehung der Einkommen vor 1945 das größte Problem. Deshalb sollten zukünftig nur noch die Einkommen der letzten 20 Jahre – also aus der Zeit nach 1945 – in die Berechnung mit einfließen. Als weitere Maßnahme kündigte Ulbricht an, dass Frauen für die Geburt und Erziehung von Kindern zusätzliche Arbeitsjahre anerkannt werden sollten. Dies sollte dazu dienen, die bei Frauen besonders niedrigen Renten zu erhöhen. Wenn auch nicht explizit erwähnt, so darf dahinter mit einiger Berechtigung auch ein familienpolitischer Anreiz gesehen werden. Zuletzt kam Ulbricht auf die Auswirkungen der steigenden Löhne auf das Rentensystem zu sprechen. So erhielten viele Menschen bereits ein Einkommen, das über der Beitragsbemessungsgrenze von 600 Mark lag, ohne dass sich dies auf ihre spätere Rente positiv auswirken würde. Ulbricht machte jedoch deutlich, dass die vorgeschlagene Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze keine Lösung sei, da diese von der werktätigen Bevölkerung abgelehnt würde. Stattdessen solle eine freiwillige Rentenversicherung allen Werktätigen die Möglichkeit bieten, sich eigenverantwortlich und den eigenen Bedürfnissen entsprechend um die Altersvorsorge kümmern zu können. Dies schien der ideale Weg zu sein, die arbeitende Bevölkerung in die weitergehende Finanzierung der Renten einzubeziehen, ohne dies mit einer unpopulären Zwangsmaßnahme zu verbinden.
Mit diesen vier Punkten, der Anhebung der Mindestrenten, der Einführung einer neuen Rentenformel, der zusätzlichen Gewährung von Anrechnungszeiten für Frauen und der Einführung einer freiwilligen Rentenversicherung, hatte Ulbricht die Rentenreform des Jahres 1968 vorgezeichnet. Dabei fällt auf, dass die beiden am weitesten gehenden Maßnahmen, die neue Rentenformel sowie die freiwillige Rentenversicherung, keine Auswirkungen für die Bestandsrentner haben sollten. Beide Maßnahmen richteten sich vielmehr allein an die noch arbeitende Bevölkerung und sollten durch die Verknüpfung von Arbeitsleistung und späterem Rentenanspruch als Anreiz dienen, die individuelle Produktivität zu erhöhen. Dass dies ein wichtiges Ziel der angekündigten Rentenmaßnahmen war, belegt auch ein streng vertraulicher Bericht vom Februar 1967 über die Probleme des bestehenden Rentenrechts. In dem Papier wird kritisch resümiert, es sei "das geltende Rentenrecht nicht in der Lage, eine stimulierende Wirkung auf die Werktätigen im Arbeitsprozeß auszuüben."
Die Rentenreform von 1968
Bereits im Verlauf des Jahres 1967 wurden die von Walter Ulbricht auf dem VII. Parteitag der SED angekündigten Maßnahmen vorbereitet. Dies geschah unter Zusammenarbeit diverser Abteilungen des Zentralkomitees der SED, voran der ZK-Abteilung Gewerkschaften und Sozialpolitik, der Staatlichen Plankommission, des Staatlichen Amtes für Arbeit und Löhne sowie des FDGB-Bundesvorstandes. Gemeinsam wurden die Entwürfe für die neuen Rentenregelungen formuliert, Beispielrechnungen durchgeführt und Argumentationshilfen für die anstehende Reform verfasst, bevor diese durch das Politbüro bestätigt und durch den Staatsrat bzw. den Ministerrat offiziell beschlossen wurden.
Am 15. März 1968 verabschiedete der Staatsrat der DDR schließlich den Erlass "Über die Weiterentwicklung des Rentenrechts und zur Verbesserung der materiellen Lage der Rentner sowie zur Verbesserung der Leistungen der Sozialfürsorge". Für die Berechnung der Renten ab dem 1. Juli 1968 ergaben sich folgende bedeutende Neuregelungen: 1.) Ein Anspruch auf Rente konnte fortan nur durch Berufstätigkeit erworben werden. 2.) Für den Anspruch auf Altersrente musste eine mindestens 15-jährige versicherungspflichtige Tätigkeit nachgewiesen werden. 3.) Die Höhe der Alters- und Invalidenrenten berechnete sich fortan aus dem Einkommen der letzten 20 Berufsjahre sowie der Summe der Arbeitsjahre. 4.) Frauen erhielten zusätzliche Anerkennungsjahre für die Geburt von Kindern sowie für die aufgrund des niedrigeren Renteneintrittsalters geringere Lebensarbeitszeit. 5.) Invaliden konnten zukünftig bis zu 70 Prozent der Zeit vom Eintritt in die Invalidität bis zum Erreichen der Altersrentengrenze als Berufsjahre anerkannt bekommen. 6.) Die Hinterbliebenenrenten wurden erhöht, sodass die Witwenrente fortan 60, die Vollwaisenrente 40 und die Halbwaisenrente 30 Prozent des Rentenanspruchs des Verstorbenen betrugen. 7.) Die Mindestalters-, Mindestinvaliden-, Mindestwitwen- und Mindestunfallrenten wurden auf 150 Mark erhöht. Der deutliche Schwerpunkt dieser Maßnahmen lag bei der Erhöhung der unteren Renten. Dies zeigte sich zuvorderst an der Anhebung der Mindestrenten. Die Bezieher von Witwenrenten, welche bislang zu den niedrigsten Renten gehört hatten, profitieren gleich mehrfach. So wurde der Mindestsatz für die Witwenrente, der bis zu diesem Zeitpunkt 10,– Mark niedriger als der aller anderen Vollrenten gelegen hatte, mit dem der anderen Renten gleichgesetzt. Außerdem wurde der Satz der Witwenrente von 50 auf 60 Prozent des Rentenanspruchs des verstorbenen Ehegatten hochgesetzt. Auch für die zuvor benachteiligten Frauen mit eigenem Rentenanspruch verbesserten sich die Bedingungen durch die zusätzlich gewährten Anerkennungsjahre.
Als Basis für die Berechnung der ab dem 1. Juli 1968 festgelegten Renten diente nunmehr eine neue Formel. Diese bestand aus einem Grundbetrag von 110 Mark, der um einen Steigerungsbetrag erhöht wurde. Dieser ergab sich aus dem Durchschnittsmonatsverdienst der letzten 20 Arbeitsjahre, von dem 0,7 Prozent für jedes Arbeitsjahr vor 1946 und ein Prozent für jedes Arbeitsjahr ab 1946 addiert wurden. Auch wenn dieser Formel nach wie vor das dynamische Element fehlte, stellte es für die Betroffenen eine deutliche Verbesserung gegenüber der alten Rentenformel dar. Allerdings sollte die neue Formel nicht auf die bestehenden Renten angewandt werden. Dazu hieß es in einer Broschüre zu den Rentenmaßnahmen des Jahres 1968: "Die Mehrzahl der Werktätigen, die bereits Rente erhalten, konnte nicht 20 Jahre nach 1945 berufstätig sein. Bei gleicher Berechnung wie für die ab 1. Juli 1968 festzusetzenden Renten hätten in den Berechnungszeitraum auch Jahre aus der kapitalistischen Zeit mit niedrigen Verdiensten einbezogen werden müssen. Für viele Rentner, insbesondere für die ältesten mit den niedrigsten Verdiensten, wäre damit keine oder nur eine geringe Erhöhung zu erreichen gewesen."
Aber auch für die Altrenten traten neue Regelungen in Kraft. Um die Renten, die auf besonders niedrigen Einkommen der Vorkriegszeit beruhten, anzuheben, wurden diese Einkommen mittels Erhöhungsfaktoren aufgewertet, wobei die niedrigen Renten besonders profitieren sollten. Zusätzlich wurde für jedes Arbeitsjahr ein pauschaler Rentenerhöhungsbetrag gewährt und die Mindestrentensätze wurden entsprechend der Neuordnung ebenfalls auf 150 Mark festgesetzt. Weiterhin galten für Invaliden und Frauen fortan dieselben Anrechnungszeiten wie bei den Neurenten.
Die dritte Säule des Staatsratserlasses zur Rentenneuordnung war neben der neuen Rentenformel und den Maßnahmen zur Verbesserung der Altrenten die Einführung der freiwilligen Versicherung auf Zusatzrente (FZR). Die noch etwas vagen Bestimmungen des Erlasses hatten folgenden Inhalt: 1.) Die ab dem 1. Juli 1968 bei der Sozialversicherung einzurichtende Versicherung sollte zwei frei wählbare Tarife umfassen, wobei einer mit und einer ohne einen Rentenanspruch für die Hinterbliebenen ausgestattet sein sollte. Ansonsten umfasste die FZR sowohl eine Alters- als auch eine Invalidenversicherung. 2.) Die Versicherung sollte freiwillig sein, und die Versicherten sollten ihre Beitragshöhe selbst bestimmen können. 3.) Für einen Anspruch aus der FZR musste eine Mindestversicherungszeit von fünf Jahren vorliegen. 4.) Die Höhe der Leistungen hatte sich nach dem Tarif und dem Lebensalter während der jeweiligen Beitragszahlungen zu richten. Damit wollte man insbesondere junge Menschen animieren, frühzeitig der FZR beizutreten. 5.) Für diejenigen, die zum Zeitpunkt das Erlasses als Frau das 55. und als Mann das 60. Lebensjahr bereits überschritten hatten, jedoch noch nicht im Rentenalter waren, sollten Vorzugsbedingungen geschaffen werden. 6.) Die Beitragseinnahmen hatten zweckgebunden für die Finanzierung der Leistungen aus der Zusatzrentenversicherung verwendet zu werden.
Die neu zu schaffende freiwillige Versicherung auf Zusatzrente wies einige Besonderheiten auf. So ist es bemerkenswert, dass diese Versicherung ohne staatliche Zuschüsse allein aus den gezahlten Beiträgen finanziert werden sollte. Auch der Umstand, dass in jüngeren Jahren gezahlte Beiträge zu höheren Rentenleistungen führen sollten, war wirtschaftlich schlüssig gedacht. Diese Regelung bot einen erhöhten Anreiz für einen frühen Versicherungsbeitritt, was wiederum längere Versicherungszeiten und somit höhere Beitragseinnahmen mit sich brächte. Allerdings ließ der Erlass offen, wie genau sich die FZR später auszahlen würde. Die weitere Durchführung der zur Umsetzung der Neuregelungen nötigen Maßnahmen übertrug der Staatsrat dem Ministerrat der DDR, der zu diesem Zweck mit dem FDGB-Bundesvorstand zusammenarbeiten sollte. Ebenfalls am 15. März 1968 verabschiedete der DDR-Ministerrat die "Verordnung über die freiwillige Versicherung auf Zusatzrente bei der SV". Neben den bereits genannten Regelungen legte die Verordnung fest, dass die FZR beim jeweiligen Sozialversicherungsträger des Versicherten, also bei der SVAA oder der DVA, geführt werden sollte. Zudem wurde bestimmt, dass die Beitragseinnahmen in einem Fonds, der mit fünf Prozent zu verzinsen war, nur zweckgebunden verwendet werden durften. Dies bedeutete eine Abkehr von dem Solidaritätsprinzip der Sozialversicherung hin zu einem kapitalgedeckten Altersvorsorgesystem.
Mit der Einführung der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung, der neuen Rentenformel sowie den Maßnahmen zur Verbesserung der Altrenten war die große Rentenreform des Jahres 1968 komplett. Doch gab es 1968 neben den neuen gesetzlichen Bestimmungen noch eine weitere wichtige Änderung bezüglich des Rentensystems. Diese findet sich in der neuen Verfassung der DDR aus demselben Jahr. Bereits in der ersten Verfassung der DDR aus dem Jahr 1949 wurde die Altersversorgung als Grundrecht festgelegt, das durch ein "einheitliches, umfassendes Sozialversicherungswesen" gewährleistet werden sollte. In der neuen Verfassung aus dem Jahr 1968 wurde diese Grundsicherung in Artikel 36 sogar durch einen qualitativen Anspruch ergänzt: "(1) Jeder Bürger [...] hat das Recht auf Fürsorge der Gesellschaft im Alter und bei Invalidität. (2) Dieses Recht wird durch eine steigende materielle, soziale und kulturelle Versorgung und Betreuung alter und arbeitsunfähiger Bürger gewährleistet." Konnte das neue Rentenrecht diesem Anspruch gerecht werden?
"Alltag in einer Berliner Sparkasse. Während Arbeiter und Rentner im Westen fragen: 'Was ist unser Lohn heute noch wert?', bangt in der DDR kein Bürger um sein Geld. Hier ein Blick in die Sparkasse 189, die modernste Berlins. Das Foto zeigt einen ruhigen, alltäglichen Geschäftsbetrieb. Im Vordergrund bedient Helene Koch, Bankkaufmann." (Originaltext ADN-Zentralbild).
Die Auswirkung der Rentenreform zeigte sich deutlich. So betrug der Rentenzuwachs im Jahr 1969 im Vergleich zum Jahr 1967 über zwölf Prozent. In den fünf Jahren zuvor hatten die jährlichen Zuwachsraten hingegen unter einem Prozent gelegen. Allerdings hatte die letzte Rentenerhöhung im Jahr 1963 ebenfalls einen Anstieg der Renten von durchschnittlich zwölf Prozent gegenüber dem Vorjahr mit sich gebracht. Somit erhöhte sich die Durchschnittsaltersrente von 153,83 Mark im Jahr 1962 über 173,16 Mark zwei Jahre später schließlich bis 1969 auf 195,86 Mark. Betrachtet man das Renten-Lohn-Verhältnis, so lag dieses 1962 bei 26,12 Prozent und stieg 1965 auf 28,11 Prozent an, während sie 1969 trotz der großen Reform wieder nur 26,83 Prozent betrug. Somit hatten die Lohnerhöhungen Ende der 60er-Jahre die langsame Angleichung des Altersrentenniveaus an das Lohnniveau größtenteils wieder verpuffen lassen. Betrachtet man die Auswirkung der Reform differenziert nach dem Geschlecht, zeigen sich deutliche Differenzen: "Durch die besonderen Zurechnungszeiten für Frauen wird die Rente der Frauen im Durchschnitt mehr erhöht als die der Männer. Damit wird die gegenwärtige erhebliche Differenz zwischen den Durchschnittsrenten der Männer und Frauen (die Durchschnittsrente der Männer liegt ca. 60,– MDN über der Durchschnittsrente der Frauen) verringert." Trotz differenzierten Erhöhung lagen die Renten der Frauen im Gegensatz zu denen der Männer sowohl vor als auch nach der Reform nur knapp über der Mindestrente.
Es lässt sich somit zwar ein deutlicher Anstieg der Renten infolge der Reform feststellen, doch waren damit die Probleme des alten Rentensystems gelöst? In einer Konzeption zur Ausarbeitung des Staatsratserlasses, die vom Staatlichen Amt für Arbeit und Löhne an die ZK-Abteilung Gewerkschaften und Sozialpolitik zur Bearbeitung geschickt worden ist, heißt es: "Das neue Rentenrecht als Teil des gesamtgesellschaftlichen Systems des Sozialismus basiert auf sozialistischen Prinzipien. Mit ihm werden die Grundlagen des sozialistischen Rentenrechts geschaffen." Zu diesem Abschnitt wurde handschriftlich angemerkt, wahrscheinlich von Fritz Brock, dem Leiter der ZK-Abteilung persönlich, dieses sei "sehr hochgegriffen". Dies ist nicht die einzige kritische Anmerkung, die sich in den Akten finden lässt. In einer weiteren Stellungnahme wies Brock darauf hin, bezüglich der Rentenmaßnahmen sei zwar deren politische Wichtigkeit zu betonen, ohne aber Illusionen oder unerfüllbare Träume zu wecken, und kommt zu folgendem Schluss: "Mit der neuen Berechnungsgrundlage werden nicht alle Unzulänglichkeiten des bisherigen Rentenrechts beseitigt. Es muß deshalb eindeutig dargestellt werden, daß mit diesen Veränderungen begonnen wird, das Rentenrecht nach sozialistischen Prinzipien zu gestalten." Bereits in einem Bericht aus dem Jahr 1967, dem Beispielrechnungen und Vergleiche zwischen dem alten und dem neuen Rentenrecht beigefügt waren, wurde eine grundlegende Problematik des neuen Rentenrechts benannt: "Diese Darstellung [in den Anlagen des Berichtes] zeigt, daß sich das Verhältnis der Durchschnittsrente zum Durchschnittsarbeitseinkommen ständig verschlechtert, weil in der Rente nicht die Dynamik enthalten ist, wie im Durchschnittsarbeitseinkommen. Dieser Zustand wird auch mit der neuen Berechnungsmethode noch nicht beseitigt." Diesen Befund bestätigt die eingangs beschriebene Entwicklung des Renten-Lohn-Verhältnisses.
Doch wurde nicht nur intern Kritik an den vorgenommenen Rentenmaßnahmen geübt. Trotz der deutlichen Verbesserung der Rentenbeträge kam es von Seiten der Rentner ebenfalls zu vielseitiger Kritik. So wurde unter anderem die Stichtagsregelung für die Anwendung der neuen Rentenformel kritisiert. Viele Frauen zeigten sich enttäuscht darüber, dass die nunmehr gewährten Zurechnungszeiten nicht zusätzlich auf die Mindestrente aufgeschlagen würden. Während Rentner mit langer Erwerbsbiografie beanstandeten, dass die erneut durchgeführte Erhöhung des Mindestrenten zu einer weiteren Nivellierung der unteren Renten führe, beschwerten sich Rentner mit einst hohen Einkommen (meist Angestellte und Beamte) über die für sie als zu gering empfundenen Rentenerhöhungen.
Bei aller Kritik und der fehlenden Nachhaltigkeit brachten die Einführung der neuen Rentenformel sowie die Erhöhung der Altrenten deutliche Verbesserungen für die Rentner. Weit weniger erfolgreich war hingegen die neu eingeführte FZR. Trotz massiver Werbekampagnen misslang die Etablierung dieses Instrumentes der individuellen sozialen Vorsorge komplett. Bis einschließlich 1970 hatten gerade einmal 8 068 Werktätige bei der SVAA eine entsprechende Versicherung abgeschlossen.
Die Rentenreform – ein gescheitertes Projekt?
Ist die erste große Rentenreform der DDR gescheitert? Zur Beantwortung dieser Frage ist es sinnvoll, zwei Perspektiven einzunehmen, die der Rentner auf der einen Seite und die der Staats- und Parteiführung auf der anderen. Das Interesse der Rentner wie auch der noch Werktätigen bestand in der Verbesserung der Lebenslage der Rentner, also in einer Erhöhung der Renten. Dieses Ziel ist eindeutig erreicht worden. Dennoch gab es von Seiten der Betroffenen erhebliche Kritik, was zum Teil auf die vagen Ankündigungen im Vorfeld der Reform zurückzuführen war. Davor hatte auch Fritz Brock gewarnt, der das Heraufbeschwören zu großer Hoffnungen zu verhindern suchte. Auf der anderen Seite gab es nicht nur "laute" Kritiker der Reform, sondern zudem eine weit größere Zahl von "leisen" Profiteuren. Auch für die Werktätigen wirkte sich die Reform positiv aus, da diese die Einkommenssituation für die Verwandten im Rentenalter ebenso deutlich verbesserte wie den Ausblick auf die eigene Rente. Zudem wurden die Maßnahmen durchgeführt, ohne die arbeitende Bevölkerung direkt zu belasten. Für die Bevölkerung insgesamt stellte die Reform somit in der Summe eine positive Entwicklung dar, doch bedurfte sie aus ihrer Sicht noch weiterer Nachbesserung.
Wie sah dies hingegen aus Sicht der Staats- und Parteiführung aus? Grundsätzlich lassen sich zwei Motive für die Reform erkennen. Zum einen sollte eine verbesserte Grundversorgung der Rentner gewährleistet werden. Zum zweiten sollte durch die Rentenreform ein Anreizsystem geschaffen werden, das die Werktätigen zu mehr Leistung im Arbeitsprozess und zu einer eigenverantwortlichen Vorsorge anhalten sollte. Das erste Ziel wurde mit der Rentenreform erreicht. Die Rentensituation besserte sich deutlich. Dies geschah jedoch ohne Bezug auf die Lebensarbeitsleistung der Altrentner. Vielmehr wurde dieser Gruppe lediglich eine verbesserte Grundversorgung gewährt. Zum zweiten sollten die neue Rentenformel und vor allem die neu eingeführte FZR einen erhöhten Leistungsanreiz für die Werktätigen bieten, indem sich deren Arbeitsleistung auf die spätere Altersversorgung auswirkte. Zwar verbesserte sich die Aussicht auf die Rente für die erwerbstätige Bevölkerung durch die neue Rentenformel deutlich. Aufgrund der Lohnentwicklung und des zeitgleichen Festhaltens an der starren 600-Mark-Beitragsbemessungsgrenze brachte die neue Rentenformel jedoch keinen zusätzlichen Leistungsanreiz. Für die FZR galt dies hingegen schon, bot sie doch die Möglichkeit, den eigenen Rentenanspruch zu erhöhen. Die geringe Resonanz auf das Angebot der FZR ist jedoch ein deutliches Indiz dafür, dass dieser Anreiz zu gering ausfiel. Während sich also die Mehrausgaben für die Renten deutlich erhöhten, fielen die erwarteten Mehreinnahmen für die Sozialversicherung sowie ein damit einhergehender Abbau des Kaufkraftüberhanges weg.
Aus Sicht der Staats- und Parteiführung dürfte die erste große Rentenreform die in sie gesetzten Erwartungen kaum erfüllt haben. Dies bestätigt auch die weitere Entwicklung des Rentensystems. So erfolgte bereits 1971, also nur drei Jahre später, die zweite große und zugleich vorletzte Rentenreform der DDR. Neben der Umrechnung der Altrenten nach der 1968 eingeführten neuen Rentenformel stand vor allem die Neuauflage der FZR im Zentrum dieser Reform. Mit dieser zweiten Reform, die in vielen Punkten auf der ersten von 1968 aufbaute, und insbesondere durch die verbesserte FZR gelang es, viele Probleme des Rentensystems langfristig zu lösen. Hans-Dieter Schulz kam 1968 in seinem Radiobericht zu folgender Bewertung der FZR: "Erst mit Hilfe der durch freiwillige Beiträge entstehenden Zusatzrenten kann für spätere Jahre eine teilweise Annäherung an das westdeutsche Niveau erreicht werden. Das wäre freilich keine soziale Leistung, denn mit zusätzlichen Beitragszahlungen kann man sich überall im Westen einen höheren Rentenanspruch erwerben."
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M.A., Doktorand an der Universität Hamburg, Mitglied des Zeitgeschichtlichen Promotionskollegs der Konrad-Adenauer-Stiftung.
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