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Der Weg in den Krieg | Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg | bpb.de

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Der Weg in den Krieg

Hans-Ulrich Thamer

/ 61 Minuten zu lesen

Die westlichen Nationen deuteten die aggressive Außenpolitik Hitlers lange nur als Auflehnung gegen den Versailler Vertrag. Man baute auf "appeasement". So konnten die Nationalsozialisten die Jahre bis 1938 nutzen und den nächsten Krieg vorbereiten.

Benito Mussolini und Adolf Hitler salutieren bei einer Militärparade in München anlässlich des Staatsbesuchs Mussolinis. (© AP)

Einleitung

Auch in der nationalsozialistischen Außenpolitik waren Tradition und Revolution ebenso wie das Vertraute und das Unvorstellbare ineinander verzahnt. Zunächst trat das Revolutionäre, das die internationale Ordnung sprengen sollte, allerdings kaum hervor. Es verbarg sich vielmehr hinter dem Anspruch auf Revision des Versailler Vertragssystems von 1919, wie er scheinbar einstimmig von allen Parteien der Weimarer Republik vertreten worden war. Alle nationalen Vorstellungen, von der Veränderung der deutschen Grenzen über die Wiederherstellung deutscher Großmachtpositionen bis hin zu Plänen einer mitteleuropäischen Hegemonie und kolonialer Rückeroberung, die viele nationale Gruppierungen propagiert hatten, waren für Hitler und den harten Kern der nationalsozialistischen Bewegung nur Instrument. Sie waren die Maske, hinter der Hitler seine Expansions- und Lebensraumpläne versteckte, und umgekehrt gab deren schrittweise Erfüllung dem Führermythos immer neue Nahrung und festeren Bestand.

Das Eroberungsprogramm im Osten und der Gedanke eines Lebensraumkrieges waren nur die Träume einer Minderheit. Daß sie binnen kurzer Zeit zum bestimmenden Faktor der deutschen Außenpolitik und der Weltpolitik wurden, hatte viel mit der Person und Politik Hitlers, aber auch mit den innen- und außenpolitischen Bedingungen, Interessen und Wahrnehmungen zu tun, die Hitler vorfand und die er beeinflußte.

Voraussetzung dafür war einmal Hitlers Aufstieg vom Propagandisten einer völkisch-nationalistischen Protestbewegung zum Reichskanzler und charismatischen Führer, der die verschiedenen Ziele und Interessen der konservativ-nationalsozialistischen Koalition auch in der Außenpolitik in seiner Person integrierte. Voraussetzung war zum anderen die Konsequenz, mit der der Ideologe Hitler an seinem Traum vom Ostimperium festhielt. Zugleich besaß er die taktische Fähigkeit, die nationalen Ziele und Emotionen seiner Partner für seine Zwecke einzusetzen. Keiner seiner Gefolgsleute besaß die Entschlossenheit, die Hitler immer wieder zu einer Politik des Alles oder Nichts trieb. Mehr noch, die Sorge vor den immer größeren Risiken einer Politik der Vertragsbrüche und Aggressionsakte schreckte zunehmend auch die engsten Gefolgsleute einschließlich des bedenkenlosen Machtpolitikers Göring. Aber das ständige Spiel mit dem Feuer war weder der Treue der Gefolgschaft noch dem Führerkult der Massen abträglich. Jedes Mal, wenn das Regime seine Politik des Risikos und der Vertragsverletzung ohne nennenswerte internationale Gegenwehr durchsetzen konnte, ging zu Hause die Erleichterung in eine noch größere Bewunderung der scheinbaren politischen Genialität Hitlers über. Das brachte, sofern sie nicht schon vorhanden war, die Zustimmung der alten Machteliten und des nationalen Bürgertums. Für Hitler war das jeweils nur die Plattform für den nächsten Schritt.

Denn die dogmatische Fixierung auf einen Krieg, der in der Terminologie Hitlers der Eroberung von "Lebensraum" und der Vernichtung von angeblichen "Rassefeinden" dienen sollte, hatte wenig mit den Emotionen und Zielen des allgemein verbreiteten deutschen Nationalismus zu tun, auch wenn Hitler und seine Führungsgehilfen sich scheinbar zu dessen glühendsten Verfechtern und erfolgreichen Exekutoren machten. Während sich das Denken und Handeln vieler seiner Gefolgsleute zunächst in den Bahnen des überkommenen Nationalismus und wilhelminischen Imperialismus bewegte, waren für Hitler solche Konzepte und ihre Träger nur Mittel zum Zweck. Daß er seine Herrschaftsziele und außenpolitischen Absichten Schritt für Schritt zu einem großen Teil verwirklichen konnte, war nicht nur seinem taktischen Geschick und seinem dogmatischen Willen zuzuschreiben. Es lag auch an der Kooperationsbereitschaft und der Loyalität der traditionellen Führungsgruppen in Militär, Bürokratie und Wirtschaft sowie zu einem nicht geringen Teil an den ungewöhnlich günstigen internationalen Konstellationen und Entwicklungen, die Hitler für sich zu nutzen verstand.

Als mit dem Ende der Reparationsverpflichtungen und der Anerkennung militärischer Gleichberechtigung im Sommer 1932 zwei Bestimmungen des Versailler Vertrages gefallen waren, hatte das Deutsche Reich bereits vor der nationalsozialistischen Machtübernahme einen größeren außenpolitischen Handlungsspielraum erhalten. Hinzu kam als Folge der Weltwirtschaftskrise eine zunehmende Destabilisierung des internationalen Systems, indem die kollektiven Konfliktregelungsmechanismen immer brüchiger wurden und jeder Staat nur noch auf sein eigenes ökonomisches Überleben fixiert war. Diese Labilität mußte die "politischen Habenichtse" im Kreis der Mächte, die sich bislang von der internationalen Ordnung zurückgesetzt fühlten, zur Verwirklichung ihrer machtpolitischen Begehrlichkeiten geradezu einladen.

Das Prinzip der kollektiven Sicherheit war bereits geschwächt durch den Einfall der Japaner in die Mandschurei und ihren Austritt aus dem Völkerbund im März 1933, der keine nachteiligen Folgen für Japan gehabt hatte. Das nationalsozialistische Deutschland verstärkte nun den Druck der revisionistischen Mächte und trug damit zur weiteren Gefährdung der internationalen Stabilität bei.

Programmatische Ziele

Diesen günstigen Ausgangsbedingungen für Hitlers Außenpolitik standen weniger günstige gegenüber. Zunächst herrschte nach Hitlers Regierungsübernahme in aller Welt Beunruhigung. Sie resultierte weniger aus seinem Antisemitismus oder aufgrund der inneren Maßnahmen gegen die Kommunisten und andere politische Parteien, sondern vielmehr daraus, daß eine Partei an die Macht gekommen war, die als Speerspitze des deutschen Revisionismus galt. Hitler werde die internationalen Verträge zerreißen, Deutschland aufrüsten und Österreich an das Deutsche Reich anschließen wollen, so befürchteten die europäischen Nachbarn. Allerdings hofften auch einige ausländische Politiker und Diplomaten, daß die Regierungsverantwortung Hitler zur Mäßigung veranlassen würde.

Es kam also für die Regierung Hitler alles darauf an, in der ersten kritischen Phase der Außenpolitik die tatsächlichen Ziele zu verschleiern. Es sollte der Eindruck erweckt werden, daß es überhaupt keine spezifische nationalsozialistische Außenpolitik gäbe, sondern nur die Fortsetzung der herkömmlichen Weimarer Revisionspolitik. Der Verschleierungsstrategie Hitlers kam entgegen, daß auch von deutschnationaler Seite Vorkehrungen getroffen waren, um die Kontinuität in der Außenpolitik zu wahren. Nicht nur Außenminister Konstantin Freiherr von Neurath (1873–1956) und sein Staatssekretär Bernhard Wilhelm von Bülow blieben im Amt, auch der außenpolitische Apparat sollte freie Hand behalten.

Staatssekretär von Bülow, der sich sicher gab, daß "die außenpolitische Tragweite des Regierungswechsels" gering war, formulierte in einer Denkschrift noch einmal die außenpolitischen Ziele, wie sie die Präsidialkabinette seit 1930 verfolgt hatten. Es war das Programm einer Revisionspolitik mit dem Ziel einer baldigen Wiederherstellung deutscher Großmacht, die im Unterschied zur Politik von Außenminister Gustav Stresemann (1878–1929) in der Weimarer Republik zwar einen aggressiveren Stil wählte, sich dabei aber weiterhin an internationale Verträge und Konventionen gebunden fühlte. Der Weg zurück zur Großmacht sollte über eine möglichst rasche wirtschaftliche und militärische Stärkung des Deutschen Reiches führen. Es sollte dadurch in die Lage versetzt werden, seine territorialen Ziele, nämlich den Anschluß Österreichs und die Wiedergewinnung der verlorenen Kolonien, zu erreichen und somit die politische Stellung wiederzugewinnen, die es vor 1914 besessen hatte.

Hitler hatte seine außenpolitischen Vorstellungen nach der Machtübernahme erstmals am 3. Februar 1933 in seiner Ansprache vor Generälen der Reichswehr formuliert. Darin gab er nicht nur der Armeeführung mit verblüffendem Freimut zu erkennen, daß er Politik mit hohem Risiko zu betreiben gewillt war. Er kündigte vielmehr an, in mehreren Stufen die "Eroberung neuen Lebensraumes im Osten" und dessen "rücksichtslose Germanisierung" vorbereiten und durchführen zu wollen. Zunächst sei eine vollständige innenpolitische Umgestaltung Deutschlands mit dem Ziel einer "Ausrottung des Marxismus" und einer "Stärkung des Wehrwillens" erforderlich. Alle anderen außen-, wirtschafts- und wehrpolitischen Maßnahmen müßten diesem einen Ziel untergeordnet werden. Deswegen müsse auch die Revisionspolitik einschließlich der Beteiligung an der Abrüstungspolitik des Völkerbundes vorläufig fortgeführt werden, um die Abschirmung der eigentlichen Aufrüstungs- und Eroberungspolitik zu gewährleisten.

Hitlers Postulat der "Wiedererreichung der politischen Macht" interessierte die Militärs vor allem deswegen, weil es mit dem "Aufbau der Wehrmacht" verbunden war, und das entsprach den eigenen Interessen und Planungen. Denn sowohl 1928/29 als auch 1932 hatte die Reichswehrführung schon geheime Aufrüstungsprogramme aufgestellt. Sie entwickelten trotz des Planungsstadiums, indem sie sich noch befanden, eine eigene militärpolitische Dynamik und hätten über kurz oder lang eine neue Regierung weitgehend binden und außenpolitisch zu einer Revision der Militärartikel des Versailler Vertrages führen müssen.

In seiner Ansprache entwickelte Hitler in Grundzügen das, was er in seinen Reden und vor allem in seiner Programmschrift "Mein Kampf" seit der Mitte der zwanziger Jahre vorgetragen hatte. Allerdings deutete er vor den Offizieren seine eigentlichen Fernziele, nämlich die Eroberung der Sowjetunion und die Errichtung einer rassistisch begründeten Weltherrschaft, nur sehr vage an. Über die Formulierung dieser programmatischen Kernelemente hinaus besaß Hitler wenig Vorstellungen davon, wie diese Ziele tatsächlich zu erreichen wären. Allenfalls die taktischen Regeln und die entsprechende Flexibilität in der Verfolgung der Ziele wurden deutlich und ließen die Überlegenheit des politischen Propagandisten und Taktikers Hitler gegenüber den Generälen erkennen, die relativ starr an der Durchsetzung ihrer Aufrüstungspolitik festhielten.

Erste Schritte

Das taktische Geschick Hitlers, das ihn von seinen politischen Bündnispartnern unterschied, wurde erkennbar, als sein Wirtschaftsminister Hugenberg aus seinen Forderungen nach deutschem Siedlungsraum im Osten und auf Kolonien in Übersee selbst auf der Londoner Weltwirtschaftskonferenz keinen Hehl machte. Damit nährte er in England für lange Zeit die Vorstellung, daß die konservativen "Preußen" in der neuen Regierung mehr zu fürchten seien als der gemäßigtere und verbindlichere "Österreicher" Hitler, der sich allerdings nur mit der öffentlichen Formulierung seiner außenpolitischen Ziele zurückhielt.

Darüber hinaus stellte er in seiner ersten großen außenpolitischen Rede vor dem Reichstag am 17. Mai 1933 den Nationalsozialismus sogar als eine Bewegung dar, die einzig auf den Frieden verpflichtet sei. Er wolle die bestehenden Verträge achten und nur auf dem Verhandlungswege eine Revision des Versailler Vertrages anstreben. Im Kabinett hatte Hitler schon im April das taktische Prinzip vertreten, Deutschland müsse überall da eine politische Stütze suchen, wo sie sich fände. Ein erster Schritt in diese Richtung war die überraschende Entscheidung, die bisherige deutsch-sowjetische Zusammenarbeit auf allen Gebieten fortzusetzen. Zwischen der Verfolgung der Kommunisten im Inneren und den Beziehungen zur UdSSR nach außen wollte Hitler einen deutlichen Unterschied machen. Auf die Unterzeichnung eines deutsch-sowjetischen Kreditabkommens am 25. Februar 1933 folgte darum die Verlängerung des Freundschafts- und Nichtangriffsvertrages mit der UdSSR am 4. April 1933.

Wandel der Polenpolitik

Noch überraschender war die veränderte Politik gegenüber Polen, das in der Weimarer Republik nach Meinung aller Parteien Zielpunkt der Revisionsbemühungen gewesen war. Nach einer anfänglich propagandistischen Eskalation der Konflikte zwischen Polen und der Regierung Hitler verstärkten sich seit dem Frühsommer 1933 die Anzeichen für eine Wende im deutsch-polnischen Verhältnis, die von Hitler ausging. Wieder waren es taktische Motive, die ein vorübergehendes "Einfrieren der Revisionsforderungen gegenüber Polen" (Ludolf Herbst) angeraten sein ließen. Darum konnte Hitler in einem Gespräch mit dem polnischen Gesandten auch durchaus auf die gemeinsame Gegnerschaft gegenüber der Sowjetunion hinweisen und daran die Zusage anschließen, die Existenzberechtigung Polens anzuerkennen.

Zwar erkannte die polnische Seite durchaus die taktischen Hintergedanken der deutschen Regierung, doch fühlte man sich in Warschau von Frankreich im Stich gelassen und ergriff deswegen nach einigem Zögern die Chance eines Nichtangriffspaktes mit dem Deutschen Reich, der am 26. Januar 1934 in Berlin unterzeichnet wurde. Darin verpflichteten sich beide Seiten, "sich in den ihre gegenseitigen Beziehungen betreffenden Fragen, welcher Art sie auch sein mögen, unmittelbar zu verständigen" und auf "jede Anwendung von Gewalt zu verzichten". Eine Revision war damit freilich nicht ausgeschlossen, und Hitler stellte gegenüber dem polnischen Gesandten einen Tag nach der Unterzeichnung des Vertrages fest, daß darin nach seinem Verständnis auch eine "mögliche Grenzverschiebung" eingeschlossen sei.

Austritt aus dem Völkerbund

Der spektakuläre Vertragsabschluß bedeutete außenpolitisch eine Abkehr von der bisherigen Linie der konservativen Revisionspolitik, die im Bündnis mit der Sowjetunion zu Veränderungen im internationalen System kommen wollte. Innenpolitisch leitete der Polen-Pakt die schrittweise Entmachtung des Auswärtigen Amtes ein. In der deutschen Propaganda feierte man den Überraschungscoup als Beleg für Hitlers Beteuerung, an Stelle einer kollektiven Sicherheitspolitik eine bilaterale Ausgleichspolitik mit den Nachbarn treiben zu wollen. Das war die neue Linie der nationalsozialistischen Außenpolitik, die zuvor mit dem Austritt aus dem Völkerbund am 14. Oktober 1933 zum ersten Mal ihr wahres Gesicht gezeigt hatte. Denn das war nicht nur eine Politik mit hohem Risiko, sondern eine Absage an das System kollektiver Vertrags- und Konfliktregelungen.

Gerechtfertigt wurde diese Abkehr von der Außenpolitik der Weimarer Republik mit der Haltung der Westmächte bei den Genfer Abrüstungsverhandlungen. Unter dem Eindruck der illegalen militärischen und halbmilitärischen Aktivitäten bzw. des politischen Terrors durch SA und SS hatte vor allem Frankreich in Genf hinhaltend reagiert, als es um die Frage der konkreten Ausgestaltung der bereits 1932 grundsätzlich gewährten deutschen Gleichberechtigung ging. Sie hätte nämlich sowohl eine Abrüstung der anderen Mächte als eine moderate Aufrüstung Deutschlands mit dem Ziel des Rüstungsgleichstandes umfassen können.

Nach langen Verhandlungen schwenkte England schließlich auf die Linie Frankreichs ein und gestand eine internationale Abrüstung erst nach einer vierjährigen deutschen Bewährungsphase unter internationaler Kontrolle zu (was die bisherige Tarnung der deutschen Aufrüstungsprogramme aufgedeckt hätte). Dies lieferte der deutschen Delegation den Vorwand für einen Abbruch der Verhandlungen, den sie schon lange gesucht hatte. Seine auch von den deutschnationalen Regierungspartnern unterstützte Entscheidung vom 14. Oktober 1933, mit der Abrüstungskonferenz auch gleich den Völkerbund zu verlassen, bescherte Hitler nicht nur einen propagandistischen Erfolg. Er fand auch den gewünschten Anlaß, um die Aufrüstung voranzutreiben.

Dem neuen Stil nationalsozialistischer Außenpolitik entsprach es, daß nach dem Austritt aus dem in Deutschland ohnehin unpopulären Völkerbund sofort die Auflösung des Reichstages und die Ausschreibung von Neuwahlen zum 12. November beschlossen wurde. Das sollte dem nationalsozialistischen Regime zusätzlich eine plebiszitäre Legitimation verschaffen.

Durch Massenappelle wurde das Land in eine nationale Hochstimmung versetzt, und Hitler konnte sich nun als die entscheidende Figur in der deutschen Außenpolitik darstellen. Die Abstimmung war ein Sieg der nationalen Tradition, die sich Gleichberechtigung nur als militärische Gleichberechtigung vorstellen konnte. Sie war aber auch ein Ausdruck der wachsenden innenpolitischen Einschüchterung durch Terror und Propaganda, was die Wahl zur Farce machte. Bei der Reichstagswahl stimmten von 45 Millionen Wahlberechtigten 39 Millionen der nationalsozialistischen Einheitsliste zu. 95 Prozent der abgegebenen Stimmen votierten mit Ja für die Entscheidung der Regierung. Was von der nationalsozialistischen Propaganda als "Wunder der deutschen Volkswerdung" gefeiert wurde, bedeutete außenpolitisch zunächst eine stärkere Isolierung des NS-Regimes.

Putsch in Österreich

Noch unmittelbarer brach das nationalsozialistische Moment in den Beziehungen zu Österreich durch. Entsprechend drastisch und risikoreich waren die Folgen der Politik. Der Traum von einem vereinten und starken "Großdeutschland" gehörte zu den frühesten Vorstellungen Adolf Hitlers und war wesentlicher Bestandteil aller deutschen Revisionserwartungen. Für Hitler und die NSDAP konnte die nationalsozialistische Revolution in Österreich nur auf demselben Wege wie in Deutschland und unter Ausnutzung der im Reich errungenen Machtpositionen zum Sieg gebracht werden, um dann die populäre Idee des Anschlusses zu verwirklichen. Auch in Österreich war in den verschiedensten politischen Lagern der Anschlußgedanke verbreitet. Aber die Vorstellung, daß dieser nun als Anschluß an ein nationalsozialistisches diktatorisches Regime durchgeführt werden könnte, weckte in sozialistischen wie in national-klerikalen Kreisen Österreichs eher Ablehnung als Zustimmung.

Seit 1933 wurden die österreichischen Nationalsozialisten propagandistisch und finanziell massiv aus dem Reich unterstützt. Die österreichische Regierung reagierte mit Protesten auf diese Einmischung in die Innenpolitik eines Nachbarstaates. Diesen Protesten schlossen sich Frankreich, England und auch das faschistische Italien an. Das NS-Regime antwortete darauf bereits im Mai 1933 mit einer Reisesperre gegen das Touristenland Österreich, indem jede Ausreise mit einer Gebühr von Tausend Reichsmark belegt wurde. Österreich reagierte wiederum mit der Einführung eines Visumzwangs und traf damit vor allem den kleinen Grenzverkehr österreichischer und deutscher Nationalsozialisten. Diese antworteten mit einer Attentatswelle, deren Urheber immer wieder nach Bayern flüchteten.

Die österreichischen Nationalsozialisten standen vor einem ähnlichen Dilemma wie Hitler am 9. November 1923. Vorerst widersetzten sich konservativ-nationale Kräfte dem nationalsozialistischen Aufstieg zur Macht. Als der österreichische Bundeskanzler Engelbert Dollfuß (1892–1934) seit dem Februar 1934 den Ausbau seines autoritären Ständestaates durch die blutige Unterdrückung der politischen Linken fortsetzte, fühlten sich in der spannungsgeladenen innenpolitischen Atmosphäre die Nationalsozialisten herausgefordert. Am 25. Juli 1934 ermordeten sie den Bundeskanzler. Doch ihr Putsch scheiterte an der drohenden Haltung Mussolinis, die Hitler schließlich statt einer unterstützenden Intervention zugunsten der österreichischen Nationalsozialisten einen sofortigen Rückzug ratsam erscheinen ließ. Die deutsche Beteiligung war unverkennbar, doch nun zog sich Hitler ganz auf die Staatspolitik zurück und bestritt jede Verbindung mit der Parteiaktion. Die Mehrgleisigkeit nationalsozialistischer Politik hatte sich als politisches Instrument in dieser Aktion nicht bewährt, und das Verhältnis zum faschistischen Italien war vorerst gestört. Damit wurde deutlich, daß weniger die Ideologie als das machtpolitische Kalkül das Verhältnis der beiden Staaten bestimmte.

Herausgeholfen aus der mißglückten Affäre hat Hitler ein Vermittler, der sich schon in anderen Situationen als Helfer angeboten hatte: der frühere Reichskanzler Franz von Papen. Selbst der Umstand, daß wenige Wochen zuvor sein engster Mitarbeiter einer staatlichen Mordaktion zum Opfer gefallen war und er seine Vizekanzlerschaft verloren hatte, hinderte ihn nicht daran, als Sonderbotschafter Hitlers nach Wien zu reisen, um dort, wie in Rom, beschwichtigend zu wirken. Der Sommer 1934 brachte das nationalsozialistische Regime sowohl aus innenpolitischen als auch aus außenpolitischen Gründen insgesamt in eine labile Situation. Die blutige Mordaktion vom 30. Juni 1934 (Röhm-Affäre) und die außenpolitische Isolierung zwangen Deutschland zum vorsichtigen Taktieren, was bei nicht wenigen Akteuren die Illusion einer Mäßigung des NS-Regimes entstehen ließ. Hitlers Handlungsspielraum zwischen politischer Abschirmung einerseits und einer weiteren Machtausdehnung bzw. Aufrüstung andererseits war vorerst sehr eng.

Der französische Versuch, unter dem Eindruck der Ereignisse des Sommers 1934 mit diplomatischen Mitteln zu einer gemeinsamen Haltung der Westmächte und der östlichen Nachbarn Deutschlands gegenüber der nationalsozialistischen Herausforderung zu kommen, setzte auf die Wiederherstellung und Erweiterung der alten Bündnisbeziehungen zu den Ländern Südost- und Ostmitteleuropas. Auch die UdSSR wurde in die diplomatische Offensive einbezogen, was Moskau mit dem Eintritt in den Völkerbund und mit der Unterzeichnung des französisch-sowjetischen Beistandspaktes am 2. Mai 1935 beantwortete. Doch die machtpolitischen und ideologischen Interessengegensätze sowie die inneren Schwächen dieser Mächtekonstellation waren unüberbrückbar und führten dazu, daß der Gedanke einer großen Koalition gegen den Nationalsozialismus, die in der kommunistischen Propaganda bald als antifaschistische Koalition bezeichnet wurde, bloße politische Rhetorik blieb.

Ausbruch aus der Isolierung

Bis zum Beginn des Jahres 1936 sollte sich an der internationalen Isolierung des nationalsozialistischen Deutschland nichts ändern. Den Weg zurück zur außenpolitischen Handlungsfreiheit fand nicht Hitler, er wurde ihm durch die Manöver der Gegenseite eröffnet. Der einzige außenpolitische Erfolg dieser Phase des Wartens und der erzwungenen Zurückhaltung fiel Hitler in den Schoß, als die Westmächte in Erfüllung einer Bestimmung des Versailler Vertrags eine Volksabstimmung über das künftige Schicksal der Saar zuließen. Am 13. Januar 1935 sprachen sich 91 Prozent der Bevölkerung dabei für die Wiedervereinigung mit Deutschland aus. Trotz der verzweifelten antifaschistischen Kampagnen der politischen Linken, die sich an der Saar noch frei betätigen konnten, zählte für eine übergroße Mehrheit der Saarländer das nationale Bekenntnis mehr als der Verlust der politischen Freiheit, der sie im nationalsozialistischen Reich erwartete. Dem Regime brachte das den ersehnten Popularitätsgewinn, und Hitler zögerte nicht, die Abstimmung als persönlichen Erfolg im Kampf gegen den Versailler "Schandvertrag" auszugeben.

Die nationalpolitische Zustimmung gab auch die Rückendeckung für einen ersten politischen Überraschungs-Coup, dem weitere folgen sollten. Am 16. März 1935 führte das NS-Regime unter Verletzung internationaler Verträge die allgemeine Wehrpflicht ein und gab das offizielle Startzeichen für den bis dahin verschwiegenen Ausbau der Luftwaffe. Die neue Wehrmacht sollte eine Friedensstärke von 36 Divisionen und 550.000 Mann besitzen. Dieser Schritt lag in der Logik der Aufrüstungsplanungen, die von der Reichswehr längst vorangetrieben worden waren. Der Tatbestand des Vertragsbruchs wurde propagandistisch mit einem glanzvollen militärischen Zeremoniell am 17. März, dem "Heldengedenktag", überspielt, bei dem die preußische Tradition in einem Festakt in der Staatsoper Berlin beschworen wurde.

Hitlers Vertragsbruch verstärkte zunächst die westeuropäischen Bemühungen um eine gemeinsame Front zur Eindämmung der deutschen Herausforderung, an der seit dem Februar 1934 vor allem der französische Außenminister gearbeitet hatte. Die drei Mächte England, Frankreich und Italien bekannten sich am 14. April 1935 mit der Erklärung von Stresa (aus Anlaß der Verletzungen des Versailler Vertrags durch das nationalsozialistische Deutschland) zur Erhaltung des internationalen Status quo und drohten Deutschland mit Interventionen, die der Vertrag von Locarno (vgl. auch Informationen zur politischen Bildung Nr. 261, "Weimarer Republik") bot. Doch sowohl Mussolinis Expansionsgelüste in Äthiopien als auch die britische Politik, die sich mit dem Gedanken trug, Hitler durch Zugeständnisse zu zügeln, sorgten dafür, daß die Stresa-Front schon bröckelte, bevor sie überhaupt besiegelt worden war.

In dieser Absicht, Hitler durch Zugeständnisse zu zügeln, kamen der britische Außenminister John Allsebrook Simon und Lordsiegelbewahrer Anthony Eden nach Berlin, wo ihnen Hitler den Abschluß eines Flottenpaktes vorschlug, der nur die Vorstufe für ein weitergehendes globales Bündnis sein sollte. Hitlers Hinweis auf die weit vorangeschrittene Luftrüstung des Reiches, die zu diesem Zeitpunkt nur ein Bluff war, ließ die Besucher in Verhandlungen über einen Flottenpakt einwilligen. Hitler ernannte seinen treuen Parteigänger Joachim von Ribbentrop (1893-1946) zum Sonderbotschafter in London.

Vertrag mit England

Er sollte das "Bündnis mit England" vorbereiten und entsprechend starr und undiplomatisch gab sich Ribbentrop bei seinen ersten Gesprächen in London. Keinen konkreten Plan, sondern ein Angebot mit "welthistorischer Bedeutung" wollte er den irritierten britischen Gesprächspartnern unterbreiten: Eine weltpolitische Aufgabenteilung von Land- und Seemacht, ein Bündnis mit England, um gegenüber der Sowjetunion "freie Hand" für eine deutsche Expansion und für einen Kreuzzug gegen den Bolschewismus zu bekommen. Doch Ribbentrop war nicht nur die Stimme Hitlers. In der Unnachgiebigkeit seines Auftretens schwangen auch eigene antibritische Ressentiments mit, die sich eigentlich mit Hitlers Bündnisvorstellungen schwer vertrugen. Nach der anfänglichen britischen Drohung, die Verhandlungen abzubrechen, war diesen dann doch Erfolg beschieden. Man einigte sich darauf, daß die britische und die deutsche Überwasserflotte ein Stärkeverhältnis von 100 zu 35 besitzen sollte und Deutschland auch dann an diese Vereinbarung gebunden wäre, wenn dritte Mächte auf See aufrüsten würden.

Hitler bezeichnete den Vertragsabschluß vom 18. Juni 1935 als den "glücklichsten Tag seines Lebens", schließlich hatte er damit von einer der Siegermächte des Ersten Weltkriegs die Zustimmung für eine Aufrüstung erhalten, die weit über die im Versailler Vertrag vorgesehenen Rüstungsbeschränkungen ging. Dafür nahm er in Kauf, daß man in London meinte, mit der Festlegung der Rüstungsparitäten ein Modell gefunden zu haben, das zur Grundlage für eine sehr viel umfassendere internationale Regelung werden und das die deutsche Aufrüstung kalkulierbarer machen könnte. Hitler hingegen dachte nur an eine bilaterale Vereinbarung.

Auch wenn man in London weit davon entfernt war, auf Hitlers Angebote einer deutsch-britischen Herrschaft über Europa einzugehen, sah man in einer Rüstungskontrolle, wie sie das Flottenabkommen vorsah, eine Entlastung in einem potentiellen Konfliktbereich. Das war für die britische Politik angesichts der Belastungen, die der ostasiatische Schauplatz mit dem aggressiven Japan bereitete, nicht unwichtig und schien im Augenblick eine vernünftige Alternative gegenüber einer Politik der Konfrontation zu sein. Dahinter stand ein nüchternes Kalkül, das auch die spätere Appeasement-Politik bestimmen sollte. Man wußte um die eigenen Schwächen in der Rüstung und um die öffentliche Meinung, die Arbeit und Brot verlangte anstelle weiterer militärpolitischer Belastungen. Darum suchte die britische Regierung Zeit zu gewinnen, freilich um den hohen Preis eines Bruches der europäischen Solidarität und der Sanktionierung skrupelloser Vertragsbrüche durch Deutschland.

Abessinien-Krieg Mussolinis

Während London testen wollte, ob sich das nationalsozialistische Deutschland nach diesem ersten Vertragsabschluß in eine kollektive Ordnung einfügen lassen wollte, war es Mussolini, der im Herbst 1935 die antinationalsozialistische Front von Stresa weiter zerstörte. Im Windschatten der politischen Spannungen, die von Hitlers aggressiver Politik der Vertragsrevision ausgingen, betrieb Mussolini Eroberungspolitik auf eigene Faust, indem er am 2. Oktober 1935 auf einer sorgfältig inszenierten Massenkundgebung Äthiopien den Krieg erklärte. Nicht nur die schrillen nationalistisch-imperialistischen Töne, die bei dieser gelenkten Massenmobilisierung erklangen, sondern auch die rassistischen Elemente in der Kriegsführung Italiens machten den Feldzug zu einem faschistischen Krieg.

Der Handlungsspielraum, den die Diktatur Mussolinis durch einen wachsenden politischen Konsens im Innern besaß, wurde dadurch vergrößert, daß die Widersprüche und Interessengegensätze Europas nur zu einer sehr halbherzigen internationalen Reaktion auf den Angriff gegen das Völkerbundmitglied Äthiopien (Abessinien) führten. Die mangelnde Entschlossenheit, mit der die Westmächte auf die Verletzung des internationalen Ordnungssystems reagierten, mußte auch für Hitler aufschlußreich sein. Konnte Mussolini indirekt darauf setzen, daß die Existenz Hitlers Franzosen wie Engländer zum nachsichtigen Umgang mit dem faschistischen Italien veranlaßte, so fand Hitler endlich einen Weg aus der außenpolitischen Isolierung. Er konnte die Schwächen des internationalen Systems und der westlichen Demokratien noch schonungsloser ausnutzen, als dies Mussolini getan hatte.

Rheinland-Besetzung

Während sich alle Aufmerksamkeit auf den Abessinien-Konflikt richtete, ließ Hitler am 7. März 1936 die entmilitarisierte Zone des Rheinlandes besetzen. Obwohl die Regierungen in Europas Hauptstädten davon nicht überrascht sein konnten, schauten sie lediglich zu. Die starken Worte, die aus Paris und aus dem Völkerbund kamen, konnten nicht darüber hinwegtäuschen, daß Hitler die internationale Situation zu einem Vertragsbruch genutzt hatte, ohne auf entschiedene Gegenwehr zu stoßen.

Die deutsche Regierung hatte die Besetzung der entmilitarisierten Zone des Rheinlands offenbar schon seit dem Frühjahr 1935 als nächste Etappe ihrer Außenpolitik anvisiert. Angesichts der voranschreitenden Aufrüstung und der strategischen Planungen der Militärs erschien den Nationalsozialisten ein solcher Schritt unausweichlich, wenn Hindernisse für den militärischen Konfliktfall abgebaut werden sollten. Vor dem Hintergrund der nach wie vor bestehenden militärischen Schwäche des Deutschen Reiches war ein solcher Schritt nach Meinung führender Militärs und Diplomaten im Auswärtigen Amt nur auf dem Verhandlungswege zu erreichen. Denn das Risiko einer militärischen Aktion war ihnen zu hoch.

Doch hatte sich im Laufe des Jahres 1935 die internationale politische Situation so entwickelt, daß Hitler im Februar 1936 den "psychologischen Augenblick" für eine deutsche Aktion gegen diese als Einschränkung der deutschen "Wehrhoheit" empfundenen Regelungen des Versailler Vertrages und des Locarno-Paktes gekommen sah. Die Unterzeichnung des sowjetisch-französischen Beistandspaktes vom 2. Mai 1935 hatte die deutsche Propaganda bereits als "Bruch" des Locarno-Paktes bezeichnet. Die Entwicklung des Abessinien-Krieges inspirierte die nationalsozialistische Führung zu weiteren außenpolitischen Plänen: "Nur ordentlich streiten", notierte Goebbels am 6. September 1935 in sein Tagebuch. "Unterdeß streifen wir die Ketten ab." Inzwischen hatte Hitler in Rom sondieren lassen, ob Mussolini nicht auch bereit sei, den sowjetisch-französischen Beistandspakt zum Anlaß zu nehmen, seinerseits Locarno zu kündigen, "worauf dann Deutschland folgen würde". Zwar war Mussolini nicht bereit, den Vorreiter zu spielen, doch er versicherte der deutschen Seite, daß "jede politische oder diplomatische Opposition Italiens" im Falle einer deutschen Kündigung des Locarno-Paktes ausgeschlossen sei. Als am 27. Februar 1936 die französische Nationalversammlung den Pakt mit Moskau ratifizierte, wollte Hitler nicht länger warten.

Am 2. März erhielten die Oberbefehlshaber der Wehrmacht den Befehl zum Einmarsch, doch sollte nur eine bescheidene Streitmacht von insgesamt drei Bataillonen in das linksrheinische Gebiet vorstoßen und die Städte Aachen, Trier und Saarbrücken erreichen, während das Gros der Truppen rechts des Rheins verblieb. Zu groß war noch die Unsicherheit über die Reaktion der beiden Westmächte. Generäle und Politiker waren sich des Risikos des politischen und militärischen Vertragsbruchs bewußt. Sie wußten um die militärische Überlegenheit der französischen Seite, und auch Hitler war an diesem Wochenende, das er zu seinem Überraschungsschlag nutzen wollte, sehr nervös. Die deutschen Truppen hatten zwar keinen ausdrücklichen Rückzugsbefehl für den Fall eines militärischen Eingreifens Frankreichs, aber Reichskriegsminister Werner von Blomberg (1878–1946) hatte sich für "jede militärische Gegenmaßnahme", die von deutscher Seite erforderlich werden sollte, die Entscheidung vorbehalten. Die ersten Reaktionen aus Paris und London ließen in der Tat solche Maßnahmen befürchten, und Hitler schien für einen Augenblick geneigt, den Rückzugsbefehl zu geben. Es war ausgerechnet Außenminister von Neurath, der das Unternehmen von Anfang an skeptisch beurteilt hatte, der nun beruhigte. "Jetzt sind mer drinne und bleibet drinne".

Daß Hitler mit seinem riskanten Spiel "durchkam", lag wieder einmal an der mangelnden Geschlossenheit der westlichen Mächte. Schon am Vorabend der Rheinland-Besetzung war zu erkennen, daß weder London noch Paris zu einer militärischen Reaktion bereit sein würden. In Frankreich fand ein heftiger Wahlkampf statt, bei dem ein Sieg der Volksfrontkoalition zu erwarten war. Die Übergangsregierung von Albert Sarraut wollte daher keine einschneidenden Beschlüsse mehr fassen, und der Ministerpräsident beschränkte sich darum auf starke Worte. Das britische Kabinett hatte schon 1935 festgelegt, daß eine Militarisierung des Rheinlandes kein vitales Interesse Großbritanniens berührte.

Zudem lockte Hitler in seiner Reichstagserklärung vom 7. März, die ganz auf Beschwichtigung angelegt war, mit einem scheinbar ganz auf die Interessen und Erwartungen Großbritanniens angelegten neuen Plan einer kollektiven Sicherheitsordnung in Europa. Schließlich versprach Hitler: Er wolle in Zukunft auf territoriale Forderungen in Europa verzichten. Am 9. März erklärte Anthony Eden im Unterhaus, der deutsche Schritt habe die internationale Lage zwar belastet, aber es liege kein Anlaß vor, in ihm eine Bedrohung zu sehen. Nur der Oppositionspolitiker Winston Churchill (1874–1965), der schon damals vor einem Zurückweichen vor der deutschen Aggression warnte, hat die Haltung der beiden Westmächte zutreffend beschrieben und kritisiert: "Wenn die Franzosen zögerten, etwas zu unternehmen, dann würden ihre britischen Verbündeten nicht zögern, davon abzuraten."

So verlief alles nach dem Muster der letzten Krise, auf den Coup folgten starke Worte und Drohungen, eine Kette von Konsultationen und Konferenzen, aber sonst nichts. Und auch die deutschen Angebote blieben ein Stück Papier, denn die Aufrüstung ging nun unter Einbeziehung der Grenzlande im Westen energisch weiter.

Volksabstimmung

Der Beifall und die Blumen, mit denen die junge Wehrmacht bei ihrem Einmarsch in die Rheinlande von der Bevölkerung überschüttet wurden, deuteten auf die Zustimmung zu der risikoreichen Aktion hin. Nichts war populärer als ein Erfolg in der Revision des Versailler Systems, und nichts war besser geeignet, den "Führer"-Mythos und die Stabilität des Regimes zu steigern. Darum verkündete Hitler mit dem Einmarsch in das Rheinland zugleich die Auflösung des Reichstages und Neuwahlen für den 29. März 1936, um sich sein Vorgehen als "Wiederherstellung der nationalen Ehre und Souveränität des Reiches" bestätigen zu lassen. Weiterhin wollte er der deutschen und der internationalen Öffentlichkeit vorgaukeln, daß diese Politik von dem "aufrichtigen Bestreben nach einer wahren Völkerversöhnung und Verständigung auf der Grundlage gleicher Rechte und gleicher Pflichten" bestimmt sei.

Das nationalsozialistische Regime hatte eine solche Popularitätssteigerung dringend nötig, denn alle offiziellen Lageberichte signalisierten, daß zu dem Unmut über die Versorgungsengpässe als Auswirkung der einseitigen Rüstungsförderung auch der Unmut über die nationalsozialistische Kirchenpolitik hinzugekommen war. Die Welle nationaler Euphorie, die nun nach dem erfolgreichen Rheinlandcoup ausbrach, machte alle Kritik am Alltag vorübergehend vergessen. In die nationale Begeisterung und Bewunderung für die "geniale Leistung" des Führers mischte sich Erleichterung über den glücklichen Ausgang des Abenteuers. Ein minuziös geplanter Propagandaeinsatz verstärkte diese Stimmung, denn es ging weniger um eine Wahl als um ein demonstratives Bekenntnis zu Hitler und seiner Politik sowie um die Festigung seiner Herrschaft. Das offizielle Ergebnis war wie das in allen Diktaturen: 98,8 Prozent stimmten für die Liste des Führers. Auch wenn man Zwang und Manipulation, Angst und die Alternativlosigkeit bei der Wahl bedenkt, so schien das Ergebnis doch zu bestätigen, was die Propaganda unaufhörlich behauptete: Hitler sei der "Vollstrecker des Volkswillens". Eine erfolgreiche Außenpolitik erwies sich mehr und mehr als suggestives Instrument zur Integration der Bevölkerung jenseits aller Interessengegensätze und inneren Spannungen, die damit wenigstens für eine Weile überbrückt waren.

Neben den begeisterten Massen wurde Hitler selbst zum Opfer seines Mythos. Alles deutet darauf hin, daß der 7. März 1936 in diesem Prozeß ein entscheidendes Datum war. Hitler genoß nun jene mythischen und messianischen Phrasen, die Goebbels und seine Propaganda schon seit einiger Zeit vorbereiteten, wenn es um die Verklärung des "Führers" ging. Nun beschwor Hitler in seinen Reden die Vorsehung, und der Glaube an die eigene Mission und Unfehlbarkeit gehörte nicht nur zum festen Bestandteil seiner Selbstdarstellung, sondern auch seines Selbstbewußtseins. Umgekehrt hatten die konservativen Bündnispartner in Militär und Diplomatie erleben müssen, daß ihren Zweifeln und ihrer Skepsis zum Trotz Hitler wieder einmal Erfolg gehabt hatte. Das schwächte die Position von Neurath, Blomberg und Fritsch.

Spanischer Bürgerkrieg

Mit dem Rheinland-Coup hatte das Deutsche Reich sich nicht nur eine Sicherheits- und Aufmarschzone erobert und die außenpolitischen Fesseln für eine verstärkte Aufrüstung abgelegt. Die Aktion hatte überdies den beiden faschistischen Mächten, Deutschland und Italien, die Erfahrung vermittelt, daß sie sich in ihrem Streben nach Veränderung der internationalen Konstellationen gegenseitig unterstützen könnten. Hitlers Erfolg gab nun auch Mussolini den Mut zur endgültigen Annexion von Abessinien, ohne daß der Völkerbund seine Sanktionsdrohungen ernsthaft in die Tat umgesetzt hätte. Die gemeinsame Front gegen den Völkerbund führte die beiden ideologisch verwandten Diktaturen zusammen und legte nahe, auch den Streitfall Österreich, der zwischen den beiden noch bestand, vorerst durch eine politische Verständigung zu entschärfen. Mussolini gab zu verstehen, daß er einer innenpolitischen Veränderung in Österreich nicht mehr im Wege stehen werde und strich die finanzielle Hilfe für die befreundeten österreichischen Heimwehren, die in Konkurrenz zur österreichischen NSDAP standen. In einem deutsch-österreichischen Abkommen im Juli 1936 erkannte Deutschland die Unabhängigkeit Österreichs an. Dafür ließ Wien sich außenpolitisch gleichschalten und versprach, sich stets daran zu erinnern, daß Österreich ein deutscher Staat sei.

Bald zeichnete sich ein neues Feld der gemeinsamen Betätigung ab: Spanien. Der spektakuläre Erfolg der Volksfront aus Sozialisten, Radikalsozialisten und Kommunisten, der im Juni 1936 in Frankreich die Regierung unter Premierminister Léon Blum an die Macht gebracht hatte, hatte sich schon vier Monate zuvor in Spanien mit einem knappen Wahlsieg der vereinigten Linksparteien vollzogen und das bürgerliche Europa beunruhigt.

Der Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs am 17. Juli 1936 bot die Chance zu einer gemeinsamen politischen und militärischen Aktion der beiden faschistischen Diktaturen. Zunächst setzten sie alles daran, in ihrer Propaganda alle Anhänger der spanischen Republik unterschiedslos zu "Marxisten" und "Bolschewisten" zu machen. Umgekehrt gerieten die innenpolitischen Auseinandersetzungen in Madrid (und auch in Paris) mehr und mehr in den Sog der internationalen ideologischen Gegensätze von Faschismus und Antifaschismus. Der Spanische Bürgerkrieg wurde zum Kampf der beiden ideologischen Lager stilisiert. Die französische Volksfrontregierung unterstützte zusammen mit der UdSSR die republikanische Seite im Spanischen Bürgerkrieg, während das faschistische Italien sich sowohl aus ideologischen als auch machtpolitischen Gründen auf der Seite der Putschisten unter Führung von General Francisco Franco (1892–1975) engagierte. In der Nacht des 25. Juli 1936 entschied Hitler nach einer improvisierten Besprechung mit Göring und von Blomberg, ebenfalls Franco zu unterstützen und damit auch zum Bündnispartner Italiens zu werden.

Über Hitlers Motive ist viel gestritten worden. Ganz sicher war sein Entschluß, den putschenden General mit der raschen Entsendung von Transportflugzeugen bzw. Jagdflugzeugen und Flakgeschützen zu unterstützen, nicht von langer Hand vorbereitet und auch nicht Ausdruck eines faschistischen Komplotts, das später darin vermutet wurde. Sehr wahrscheinlich war das Interesse der deutschen Rüstungswirtschaft an hochwertigen Rohstoffen aus Spanien von einiger Bedeutung, was durch die späteren wirtschaftlichen Abkommen mit der national-spanischen Seite deutlich wurde. Auch die Möglichkeit zur Erprobung der neuen deutschen Waffen, und hier vor allem der Luftwaffe, auf dem spanischen Kriegsschauplatz dürfte eine Rolle gespielt haben.

Ausschlaggebend für Hitlers Entscheidung zur Intervention waren jedoch politisch-taktische Überlegungen. Er nutzte die Gelegenheit, sich in eine neue internationale politische Krise einzumischen, um damit die europäischen Krisenherde zu erweitern und die eigenen machtpolitischen Handlungsmöglichkeiten zu vergrößern. Hinzu kam der ideologisch-propagandistische Faktor: Die Verbindung der beiden Volksfrontregierungen weckte bei dem nationalsozialistischen Diktator die Furcht vor einer weiteren Ausbreitung des Kommunismus in Europa. Zudem ließ sich international die Intervention in Spanien als Akt der "Rettung" vor dem Bolschewismus darstellen.

Pakt Berlin – Rom – Tokio

Mit dem gemeinsamen Engagement Mussolinis und Hitlers auf der Seite Francos verstärkte sich die politische Kooperation zwischen Deutschland und Italien, in der Hitler für den Fall, daß sein Wunschbündnis mit England nicht zustande käme, eine mögliche Alternative sah. Die beiden Außenminister verständigten sich am 23. Oktober 1936 auf ein künftiges koordiniertes Vorgehen in allen, beide Länder interessierenden Fragen. Einen Tag später empfing Hitler Außenminister Galeazzo Ciano in Berchtesgaden, um diesem den Vorschlag eines Offensivbündnisses zu unterbreiten, das England entweder zum Einlenken bewegen könne oder es niederschlagen müsse. Deutschland sei in drei bis spätestens fünf Jahren einsatzbereit. Einen Interessenkonflikt zwischen den beiden Regimen schloß Hitler aus: Der italienische Lebensraum läge im Mittelmeer, der deutsche hingegen im Osten und im Ostseeraum. Eine Woche später, am 1. November, sprach Mussolini auf dem Domplatz in Mailand von einer "Achse Berlin–Rom", um die sich alle anderen europäischen Staaten, die mit dem neuen Machtzentrum zusammenarbeiten wollten, bewegen könnten.

Zur selben Zeit setzten in Berlin der japanische Botschafter und Ribbentrop ihre Paraphe unter ein deutsch-japanisches Abkommen, das unter dem Namen "Antikominternpakt" gegen die Kommunistische Internationale gerichtet war und ein weltpolitisches Bündnis der drei einstigen "politischen Habenichtse" ankündigte, das sich jedoch mehr in ideologischen Formeln bewegte als sich zu einer wirklichen Bündnispolitik zu entwickeln. Für Ribbentrop schien sich damit seine Konzeption von einem "weltpolitischen Dreieck Rom–Berlin–Tokio" zu erfüllen, mit dem er England politisch zu isolieren hoffte. Für Hitler paßte dieses Konzept aus anderen Gründen in seine Außenpolitik. Es sollte das Werben um England noch einmal intensivieren und dabei den Elementen der Drohung ein größeres Gewicht einräumen.

Der internationale Faschismus schien sich ganz im Sinne der zunehmenden Ideologisierung der Politik zu einem Machtblock zu verfestigen. Doch ebenso wie eine internationale extrem nationalistische Bewegung ein Widerspruch in sich bleiben mußte, so begegneten auch die beiden Achsenmächte einander mit Vorbehalten und taktischen Reserven. Die Widersprüche und Störanfälligkeiten der Achse mußten immer wieder mit Schönfärbereien und propagandistischem Pomp verhüllt werden. Sicherlich gab es eine persönliche Sympathie der beiden Diktatoren füreinander. In Hitlers Arbeitszimmer im Braunen Haus stand eine Bronzebüste des Duce, und auch während des Krieges sollte der deutsche Diktator Mussolini einen "Mann von säkularem Ausmaß" nennen und bekennen: "Diese tatkräftige Erscheinung, ich habe ihn persönlich lieb." Das war zwar damals ein verbreiteter Topos der allgemeinen Mussolini-Bewunderung, doch bei Hitler stand dahinter sowohl die Erinnerung an das einstige politische Vorbild als auch das Bewußtsein von der Gemeinsamkeit des politischen Stils und der antimarxistischen Ideologie. Das vor allem zählte für Hitler.

Der italienische Regierungschef Benito Mussolini beim Staatsbesuch 1937 mit Reichskanzler Adolf Hitler in München. (© AP)

Unter machtpolitischen Gesichtspunkten favorisierte er jedoch das sehr lange erträumte Bündnis mit England und der italienische Bündnispartner stellte im Verständnis Hitlers nur die zweitbeste Lösung dar. Italien mußte daher trotz aller Propagandaaktionen, mit denen das enge deutsch-italienische Verhältnis im Jahre 1937 zur Schau gestellt wurde, gelegentlich diplomatische Demütigungen hinnehmen.

Wirtschaftliche Probleme

Die Ereignisse des Jahres 1936 brachten von der Rheinland-Besetzung bis zur Intervention im Spanischen Bürgerkrieg außenpolitisch eine Erweiterung des deutschen Handlungsspielraumes. Gleichzeitig spitzten sich die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Sachzwänge, die sich aus der forcierten Aufrüstung ergaben und ihrer Fortsetzung möglicherweise entgegenstanden, weiter zu. Eine Entscheidung über den zukünftigen Weg der Wirtschaftspolitik und der Rüstungswirtschaft wurde immer unausweichlicher. Trotz aller Versuche im "Neuen Plan" von 1934 den Mangel an Rohstoffen und Devisen abzumildern, verschärfte sich mit der Beschleunigung der Aufrüstung die Rohstoffknappheit. Immerhin hatten sich die Rüstungsausgaben von 3,3 Milliarden Reichsmark auf neun Milliarden Reichsmark im Jahre 1936 verdreifacht.

Angesichts der chronischen Devisenknappheit war eine Steigerung der Einfuhr kaum möglich, so daß die Rüstungswirtschaft bis 1935 noch gerade soeben aus Lagerbeständen betrieben werden konnte. Ein Mangel an Kupfer, Blei, Zink und Kautschuk zeichnete sich für 1936 immer deutlicher ab. Der äußerst schmale Bestand an Devisen und die Erhöhung der Preise für Importgüter um etwa neun Prozent zwischen 1933 und 1936 führten bei einem gleichzeitigen Sinken der Erlöse für Exportgüter zu einem Rückgang der Importe.

Damit stellte sich verschärft die Alternative "Butter oder Kanonen", denn die angesichts schlechter einheimischer Ernteerträge gestiegenen Nahrungsmittelimporte verringerten zusätzlich den Devisenbestand. Das Gleichgewicht zwischen Rohstoffimporten für die Rüstungsproduktion und Nahrungsmittelimporten drohte zu schwinden, so daß bei steigendem Rüstungsbedarf und steigenden Konsumwünschen eine ernste Wirtschaftskrise zu befürchten war.

Angesichts der überhitzten Rüstungskonjunktur empfahl der Leipziger Oberbürgermeister Carl Goerdeler, der später zum führenden Kopf des bürgerlich-konservativen Widerstandes werden sollte und 1934/35 der nationalsozialistischen Regierung als Reichskommissar gedient hatte, die Rückkehr zu einem freien Außenhandel sowie zu einer Einschränkung der Rüstungsproduktion zugunsten einer Umsteuerung der Konjunktur in den zivilen Bereich. Die Ablehnung dieser Vorschläge durch die nationalsozialistische Regierung und vor allem durch Hitler war Ausdruck einer politischen Festlegung, die alles auf eine Fortsetzung oder gar Steigerung des Rüstungskurses setzte. Es ließ sich absehen, daß damit die wirtschaftspolitischen Handlungsmöglichkeiten des Regimes immer enger würden und schließlich in eine Art "Flucht nach vorn" einmünden könnten.

Das starre Festhalten am Aufrüstungskurs und die daher drohende allgemeine ökonomische Krise gaben den Ausschlag für eine Konzeption, die auf die Nutzung heimischer Rohstoffe bzw. deren Substitution durch synthetische Produkte setzte, unabhängig von den jeweiligen Kosten einer solchen Autarkiepolitik. Die gewaltigen organisatorischen Anstrengungen und die hohen Kosten, die eine derartige Regulierung der Wirtschaft erforderten, hielt Hitler angesichts der zu erwartenden politischen Erfolge und territorialen Eroberungen für geringfügig bzw. überwindbar. "Ich halte es für notwendig", formulierte er im August 1936 in seiner geheimen Denkschrift zum Vierjahresplan, "daß nunmehr mit eisener Entschlossenheit auf all den Gebieten eine hundertprozentige Selbstversorgung eintritt, auf denen diese möglich ist." Der politische Wille sollte die ökonomische Vernunft ersetzen und ließ den Eroberungskrieg, der mit seiner zu erwartenden Beute alle entstandenen Kosten kompensieren würde, in unmittelbare Nähe rücken.

Die geheime Denkschrift Hitlers bedeutete nicht nur eine entscheidende Weichenstellung für die Wirtschaftsverfassung und -politik des Dritten Reiches, sondern auch für den Weg in den Krieg. Hitler erhoffte sich von der Autarkie eine "vorübergehende Entlastung", die sicherstellen sollte, daß die deutsche Wirtschaft "in vier Jahren kriegsfähig" und die deutsche Armee in vier Jahren einsatzfähig sei. Eine "endgültige Lösung" sei nur dann zu erreichen, wenn am Ende einer Folge von einzelnen, kurzen Kriegen eine "Erweiterung des Lebensraumes bzw. der Rohstoff- und Ernährungsbasis" des deutschen Volkes möglich sei.

Kriegsplanungen

In der Folgezeit erfolgte eine "Umpolung der Wirtschaftspolitik von Rentabilitätserwägungen und verantwortlicher Haushalts- und Finanzpolitik zu wehrwirtschaftlichen Orientierungsmustern" (Ludolf Herbst). Die Weichenstellungen zur offenen Aggression sollten 1937 erfolgen. In der Englandpolitik hatten sich die Standpunkte geklärt und neue Entwicklungen angekündigt. Hitler mußte seit dem Sommer einsehen, daß die britische Regierung den deutschen Wünschen nach freier Hand auf dem Kontinent enge Grenzen zu setzen gewillt war. Außenminister Anthony Eden bestand darauf, daß eine Veränderung des Status von Österreich nur mit Einwilligung der Bevölkerung geschehen könne und warnte vor einer gewaltsamen Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Tschechoslowakei. Dasselbe sollte für Danzig gelten, wo eine Veränderung des Status der Stadt nur auf der Grundlage einer diplomatischen Übereinkunft möglich wäre.

Einem Bündnis gegen die Sowjetunion wollte sich London nicht anschließen. Dies bekräftigte auch der Lordsiegelbewahrer und spätere Außenminister Lord Edward Halifax bei einem Besuch am 19. November 1937 auf dem Obersalzberg, wo er auf einem britischen Mitspracherecht in allen kontinentalen Angelegenheiten bestand und jede Änderung des Status Quo in Mitteleuropa von einer friedlichen Verfahrensweise abhängig machte. Hitler reagierte verstimmt; er wollte sich nicht in eine solche allgemeine Lösung am Verhandlungstisch hineinziehen lassen. Mittlerweile war die Führung des "Dritten Reiches" politisch selbstbewußt geworden und konnte öffentlich erklären, Deutschland sei nun wieder eine Weltmacht geworden. Zudem war mit dem faschistischen Italien ein Bündnispartner gefunden worden, auch wenn dieser längst nicht das Gewicht besaß, das man sich von England versprochen hatte.

Während im Auswärtigen Amt von der neuen Phase der auswärtigen Politik noch erwartet wurde, daß diese "auf den Weg der Evolution" an ihr Ziel gelange und die Diplomaten sich allenfalls eine schrittweise territoriale Revision vorstellen wollten, die die Schwelle zum Krieg möglichst hoch halten sollte, sprach Hitler immer unverhohlener von Gewalt und dem Willen zur militärischen Eroberung. Die Zeiteinteilung des Vierjahresplanes hatte er 1937 bereits verworfen: Die Anwendung militärischer Gewalt sollte zum nächsten günstigen Zeitpunkt erfolgen, möglicherweise schon 1938. Voller Ungeduld nannte er auch als Zeitpunkt, bis zu dem die "deutsche Raumfrage zu lösen" sei, "spätestens 1943/45".

Dieser Zeitdruck und die erstmals ins Auge gefaßte militärische Auseinandersetzung mit Frankreich und England waren die Neuigkeit, die Hitler am 5. November 1937 den Teilnehmern einer Geheimkonferenz in der Reichskanzlei eröffnete. Sie fand im engsten Kreis in Anwesenheit von Reichsaußenminister von Neurath und Reichskriegsminister von Blomberg, dem Oberbefehlshaber des Heeres Werner Freiherr von Fritsch, dem Oberbefehlshaber der Kriegsmarine Erich Raeder und dem Oberbefehlshaber der Luftwaffe Göring statt. Vor diesem Kreis entwickelte Hitler in einer vierstündigen ununterbrochenen Rede "seine grundlegenden Gedanken über die Entwicklungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten unserer außenpolitischen Lage". Den einleitenden Worten fügte er gleich hinzu, daß er seine Ausführungen als seine "testamentarische Hinterlassenschaft für den Fall seines Ablebens anzusehen bitte".

Was Hitler hier vortrug, war zunächst nichts anderes als das Konzept, das er in "Mein Kampf" entwickelt hatte und das seither Fixpunkt seiner Politik gewesen war. Es fanden sich die üblichen sozialdarwinistischen, geopolitischen und rassistischen Argumente wieder, vor allem die Forderung nach Erhaltung und Vermehrung der "Volksmasse", nach der Vergrößerung des Herrschaftsraumes des deutschen Volkes und nach der Lösung der "Raumfrage", von der er sich zugleich die Lösung aller wirtschaftlichen und sozialen Probleme versprach. Was bislang als ideologisches Fernziel und mentale Disposition gelten konnte, wurde nun zum Bezugspunkt konkreter Außen- und Kriegspolitik. Zur Lösung der "deutschen Frage könne es nur noch den Weg der Gewalt geben", und das müsse "in den nächsten Jahren schrittweise unter Ausnutzung günstiger Konstellationen erfolgen." Die erste Angriffsrichtung galt Prag und Wien, auch für den Fall, daß die Voraussetzungen für eine schnelle Lösung nicht einträten und ein Konflikt mit England und Frankreich nicht ausgeschlossen werden könnte.

Zwar war von einem Lebensraumkrieg gegen Rußland noch nicht die Rede, aber es war unüberhörbar, daß Hitler sich nicht mit der Eingliederung des Sudetengebietes, also mit den Forderungen eines großdeutschen Revisionismus, begnügen wollte. Er strebte die Eroberung der gesamten Tschechoslowakei als Ausgangspunkt weiterer Eroberungspläne an. Revisionspolitik war für den Lebensraumideologen Hitler nur Mittel zum Zweck. Die Sorgen der Führungsspitzen aus Auswärtigem Amt und Wehrmacht, daß Frankreich und England militärisch eingreifen würden, versuchte Hitler mit dem Hinweis auf seine bisherigen Erfahrungen wegzureden. Für die Alternativlosigkeit seiner Überlegungen machte er auch ökonomische und technische Sachzwänge verantwortlich, die das Regime freilich durch seine Rüstungspolitik erst selbst heraufbeschworen hatte. Der Diktator war ungeduldig geworden und sprach wiederholt davon, nur seine Person sei noch in der Lage, die "Raumprobleme" zu lösen. Doch nicht die vermeintlichen und tatsächlichen Sachzwänge und inneren Widersprüche des Regimes waren ausschlaggebend für die nun erfolgte Konkretisierung des außenpolitischen Programmes, sondern einzig der Wille zum Krieg.

Die politischen Gewichte im nationalsozialistischen Herrschaftssystem hatten sich mittlerweile so weit verschoben, daß Hitlers Entscheidung für eine kriegerische Revisions- und Expansionspolitik von niemandem mehr korrigiert werden konnte. Die Einwände der bei dieser Konferenz Anwesenden, die Betroffenheit und Bestürzung spiegelte, wurden vom Standpunkt militärstrategischer sowie außenpolitischer Erfahrungen und Konventionen formuliert. Hitler wischte sie jedoch in einer zeitweilig sehr scharfen Diskussion vom Tisch. Zugleich mußte er erkennen, daß er seine Expansionspolitik mit von Neurath und von Fritsch als den Vertretern der traditionellen Diplomatie und Generalität nicht ohne weiteres und vor allem nicht in der von ihm eingeplanten hohen Risikohaftigkeit durchführen konnte.

Die Chance zum großen personalpolitischen Revirement, das die politische Verselbständigung der nationalsozialistischen Führungsgruppe von den traditionellen Machtgruppen auch nach außen verdeutlichen sollte, kam sehr bald. Sie wurde von Hitler zwar nicht herbeigeführt, wohl aber schnell und taktisch geschickt ausgenutzt. Mit der Blomberg-Fritsch-Krise vom Januar 1938 (vgl. auch Seite 7) und der anschließenden personellen Veränderung und Umstrukturierung der Wehrmacht, die diese ihrer eigenen Führung beraubte und Hitler zu deren direkten Oberbefehlshaber machte, waren die letzten Vorkehrungen für das ungeduldig herbeigesehnte Losschlagen getroffen. Es fehlte nur noch der Anlaß.

Anschluß Österreichs

Seit dem Herbst 1937 stand die nationalsozialistische Politik ganz allgemein im Zeichen der baldigen Expansion. Sichtbar wurde das zuerst in den Beziehungen zu Österreich. Seit November mehrten sich die Zeichen, daß der politisch-psychologische Druck auf das Nachbarland verstärkt werden sollte. Hitler und Göring ergingen sich gegenüber Besuchern aus Österreich in düsteren Andeutungen, daß der "Anschluß" bald bevorstehe. Auch wenn der österreichische Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg (1897–1977) glaubte, die Ausbrüche Görings nicht besonders ernst nehmen zu müssen, so reagierte das westliche Ausland anders. Seit dem Spätherbst war man nicht mehr bereit, Österreich weitere Kredite einzuräumen. Was Hitler für seinen Angriffsplan noch fehlte, war lediglich eine günstige Gelegenheit.

Offenbar besannen sich Parteikreise in der aufgeladenen Atmosphäre wieder der vertrauten Techniken der Provokation und der Drohungen mit Gewalt. Bei einer Hausdurchsuchung bei österreichischen Nationalsozialisten fanden die Behörden im Januar 1938 Pläne und Aufzeichnungen, die eine gewaltsame Lösung der Anschlußfrage ankündigten. In Österreich sollte demnach "viel Wirbel und Unruhe erzeugt werden, damit dann Deutschland erklären könne, daß Österreich mit diesen inneren Wirren nicht fertig werde und es genötigt sei, zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung selbst Schritte zu ergreifen."

Die Entdeckung dieser Pläne bewog den österreichischen Bundeskanzler von Schuschnigg, durch ein persönliches Gespräch mit Hitler eine Atempause zu gewinnen. Das Gespräch, das in Berchtesgaden am 12. Februar 1938 stattfand, widersprach allen diplomatischen Gepflogenheiten. Hitler überfiel seinen Besucher mit Vorhaltungen, die sich zu Drohungen steigerten. Österreich betreibe keine deutsche Politik, die ganze Geschichte Österreichs sei ein "ununterbrochener Volksverrat". Er brauche nur einen Befehl zu geben und "über Nacht ist der ganze lächerliche Spuk an der Grenze zerstoben". Das Land sei wehrlos, weder Italien noch die Westmächte England und Frankreich würden einen "Finger für Österreich rühren".

Nach diesem psychologischen Überfall erläuterte der neue Außenminister Ribbentrop die deutschen Forderungen: Freie Betätigung für die österreichischen Nationalsozialisten, die Ernennung des Nationalsozialisten Arthur Seyß-Inquart (1892–1946) zum österreichischen Sicherheitsminister, eine allgemeine Amnestie, die Anpassung der österreichischen Außen- und Wirtschaftspolitik an die des Reiches sowie regelmäßige Konsultationen zwischen den Generalstäben. Als Schuschnigg noch immer zögerte, zitierte Hitler den frisch ernannten Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, General Wilhelm Keitel, herbei, um seinen Forderungen symbolisch Nachdruck zu verleihen: Innerhalb von drei Tagen erwarte er die Durchführung der Forderung. Schuschnigg meinte nach seiner Rückkehr, immerhin noch die staatliche Unabhängigkeit seines Landes bewahrt zu haben und suchte diese durch eine Volksabstimmung, die er für den 13. März ansetzte, plebiszitär abzusichern.

Das war jedoch ein untauglicher und ungeschickter Versuch, Hitler mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Die offenkundigen Manipulationen, mit denen man vor allem Jungwähler, die als besonders anfällig für den Nationalsozialismus galten, von der Wahl ausschließen wollte, waren für Hitler Vorwand genug, mit militärischen Interventionen für den Fall zu drohen, daß die Abstimmung nicht abgesetzt würde. Außerdem verlangte er die Einsetzung von Seyß-Inquart als Regierungschef. Schuschnigg gab nach, aber die hektischen, diplomatischen und militärischen Vorbereitungen liefen weiter.

England verspürte wenig Neigung, sich für ein unabhängiges Österreich militärisch einzusetzen. Frankreich, einst der Hauptgegner des Anschlusses, war wieder ein- mal in einer Regierungskrise. Mussolini schließlich versprach, dieses Mal – anders als 1934 – stillzuhalten. Am 10. März erließ Hitler die Weisung Nr. 1 zum militärischen Einmarsch in Österreich. Die vorübergehende Weigerung des österreichischen Bundespräsidenten Wilhelm Miklas, Seyß-Inquart zum Kanzler zu ernennen, war das Signal für eine Erhebung der österreichischen Nationalsozialisten, die alle wichtigen Ämter in kurzer Zeit besetzten. Obwohl so die Machtergreifung in Österreich längst im Gange war, gab Hitler am 11. März um 20.45 Uhr den Einmarschbefehl für den nächsten Tag. Gleichzeitig inszenierte Göring die Komödie eines Hilfe-Ersuchens von Seyß-Inquart, das dieser nie abgeschickt hatte und das Göring veröffentlichte, obwohl der österreichische Bundespräsident nachgegeben und sich auch Seyß-Inquart gegen den Einmarsch deutscher Truppen gesträubt hatte.

Am 12. März marschierten mit allen Zeichen der Improvisation, aber unter dem Jubel der Bevölkerung die deutschen Truppen in Österreich ein. Unter Glockengeläut überschritt Hitler am selben Nachmittag bei seiner Geburtsstadt Braunau am Inn die Grenze und zog durch blumengeschmückte Dörfer und Spaliere von dicht gedrängten Menschen weiter nach Linz. Eine konkrete Entscheidung über die politische Zukunft Österreichs war bis zu diesem Augenblick offensichtlich noch nicht gefallen. Nun aber, unter dem Eindruck des spontanen Jubels und Vereinigungstaumels verkündete Hitler am Abend in Linz den unverzüglichen vollständigen Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich. Ein neuerliches Plebiszit am 10. April mit mehr als 99 Prozent Zustimmung bedeutete einen überwältigenden Erfolg und die Erfüllung des großdeutschen Traumes. Selbst der prominente österreichische Sozialist Karl Renner stimmte öffentlich mit "Ja", und die österreichischen Bischöfe ließen die Kirchen mit Hakenkreuzfahnen schmücken.

Was nach außen als Triumph des "nationalen Selbstbestimmungsrechtes" und des "völkischen Prinzips" dargestellt wurde, bedeutete für Adolf Hitler und die nationalsozialistische Führung vor allem einen machtpolitisch-strategischen und wehrwirtschaftlichen Zugewinn, der die Voraussetzungen für weitere Aggressionen schuf. Erstens war nun die tschechoslowakische Südflanke dem deutschen Zugriff schutzlos preisgegeben, zweitens war mit dem "Anschluß" Österreichs das Tor nach Südosten weit geöffnet und bot die Möglichkeit, einen Großwirtschaftsraum Südosteuropa als Ergänzungsraum zu dem nun entstehenden "Großdeutschen Wirtschaftsraum" zu schaffen.

Was mit dem triumphalen Einzug Hitlers in Wien und den nationalen Parolen völlig verdrängt wurde, war der Eroberungs- und Vernichtungscharakter des Regimes. Das Reich erbeutete Devisenvorräte der österreichischen Staatsbank in Höhe von 1,4 Milliarden Reichsmark, was die chronisch schwachen deutschen Vorräte für eine Weile erheblich aufbesserte.

Zugleich begann hinter den einmarschierenden Truppen und den jubelnden Massen die SS in der Verfolgung der Juden das nachzuholen, was mittlerweile im Altreich über mehrere Etappen und Jahre schrittweise vollzogen worden war. Oft noch vor dem Eintreffen der deutschen Truppen zettelten einheimische Nationalsozialisten Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung an, bis die Demütigungen, Entrechtungsmaßnahmen und Enteignung der Juden von den neuen Machthabern administrativ von oben organisiert wurden. Sie terrorisierten und quälten die jüdischen Bürger, vertrieben sie aus ihren Wohnungen und beraubten sie ihres Vermögens.

Sudetenkrise

Nach dem "Anschluß" begannen die Planungen für eine Eroberung der Tschechoslowakei. Wieder diente das Selbstbestimmungsrecht als Deckmantel für das Ausgreifen auf den Nachbarstaat. Wieder war es das Interesse an einer Machterweiterung im Südosten und an Rohstoffen und Industrieanlagen, die eigentlich hinter dem Vorhaben der "Zerschlagung der Tschechoslowakei" standen. Hitler war nun auf eine militärische Lösung fixiert, was den Einsatz politischer Mittel nicht ausschloß. In einer Besprechung mit dem Oberkommando der Wehrmacht am 21. April nannte er dafür zwei Möglichkeiten, die ein weiteres Mal den politischen Stil des Nationalsozialismus charakterisieren: 1. "Handeln nach einer Zeit diplomatischer Auseinandersetzungen, die sich allmählich zuspitzen und zum Krieg führen". 2. "Blitzartiges Handeln aufgrund eines Zwischenfalls (zum Beispiel Ermordung des deutschen Gesandten im Anschluß an eine deutschfeindliche Demonstration)." Hitler zog für den Moment die zweite Lösung vor.

Tschechische Soldaten bringen am 16. September während der "Sudetenkrise" im Südwesten von Prag Geschütze in Stellung. Foto: AP (© AP )

Die Nationalitätenproblematik der Tschechoslowakei und die Forderung nach dem Selbstbestimmungsrecht der einzelnen Volksgruppen waren der Hebel, mit dem die innere Zersetzung der Tschechoslowakei vorangetrieben werden sollte. Dazu erhielt der Führer der "Sudetendeutschen Partei", Konrad Henlein, seine Anweisungen aus Berlin. In einer Besprechung mit Hitler am 28. März 1938 wurde festgelegt, Henlein solle ein Maximalprogramm aufstellen, das die tschechische Regierung nicht erfüllen könne. Im "Karlsbader Programm" der Sudetendeutschen Partei vom 24. April wurde diese Strategie umgesetzt. Es forderte die weitgehende Selbstverwaltung der Sudetendeutschen und ihre volle Gleichberechtigung und Gleichrangigkeit mit dem tschechischen Staatsvolk, was aus Berliner Sicht allerdings nur eine Durchgangsstufe für die angestrebte völlige Auflösung des tschechoslowakischen Staates bedeuten sollte. Als die tschechische Regierung den Forderungen Henleins, nicht zuletzt aufgrund des Druckes aus London und Paris, schrittweise nachgab, geriet Henlein in eine taktische Sackgasse. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als die Verhandlungen abzubrechen und auf einen Anlaß für eine weitere Eskalation zu warten.

Mit seiner Weisung vom 30. Mai 1938, die im Eingangssatz den Entschluß bekräftigte, "die Tschechoslowakei in absehbarer Zeit durch eine militärische Aktion zu zerschlagen", hatte sich Hitler zunehmend unter Zugzwang gesetzt. Sollte Prag nicht weiter nachgeben, blieb nur noch die Alternative zwischen einem Krieg mit einem unkalkulierbaren Risiko oder einem Abbruch der bereits eingeleiteten operativen Vorbereitungen. Um sich aus der taktischen Sackgasse zu befreien, gab Hitler auf dem Nürnberger Parteitag seinen Forderungen öffentlich Nachdruck und verlangte für die Sudetendeutschen das "freie Recht der Selbstbestimmung".

Gleichzeitig kam es in den Sudetengebieten zu neuerlichen Unruhen. Das bewog die britische Regierung, die bislang eher hinhaltend agiert und ihr Mitspracherecht in Mitteleuropa mit der Entsendung eines Vermittlers nach Prag deutlich artikuliert hatte, zu dem Versuch, durch weitere Verhandlungen den Konflikt zu entspannen. Premierminister Arthur Neville Chamberlain (1869–1940) bot sich an, Hitler persönlich aufzusuchen. Er trat am 15. September 1938 die für ihn zu damaliger Zeit noch ungewohnte Flugreise nach Deutschland an, um Hitler in Berchtesgaden das Angebot zu unterbreiten, die sudetendeutschen Gebiete ans Reich anzugliedern und auch die französische Regierung von der Notwendigkeit dieses Schrittes zu überzeugen. Der Tschechoslowakei blieb nichts anderes übrig, als sich diesem ultimativ vorgetragenen Votum zu beugen, um nicht einem deutschen Angriff schutzlos preisgegeben zu sein. Hitler war von der Konzessionsbereitschaft Londons, das allerdings deutlich auf Gewaltfreiheit bestand, überrascht.

Appeasementpolitik

Die britische Bereitschaft zur Abtretung der Sudetengebiete war Ausdruck eines politischen Konzeptes, das unter dem Namen Appeasementpolitik als angebliches Modell für politische Leichtfertigkeit und Naivität gegenüber einer Diktatur in die Geschichte eingegangen ist. Neben den Gewissensbissen vor allem britischer Intellektueller über die Art und Weise, in der 1919 das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu Lasten der Deutschen angewandt worden war (vgl. auch Informationen zur politischen Bildung Nr. 261, "Weimarer Republik"), stand ein durchaus rationales und konservatives Kalkül hinter dieser Politik.

Es war Reflex der vielfachen Belastungen eines im Niedergang befindlichen Weltreiches. Großbritannien, sowohl von der wirtschaftlichen Depression als auch von überdehnten Verpflichtungen in seinem Empire beschwert, mußte aus nationalem Interesse darauf achten, den Frieden in Europa zumindest mittelfristig aufrecht zu erhalten. Sowohl im Mittelmeer als auch im fernen Osten befand es sich in der Defensive. Eine forcierte Nachrüstung als Antwort auf die Herausforderungen durch die revisionistischen Mächte Italien, Japan und Deutschland hätte eine finanzielle Belastung bedeutet, die Großbritannien im Augenblick einer umfassenden wirtschaftlichen und sozialen Modernisierung im Innern nicht hätte zusätzlich leisten können.

Hinzu kam, daß die britischen Dominions ein militärisches Engagement des Mutterlandes auf dem europäischen Kontinent genauso ablehnten wie die Mehrheit der englischen Bevölkerung. Nur wenn alles unternommen würde, internationale Spannungen und Konflikte einzudämmen und am Verhandlungstisch abzubauen, so das britische Konzept, ließen sich Situationen vermeiden, die den Bestand des britischen Empire in Frage stellen würden. Unter normalen Umständen, das heißt unter der Voraussetzung nüchtern verfolgter politischer Ziele und einiger Verläßlichkeit im Umgang der politischen Führer miteinander hätte dieses Konzept durchaus zur Beilegung der Krise führen können.

Das traf aber nicht auf Hitler zu, der das englische Verhalten als Ausdruck von Schwäche deutete und beim nächsten Zusammentreffen mit Chamberlain, am 22. September in Bad Godesberg, seine Forderungen erhöhte. Nicht nur, daß er schon zuvor Warschau und Budapest ermuntert hatte, ihrerseits territoriale Forderungen an Prag zu stellen und damit die Auflösung des tschechischen Staates voranzutreiben. In Godesberg verlangte er nun eine Verkürzung der Räumungsfristen und drohte offen mit Gewalt. In seinem ungezügelten Drang zum Vabanque-Spiel hätte Hitler beinahe überreizt, denn Frankreich und die Tschechoslowakei machten mobil und Großbritannien versprach für den Fall eines militärischen Konfliktes ebenso seine Unterstützung wie auch die UdSSR, die sich nun in die Konfliktpolitik einschaltete. Hitler seinerseits ließ sieben Divisionen in die Ausgangsstellungen vorrücken, ohne daß er den Truppen den Befehl zum Angriff auf die Tschechoslowakei gab.

Überall in Europa waren das Tage und Stunden höchster Spannung, die wieder an den Sommer 1914 erinnerten. Auch im Inneren des Reiches gab es deutliche Warnungen vor einem Überziehen. Zum ersten Mal entfaltete sich unter wesentlicher Initiative von Oberstleutnant Hans Oster aus der militärischen Abwehr eine aktive Fronde von Militärs und konservativen Politikern, die den Kontakt nach London knüpften und für den Fall eines von Hitler ausgelösten bewaffneten Konfliktes seinen Sturz planten. Schon im August 1938 hatte General Ludwig Beck (1880–1944) gegen die riskante Außenpolitik protestiert, hatte aber angesichts der Wirkungslosigkeit seines Vorstoßes resigniert und sein Amt als Generalstabschef des Heeres zur Verfügung gestellt. Unabhängig davon hatte der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister Carl Goerdeler ebenfalls im Sommer 1938 den Versuch unternommen, durch Kontakte mit englischen Politikern eine Front gegen Hitlers Aggressionspolitik aufzubauen.

Das waren die Anfänge des nationalkonservativen Widerstandes, der zunächst noch systemimmanent gegen die riskante Außenpolitik protestierte, aber auch bereit war, den Schritt zur Konspiration zu wagen. Auch in der Bevölkerung herrschte, wie die Lageberichte im Sommer 1938 unmißverständlich zum Ausdruck brachten, eine gedrückte Stimmung angesichts der wachsenden Kriegsgerüchte. Als die Machthaber eine kriegsmäßig ausgerüstete motorisierte Division am 27. September durch Berlin schickten, gab es keine Begeisterung, sondern nur Schweigen und Kriegsangst.

QuellentextHitlers Außenpolitik

[...] Die Umstände haben mich gezwungen, jahrzehntelang fast nur vom Frieden zu reden. Nur unter der fortgesetzten Betonung des deutschen Friedenswillens und der Friedensabsichten war es mir möglich, dem deutschen Volk Stück für Stück die Freiheit zu erringen und ihm die Rüstung zu geben, die immer wieder für den nächsten Schritt als Voraussetzung notwendig war. Es ist selbstverständlich, daß eine solche jahrzehntelang betriebene Friedenspropaganda auch ihre bedenklichen Seiten hat; denn es kann nur zu leicht dahin führen, daß sich in den Gehirnen vieler Menschen die Auffassung festsetzt, daß das heutige Regime an sich identisch sei mit dem Entschluß und dem Willen, den Frieden unter allen Umständen zu bewahren. Das würde aber nicht nur zu einer falschen Beurteilung der Zielsetzung dieses Systems führen, sondern es würde vor allem auch dahin führen, daß die deutsche Nation, statt den Ereignissen gegenüber gewappnet zu sein, mit einem Geist erfüllt wird, der auf die Dauer als Defaitismus gerade die Erfolge des heutigen Regimes [...] nehmen müßte. Der Zwang war die Ursache, warum ich jahrelang nur vom Frieden redete. Es war nunmehr notwendig, das deutsche Volk psychologisch allmählich umzustellen und ihm langsam klarzumachen, daß es Dinge gibt, die [...] mit Mitteln der Gewalt durchgesetzt werden müssen. Dazu war es aber notwendig, nicht etwa nun die Gewalt als solche zu propagieren, sondern es war notwendig, dem deutschen Volk bestimmte außenpolitische Vorgänge so zu beleuchten, daß die innere Stimme des Volkes selbst langsam nach der Gewalt zu schreien begann. [...]

Irgendwie glaube ich, hat sich [...] die pazifistische Platte bei uns abgespielt. [...]

Meine Herren, es war früher mein größter Stolz, eine Partei mir aufgebaut zu haben, die auch in den Zeiten der Rückschläge stur und fanatisch hinter mir stand, gerade dann fanatisch hinter mir stand. [...] Dazu müssen wir das ganze deutsche Volk bringen. Es muß lernen, so fanatisch an den Endsieg zu glauben, daß, selbst wenn wir einmal Niederlagen erleiden würden, die Nation sie nur, ich möchte sagen, von dem höheren Gesichtspunkt aus wertet: Das ist vorübergehend; am Ende wird uns der Sieg sein! [...]

Dazu ist es auch notwendig, daß gerade die Presse sich ganz blind zu dem Grundsatz bekennt: Die Führung handelt richtig! [...]

Dann stehen wir nicht jetzt im Jahre 1938 am Ende einer geschichtlichen Epoche, sondern dann stehen wir sicherlich erst am Beginn einer großen Geschichtsepoche unseres Volkes. [...]

Hitlers Rede vor der deutschen Presse über die Aufgabe der Propaganda für die deutsche Außenpolitik, 10. November 1938, in: Wolfgang Michalka (Hg.), Das Dritte Reich, Bd. 1, München 1985, S. 261 ff.

Münchener Konferenz

Als Chamberlain eine erneute Initiative startete und eine Überarbeitung des Zeitplanes der Räumung der sudetendeutschen Gebiete vorlegte, kam es durch die Vermittlung Mussolinis zur Münchener Konferenz am 29./30. September und damit zu einer Friedenserhaltung in letz- ter Minute; aber wie sich bald zeigen sollte, nur auf Zeit. Ohne Beteiligung der Prager Regierung und auch unter Ausschluß der Sowjetunion kamen Hitler, Mussolini, Chamberlain und der französische Ministerpräsident Edouard Daladier (1884–1970) überein, die Sudetengebiete mit mehr als 50 Prozent deutscher Bevölkerung von der Tschechoslowakei ohne Volksabstimmung zwischen dem 1. und dem 10. Oktober 1938 räumen zu lassen. Gleichzeitig mit der Räumung sollte die Besetzung durch deutsche Truppen erfolgen. Die Tschechoslowakei verlor durch diese erzwungene Amputation nicht nur wirtschaftlich und strategisch wichtige Gebiete. Mit der nun erfolgenden Autonomieerklärung der Slowakei und der Karpato-Ukraine begann auch ein innerer Auflösungsprozeß, der von Berlin aus zielgerichtet gesteuert wurde und der ein Ende des Rumpfstaates in absehbarer Zeit erwarten ließ. Auch die Grenzgarantien, die Paris und London ausgesprochen hatten, kamen zögerlich und machten deutlich, daß das weitere Schicksal des tschechischen Rumpfstaates, der aus eigener wirtschaftlicher Kraft nicht mehr lebensfähig war, nun allein von Rom und Berlin abhing.

Es verbreitete sich Erleichterung; nur Hitler war mit dem Ergebnis von München unzufrieden, denn man hatte ihm die Gelegenheit zum Losschlagen genommen. Diese Stimmung wurde noch verstärkt, als ihm am folgenden Tag Chamberlain das Angebot umfassender Konsultationen zwischen Berlin und London machte, um auf diese Weise "zur Sicherung des Friedens in Europa beizutragen".

Vordergründig schloß das Jahr 1938 für Hitler mit einer überragend positiven Bilanz ab. Die Eingliederung des Sudetengebietes führte der deutschen Wirtschaft weitere wichtige Industriezweige, wichtige Lagerstätten für Erze, hochwertige Braunkohlevorkommen und Holzvorräte zu. Auch die sudetendeutsche Facharbeiterschaft, die ähnlich hoch qualifiziert und unterbeschäftigt war wie zuvor die deutsche, war ein willkommener Gewinn angesichts der eintretenden Engpässe auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Die Amputation der Tschechoslowakei und vor allem die Art und Weise, wie einfach sie durch die Mischung von Druck und Konzessionsbereitschaft zu erreichen war, lösten einen Schock in Südosteuropa aus. Die Donau- und Balkanstaaten lehnten sich noch enger an Berlin an. Der großdeutsche Wirtschaftsraum, der Wunschtraum nationalsozialistischer Politiker und deutscher wirtschaftlicher Interessengruppen, war auf diese Weise weiter vorangetrieben.

Doch Hitler zeigte sich unzufrieden. Die breite Friedenssehnsucht irritierte ihn. Auch die Tatsache, daß er in München nur einen halben Sieg errungen hatte, führte dazu, daß er alles nur als ein Zwischenspiel verstand. Vorbereitungen zur Entfesselung eines bewaffneten Konfliktes, den er sich beim nächsten Mal nicht entgehen lassen wollte, begannen bereits an der Wende von 1938 auf 1939. Bei einer Rede in Saarbrücken am 9. Oktober 1938 setzte er seine Strategie der Drohungen und Werbungen fort. Die Eskalation der Vernichtungsgewalt im Inneren, durch die Reichspogromnacht vom 9. November, machte deutlich, daß das Regime einer weiteren politischen Radikalisierung zutrieb. Am 10. November, in einer Geheimrede vor den Vertretern der deutschen Presse, forderte Hitler einen radikalen Kurswechsel: weg von der Friedenspropaganda hin zur psychologischen Vorbereitung des Krieges. Die "pazifistische Platte" habe sich jetzt "bei uns abgespielt". Hinter den Kulissen liefen, unterstützt und administrativ vorbereitet von Offizieren, Beamten, Wirtschaftsunternehmen, bereits die militärisch-strategischen und operativen Planungen und rüstungstechnischen Vorbereitungen für den militärischen Ernstfall, ohne daß das nächste Ziel feststand.

Entfesselung des Krieges

Die politische und militärische Führung des Dritten Reiches hatte an der Jahreswende 1938/39 das Ziel der endgültigen Zerschlagung der sogenannten "Rest-Tschechei" im Auge und wollte Danzig und das Schicksal Polens "auf die Tagesordnung" setzen. Sie traf aber auch Vorbereitungen für einen Krieg gegen die Westmächte. Der Zeitpunkt und die politischen Umstände dieser Aktionen waren noch offen.

Gleichzeitig deutete sich immer klarer eine massive Aufrüstung auf Seiten der Westmächte an, die den Zeitpunkt einer ökonomisch-militärischen Unterlegenheit des Deutschen Reichs absehen ließ. Zudem zeichnete sich eine weitere Verschärfung der inneren ökonomischen Widersprüche als Folge der überhitzten Rüstungskonjunktur ab, die sich durch die erfolgreichen ökonomischen und fiskalischen Eroberungen des Jahres 1938 nur temporär beheben ließ. Das "strategische Fenster" (Bernd Jürgen Wendt) für Hitlers Kriegsplanung drohte sich bald zu schließen.

Doch für die Politik des Dritten Reiches gab es kein Zurück. Das hatte mit dem selbstentfesselten Schwung zu tun, der das Regime weitertrieb, vor allem aber mit der inneren Unruhe, die Hitler trieb und die ein Reflex der sich abzeichnenden Verschlechterung der innen- und außenpolitischen Situation des Reiches war. Zwar hatte das Regime auch durch die Erfolge von Wien und München eine innere Stabilität und übergroße Popularität erfahren und konnte auf die Unterstützung der militärischen und wirtschaftlichen Eliten setzen. Doch das war nur die Basis für die nun freigesetzte Eigendynamik der nationalsozialistischen Politik.

Hitler war seit der Durchsetzung des Führerabsolutismus in der Außen- und Kriegspolitik der alles entscheidende Souverän. Die zahlreichen Krisenphänomene im wirtschaftlichen, sozialen, aber auch internationalen Bereich konnten ihn nicht zu einer realistischen Einschätzung und zu einer eindeutigen Entscheidung für eine Prioritätensetzung in der Wirtschafts- und Rüstungspolitik bewegen. Sie dienten ihm in seinen Ausführungen vor Generälen und politischen Führern nicht etwa als bedrohliche Probleme, sondern vielmehr als ein zusätzlicher Beleg für seine These von der Notwendigkeit eines baldigen Losschlagens, so lange die Verhältnisse noch günstig wären. Hitler nahm die Hinweise auf die sich verschlechternden Wirtschaftsdaten und die schlechte Stimmung infolge von erneuten Versorgungsengpässen mit einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis, konnte er seine Aggressionspolitik doch dadurch mit scheinbaren Sachargumenten rechtfertigen. Entscheidend sind jedoch die ideologischen Motive seiner Politik, die jetzt deutlich hervortraten und die Entfesselung des Krieges vorantrieben. So sprach er öffentlich immer wieder von einem nahenden Krieg und kündigte für diesen Fall an, der "nächste Kampf (werde) ein reiner Weltanschauungskrieg sein, das heißt bewußt ein Volks- und Rassenkrieg sein."

Die konkreten politisch-operativen Ziele wurden zu Beginn des Jahres 1939 nur andeutungsweise angesprochen. So hatte Heinrich Himmler schon am 8. November 1938 seinen "lieben Männern" anvertraut, Hitler werde demnächst das "größte Reich schaffen, das von dieser Menschheit errichtet wurde und das die Erde je gesehen hat." Am 30. Januar 1939 wiederholte Hitler in seiner denkwürdigen Reichstagsrede öffentlich, was er schon Wochen zuvor im inneren Herrschaftszirkel angedeutet hatte, nämlich die Verbindung zwischen dem kommenden Weltkrieg und der Vernichtung der Juden in Europa: "Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte", so drohte Hitler im Reichstag, "die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa."

Damit kam das Ungeheuerliche in der nationalsozialistischen Politik zum Vorschein, das sich bislang hinter der Maske der Revisionspolitik versteckt hatte. Nicht nur ein Großreich, sondern auch ein Rassereich auf biologistischer Grundlage sollte geschaffen werden. Darum konnte es im Verständnis von Hitler auch keine Kehrtwendung und Abkehr von der Politik der unbegrenzten Rüstung und Aggression geben; darum verstärkten sich in Hitlers Vorstellungen wechselseitig die objektive Krisenlage und das subjektive Gefühl, daß nun eine Entscheidung herbeigeführt werden müsse.

Zerstörung des tschechischen Rumpfstaates

Die erste Weisung für den nächsten Schritt, nämlich die "Erledigung der Rest-Tschechei" und die "Inbesitznahme des Memellandes" erging am 21. Oktober 1938 an die Wehrmacht. Einen festen Fahrplan gab es noch nicht, die militärische Aktion wurde an sich bietende politische Konstellationen gebunden. Hitler war sich jedoch sicher, daß die endgültige Eroberung und Zerstörung des tschechischen Rumpfstaates in militärisch-politischer Hinsicht ein leichtes Spiel sein würde. Wieder suchte man sich nützliche Hilfswillige, deren Forderung nach nationaler Autonomie man scheinbar unterstützte. Nach den Sudetendeutschen waren es nun die slowakischen Nationalisten, die diese Rolle übernehmen sollten. Dem slowakischen Präsidenten Jozef Tiso (1887–1947) wurde aus Berlin mit einem drohenden Unterton "empfohlen", daß die Slowaken sich von Prag lossagen sollten, was das slowakische Parlament wunschgemäß einen Tag später am 14. März 1939 einlöste.

Der ultimative Druck auf die Slowakei war zugleich das Vorspiel zu einer ähn- lich angelegten Erpressung des tschechischen Staatspräsidenten Emil Hacha (1872–1945), der angesichts der Ereignisse in der Slowakei noch am selben Tag nach Berlin gereist war in der Hoffnung, mit dem übermächtigen Nachbarn, den man nun als Hegemonialmacht anerkennen mußte, noch in letzter Minute einen Modus Vivendi zu finden, um durch einen Akt der Anpassung wenigstens das nationale Überleben zu sichern. Was Hacha jedoch in der Reichskanzlei erwartete, war eine Form von Psychoterror. Hacha erlitt einen Herzanfall, als er mit der Drohung konfrontiert wurde, entweder den Einmarsch der deutschen Truppen am folgenden Tag hinzunehmen oder einer bewaffneten Auseinandersetzung entgegenzusehen. Dem gedemütigten und schockierten Präsidenten blieb nur noch der Ausweg, in einem Kommuniqué zu erklären, daß er "das Schicksal des tschechischen Volkes vertrauensvoll in die Hände des Führers des Deutschen Reiches" lege.

Noch in der Nacht marschierten deutsche Truppen über die Grenze. Am Tag darauf war bereits Hitler auf der Prager Burg und erklärte die tschechischen Territorien am 31. März 1939 zum "Protektorat von Böhmen und Mähren". Mit dem dienstbaren slowakischen Teilstaat wurde ein Schutzvertrag abgeschlossen, der immerhin den Schein einer eigenen Staatlichkeit wahrte.

Die Beute, die das Deutsche Reich noch einmal ohne Waffengewalt erobert hatte, war vorwiegend militärischer und wirtschaftlicher Natur. Die deutsche Militärgrenze wurde erheblich verkürzt, die Verkehrsverbindungen zwischen Österreich und Ostdeutschland einfacher. Die Rüstungswirtschaft konnte sich die tschechischen Waffenschmieden in Pilsen und Prag einverleiben, und noch einmal konnte man auf eine hochqualifizierte Arbeiterschaft zurückgreifen, die die dringende Mangelsituation auf dem deutschen Arbeitsmarkt milderte.

Vorgehen gegen Polen

Mit der neuen militärisch-politischen Lage hatte sich das Schicksal Polens dramatisch verschlechtert. Ob das zu einem Krieg mit Polen führen mußte, schien anfänglich noch offen. Denn in der Tat spricht manches dafür, daß bis zum März 1939 Hitler ein "tragbares Verhältnis" mit Polen herzustellen versuchte, was immer das bedeutete. Das eigentliche Ziel war zunächst der Kampf gegen den Westen. Doch mit der Besetzung des zu Litauen gehörigen Memellandes durch deutsche Truppen am 23. März 1939 mußte sich Polen in seinen Sicherheitsinteressen erneut gefährdet sehen. Es zeigte sich daher allen Angeboten aus Berlin gegenüber nun schroff ablehnend. Am 26. März lehnte die polnische Regierung eine Regelung der Danzigfrage im deutschen Sinne kategorisch ab. Damit gehörte Polen in der Einschätzung der deutschen Führung in das Lager der potentiellen Gegner, obwohl die Reichsregierung sich nach außen noch immer verständigungsbereit zeigte.

Rolle Englands

Entscheidend für den Handlungsspielraum der nationalsozialistischen Politik wurde das Verhalten Englands, das am 31. März 1939 erklärte, bei einer Bedrohung den Bestand Polens bewahren und für die nationale Souveränität des Landes eintreten zu wollen. Eine ähnliche Garantie wurde Rumänien gegeben. Eine so weitreichende Bindung auf dem europäischen Kontinent waren die Briten seit dem Locarno-Abkommen von 1925 noch nicht wieder eingegangen. Doch man besaß zu diesem Zeitpunkt in London noch keine konkreten operativen Pläne darüber, wie im Ernstfall Polen wirklich Hilfe erhalten solle. Noch wollte England versuchen, mit einer solchen Erklärung die deutsche Politik zu stoppen, aber auch der Einsatz militärischer Mittel war nicht mehr ausgeschlossen.

Hitler reagierte wütend auf die neue Situation und kündigte das deutsch-britische Flottenabkommen (1935) und den deutsch-polnischen Nichtangriffspakt (1934) am 27. April 1939 auf, nachdem er schon am 3. April eine Weisung für einen Angriff auf Polen gegeben hatte. Die britische Garantieerklärung bot nun den Vorwand, um den Generälen seine Kriegspläne zu eröffnen. Dabei schloß er nicht aus, daß es bei einem Krieg gegen Polen nicht auch zu einer langjährigen militärischen "Auseinandersetzung mit England auf Leben und Tod" kommen könne.

Die Entschlossenheit zu einem militärischen Abenteuer wurde durch einen symbolischen wie durch einen politischen Akt verdeutlicht: Am 20. April 1939 präsentierte sich das Regime mit einer waffenstarrenden Parade zu Hitlers 50. Geburtstag auf der neu erbauten Ost-West-Achse in Berlin. Acht Tage später glaubte Hitler in einer rhetorisch geschickten Gegenattacke auf einen Friedensappell des amerikanischen Präsidenten Franklin Delano Roosevelt (1882–1945) noch, mit Spott auf eine sich abzeichnende neue weltpolitische Konstellation reagieren zu können. Der Roosevelt-Appell hatte die Möglichkeit eines anglo-amerikanischen Bündnisses und einer weltweiten Dimension eines Krieges angedeutet, der eine Konsequenz der als universal empfundenen Bedrohung durch die Hitlersche Eroberungspolitik war.

Um sich nach der Garantieerklärung Englands für Warschau doch wieder einen politischen Handlungsspielraum zu verschaffen, versuchte Hitler zunächst, die sich anbahnende Mächtekonstellation so schnell wie möglich auszuschalten. Eine Möglichkeit dazu sah er in der raschen Niederwerfung Polens und in dem Versuch, die UdSSR aus der gegnerischen Koalition herauszuhalten. Denn mit der Aggressionspolitik wurde die Sowjetunion, die bisher eher am Rande gestanden hatte, Schritt um Schritt ins politische Spiel hineingezogen. Auch die britische Politik mußte sich nun darauf einstellen, daß ihr Versuch einer Konsolidierung in Ost- und Südosteuropa gegen Hitler nur mit Stalin zu gewährleisten war. Seit dem März 1939 setzte nun ein Wettlauf um die UdSSR ein.

Eröffnet wurde er von den Westmächten. Paris und London streckten erste Fühler aus und schlugen Moskau vor, sich an der Politik der Garantien zu beteiligen: Am 8. Juni traf ein britischer Sonderbotschafter zu Verhandlungen über einen förmlichen Beistandspakt in Moskau ein. Doch Jossif Stalin (1879–1953) blieb skeptisch und weigerte sich, von Frankreich und Großbritannien gegen die Deutschen vorgeschickt zu werden, während der Westen selbst in der Hinterhand bleiben wolle. Es blieb das alte revolutionäre Mißtrauen gegenüber den kapitalistischen Westmächten. Umgekehrt zeigten auch Polen und Rumänien wenig Bereitschaft, sich ausgerechnet von der Sowjetunion vor einem deutschen Angriff schützen zu lassen, gab es doch hier noch viele territoriale Forderungen und Konflikte und damit die Gefahr, daß der Retter sehr bald zum Besatzer werden könnte. Darum sperrte sich Polen von vornherein gegen ein sowjetisches Durchmarschrecht. All das lähmte die Verhandlungen der Westmächte in Moskau und erklärt die Halbherzigkeit, mit der sie geführt wurden. Gerade das aber war die Chance, die Hitler rasch ergriff, als sie ihm geboten wurde.

Die sowjetische Diplomatie operierte durchaus vorsichtig und versuchte, die deutsche Seite davon zu überzeugen, daß ideologische Meinungsverschiedenheiten sich nicht unbedingt auf die praktische Politik auswirken müßten. Auch die Tatsache, daß am 3. Mai der Außenkommissar Maxim Litwinow, der als Repräsentant einer westlich orientierten Außenpolitik galt, durch Wjatscheslaw Molotow ersetzt wurde, sollte als Signal in Richtung Berlin gelten. Schließlich wurde die Erinnerung an Rapallo (der deutsch-sowjetische Rapallovertrag vom April 1922 diente der Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen) von sowjetischer Seite ins Gespräch gebracht, und innerhalb weniger Wochen kamen die Dinge trotz der ideologischen Feindschaft in Fluß. Hitler reagierte auf die Offerten nach anfänglichem Zögern entschlossen.

Zwar hatte er mit Italien unter großem zeremoniellen Aufwand am 22. Mai 1939 den "Stahlpakt" unterzeichnet, der jeden Partner verpflichtete, dem jeweils anderen bei Ausbruch von militärischen Verwicklungen Beistand zu leisten. Doch das Militärbündnis war weit weniger schlagkräftig, als dies sein Name suggerierte. Mussolini ließ den Führer wissen, daß dieser vor 1943 mit Italien aus ökonomischen und rüstungstechnischen Gründen nicht rechnen könne. Nachdem Japans Beitritt zu diesem Militärbündnis gescheitert war, stand Hitlers Strategie auf noch unsicherem Boden. Das mußte seine Nervosität noch steigern, denn die militärischen Planungen liefen ungeachtet dieser politischen Engpässe weiter. Schließlich sollte die Wehrmacht am 26. August gegen Polen marschieren, und damit setzte sich die deutsche Führung unter einen Termindruck, der der russischen Seite nur gelegen kam.

Joachim von Ribbentrop, seit 1938 Außenminister, verwies daher die Sowjetunion verlockend darauf, "daß es zwischen Ostsee und Schwarzem Meer keine Frage gibt, die nicht zur vollen Zufriedenheit beider Länder geregelt werden könnte." Molotow verlangte aber noch Klarstellungen, bevor es zu Verhandlungen kommen sollte. Schließlich offerierte Moskau am 17. August der deutschen Seite drei Vertragstexte über ein Wirtschaftsabkommen, einen Nicht-Angriffs-Pakt und ein geheimes Zusatzprotokoll zur Abgrenzung der Interessensphären. Doch Hitler wurde noch direkter und schickte am 20. August ein Telegramm an "Herrn I. W. Stalin, Moskau", mit der Bitte, Ribbentrop nicht erst am 26. oder 27. August sondern schon am 22./23. August zu empfangen. Der Außenminister käme mit der "umfassendsten Generalvollmacht zur Abfassung und Unterzeichnung des Nichtangriffspaktes sowie des Protokolls". Stalin bestätigte den 23. August als Besuchstermin, verlangte aber von der deutschen Seite, sich zuvor öffentlich festzulegen. In einem Kommuniqué wurde daraufhin am 22. August der Abschluß eines Nichtangriffspaktes und der Besuch Ribbentrops in Moskau angekündigt.

Nichtangriffspakt mit Moskau

Im Nichtangriffspakt, den Ribbentrop und Molotow noch am 23. August unterzeichneten, versprachen sich beide Parteien gegenseitig, im Falle kriegerischer Verwicklungen der jeweils anderen Seite den Gegner des Vertragspartners nicht zu unterstützen. Sehr viel wichtiger war das geheime Zusatzprotokoll, das die Aufteilung des Baltikums und Polens in eine russische und eine deutsche Interessensphäre vorsah. Offen blieb noch die Frage, "ob die beiderseitigen Interessen die Erhaltung eines unabhängigen polnischen Staates" erwünscht erscheinen ließen, und wie dieser Staat abzugrenzen wäre. Das sollte erst "im Laufe der weiteren politischen Entwicklung" geklärt werden. Das war deutlich. Denn der Nichtangriffspakt war nichts anderes als die Einladung zum Angriff auf Polen.

Hitler konnte damit zufrieden sein, noch mehr allerdings Stalin. Er hatte nicht nur die berühmte Atempause erhalten, auf die nach dem Krieg immer verwiesen wurde. Er konnte erst einmal im Hintergrund bleiben und die Auseinandersetzungen der Westmächte mit den Achsenmächten abwarten. Vor allem aber hatte die deutsche Regierung, nur um den Vertrag noch vor dem Angriff auf Polen abschließen zu können, die territorialen Ansprüche der UdSSR akzeptiert. Dazu gehörte die Hälfte Polens (bis zu einer Linie entlang der Flüsse Narew, Weichsel und San), Litauen und das alte Kurland. Zur sowjetischen Interessensphäre gehörten daneben Finnland, Estland, Lettland und Bessarabien.

Mit diesem Nichtangriffspakt war der Krieg gegen Polen vorprogrammiert. Stalin hatte damit grünes Licht für die deutsche Kriegsmaschinerie gegeben, die unter Volldampf wartebereit stand und deren Oberbefehlshaber in größter Unruhe auf das Signal aus Moskau wartete. Schon für den 22. August hatte Hitler kurzfristig die höchsten militärischen Führer auf den Obersalzberg zitiert, um sie, mit seinem "unwiderruflichen Entschluß zu handeln", vertraut zu machen. Jetzt war er sich eines raschen Erfolges gegenüber Polen endgültig sicher. "Polen ist in die Lage hineinmanövriert worden, die wir zum militärischen Erfolg brauchen."

Am 24. August 1939 wurde in Moskau der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt unterzeichnet: Friedrich Gaus, Joachim von Ribbentrop, Josef Stalin und Wjatscheslaw Molotow (v.l.n.r.). (© AP)

Moskau konnte nun die Auseinandersetzung Hitlers mit dem Westen abwarten. Hitler hatte Stalin dagegen den Weg weit nach Westen geöffnet. Denn mit dem Angriff auf Polen und dem zu erwartenden Bündnisfall für England war der Pakt entwertet, drohte dann doch wieder der Zweifrontenkrieg, den Hitler mit seinen überstürzten Verhandlungen in Moskau gerade hatte verhindern wollen. Zwar hoffte er noch immer auf ein Angebot aus London, bzw. ging er davon aus, daß Frankreich und Großbritannien nicht mehr in der Lage sein würden, Polens militärischen Untergang zu verhindern. "Wir werden den Westen halten, bis wir Polen erobert haben", gab er sich selbstsicher. Trotz aller Stimmungsschwankungen, die bei Hitler in den letzten Tagen vor dem Kriegsbeginn zu beobachten waren, lehnte er alle Vermittlungsversuche seines Paladins Göring und des Staatssekretärs von Weizsäcker scharf ab, so lange seine Maximalforderung von London, daß man ihm nämlich freie Hand auf dem Kontinent ließe, nicht akzeptiert wurde.

Letzte Schritte zum Krieg

Alle deutschen Schritte in der letzten Augustwoche hatten nur noch taktische Bedeutung. Hitler war lediglich zu einem kurzen Aufschub bereit, als aus London die Nachricht von einem britisch-polnischen Beistandspakt am 25. August kam. Einige Stunden später brachte der italienische Botschafter die Absage Mussolinis, in einen Krieg einzutreten. Aber auch das konnte für Hitler eigentlich nicht überraschend sein, hatte doch der italienische Außenminister Ciano verschiedentlich klargestellt, daß mit Italien im Kriegsfall vorerst nicht zu rechnen sei. Hitler schien für einen Moment irritiert und nahm den Vorschlag des Oberkommandos des Heeres an, den Angriff zu verschieben. Doch dies war nur eine Atempause, denn die Mobilmachung lief weiter, trotz der hektischen diplomatischen Aktivitäten, die nun noch einmal ausbrachen.

Eine wirkliche Alternative zum Kriegsentschluß konnte es für Hitler jedoch nicht geben. Ein letzter Versuch Görings in den frühen Morgenstunden des 29. August machte die unterschiedliche Einstellung zu Politik und Krieg deutlich. "Wir wollen doch das Vabanque-Spiel lassen", mahnte Göring. Hitler aber sagte nur: "Ich habe in meinem Leben immer Vabanque gespielt." Als neuer Angriffstermin wurde der 1. September festgesetzt. Alle weiteren Verhandlungen wurden nur noch zum Schein geführt.

Man brauchte eine gute propagandistische Ausgangslage, um den Krieg dem eigenen Volk nicht als Angriffskrieg darstellen zu müssen, und um es propagandistisch auf den zweiten Krieg innerhalb einer Generation einzustimmen. Die rhetorische Verkleisterung der Kriegsplanung folgte den bekannten Mustern: Es ging angeblich um den Kampf um die nationale Existenz, die Verteidigung des Deutschen Reiches und das Aufbrechen einer internationalen Einkreisung. Auch die Frage der deutschen Minderheiten in Polen wurde noch einmal zugespitzt, um damit auch die öffentliche Meinung doch noch für die deutsche Sache einnehmen zu können.

Wie sich Hitler die Wirkung seiner Propaganda vorstellte, hat der Generalstabschef Franz Halder (1884–1972) in einer Unterredung am Nachmittag des 29. August von ihm erfahren: "Führer hat Hoffnung, daß er Spalt treibt zwischen England, Frankreich und Polen [...]. Grundgedanken: mit demographischen und demokratischen Forderungen nur so um sich werfen." Der tatsächliche Ablauf verlief anders. Was Hitler nach der Erinnerung Halders diesem als tatsächliche Zeitplanung vorstellte, zeigte die Entschlossenheit Hitlers, den Angriff auf jeden Fall zu führen: "30. 8. – Polen in Berlin. 31. 8. – Zerplatzen. 1. 9. – Gewaltanwendungen." Am 31. August unterzeichnete dann Hitler die Weisung Nummer 1 für die Kriegführung. Am Abend wurden über Rundfunk 16 Punkte verbreitet, die Hitler angeblich Polen als Verhandlungsangebot unterbreitet hätte. Doch die Polen hatten gute Gründe, nicht zu kommen. Wie Hitler sein Angebot selbst bewertete, gab er später zu: "Ich brauchte ein Alibi, vor allem dem deutschen Volk gegenüber."

Die letzten Augusttage zeigten es noch einmal überdeutlich: Hitler wollte den Krieg, und er hat das Risiko eines europäischen Krieges bewußt in Kauf genommen. Dabei ging es nicht um Ziele, die nicht auch durch Verhandlungen erreichbar gewesen wären, also nicht um Danzig, einen deutschen Korridor durch Polen nach Ostpreußen oder um eine Neuregelung der territorialen Streitigkeiten um das geteilte Oberschlesien. Es ging um die Eroberung Polens und damit auch um die Eröffnung einer ganzen Serie von kriegerischen Überfällen, durch die Hitler den Lebensraum erobern wollte, den nach seiner Rassen- und Raumtheorie das deutsche Volk benötigte. Die ideologische Fixierung auf den Krieg war die eigentliche Triebkraft Hitlers.

Die Fixierung auf die Raumeroberung verstellte auch die Möglichkeit zu einem wirtschaftlichen Ausgleich, einem economic appeasement, wie es die Briten in letzter Minute angeboten hatten. Doch ein solches Denken, das auf ökonomische Interessen, nüchternen Interessenausgleich und auf Verbesserung der materiellen Lage durch eine Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit abzielte, war Hitler im Kern fremd. Er nannte eine solche Position verächtlich "bürgerlich" oder "pazifistisch". Der nationalsozialistische Krieg, den Hitler nun eröffnete, war die radikale Gegenposition dazu. Aus dieser Haltung heraus entsprang auch die entschiedene Ablehnung der westlichen Vermittlungsangebote und das Nein auf die ultimative Forderung, die Kampfhandlungen, die am 1. September mit dem Angriff des Linienschiffes "Schleswig-Holstein" auf die "Westerplatte" bei Danzig begannen, abzubrechen.

Für Hitler hatte der Kampf um "Alles oder Nichts" begonnen. Was das tatsächlich bedeuten würde, welcher Krieg daraus entstehen würde, das konnte zu diesem Zeitpunkt kaum jemand wissen, auch Hitler nicht. Die Eroberung Polens und die sowjetische Neutralität sollten nach seinen Hoffnungen Deutschland in die Lage versetzen, den Krieg mit den Westmächten durchzustehen. Die britische und französische Kriegserklärung vom 3. September zerstörten jedoch diese Vision Hitlers, der die Fähigkeit zum politischen Kalkül zunehmend verloren hatte.

Nun drohte der Mehrfrontenkrieg in einer verkehrten Frontstellung, und das deutsche Volk zeigte, als es am Morgen des 1. Septembers 1939 per Rundfunk über den deutschen Angriff auf Polen informiert wurde, keinerlei Begeisterung, sondern allenfalls eine widerwillige Loyalität. Die Erinnerung an die vierjährige Not- und Leidenszeit des Ersten Weltkrieges war noch zu lebendig, und die deutschen Propagandameldungen von polnischen Greueltaten und einem angeblich "Polnischen Überfall" auf den Sender Gleiwitz, den die SS als Rechtfertigungsgrund inszeniert hatte, vermochten die Stimmung nicht zu ändern.

Rahmenbedingungen für Hitlers Handeln

Die Schuldfrage zum Zweiten Weltkrieg ist eindeutig und eine Kriegsschuld-Diskussion wie im Falle des Ersten Weltkrieges, sieht man von einigen Unbelehrbaren ab, hat es weder in der Geschichtswissenschaft noch in der Öffentlichkeit gegeben. Schwieriger zu beantworten ist die Frage nach den Motiven und Rahmenbedingungen, die zum Krieg führten. Hitlers Wille zum Krieg, der für ihn einen ideologischen Fixpunkt bildete, war sicherlich eindeutig und der dominante Faktor in den Entscheidungen der Jahre 1938/39. Aber es war nicht Hitlers Krieg allein. Es ist auch nach der Mitverantwortung der deutschen politischen, militärischen und wirtschaftlichen Machtgruppen zu fragen sowie nach den inneren und äußeren Bewegungsspielräumen, die sich innerhalb der nationalsozialistischen Führung ergaben.

Hitlers Wille zum Krieg wurde gefördert durch die geschilderten ökonomischen und sozialen Zwangslagen, die aufgrund des Willens zum Krieg selbstverschuldet und bewußt in Kauf genommen worden waren. Der Hinweis auf diese Zwangslagen, die angeblich keinen anderen Ausweg als Krieg und Eroberung zuließen, hat vor allem den politisch-militärischen und wirtschaftlichen Führungsgruppen als scheinbare Legitimation dienen sollen. Freilich war mit den erstaunlichen nationalpolitischen Erfolgen Hitlers die Fähigkeit dieser Gruppen zum Kalkül und damit auch zur Entwicklung von Gegenpositionen immer weiter geschwunden.

Auch waren die Trennlinien verwischt, die bei aller Teilidentität der Ziele zwischen dem national-konservativen Großmachtdenken in Wehrmacht, Bürokratie und Wirtschaft einerseits und dem nationalsozialistischen Eroberungsprogramm andererseits bestanden hatten. Das war das Ergebnis der Versuchung, die der Nationalsozialismus vor allem für diese Gruppen bedeutete. So hatten die militärischen Eliten im Nationalsozialismus sowohl die Chance zur Erhaltung bedrohter sozialer Macht- und Einflußpositionen als auch zur erhofften Aufrüstung und großdeutschen Expansion gesehen. Für die Vertreter der Wirtschaft hatte sich die Hoffnung auf eine ökonomische Aufwärtsentwicklung und Gewinnsteigerung durch Rüstungsprogramme sowie auf eine Erweiterung des deutschen Wirtschaftsraumes nach Südost- und auch Osteuropa als so verführerisch erwiesen, daß sie den Verlust an wirtschaftspolitischer Mitsprache hinzunehmen bereit waren. Zudem wähnte man sich in der stets erhofften Übereinstimmung mit der Loyalitätsbereitschaft von weiten Teilen der Gesellschaft.

Sicherlich haben auch die internationale Mächtekonstellation, die permanente Krise der europäischen Staaten im Inneren wie nach außen einen günstigen Rahmen für die Verletzung und Zerstörung aller politischen Grenzen und Regeln geboten, wie sie Hitler mit seiner Witterung für die Schwächen des Gegners betrieb.

Alle Staaten hatten für ihre Politik gute Gründe: Die britische Politik für ihre Appeasement-Strategie, die französische für ihren Verzicht auf eine aktive Außenpolitik, die Sowjetunion für ihren Pakt mit Hitler, Polen für seine Schaukelpolitik zwischen Ost und West, die Staaten Ostmitteleuropas und Südosteuropas für ihre Anpassungsbereitschaft. Das alles führte zu einem schwächlichen Widerstand und zur Preisgabe der Instrumente der kollektiven Konfliktregelung. Diese waren im Völkerbund und Locarno-Pakt in den zwanziger Jahren durchaus beispielhaft entwickelt worden. Seit der Weltwirtschaftskrise waren die Staaten nur noch um ihre nationalen Interessen und eine nationale Politik besorgt. Die Auflösung der überkommenen Vertrags- und Konfliktlösungsstrategie führte zu einer fast anarchischen Situation in der internationalen Politik, während gleichzeitig die politische Massenmobilisierung im Gefolge des Ersten Weltkrieges die Ideologisierung des Politischen vorantrieb.

Das alles waren die Hintergründe für eine zunehmende politische Fehlsicht und ein Mißverständnis: Während die westliche Seite in Kategorien der politischen und ökonomischen Vernunft dachte und sie mit ihrem Angebot eines economic appeasements zum Ausdruck brachte, übersah sie, daß es Hitler nicht um wirtschaftliche Vorteile ging, sondern um Raumeroberung und die Umsetzung seiner Rassenutopie. Bei aller Kontinuität, in der die nationalsozialistische Großmachtpolitik zum wilhelminischen Imperialismus noch stand, sollte der revolutionäre Bruch, den diese Politik Hitlers letztlich bedeutete, während des Krieges mit der Verwirklichung der Rasse- und Lebensraumvisionen immer deutlicher werden.

Quellen / Literatur

Auszug aus: Informationen zur politischen Bildung (Heft 266) - Nationalsozialistische Außenpolitik: der Weg in den Krieg

Fussnoten

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geb. 1943, ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Münster. Seine Forschungsschwerpunkte sind der Nationalsozialismus und der europäische Faschismus.

Veröffentlichungen u.a.: Verführung und Gewalt. Deutschland 1933-1945, (Die Deutschen und ihre Nation, Bd. 5), Berlin 1986; Der Nationalsozialismus, Stuttgart 2002.