Der Weg der Oder durch die Geschichte ist nicht geradlinig, sondern mäandernd. Das schützte den Fluss auch vor simplen Vereinnahmungen. Und es ließ ihm seinen eigentümlichen Charakter, seine Mythen und Geschichten.
Es gibt Einfacheres, als über die Oder zu schreiben. Fast überall fließt sie in Mäandern, bildet Sandbänke, überall sah sie einmal anders aus und nahm einen anderen Weg. Die Menschen, die an ihr leben, versuchen auch, ihrer Bedeutung auf die Spur zu kommen, was wahrlich nicht einfach ist, weil sie auch in Mäandern durch ihre Geschichte floss.
Etwas zur Geographie
Die Oder hat eine Länge von 854,3 Kilometer und ist ein Fluss dreier Länder: Tschechien, Deutschland und Polen. Sie beginnt ihren Lauf im Olmützer Land in Mähren, auf dem Fidlhübel, dem höchsten Gipfel der Oderberge in den Ostsudeten, auf einer Höhe von 633 Meter. Im Polnischen geografischen Wörterbuch aus dem späten 19. Jahrhundert, herausgegeben in Warschau, damals bereits unter russischer Herrschaft, kann man lesen, dass die Quelle der Oder "in einem kleinen Sumpf inmitten eines Tannenwaldes liegt". Der Autor dieses Eintrags, Bronisław Gustawski, schrieb überaus bildlich: "Eine unbedeutende Quelle befreit sich aus dem Sumpf, entweicht einer bewaldeten Schlucht in unerwarteter Neigung dem Norden entgegen."
Weiter führt die Oder durch Schluchten und Hohlwege und nimmt immer mehr Wasser auf. Auf der einen Seite die Karpaten, genauer gesagt, die Troppauer Beskiden, auf der anderen Seite die Sudeten, fließt sie durch die Mährische Pforte, nimmt das Wasser zahlreicher Zuflüsse auf und nach hundertzehn Kilometern, wenn sie die Opava/Troppau passiert hat, wird sie zum tschechisch-polnischen Grenzfluss – und strömt ins polnische Schlesien. Fast fünfzig Kilometer geht es nun nach Nordwesten, immer größere Nebenflüsse nimmt die Oder auf, und wenn sie durch Oppeln und Breslau strömt, wendet sie sich hinter Uraz nach Westen und trifft auf Dyhernfurth. Hinter Maltsch ändert sie ihre Richtung nach Norden, am Fuße des Klosters Leubus und bei Radosz fließt sie immer mehr Richtung Westen, trifft auf Glogau, Beuthen an der Oder und dreht erneut Richtung Norden, Neusalz zu. Danach versucht sie es mal Richtung Osten, dann wieder nach Westen, um sich dann endgültig für den Westen zu entscheiden und hinter Crossen an der Oder bei Ratzdorf auf die Lausitzer Neiße zu treffen.
Von da an ist die Oder der Grenzfluss zwischen Polen und Deutschland. Zu ihrer Linken liegt Brandenburg, zur Rechten die Ziemia Lubuska, das Lebuser Land. Sie trifft auf Eisenhüttenstadt, die Universitätsstadt Interner Link: Frankfurt und ihren alten Stadtteil, heute Interner Link: Słubice, anschließend die Bischofsstadt Lebus, fließt an Küstrin vorbei, und unterhalb Küstrins begegnet sie ihrem größten Nebenfluss, der Warthe. Weiter strömt sie nach Norden und Nordwesten durch eine feuchte Niederung, die schon mehrere Kilometer breit ist. Sie durchschneidet die Oderwiesen, auf der linken Seite das tiefer gelegene Oderbruch, vor Hohenwutzen dreht sie nach Norden, hinter Bielinka nach Nordwesten und erreicht das sumpfige Tal zwischen Criewen und Schwedt, und die bewaldeten Hänge entlang der Dörfer Raduń, Zatoń Dolna und Krajnik.
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Die Passagierboote gehen von Frankfurt aus zweimal wöchentlich, Mittwoch und Sonnabend, und machen die Fahrt nach Küstrin in zwei, nach Schwedt in acht, nach Stettin in zehn Stunden. Die Benutzung erfolgt mehr stationsweise und auf kleineren Strecken als für die ganze Tour. Schon deshalb, weil die Eisenbahnverbindung die Reisenden eher und sicherer ans Ziel führt. Eher und allen Umständen, und zwar umso mehr, als es bei niedrigem Wasserstande vorkommt, dass die Fahrt auf Stunden unterbrochen oder gar wohl ganz eingestellt werden muss. (…) Flussregulierungen sind nicht unsre starke Seite.
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Die Oder ist ein edles Bauernweib. Mit stillen, sicheren Schritten geht sie durch ihre Lande. Kalk- und Kohlestaub liegen manchmal auf ihrem Kleid, zu ihrem einförmigen Lied klopft der Holzschläger den Takt. Sie hat immer Arbeit, schleppt ihren Kindern Kohle und Holz, Getreide und hundertfachen Lebensbedarf ins Haus. Zu Grünberg nippt sie ein gutes, bescheidenes Haustränklein. Die bei ihr wohnen, sind geborgen und glücklich, und wenn sie ans Meer kommt, breitet sie angesichts der Ewigkeit weit und fromm ihre Arme aus.
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Die Oder, der Fluss, der von weither kommt (…) Hier geschieht das Vollkommene nicht, hier bändigt niemand zu edlem Maße das Ungebärdige, und das Dunkle ist wie vor der Schöpfung ungeschieden vom Hellen.
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Ich ging weiter über die Brücke. Rechts neben mir war ein Gitter. Unter mir war ein Fluss. Ich ahnte sofort, dass der Fluss Oder hieß, und ich stellte mich erst mal an das Gitter, um in die Oder zu spucken. Nach Möglichkeit spucke ich von jeder Brücke, vorausgesetzt, unter der Brücke ist Wasser.
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Die Oder ist wie eine Enzyklopädie. Zwischen Mährischer Pforte und Oderhaff bekommt man fast alles zu sehen, was die Welt Mitteleuropas zu bieten hat.
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Es flanieren viele Leute entlang der Oder. In Frankfurt sind das eher Rentner, die viel Zeit haben und die schönen Aussichten und den schönen Boulevard genießen. In Slubice sind es eher Leute, die Hunde haben, da der Oderdamm eine hervorragende Hundespazierstätte ist. Mit der Zeit wird es sich so entwickeln, nehme ich an, dass die Strecken sich verzweigen werden. Die Rentner werden über die Brücke gehen und ihren Spaziergang auf der polnischen Seite fortsetzen. Und die Hundefreunde werden in den Hundeladen in den Oderturm gehen, wo sie gutes Futter kaufen können. Und das ist auch richtig so.
Nach 162 Kilometern Entfernung von der Mündung der Lausitzer Neiße, fließt die Oder nun durch Westpommern, teilt sich unterhalb von Widuchowa in die Ostoder (Regalica) und die Westoder, die auf weiteren 17 Kilometern die Grenze bildet. Vor dem Dorf Pargowo trennen sich Oder und Grenze. Letztere wendet sich nach Nordwesten, und die beiden großen Oderarme, gelegen zwischen Berghängen, bilden ein weites Tal, das Zwischenoderland. Langsam strömt die Oder dann nach Nordosten Stettin entgegen, wo die Westoder in Betonmauern gezwängt ist, mitten durch das Zentrum der Stadt und die Łasztownia, die größte Insel im Hafen, der weitere kleinere Inseln folgen. Die Regalica fließt zunächst parallel zur Oder, wendet sich dann nach Nordosten und trifft unterhalb des Zwischenoderlands auf Góry Bukowe, einen Stadtteil Stettins, ihr zur Linken liegt der Hafen, dann bildet die Regalica den abgelegenen und flachen Dammschen See. Im Norden, hinter Police, tritt sie wieder aus dem See heraus und vereint sich mit der Westoder. Nach einem Kilometer wird Roztoka Odrzańska erreicht, dann mündet die Oder, jetzt noch mächtiger, ins Interner Link: Stettiner Haff, das man früher Oderhaff genannt hat.
Durch das Haff führt eine Wasserstraße, die die Häfen von Stettin und Swinemünde verbindet. Westlich davon befindet sich die deutsch-polnische Grenze, wiederum im Wasser, im Norden liegen zwei Inseln, die den Weg in die Ostsee versperren. Die westliche davon, Usedom, gehört zum größten Teil zu Deutschland. Die östliche, Wollin, gehört zu Polen. Den Weg in die Ostsee finden schließlich drei Mündungsströme: die Swine (zwischen Usedom und Wollin), die Peene (zwischen Usedom und dem Festland) und die Dievenow (zwischen Wollin und dem Festland).
Das Einzugsgebiet der Oder misst eine Fläche von 118.860 Quadratkilometern. Davon entfallen auf Tschechien nur 7.217 und auf Deutschland lediglich 5.578 Quadratkilometer.
Der Name der Oder
Auf Tschechisch und Polnisch heißt der Fluss Odra, auf Deutsch Oder. In der Geografie des Ptolemäus (Germania Magna) ist der Fluss Viados (andere Schreibweisen sind Viadus oder Viadrus) gleichbedeutend mit der Oder. Ptolemäus nannte auch noch den Fluss Suevus, von dem es ebenfalls heißt, dass es sich um die Oder handeln könnte. Im 19. Jahrhundert arbeitete der pommersche Chronist Thomas Kantzow am Hof der Herzöge und befasste sich mit diesem Streit. Nach ihm ist nicht der Suevus, sondern der Viadrus die Oder. Die Herkunft des Namens untersuchte vor kurzem Jürgen Udolph, der Namenskundler aus Leipzig; er meint, dass die älteste Schreibweise – Odera – aus dem Jahre 948 stammt. Im Dagome iudex, einem Dokument des polnischen Herzogs Mieszko I, ist die Oder als Oddera oder Odera erwähnt, man hat aber auch noch andere Namen entdeckt: Adora, Odagra, Oddara, Odora, Odore.
Das Wort "Odra" taucht erstmals im Jahre 1067 auf. Tatjana Schoffer schreibt, dass sein Ursprung nicht eindeutig zu klären sei. Wahrscheinlich ist aber, dass "Odra" aus dem vorindoeuropäischen "uodr" (Wasser) stammt und danach über das Awestische, eine altpersische Sprache, die dem Sanskrit ähnlich ist, ins Germanische kam. Wahrscheinlich gibt es auch eine zweite Entwicklungslinie: die vom Indoeuropäischen ins Urslawische. Im Illyrischen, einer ausgestorbenen Sprache auf dem Balkan, gab es das Wort "Vjord", aus dem sich das lateinische Viadrus ableiten könnte. Daneben existierte das Wort "adra", das, ähnlich wie im Sanskrit, "Wasserader" bedeutete. Wie auch immer: Nun heißt der Fluss auf Deutsch Oder und im slawischen Odra. Jürgen Udolph schreibt übrigens auch, dass das altdeutsche Wort "Ader" gleichbedeutend ist mit Gefäß, Blutgefäß, Rinnsal und Eingeweide, ähnlich wie das altgriechische "etor", also Herz, Lungen, Seele. Das slawische Odra trägt in sich darüber hinaus die Bedeutungen: reißen, durchdringen, vordrängen, also das Durchbrechen bis zum Meer.
Wenn man die germanische, also deutsche und die slawische Bedeutung des Wortes betrachtet, liegt die Vermutung nahe, dass die erste mehr mit dem Mythos zu tun hat, die zweite dagegen mit der Geschichte. Im deutschen schlesischen Dialekt heißt die Oder übrigens Uder, im polnischen Schlesisch Uodra, im Niederlausitzer Dialekt Wodra und in der Oberlausitz Wódra.
Schreiben über die Oder
Es gibt Einfacheres, als über die Oder zu schreiben. Fast überall fließt sie in Mäandern, bildet Sandbänke, überall sah sie einmal anders aus und nahm einen anderen Weg. Oberhalb von Widuchowa verliert sie ihren einheitlichen Lauf und teilt sich in zwei Arme, fließt dann durch einen großen See, und am Ende ergießt sie sich nicht ins Meer, sondern ins Papenwasser und in das Stettiner Haff. Wenn ein starker Wind von Norden weht, fließt sie sogar rückwärts – bis Stettin. Früher war es bedrohlich, wenn sich das Meereswasser staute und träge nach einem Abfluss sucht.
Karl Schlögel und Uwe Rada richten, wie andere auch, ihr Augenmerk darauf, dass sich der Blick auf die Oder bis heute voneinander unterscheidet, je nachdem, von wo man auf den Fluss schaut – und vor allem: welcher Abschnitt des Flusses beschrieben wird. Man kann den Eindruck bekommen, schreibt Rada, dass es nicht nur eine Oder gibt, sondern gleich mehrere: in Mähren, Schlesien, dem Lebuser Land, in Brandenburg und Pommern. Schlögel betont, dass es an einer Wahrnehmung der Oder als einem einheitlich Raum fehlt, dass sie keine staatliche oder kulturraumbildende Achse sei. Eine natürliche Wasserstraße ist sie aber auch nicht. Immerzu wurde sie geteilt von quer zu ihr liegenden Furten und Sandbänken, Handels- und Kriegswegen, Staatsgrenzen und wirtschaftlichen Interessensgebieten der untereinander konkurrierender Städte. Es fehlt der Oder damit eine in der Kulturgeschichte bedeutende Rolle, obwohl sie in den verschiedenen Regionen durchaus von Bedeutung war.
Die Oder gehört zur Geschichte Tschechiens, Deutschlands und Polens, aber in keinem dieser Länder gibt es bis heute eine wissenschaftliche Odermonografie, obwohl es durchaus Bemühungen darum gab und gibt. Über die Oder schrieb Andrzej Piskoszub, ein Professor ein Danzig, der vor allem seine Vision einer Oderbiografie umreißt. Einer, der wie kaum ein anderer die Oder von der Quelle bis zur Mündung kennt, ist Uwe Rada, ein deutscher Journalist. Weitere Kenner der Oder sind Przemysław Konopka und Dietrich Schröder. Karl Schlögel (und nicht nur er) schreibt, dass der Oder bei weitem nicht dieser (metaphorische als auch sprichwörtliche) Geist zu eigen ist, der als Vater Rhein den Rhein inspiriert, oder als Danuvius die Donau. Gibt es ihn tatsächlich nicht? Oder hat man ihn nur nicht dort gesucht, wo man ihn finden könnte? Wo sucht man den Geist der Oder, fragt Andrzej Piskoszub, wenn nicht in den Mythen und Legenden, in der Geschichte, Kultur und Wirtschaft?
Der Odergott Viadrus
Noch vor kurzem hat kaum einer über den Viadrus gesprochen, den Odergott, den die Renaissance kannte und der sich vom lateinischen Namen des Flusses ableitet. Dr. Ernst-Otto Denk aus Bad Freienwald, ein Arzt und Hobbyhistoriker, erinnert daran, dass sich die Namen Odera und Viadrus auf einer Karte des berühmten Kartografen Martin Waldseemüller über die Umgebung von Frankfurt an der Oder und Bad Freienwalde aus dem Jahre 1513 finden. 1543 taucht der Name Viadrus in einer Arbeit von Professor Jodocus Willich (1501-1552) auf, einem, der sich wie kein anderer um die Hervorbringung der individuellen Persönlichkeit in der Renaissance verdient gemacht hat.
Auf den Zeichnungen wird der Viadrus als Mann dargestellt, mit Schilfsträhnen in den Haaren, eingehüllt in einen griechischen Himation, eine Art Toga, mit einem Paddel in der einen Hand und einem Füllhorn, aus dem Quellwasser strömt, in der anderen. Unten befindet sich der Umschlag mit einem Werk des berühmten Barockdichters Martin Opitz aus dem Jahre 1625 und einer Bearbeitung aus Crossen an der Oder, datiert auf das Jahr 1689.
Der fürsorgliche Odergott entsprach den Vorstellungen des Barock. 1725 wurde er auf einem Fries am Berliner Tor (heute Hafentor) in Stettin abgebildet, das von einem holländischen Architekten, Gerhard Wallrave, errichtet wurde. Sieben Jahre später taucht der Viadrus in Breslau auf, auf dem Gewölbe der jesuitischen Aula Leopoldina, gemalt von Johann Christoph Handke aus Olmütz. Auch im Treppenhaus eines der Gebäude der Breslauer Universität findet er sich. Allerdings gibt es nicht viele Darstellungen des Viadrus, was wohl bedeutet, dass er nicht populär war und bald wieder in Vergessenheit geriet – bis sich schließlich im Jahre 1990 die Europauniversität in Frankfurt an der Oder den Namen Viadrina gab ("die an der Oder gelegene") und damit wieder an den Odergott erinnerte.
Und der Viadrus lebt. Horst Engelhardt aus dem Oderbruch schuf eine, etwas traditionelle, Skulptur, die über dem Eingang des Oderlandmuseums in Bad Freienwalde angebracht ist, und im Jahre 2009 stellte er eine große, zeitgenössische Skulptur auf dem Weg zur Interner Link: Oderfähre "Ohne Grenzen" auf, die seit 2008 zwischen Güstebieser Loose und Gozdowice verkehrt und wieder beide Ufer der Oder miteinander verbindet. Der Viadrus dort ist aus Metall, rot, witzig und sieht aus, als würde ihm kein Hochwasser etwas anhaben können.
Seit 2009 wird in Bad Freienwalde unter anderem auf Initiative von Ernst-Otto Denk das regionale Jahrbuch Viadrus. Heimatbuch für Bad Freienwalde und Umgebung et Terra Transoderana herausgegeben. Ursprünglich hatte es den Titel Freienwaldia, der wurde aber zugunsten des Odergottes zurückgezogen. Unter seinem Patronat finden nun eine jährliche Oderkonferenz und ein Festival in Oderberg statt. Unter dem Motto "Viadrus 2011" gab es eine Fahrt der Absolventen des Breslauer Technikums der Binnenschifffahrt und das erste Motorbootfestival in Brzeg Dolny. Seit 2011 befindet sich der "altertümliche Odergott" auf dem Giebel der an der Oder gelegenen Uckermärkischen Bühnen in Schwedt inmitten zeitgenössisch präsentierter Gestalten aus dem deutschen und polnischen Pantheon der Kultur und Wissenschaften.
Im 25.000 Einwohner zählenden Bohumín in Mähren, wo die Olza in die Oder mündet, gibt es ebenfalls einen Viadrus – so lautet der Name einer Fabrik, die Heizkörper und Armaturen herstellt.
Die Oder in der Kunst
Betrachtet man die literarische Belletristik, die von verschiedenen Orten an der Oder erzählt, ist ihre Zahl eher gering. In der polnischen Literatur handelt es sich vor allem um historische Romane, oft mit einem antideutschen Gestus. Unter ihnen sind meist Werke, die vom Zweiten Weltkrieg handeln. Hervorzuheben wären die Romane und Erzählungen von Ryszard Liskowacki, der die Tragödie des Kampfes an der Oder bei Gozwdowice und Siekerki eindrucksvoll beschrieben hat. Er schrieb auch zwei heute allerdings vergessene Kinderromane – Wodzu, wyspa jest twoje (1965) sowie Powrót na wyspę (1967), die vom Zwischenoderland an der unteren Oder handeln. Ein kompliziertes Bild der Oder und der deutsch-polnischen Beziehungen beschreibt Henryk Bereska, ein Reisender entlang der Oder und gleichzeitig ein Mensch beider Kulturen und ihr Brückenbauer. Eine große Rolle spielt die Oder auch im Werk des 1964 geborenen Michael Lentz sowie in der polnischen Gegenwartsliteratur bei Olga Tokarczuk, die an der Oder aufgewachsen ist.
Eher unbekannt sind auch die Gedichte. Interessant war aber ein poetischer Dialog, den Zdzisław Morawski und Helmut Preissler 1992 über die Oder führten. In ihren Gedichten ist der Fluss das Symbol einer Interner Link: fließenden Zeit, der Beständigkeit der Welt, die Oder ist die Wächterin der moralischen Werte und ein gemeinsamer Strom, der zum Dialog anregt. Ähnlich verhält es sich mit den gesammelten Erzählungen von Barbara Erdmann aus dem Jahre 2010 Und weiter fließt die Oder.
Demgegenüber steht eine große Anzahl von Bildern und Grafiken, die mit der Oder zu tun haben. Allerdings hat sie bislang noch niemand systematisiert und bearbeitet. Es scheint auch, dass die Oder Einfluss hatte auf die Erbauer der Hakenterrassen in Stettin. Es wäre interessant, die Aufzeichnungen zu untersuchen, falls sie noch erhalten sind.
Der Zusammenhang, in dem überhaupt von der Oder die Rede ist, ist ein weites Feld. Immerhin hatten die ersten polnischen Computer, die in Breslau Anfang der sechziger Jahre produziert wurden, den Namen "Odra".
Ein neues Phänomen sind die zeitgenössischen religiösen Brauchtümer, die im Zusammenhang mit der Oder stehen. Ihr Symbol ist das Sanktuarium der Mutter Gottes und des königlichen Friedens an der Oder, das seit einem Vierteljahrhundert in Siekerki existiert.
Die Oder als Grenzland
Zu Zeiten des Heiligen Römischen Reiches war die Oder ein Grenzland. Die ersten Piasten, Mieszko I., Bolesław Chrobry und Bolesław Krzywousty, befestigten die westliche Grenze ihres Staates an der Oder, obwohl sie immer wieder auch über die Oder hinaus vorgedrungen sind: in die Lausitz, ins Erzgebirge, ins Lebuser Land, nach Stettin und darüber hinaus (was zu Konflikten mit den deutschen Herzögen führte), nach Schlesien und Pommern.
Bald war also das ganze Oderland von slawischen Stämmen besiedelt. Allerdings gab es keine dauerhaften Kriege mit den Deutschen. Und die, die es gab, waren mittelalterliche Kämpfe, mit denen politische Angelegenheiten sowie Nachbarschaftskonflikte und Familienstreitigkeiten ausgetragen wurden.
Das Oderland im Mittelalter war also sehr dynamisch, allerdings lässt sich von einer dauerhaften Odergrenze nicht sprechen. In den Wirren der damaligen Zeit bildete sie allerdings als einzige ein tatsächlich militärisches Hindernis.
Im Jahre 1335 befand sich die gesamte Oder unter der Herrschaft des Heiligen Römischen Reiches. Dennoch forderten die Territorialstaaten an der Oder wie auch die mächtigen Hansestädte ihr Recht unter Hinweis auf besondere Abschnitte des Stroms.
Als die Hohenzollern 1701 das Königreich in Preußen ausriefen, deren Kernland die Mark Brandenburg war, und ihr 1720 auch Stettin und die Inseln Usedom und Wollin einverleibten, befand sich die mittlere und untere Oder im Zentrum eines Raumes, in dem ein einheitliches Rechtssystem herrschte. Im Jahre 1740 wurde es um Schlesien erweitert, nach der ersten polniscen Teilung sogar um das nahezu gesamte Oderland.
Dennoch war im 19. Jahrhundert in Polen die Vorstellung weit verbreitet, dass die Oder die ursprüngliche deutsch-slawische Grenze markiert. Unter dem Eintrag "Oder" notierte Bronisław Gustawicz 1886 im bereits in Vergessenheit geratenen Geografischen Wörterbuch des Königreichs Polen und anderer slawischer Länder: "Das linke Ufer der Oder bildete das 'deutsche Ufer', während das rechte polnisch blieb."
Und in Deutschland? Über die Oder als ethnisches Grenzland spricht bereits Theodor Fontane in seiner Erzählung Vor dem Sturm. Das Buch wurde 1878 herausgegeben, seine Handlung ist in den Jahren 1812 und 1813 im Interner Link: Oderbruch angesiedelt. Im Mittelpunkt steht der Streit zweier Freunde und erbitterter Gegner: der Handelsrat Turgany aus Frankfurt (Oder) und der Pastor Seidentopf aus der fiktiven Ortschaft Hohen Vietz. Der Pastor besteht darauf, dass schon früher auf beiden Seiten der Oder Deutsche verschiedener Stämme gelebt haben, hingegen behauptet Turgany, dass die Oder schon immer ein Grenzfluss war, die Deutschen lebten am linken Ufer, die Slawen am rechten.
Im Mittelalter bildete das slawische Interner Link: Oderland tatsächlich ein kulturelles Grenzland, ein Gebiet slawisch-deutscher Koexistenz. Mit der Zeit allerdings verschwand das Slawentum unter dem Einfluss des Reiches sowie der deutschen Bewohner- und Handwerkerschaft. Hingegen blieb das schlesische Oderland lange Zeit ein gemeinsames deutsch-polnisches Siedlungsgebiet. Julius Roger (1819-1865), ein deutscher Ethnologe, der von Ulm nach Schlesien gezogen war und die polnische Sprache beherrschte, schrieb im Vorwort seines Buches Polnische Volkslieder in Oberschlesien (Breslau 1863), dass die Polen die Dörfer des preußischen Schlesien auf beiden Seiten der Oder besiedeln.
Der polnische Nationalismus propagierte in der Zwischenkriegszeit das Bild eines historischen Polentums an der Oder, die zugleich eine historische Grenze bilde. Das war Wasser auf die Mühlen der deutschen Nationalisten, die Polen auf der Suche nach einer Begründung für die Befestigung der Oder unter Druck setzten. Infolge des Zweiten Weltkriegs verloren die Deutschen das Oderland an Polen. Zum Einzugsgebiet der Oder in Deutschland gehört nur noch ein kleiner Streifen westlich der Grenzoder. Schon während des Krieges war das Thema der Odergrenze in der polnischen Nationalbewegung diskutiert worden, sowohl im Lande selbst als auch in der Emigration.
Die Grenze wurde schließlich auf Beschluss der Siegermächte festgelegt, obwohl sie faktisch schon von den Armeen der östlichen Front in den letzten Kriegstagen gebildet wurde. Die neue Grenzziehung bedeutete gleichzeitig Flucht, Vertreibung und Zwangsaussiedlung der deutschen Bevölkerung sowie die Besiedlung mit Polen, denen die polnische Propaganda versprach, in ein seit Jahrhunderten polnisches Oderland zurückzukehren. Die Grenze wurde zur Demarkationslinie, die beide Länder und Völker trennte. An der Grenzoder wurde ein Großteil der Brücken, die früher einmal beide Seiten des Ufers miteinander verbanden, nicht wieder aufgebaut, aber auch nicht zerstört. Der stehende Begriff "Hinter der Oder" wurde im Polnischen zum Synonym für Deutschland, und das deutsche "Hinter der Oder" oder "östlich der Oder" zum Synonym für das gegenwärtige Polen und die verlorene Heimat.
Die Oder-Neiße-Grenze beschreibt auch Andrzej Piskoszub, ein Kenner und Erforscher der kulturellen Bedeutung der Flüsse. Ihm zufolge sind Flüsse allerdings keine natürlichen Grenzen, sondern Kommunikationswege, "deren Aufgabe es ist, zu verbinden, und nicht zu teilen". Piskoszub schreibt, dass weder die Oder, noch die Lausitzer Neiße jemals vor 1945 eine Grenze gebildet haben. Ganz im Gegenteil: "Die Oder war immer eine Kommunikationsachse, die auf beide Seiten gewirkt hat. Die Grenzziehung an Oder und Lausitzer Neiße hat diese Kulturlandschaft, die über Jahrhunderte an diesen Flüssen entstanden ist, zerstört."
Die Symbole der neuen Ordnung an der Oder sind Grenzsteine auf beiden Seiten und Denkmäler auf der polnischen Seite, die vor 1990 errichtet worden waren. Nennen wir zwei davon: Auf dem Steilufer bei Cedynia erhebt sich ein Adler, den Schnabel nach Deutschland gerichtet. Er soll an die Schlacht von Cedynia vor tausend Jahren erinnern. In Czelin steht dagegen ein stilisierter Grenzstein, der an das Ergebnis der Zweiten Weltkriegs erinnert.
Die bewaffnete Oder
Die befestigten Burgen an der Oder entstanden bereits in vorhistorischen Zeiten. Die Befestigungen, die im Mittelalter daraus entstanden – wie in Oppeln, Breslau, Glogau, Beuthen an der Oder sowie Crossen, allesamt also am mittleren Oderlauf – waren schwer einzunehmen, aber auch schwer zu verteidigen. Die Sandbänke und Furten ermöglichten es den Angreifern, in den Rücken der Verteidiger zu gelangen und die Belagerung zu knacken. Im 17. Jahrhundert wurde die Befestigung Stettins, auch dank der Oder, für unbezwingbar gehalten. Bolesław Krzywousty eroberte die Festung erst im Winter, als die Oder zugefroren war. Die Dänen griffen Stettin mit Schiffen an. Deshalb wurde der Wall zwischen der Oder und der Stadt aufgeschüttet.
Die Festungen wurden zwischen den Flussgabelungen gebaut, wie zum Beispiel in Crossen zwischen der Oder und dem Bober, oder in Küstrin zwischen der Oder und der Warthe. Ein mächtiges Schutzbauwerk ist der so genannten Schlesienwall, der sich von Crossen nach Nordosten zieht. Die Schweden, die nach dem Dreißigjährigen Krieg Vorpommern eingenommen haben, errichteten im 17. Jahrhundert in Stettin eine Festung. Die Stadt lag damals nah der schwedisch-brandenburgischen Grenze, die entlang der Ostoder verlief.
Zur preußischen Zeit wurde die Oder gleichermaßen modernisiert und militarisiert, wie unter anderem Uwe Rada betont. Ausgebaut wurden die Festungen in Breslau (heute eines der größten Freiluftmuseen der Befestigunsgtechnik in Europa), Küstrin, Stettin und Swinemünde. Erst die Industrialisierung markierte eine Zäsur. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die Festung in Stettin geschleift, damit sich die Stadt weiter entwickeln konnte. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Frankfurt an der Oder zur größten Grenzstadt im Osten Deutschlands, das größte Zentrum zwischen Berlin und der deutsch-polnischen Grenze. Hugo Kinne, der Oberbürgermeister der Jahre 1925-1933, hat dazu gesagt: "Wir als die größte Stadt in der Ostmark betrachten es als heilige Pflicht, den Wall zu bilden gegen das andringende Slawentum."
In den Jahren 1928 bis 1939 wurde die Oderstellung gebaut, eine Befestigungslinie zwischen Breslau und Crossen, die Deutschland vor einem polnischen Angriff schützen sollte – sie ergänzte den Ostwall und die Pommernstellung. Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde sie noch einmal modernisiert, aber den Offensiven aus dem Osten konnte sie nicht standhalten. Gleiches gilt für die Festungen Breslau und Küstrin, die ebenfalls an der Oder lagen. Dagegen forderte die Schlacht an der Seelower Höhen gegenüber von Küstrin 50.000 Opfer. Blutig war auch der Durchbruch über die Oder nördlich von Küstrin. In diesen Ortschaften wird bis heute an die Schlachten erinnert.
Als Polen 1945 die Westgebiete übernahm, wurde betont, dass die Oder ein wichtiger Teil ihres Schutzes sei. Symbol dessen wurde die Demonstration "Halten wir an der Oder Wacht", die am 13. und 14. April in Stettin organisiert wurde. Damals hieß es, dass entlang der Grenzoder ein "Volkswall" entstehe, der Polen vor der deutschen Gefahr beschütze. Angesiedelt wurden vor allem demobilisierte Soldaten, gleichzeitig wurde ein strenges Grenzregime eingeführt.
Heute sind die militärischen Bauten entlang der Oder eine Touristenattraktion, etwa in Swinemünde (das preußische Fort) oder die Oderstellung bei Cigacice. Erneuert wurden die Befestigungen in Küstrin, die die bis auf die Grundmauer zerstörte Altstadt umgeben – das Pompeji des Nordens.
In Stettin, Gartz und Eisenhüttenstadt sind Reste einer zerstörten Brücke aus dem Krieg erhalten. An das Grenzregime nach dem Krieg erinnern die Eisenbahnbrücke bei Siekierki, die verrosteten Schleusen im Zwischenoderland und die nicht mehr betriebenen Fähranleger.
Die Oder und die Wirtschaft
Von Anfang an gab die Oder Arbeit. Sie ist, theoretisch zumindest, auf einer Länge von 711 Kilometern schiffbar, obwohl es immer wieder Abschnitte gibt, die nur schwer befahrbar sind. Die Oder ist keine natürliche Wasserstraße, schiffbar wurde sie erst mit dem Bau zahlreicher Staustufen, Hinterlassenschaften der Regulierung und Modernisierung hauptsächlich aus preußischer und deutscher Zeit.
Pläne zum Ausbau der Oder aber gab es schon früher. Schon 1373 wollte Kaiser Karl IV. einen Kanal bauen, der die Oder mit der Spree verbindet. Allerdings begannen die Bauarbeiten erst 1558, also knapp zweihundert Jahre später, unter der Ägide von Kaiser Ferdinand I. Fertiggestellt wurde der Kanal 110 Jahre später unter dem Großen Kurfürsten Friedrich-Wilhelm. Etwas früher, im Jahre 1605, wurde in Brandenburg der Finowkanal eröffnet, der die Alte Oder mit der Havel verband.
Nach 1740, zu Zeiten Friedrichs des Großen, und zu Beginn des 19. Jahrhunderts, wurde die Oder in Niederschlesien und der Neumark begradigt, ihr Lauf wurde verkürzt, um die Interner Link: Niederungslandschaften trocken zu legen. Gleichzeitig entstanden Deiche zum Schutz vor dem Hochwasser. In Schlesien wurde 1812 der Klodnitzkanal gebaut, der Gleiwitz mit Kosel verband. Nach den Teilungen Polens beherrschte Preußen auch die Einzugsgebiete der Warthe und der Netze. Auch diese Flüsse wurden reguliert, von nun an verbanden Kanäle das Oderstromgebiet mit der Weichsel.
Erwähnenswert ist noch, dass 1837 das erste Dampfschiff auf der Oder fuhr, ihm folgten Barken und Schleppzüge. 1843 wurde auf der Bahnverbindung Berlin-Stettin der Verkehr aufgenommen – inklusive Anschluss in den Stettiner Hafen. Der Binnenschifffahrt erwuchs ein ernster Konkurrent.
Die Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und zu Beginn der 20. Jahrhunderts hatte auch für die Oder gewaltige Folgen. Am Strom entstanden nicht nur die ersten Fabriken (Textil, Papier, Werften, Flusshäfen, Wasserkraftwerke). Es wurden auch neue Arbeiterquartiere aus dem Boden gestampft. Gefordert war nun auch eine leistungsfähigere Binnenschifffahrt. 1891 wurde der neue Oder-Spree-Kanal in Betrieb genommen, 1913 der Oder-Havel-Kanal, von 1912 bis 1917 wurde der Schifffahrtsknoten in Breslau modernisiert. Unterhalb von Widuchowa und in Stettin wurde die Oder umgebaut und ins Wasserstraßennetz in Deutschland und Nordwesteuropa integriert. Nach dem Bau der Kaiserfahrt durch Usedom (1875-1890) konnten bald auch Seeschiffe aus Swinemünde ins Stettiner Haff und bis in den Stettiner Hafen fahren.
Nach dem Ersten Weltkrieg gehörte ein großer Teil des Einzugsgebiets der Oder zum wiedergeborenen Polen, einschließlich der Kanäle in Kujawien, Großpolen und Oberschlesien. Polen begann seine Wasserstraßen auszubauen, die Deutschen modernisierten die ihren.
1926 wird im unteren Odertal zwischen Hohensaaten und Friedrichsthal die Interner Link: Hohensaaten-Friedrichsthaler-Wasserstraße (HWF) gebaut, die die Schifffahrt zwischen Berlin und Stettin unabhängig vom Wasserstand der Oder machte. Der Höhepunkt der damaligen Wasserbautechnik war die erneute Modernisierung des Oder-Havel-Kanals und der Bau des Schiffshebewerks in Niederfinow, das 1934 in Betrieb genommen wurde, und vier Schleusen ersetzte. 1939 schließlich wurde am Oberlauf der Oder der Gleiwitzer Kanal gebaut.
Das Ende des 19. und der Beginn des 20. Jahrhunderts markiert die Blüte des Seehandels in Stettin. Zum Symbol der Stadt sollte die Sedina werden, eine Allegorie der Hafenstadt Stettin, die 1889 von Kaiser Wilhelm II. enthüllt wurde. Der Viadrus, der Odergott, wurde dagegen vergessen.
Die Lage Stettins veränderte sich, als die Werft in den Jahren 1906 bis 1911 nach Hamburg verlegt wurde. Noch dramatischer wurde die Lage nach dem Ersten Weltkrieg. Anfang der zwanziger Jahren war die Arbeit an der Oder knapp. Auf der Hafeninsel Lastadie kam es zu Streiks und Demonstrationen, die von der Polizei brutal niedergeschlagen wurden. Zur Belebung der Hafenwirtschaft kam es erst wieder in den dreißiger Jahren.
Nach dem Zweiten Weltkrieg befand sich nahezu die gesamte Oder innerhalb der Grenzen Polens, außer dem Abschnitt, der die Grenze zu Deutschland bildete. Bis 1947 gab es in Polen große Bemühungen, die Grenzen weiter nach Westen zu verschieben, und sei es nur um einige Hundert Meter. Der Grund: Man wollte, dass die gesamte Oder zu Polen gehörte. Es wurde betont, dass nur so die wirtschaftlichen Interessen Polens und sein Schutz gesichert werden können. Allerdings wurden die Bestrebungen noch vor der Gründung der DDR aufgegeben.
Bis zum Ende der siebziger Jahre war das Verkehrsaufkommen auf der Oder hoch, die Flusshäfen in Kędzierzyn-Koźle, Breslau und Stettin sowie die Flusswerften in Breslau und Stettin waren ausgelastet, spezielle Schulen bereiteten die Arbeitskräfte auf die Oderschifffahrt vor. Auf der Oder wurde Kohle transportiert, sowjetisches und schwedisches Erz wurde in die Stettiner und schlesischen Hütten gebracht, dazu Kies, Getreide und Zellulose. Die Kähne verkehrten auch nach Westeuropa, und bereits in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre gab es einen regelmäßigen Frachtverkehr von Heizöl zwischen Stettin und West-Berlin.
Die Oder war also weiterhin mit dem Handel verbunden, aber auch mit der Ideologie. In der DDR wurden neue Stahlwerke in der neuen sozialistischen Stadt Eisenhüttenstadt, die sogar einmal Stalinstadt hieß, errichtet. In der sozialistischen Stadt Schwedt endeten die Rohrleitungen mit dem Namen "Freundschaft". Ähnliche Infrastrukturprojekte gab es auch in Polen, etwa das Kraftwerk "Untere Oder" bei Gryfino sowie die Kunstdüngerwerke bei Police.
In Polen haben die Krise zu Wendezeiten in den achtziger Jahren sowie die mangelnde Unterhaltung der Wasserstraßen zu einem Rückgang der Oderschifffahrt geführt. Die politische Wende 1990 und die marktwirtschaftlichen Reformen haben die Bedingungen ihrer Bewirtschaftung grundlegend geändert. Vielen Firmen gelang es nicht, sich anzupassen, sie gingen pleite. Eine besondere Umstrukturierung durchlebte die Binnenschifffahrtsreederei "Odratrans". Sie wurde nach dem Krieg als private Aktiengesellschaft in Breslau gegründet, danach verstaatlicht und 1992 wieder in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Schnell übernahm sie die Aktienmehrheit ihres Konkurrenten in Bydgoszcz und 2007 auch 72 Prozent der Aktien bei der Deutschen Binnenreederei AG. "Odratrans" ist heute führend beim Transport von Massengütern in Deutschland und in Polen, ist nach Holland expandiert und betreibt eine Flotte von tausend Frachtschiffen – eine der ganz Großen in der Europäischen Union. Seit kurzem befindet sich die Hauptverwaltung in Stettin.
Heutzutage ist die Grenzoder im Grunde ein gemeinsames deutsch-polnisches Thema. Sie ist ein Problem, das uns ganz entschieden mit dem Hochwasser von 1997 ins Bewusstsein kam. Gleichzeitig ist sie aber auch Gegenstand gemeinsamer Hoffnungen, auch wenn diese weiter auf sich warten lassen. Noch immer haben Wirtschaft und Alltagsleben zu sehr mit der Politik zu tun, kommt es vor, dass die Debatte um die Zukunft der Oder in Polen nationale Ressentiments hervorruft. Tatsächlich wartet die Grenzoder noch immer auf ein günstiges politisches Klima, obwohl deutsche und polnische Experten schon lange die wichtigen Dinge geklärt haben – zum Beispiel den Einsatz von Eisbrechern auf der Oder.
Die Oder bringt heute Kohle von Stettin nach Berlin, auch Kohle aus Polen, die zuvor nach Stettin geliefert wurde, weil es der Strom nur selten erlaubt, die Kohle auf direktem Weg mit Schiffen von Schlesien nach Berlin zu bringen. Sie bringt Kies von Bielinka nach Berlin, Container von Hamburg und Rotterdam nach Breslau, obwohl sie noch deutlich weiter transportiert werden könnten, aber das widerspricht den Vorschriften der Oderschifffahrt oberhalb von Eisenhüttenstadt.
Inzwischen haben sich die Bedingungen der Oderschifffahrt auf dem Oder-Havel-Kanal wieder verbessert, in Niederfinow wird ein neues Schiffshebewerk gebaut. Damit können auch die modernen Binnenschiffe der Rheinklasse an die untere Oder, nach Schwedt und Stettin fahren. Zumindest in diesem Abschnitt rückt die Oder etwas näher an den Rhein heran.
Das Landschaftsbild der Oder ist heute auch bestimmt von verlassenen Gebäuden, die Hinterlassenschaft des Industriezeitalters. Damals gaben sie den Menschen Arbeit, heute verlangen sie nach einer Idee, was man aus ihnen machen kann – und nach dem entsprechenden Kapital.
Die mittlere und untere Oder umfasst auch das Interner Link: Oderbuch, ausgedehnte Wiesen, sonnenbeschienene Höhenzüge. Im 18. Jahrhundert entwickelte sich hier eine besondere Form der Landwirtschaft. Auf den Anhöhen über Crossen oder Stettin gab es ausgedehnte Weinberge, während im Flachland bei Schwedt Tabak angebaut wurde. Im Odertal gab es auch Spargelplantagen, auf den sonnigen Böschungen Apfelwiesen. Auf den Feuchtwiesen des Zwischenoderlandes weideten Schafe und Rinder, zumindest vor dem Krieg. Danach eroberte sich die wilde Natur das Land zurück – und schuf das, was wir heute im Landschaftspark und Nationalpark Unteres Odertal bewundern.
Nationales Pantheon Stettin
Das Stettin der Nachkriegszeit nimmt an der Oder einen besonderen Platz ein. Es ist der Ort der blutig niedergeschlagenen Proteste im Dezember 1970 und der Massenstreiks einen Monat später. Es ist die Stadt des Augusts 1980, aus dem – neben Danzig – die Solidarność hervorging. Bei beiden Ereignissen spielten die Arbeiter der Stettiner Werft und des Hafens die Hauptrolle – oder anders gesagt: die Arbeiter der Oder.
Zu Zeiten der Volksrepublik war die Stettiner Werft eine der größten in Europa, und der Hafen Stettin-Swinemünde hatte den größten Umschlag an der Ostseeküste. Zehn Jahre hielt die Werft nach der Wende noch durch, dann ging sie pleite. Noch immer existiert dagegen die weltweit agierende Reederei "Polska Żegluga Morska".
Man muss leider feststellen, dass Stettin, obgleich an der Oder gelegen, sich vom Fluss abgewandt hat anstatt im Zusammenspiel mit ihm eine neue Vision hervorzubringen. Ganz im Gegensatz zum Meer: Stettin wollte immer eine am Meer gelegene Stadt sein. So wurde das im Krieg zerstörte Bollwerk an der Oder nicht wieder aufgebaut. An seiner Stelle entstand eine Schnellstraße, und die Werft baute Meeres-, keine Flussschiffe. Die Meereslage war en vogue, die Flusslage wurde zur Nebensache, der Blick ging über die Oder hinweg zur Ostsee. Der Fluss war nur noch ein Vorgeschmack aufs Meer. Man sagte damals, Stettin läge "an der Grenze zwischen Land und Meer", es sei ein "Tor zur Welt". Unterstrichen wurde dies durch die Namen, die den an der Oder verlaufenden Straßen gegeben wurden. Gewidmet waren sie den großen Entdeckern und Weltenumseglern: Christoph Columbus, Vasco des Gama und dem fiktiven Jan z Kolna. Der größte Teil der Straßennamen jedoch entstammt aus der Geschichte und der polnischen Mythologie. Die Oderstadt Stettin wurde symbolisch zu einer nationalen Festung ausgebaut.
Inzwischen freilich verändert die Stadt ihre Beziehung zur Oder. Zwar wurden die Straßen nicht umbenannt, und noch immer sind die Stadtteile an der Oder ein symbolischer nationaler Pantheon. Aber es gibt nur noch wenige, die dem Ganzen eine Bedeutung zumessen. Der Geist einer "Wacht an der Oder" wird jedenfalls nicht wieder wachgerufen, stattdessen werden an der Oder alljährlich Picknicks und Marketingveranstaltungen organisiert – die Wirtschaft siegt über die Ideologie. Stettin wendet sich wieder der Oder zu, es kehrt zu ihr zurück, es schätzt die Vielzahl ihrer Werte. Entscheidend dafür war das Finale der weltweiten Regatta Tall Ship Races 2007. 2013 soll das Event wieder nach Stettin zurückkehren.
Die Oderlandschaft ist eine Bühne für beeindruckende Paraden und Festivals wie die "Tage des Meeres" oder die "Tage der Oder", für Open Air-Konzerte, Feuerwerk, Theatervorführungen, ein Schiffskorso, sie ist der Ort für die Erholung am Wochenende. Man hat wieder Boulevards an der Oder gebaut und die hohen Ufermauern niedergelegt. So können sich auch die Stettiner endlich wieder ihrem Fluss nähern.
Die Oder verbindet
Die Westverschiebung der polnisch-deutschen Grenze an die Oder bedeutete gleichzeitig eine Befestigung des Flusses. Von der Lausitzer Neiße bis Pargowa wurde sie Tag für Tag unüberwindbarer. Wer sie ohne Erlaubnis überqueren wollte, begab sich in Lebensgefahr. Gleichwohl wurde die Oder in der Propaganda der Volksrepublik Polen und der DDR zum Friedensfluss.
Im Lauf der Zeit aber wurden die Einschränkungen gelockert, und wenn man eine Genehmigung hatte, konnte man die Grenze überqueren. Zum Ende der DDR gab es sogar einige Fluchten vom Westen der Oder nach Polen. Das war der ziemlich riskante Teil eines Fluchtweges über Warschau nach Westdeutschland. Schließlich konnte die Flucht auch im Arrest enden, ob in der DDR oder beim polnischen Grenzschutz.
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und der deutschen Wiedervereinigung wurden die Vorschriften wesentlich einfacher – das Interner Link: Oderland wurde zum Ort auch spontaner Kontakte zwischen beiden Ländern, auch wenn es in deutschen Grenzorten zu antipolnischen Zwischenfällen kam. Das wirkliche Symbol dieser Zeit aber stellten die Basare an der Grenze dar: in Krajnik Dolny und in Słubice, später auch in Kostrzyn und Osinów Dolny. Heute gibt es zahlreiche deutsch-polnische Kontakte über die Oder hinweg, der Verkehr geht nur so über die Brücken hin und her, all das ist das Werk der deutsch-polnischen Verträge, aber auch der Europäischen Union und des Schengen-Vertrags. Diese Regelungen ersetzen die Grenze nicht, aber sie wird auch nicht mehr zementiert, vielmehr öffnet sie sich den Bürgern. Sie setzen auch nicht die Rechtsprechung beider Länder außer Kraft, was einige Konflikte im Umgang mit dem Grenzregime zeigen. Das Schicksal der Oder als Grenze, die nach 1945 zwei Völker und Staaten getrennt hat, zwei Sprachen und Kulturen, Traditionen und Bräuche, wird umso deutlicher, je mehr diese Grenze verschwindet. Die Kulturgrenze ist dort umso spürbarer, wo die Nachkriegspolitik dieser Grenze nicht die Entwicklung zu einem Grenzland mit all dem dazugehörenden Austausch ermöglichte.
Gegenwärtig gibt es sehr viele gesellschaftliche Verbindungen über die Oder hinweg, womit sich auch das Bild der Oder als Grenzland verändert. Über viele Jahre hinweg waren die Denkmäler, die an den Zweiten Weltkrieg erinnerten, zu ihrem Symbol geworden, heute sind es die zahlreichen Gesten und der Wille, diese Grenze zu überwinden.
Die Verbindungen über die Oder, die Verbindungen über sein Wasser, sind inzwischen so zahlreich, dass es schwierig ist, sie alle zu erwähnen. Ihren Symbolwert bekamen sie von Zdzisław Morawski in einem denkenswerten und sehr poetischen Brief an Helmut Preissler. Er schrieb, dass Deutsche und Polen die Oder überwinden müssten, weil der Weg entlang der Oder ein sehr viel dauerhafterer Weg sei. Kurzum: Sie sollen selbst ihre schwierigsten Probleme der gemeinsamen Vergangenheit aufarbeiten, um eine gemeinsame Zukunft bauen zu können.
Oder sagen wir es mit einer Metapher: Selbst wenn es einmal wieder so viele Verbindungen über die Oder gäbe wie früher: Die Aufteilung der Oder in verschiedene Abschnitte wäre damit nicht beendet. Für die Städte und Regionen am Fluss ist sie immer noch kein Bindeglied, und wenn, dann zeigt es sich in Gestalt von Katastrophen und Hochwassern. Entlang der Oder gibt es noch immer keine gemeinsame Oder. In zahlreichen Städten gibt es ähnliche Unternehmungen, aber jeder organisiert sie für sich selbst.
Auch kann man die Oder nicht in ihrer ganzen Länge bereisen, was die Teilnehmer einer literarischen Reise erfahren mussten, als sie einen Teil der Fahrt nicht auf dem Schiff fortsetzen konnten, sondern an Land weiterfahren mussten. Eine Ausnahme ist das Interner Link: Oderfloß, das Flis odrzański, ein Projekt, das den ganzen Lauf der Oder von Brzeg Dolny bis nach Stettin führt. Erstmals wurde es 1996 von der Meeres- und Flussliga in Stettin durchgeführt. Die Reisen dienten dazu, die Oder besser kennenzulernen, um damit auch für sie werben zu können. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Inzwischen sind überall an der Oder kleine Anleger für Boote und Paddler entstanden, andere wurden saniert. Doch das ist erst der Anfang. Bislang schippern die meisten Ausflugsboote und Yachten nur vom Oder-Havel-Kanal bis Stettin und ins Interner Link: Oderhaff. Seit noch gar nicht allzu langer Zeit ist ihr Symbol auch der Viadrus von Güstebieser Loose, der den Weg zur Interner Link: Fähre "Ohne Grenzen", "bez granic" zeigt und den Blick dabei nach Stettin richtet. Entlang der gesamten Grenzoder hat man Hinweisschilder auf den Oder-Neiße-Radweg aufgestellt, zumindest auf der deutschen Seite. Auf der polnischen Seite ist die Zeitschrift Odra zu einer kulturellen Verbindung geworden, aber ebenso schnell hat man sich davon auch verabschiedet.
Die Entdeckung der Oder
Die Teilnehmer des Interner Link: Oderfloßes entdecken die Oder, in dem sie sich auf ihr fortbewegen. Zu dieser Kultur des Entdeckens gehören auch Künstler, und oft sind sie auch persönlich an der Oder engagiert, so wie zum Beispiel beim Projekt "Dialog loci" auf den Ruinen der Festung Küstrin, bei "Transrobota" in Stettin, bei Theaterprojekten auf der Stettiner Insel Łasztownia, in Gryfino, in Słubice und Frankfurt, in Breslau. Etwas ganz besonderes sind die virtuellen, deutsch-polnischen Kulturprojekte von Michael Kurzwelly: "Słubfurt" und "Nowa Amerika". Das erste verbindet Frankfurt und Słubice, das zweite geht um die Verbindung verschiedener Zentren, die entlang der deutsch-polnischen Grenze und damit auch an der Grenzoder liegen.
Die Städte wenden sich wieder der Oder zu. Breslau richtet seinen Blick auf die Oderinsel, auch Glogau, Crossen und Neusalz haben den Fluss wiederentdeckt. Besonders intensiv war die Debatte in Stettin als es um eine Bebauung der Oderinsel ging, inspiriert vom Beispiel der Hafencity in Hamburg.
Immer öfter zieht der Fluss auch Besucher an. In Frankfurt wurde ein Park auf der bis dahin verlassenen Insel Ziegenwerder errichtet, auch die neue Aula der Europauniversität Viadrina wurde an der Oder gebaut. In Gryfino wird eine neue Siedlung am Fluss geplant, auch das Tal der Liebe, ein Park an der Oder, wird erneuert, und immer mehr Touristen kommen ins Untere Odertal.
Nicht nur in Stettin wurde die Oder zur natürlichen Kulisse für große Events, Openair-Spektakel und Konzerte, Feuerwerk und Opernvorführungen, zum Beispiel in Breslau, oder historischer Inszenierungen wie in Wietszyce, Cigacice oder Cedynia. Auch im Internet gibt es immer mehr Projekte, die sich auf die Oder beziehen, wie Portale, Internetseiten, Fotoalben. Derzeit entsteht das Museum des Oderraums in Breslau. Es gibt Odervereine, die Mythologie der Oder wird wieder ins Leben gerufen. So wird die Oder auch zum Gegenstand einer Leidenschaft, so wie beim Jugendmusikorchester, das sich in Stettin gründete und Ode an die Oder nannte.
Bücher werden verlegt, die auch die Probleme an der Oder nicht verschweigen, wie etwa Die Oder als Kulturlandschaft aus dem Jahre 1997, dem weitere folgten wie Oder. Odra. Panorama eines europäischen Flusses. Uwe Rada schrieb die erste Biographie der Oder Die Oder. Lebensflauf eines Flusses. So entsteht langsam eine Monografie der Oder. Sie muss entstehen, weil der Fluss es wert ist. Schließlich schrieb einmal Karl Schlögel: "Die Oder ist eine Enzyklopädie. Zwischen Mährischer Pforte und Oderhaff bekommt man fast alles zu sehen, was die Welt Mitteleuropas zu bieten hat."
Die Oder fließt in Mäandern – fast hat man den Eindruck, sie ist auf der Suche nach sich selbst. Die Menschen, die an ihr leben, versuchen auch, ihrer Bedeutung auf die Spur zu kommen, was wahrlich nicht einfach ist, weil sie auch in Mäandern durch ihre Geschichte floss.
Übersetzt aus dem Polnischen von Uwe Rada
Chronologie
2. Jahrhundert: Der Geograf Ptolemäus gibt der Oder den lateinischen Namen Viadrus
966: Der polnische Herzog Mieszko I. nimmt den christlichen Glauben an.
1000: Gründung des Erzbistums Gnesen. Polen ist ein souveräner Staat.
1137: Nach dem "Glatzer Pfingstfrieden" wird Schlesien polnisch.
1163: Gründungsurkunde des Klosters Leubus. Deutsche Siedler kommen nach Schlesien.
1335: Schlesien wird böhmisch.
1506: Einweihung der Viadrina in Frankfurt (Oder) als brandenburgische Landesuniversität.
1526: Böhmen und mit ihm Schlesien werden österreichisch. Beginn der Gegenreformation.
1605-1620: Bau des ersten Finowkanals als Verbindung zwischen Havel und Oder.
1740: Friedrich II. wird König. Nach dem ersten Schlesischen Krieg ist nahezu der gesamte Oderraum in preußischer Hand.
1746-1753: Trockenlegung des Oderbruchs durch den Bau eines neuen Kanals zwischen Güstebiese und Hohensaaten.
1772: Erste Teilung Polens.
1795: Nach der dritten Teilung verschwindet Polen von der europäischen Landkarte.
1811: Verlagerung der Viadrina von Frankfurt nach Breslau.
Ab 1819: Regulierung des Oderstroms, vor allem durch den Bau von Buhnen.
1874: Gründung der Oderstrombauverwaltung des Deutschen Reiches mit Sitz in Breslau.
1890-1933: Regulierung der oberen Oder zwischen Cosel und Dyhernfurth: 26 Staustufen werden gebaut. Zwischen Dyhernfurth und Hohensaaten bleibt die Oder freifließend.
1905-1923: Ausbau des Großschifffahrtswegs Berlin-Stettin.
1918: Polen kehrt als souveräner Staat auf die europäische Landkarte zurück. Oderstädte wie Frankfurt oder Breslau werden zu "Bollwerken" gegen das Slawentum erklärt.
1939: Deutscher Überfall auf Polen. Beginn der Vertreibungen polnischer Bürger aus dem so genannten Warthegau ins "Generalgouvernement".
1945: Auf der Potsdamer Konferenz wird die Westverschiebung der polnischen Grenzen beschlossen. Oder und Lausitzer Neiße werden Grenzflüsse.
1944-1947: Vertreibung deutscher Bürger aus den ehemals deutschen Gebieten und polnischer Bürger aus den Regionen, die nun zur Sowjetunion gehören.
1950: Die DDR erkennt die Oder-Neiße-Grenze an.
1970: Warschauer Verträge zwischen der Bundesrepublik und der Volksrepublik Polen.
1972-1980: Öffnung der Grenze zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen. Erste Begegnungen zwischen ehemaligen deutschen und polnischen Vertriebenen östlich der Oder.
1990: Endgültige Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze.
2004: Beitritt Polens zur Europäischen Union
2007: Wegfall der Grenzkontrollen durch Polens Beitritt zum Schengen-Verbund.
Bogdan Twardochleb ist Historiker und Redakteur der Stettiner Tageszeitung Kurier Szczeciński. Er lebt in Stettin und ist einer der besten Kenner der Stadt, ihrer Vergangenheit und ihrer Gegenwart.
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