Orte des Ankommens (I): Architekturen für Geflüchtete in Deutschland seit 1945
Stephanie HeroldMałgorzata Popiołek-Roßkamp
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Ein Überblick: Was lehrt die Geschichte der vielfältigen "Orte des Ankommens" in Deutschland über den Umgang der bundesdeutschen Gesellschaft mit Geflüchteten seit 1945? Das Notaufnahmelager Marienfelde, ursprünglich am 14. April 1953 für Geflüchteten aus der DDR gebaut, nimmt dabei eine Scharnierfunktion zwischen unterschiedlichen Formen der Unterbringung als temporäres Notlager und langfristig gedachte Siedlungsstruktur ein und ist darüber hinaus eines der wenigen denkmalgeschützten Flüchtlingslager, das in der Gegenwart noch genutzt wird. Gleichzeitig als Gedenk-, Denkmal- und Begegnungsort.
Die Orangerie der Biosphäre Potsdam, eine aus Sperrholz und Folie gebaute Hüttensiedlung in Europacity, nahe dem Berliner Hauptbahnhof, Containerdörfer auf dem Gelände des Bundesarchivs in Berlin-Lichterfelde oder auf dem Flugfeld des ehemaligen Flughafens Tempelhof. Die heutige Unterbringung von Geflüchteten in Deutschland oszilliert genauso wie in der Vergangenheit zwischen dem offiziellen und inoffiziellen (Dauer)Provisorium. Bei Unterkünften für Geflüchtete handelt es sich meist um eine „Architektur ohne Architekten“, jenseits der Architekturgeschichte, auf die funktionale (Um)Nutzung fokussiert, kostensparsam, schnell auf- und abbaubar und wiederverwendbar.
Diese marginalisierten Räume dienen aber gleichzeitig als Ankunftsräume für viele tausend Menschen in Deutschland. Die Aufenthalte dort beschränken sich längst nicht mehr auf nur wenige Tagen oder Wochen, sondern umfassen oft mehrere Monate manchmal sogar Jahre. Inwieweit ermöglichen die oben geschilderten Orte jedoch Formen des Ankommens, die über die rein körperliche Präsenz hinaus gehen? Die hier versammelten Artikel betrachten, ausgehend vom historischen Notaufnahmelager in Marienfelde, verschiedene Formen und Konzepte der Unterbringung von Geflüchteten nicht nur in Bezug auf Entstehung und Funktion, sondern auch auf die Frage, wie ein Wohnen und ‚Ankommen‘ der Geflüchteten an diesen Orten möglich war – beziehungsweise welche Grenzen dem gesetzt wurden.
Lagerarchitekturen
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Wohnraum in Deutschland knapp, gleichzeitig hatten viele Menschen ihren eigentlichen Wohnort verloren. Gelöst wurde diese Problematik zunächst pragmatisch und provisorisch durch Lagerarchitekturen, teilweise in Weiternutzung ehemaliger Zwangsarbeiter*innen und Gefangenenlager des NS-Regimes, teilweise durch Lager aus neu geschaffenen Notunterkünften.
Als eine Lagergeschichte betrachtet der Historiker Mathias Beer die Nachkriegszeit in Deutschland, wo das Lager zu einer allgegenwärtigen Lebensform wurde. Gleichzeitig sind diese Lagerarchitekturen strukturell mit der Entwicklung der Architektur in der Nachkriegszeit und des sozialen Wohnungsbauprogramms eng verbunden, die beide als direkte Reaktion auf die vorhandenen Missstände interpretiert werden können.
In aktuellen Publikationen zu diesem Themenkomplex werden politische, soziale, wahrnehmungsgeschichtliche, erinnerungskulturelle Dimensionen von Lagern untersucht. In Bezug auf Lager für Geflüchtete wird dabei in der aktuellen Forschung die Frage nach der historischen Wahrnehmung durch die verschiedenen Gruppen der Geflüchteten auch mit der Frage nach den damit verbundenen Erinnerungskulturen und auch nach der Aufnahmebereitschaft der deutschen Gesellschaft heutzutage verknüpft. Das Geflüchtetenlager wird hier zum Kristallisationspunkt verschiedener gesellschaftlicher Dimensionen und über seine räumliche Struktur als sozialer Ort verhandelt. Eine stärker objektbezogene Bestandsaufnahme der zeitgenössischen Flüchtlingsarchitektur in Deutschland präsentiert der „Flüchtlingsbautenatlas“, der als Reaktion auf die sogenannte Flüchtlingskrise im Herbst 2015 im Jahr darauf mit der begleitenden Ausstellung als deutscher Beitrag für die 15. Architekturbiennale in Venedig entstanden ist. Hier dominiert der architektonische Blick, verknüpft mit der Frage nach dem tatsächlichen Leben im angebotenen Raum. In der 2021 eröffneten ständigen Ausstellung im Berliner Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung werden Flüchtlingslager als „Widersprüchliche Orte“ bezeichnet, in den Menschen auf eine Entscheidung über ihr Schicksaal warten müssen. Die temporäre Lagerarchitektur bildet hier nur einen Hintergrund für die Trostlosigkeit des Alltags, der in dieser „Zwischenwelt“ nach dem Verlust einer Heimat und vor dem Finden einer neuen, meistens länger als ursprünglich vorgesehen bewältigt werden muss. Gefangen im Raum der kontrollierten Abläufe müssen die Menschen auch neben der Ungewissheit über ihre Zukunft mit der alltäglichen Langeweile kämpfen. Denn das Lager bietet ihnen, mit seiner Temporalität und maximal zugespitzten Funktionalität, wenig Abwechslung, geschweige denn Unterhaltung.
Wie dieser schwierige Raum zumindest ansatzweise beheimaten kann, beschäftigt intensiv die aktuelle Forschung zur heutigen Situation von Geflüchteten, in der der Raum als eine Kombination aus materiellen Gegebenheiten und sozialen Praktiken verstanden wird. So werden die Bewohner*innen solcher Orte zunehmend als aktive, handelnde Akteur*innen, die den Raum mit(gestalten) wahrgenommen und nicht als lediglich passive Empfänger*innen der vorgegebenen Infrastrukturen.
Das historische Notaufnahmelager Marienfelde
Gerade vor diesem Hintergrund eines scheinbar steigenden aktuellen Forschungsinteresses auf dem Gebiet, lohnt sich der Blick in die Geschichte. Auch historische Lager können unter dem beschriebenen Fokus betrachtet werden, der die Interaktion zwischen restriktivem Raum und bewohnendem Menschen in den Vordergrund rückt und die damit verbundenen Prozesse in einen weiteren gesellschaftlichen Rahmen stellt.
Zu diesen historischen Ankommens-Orten zählt auch das Notaufnahmelager Interner Link: Marienfelde in Berlin. Dabei stellte dieses Lager schon zeitgenössisch eine Besonderheit dar: schließlich wirken die Bauten in Marienfelde, nicht wie das, was man sich landläufig unter ‚Lager‘ vorstellt sondern erinnert eher an zeitgenössischen Siedlungsbau. Das lässt sich auf die besondere historische und politische Situation zurück rückführen, in der das Notaufnahmelager Marienfelde gebaut und geplant wurde. Nachdem die Teilung Berlins sich 1948 unter anderem durch die Berlin-Blockade manifestierte, begann auch eine Fluchtbewegung aus dem Osten in die westlichen Teile der Stadt; im selben Jahr wurde die erste Meldestelle in Berlin Charlottenburg eingerichtet.
Die Menschen wurden zunächst dezentral untergebracht, bereits 1949 gab es 25 über das Stadtgebiet verteilte Aufnahmeeinrichtungen. Da die Zahl der Neuankömmlinge jedoch stetig wuchs, wurde ab Beginn der 1950er-Jahre eine zentrale Lösung für die Aufnahme der Geflüchteten diskutiert. Dabei entschied man sich bewusst für ein Konzept, das von einer klassischen Lagerarchitektur mit standardisierten Bauten zur temporären Unterbringung vieler Menschen mit niedrigsten Standards in Bezug auf soziale und infrastrukturelle Versorgung abwich. Stattdessen errichtete man eine an zeitgenössische Siedlungen angelehnte Struktur, bestehend aus 15 Zeilenbauten, die neben Verwaltung und zentraler Versorgung wie Kinderhort und Kantine vor allem Wohnraum für vorgesehene 1.200 Geflüchtete bieten sollte.
Dieser Wohnraum wurde – und auch hier unterscheidet sich das Bauensemble in Marienfelde grundlegend von anderen Aufnahmeeinrichtungen – in Form von 1-3-Zimmer Wohneinheiten gestaltet. Der Hintergrund war, dass man den Zustand der deutsch-deutschen Teilung nicht durch den Bau einer dauerhaften Flüchtlingsaufnahmeeinrichtung symbolisch akzeptieren und manifestieren wollte. Stattdessen sollten die Bauten bewusst, wie Wohngebäude konzipiert werden, um so zu signalisieren, dass man politisch davon ausging, dass es sich bei der aktuellen Situation um eine Episode handle und eine derartige Einrichtung nur temporär notwendig sei. In der Grundsteinurkunde vom 30.07.1952 wird entsprechend festgehalten:
„In der festen Zuversicht, dass der Kampf und die Freiheit aller Deutschen endgültig gewonnen wird, errichtet Berlin dieses Notaufnahmelager in Form einer Wohn-Siedlung, die später eine Heimstätte freier und glücklicher Menschen sein soll. Die ganze Planung ist daher auf diese endgültige Verwendung abgestellt.“
Die Bezeichnung als nicht nur glückliche, sondern auch freie Menschen deutet ausdrücklich auf den dezidiert politischen (und nicht ausschließlich humanitären) Hintergrund dieser planerischen Entscheidung hin. Die modernen Formen der Siedlung waren außerdem im architektonischen Konkurrenzkampf der politischen Systeme zu verstehen. Gleichzeitig war das Gelände, der Bezeichnung eines Lagers entsprechend, umzäunt und bewacht, somit eindeutig als kontrollierter und eben nicht freier Ort erkennbar – und ist in Teilen bis heute. Denn tatsächlich wurde und wird das ‚Lager‘ weitergenutzt, seit Mitte der 1970er Jahre für die Unterbringung von Spätaussiedler*innen und ab 2010 für die Asylsuchenden. Lediglich ein Teil des Lagers aus der zweiten Bauphase von 1955 wurde Ende der 1960er Jahre an die Wohnungsbaugesellschaft Degewo verkauft.
Dennoch bietet sich dieses Projekt durch seine bis heute ungewöhnliche Form an, um über die Unterbringung von Geflüchteten und auch über das Thema der Temporalität, im Sinne der Weiterentwicklung eines temporären Aufenthaltsortes zum dauerhaften Wohnort, nachzudenken. Ähnliche Vergleichsbeispiele gibt es bis heute wenig. Ein unter funktionalen Prämissen ähnliches Projekt ist die Unterkunft Bunsenstraße, die 2016 in Kassel eröffnet wurde. Nach dem „Kasseler Modell“, das die Beziehungen zwischen Wissenschaft, Planung und Gesellschaft in den 1970er Jahren an der Gesamthochschule Kassel neugestaltete, hat eine Gruppe von Architekt*innen ein Projekt entwickelt, das gemäß den aktuellen Bedürfnissen schnell umgestaltet werden kann. Die entstandenen Räume verfügen als „sparsame Wohnungen“ über das Potenzial nach ihrer Nutzung als Gemeinschaftsunterkunft als sozial geförderte Wohnungen oder Studierendenappartments weitergenutzt zu werden. Das Projekt versteht sich so auch als Beitrag zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung.
Orte des Ankommens und Arrival Cities
Der in dieser Publikation zentral gesetzte Begriff des „Ankommens“ beinhaltet mehrere Dimensionen, bezeichnet er doch nicht nur das physische Ankommen an einem Ort, sondern kann auch im übertragenen Sinne auf das mentale Ankommen bezogen werden, auf das heimisch werden an einem Ort. Dies hat viel mit einem Ankommen im Raum und mit Möglichkeiten einer räumlichen Aneignung zu tun. Ende der 1970er-Jahre stellte die Kulturwissenschaftlerin Ina-Maria Greverus in einer kritischen Auseinandersetzung mit Konzepten und Vorstellungen von Heimat das heimisch werden an einem Ort als aktiven, räumlich verankerten Prozess dar und formulierte darauf aufbauend die politische Forderung, verschiedene Möglichkeiten für diese aktiven Prozesse zu schaffen.
Was man so als ein Desiderat an aktuelle Situationen formulieren mag, kann gleichzeitig als Untersuchungsfolie auf historische Situationen angewandt werden; denn gerade hier treffen sich soziale und räumliche Strukturen, verdeutlichen bauliche Strukturen und ihre Veränderungen und Transformationen auch soziale Prozesse (des Ankommens?) über die Zeit. Räumliche Transformation, Ankommen und Aneignung stehen so in einem engen Zusammenhang.
Der Begriff des Ankommens und der Ankunft steht seit einiger Zeit auch international im Mittelpunkt von Forschungen, die sich aus heutiger Perspektive mit dem Thema Migration beschäftigen. Als wichtiger Impulsgeber in diesem Zusammenhang gilt das 2011 erschienene Buch „Arrival Cities“ des kanadischen Autors Doug Saunders, der dort Migrationsbewegungen und vor allem Mechanismen des Ankommens in verschiedenen städtischen Räumen beschreibt. Aus dem von Saunders geprägten Diktum der arrival cities gehen verschiedene aktuell diskutierte Begriffe und Konzepte hervor wie Ankunftsräume, Quartiere des Ankommens / arrival neighbourhoods, arrival infrastructures, oder sogar arrival countries, die sich mit räumlich verankerten Prozessen und strukturellen Bedingungen des Ankommens von migrierende Menschen beschäftigen.
Auch wenn diese Forschungen sich meist auf die Stadt oder das Quartier als sozialen Raum beziehen und wir den Fokus dieser Veröffentlichung in Anknüpfung an das Thema Marienfelde auf eine spezifische Form von Orten des Ankommens legen, so haben wir den Titel der Tagung, die zum Ausgangspunkt dieser Online-Publikation geworen ist, doch bewusst gewählt, um auf mögliche Brückenschläge auch zu diesen Forschungen zu verweisen.
Konferenz "Orte des Ankommens"
Das Online-Dossier "Interner Link: Orte des Ankommens - Lager und Siedlungen in Deutschland nach 1945" geht aus der anlässlich des 70. Jubiläums des Lagers Marienfelde organisierten Externer Link: Konferenz „Orte des Ankommens: Lager, Unterkünfte und Siedlungen für Geflüchtete in Deutschland seit 1945. Architekturen, Wandel, Erinnerung“ hervor, die vom 12-14. April 2023 in Berlin stattfand und knüpft thematisch an die 2013 veranstaltete Tagung „Flüchtlingslager im Nachkriegsdeutschland. Migration, Politik und Erinnerung“ und den darauffolgenden gleichnamigen Band unter Herausgeberschaft von Henrik Binspick und Katahrina Hochmuth an, setzt aber andere Schwerpunkte. Während sich die Konferenz vor 10 Jahren auf die erfahrungsgeschichtliche Dimension, politische Indienstnahme und öffentliche Wahrnehmungsgeschichte von Flüchtlingslagern konzentrierte, wird der Fokus hier auf die Materialität der Architektur für Geflüchtete und auf ihren räumlichen Kontext gerichtet, der sich sowohl nach innen als auch außen manifestiert, in dem die Architektur das Leben vor Ort organisiert und die Gegend prägt, in der sie entsteht.
Die vorliegenden Aufsätze greifen zum Teil verschiedene Eigenschaften des ehemaligen Notaufnahmelagers Marienfelde auf, das ein Lager und eine Wohnarchitektur zugleich war, und bis heute in dieser doppelten Funktion inklusive einer Erinnerungsstätte, genutzt wird. Die bewegte Entstehungs- Nutzungs- und Veränderungsgeschichte von Marienfelde soll somit durch die Beiträge zu anderen Unterkünften, Lagern, Siedlungen und weiteren Unterbringungspraktiken zeitlich sowie geografisch kontextualisiert werden. In den Beträgen wird so die aktuelle Forschung zu räumlichen und materiellen Aspekten der Unterbringung von geflüchteten Personen nach 1945 diskutiert und gleichzeitig werden neue Aspekte in Bezug auf räumliche Ausprägung und Aneignung aufgegriffen.
So thematisieren die Beiträge von Interner Link: Timo Saalmann zum Siedlungsbau der Nachkriegszeit auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers in Flossenbürg und von Interner Link: Piritta Kleiner zur Siedlung Ludwigsfeld auf dem ehemaligen KZ-Außenlagergelände in Allach bei München die Transformation durch das nationalsozialistische Lagersystem geprägter Orte zu Wohnorten insbesondere für die in Folge des Krieges geflüchteten und vertriebenen Menschen. Während der Beitrag von Timo Saalmann insbesondere die historischen und sozialen Hintergründe für die aus heutiger Perspektive oft unverständlich wirkende Entstehung einer Wohnsiedlung an genau diesem Ort beleuchtet und so zur Einordnung dieser historischen Entwicklung beiträgt, verdeutlicht der Text von Piritta Kleiner darüber hinaus auch die aus der Geschichte hervorgehenden emotionalen, sozialen und erinnerungspolitischen Aspekte, die diese Orte und teilweise auch die Bewohner*innenschaft bis heute prägen. Das bewusste Erinnern an die verlorene Heimat, den Ort Gablonz, untersucht Interner Link: Monika Peters in ihrem Text zum Aufbau des neuen Wohnortes Neugablonz auf dem ehemaligen Gelände der Rüstungswerke.
Der Frage nach dem Erhalten und Erinnern und Vergessen von Orten des Ankommens mit ihren verschiedenen Zeitschichten, widmen sich die Beiträge von Interner Link: Rainer Bobon, und Interner Link: Zofia Durda. In ihren Aufsätzen zu zwei Ausstellungsprojekten, zu Stuttgart-Rot und zu einem Freilichtmuseumsprojekt Königsberger Straße, zeigen sie deutlich, dass das Bauen für Geflüchtete zu den Hauptbauaufgaben nach 1945 gehörte. Als Gegenbeispiel zu diesen Erinnerungsorten und -initiativen stellt Interner Link: Fabian Schmerbeck das zentrale Aufnahmelager der DDR für Geflüchtete aus der BRD in Röntgental bei Berlin als vergessenen Ort der deutsch-deutschen Geschichte dar und verdeutlicht, insbesondere im Vergleich mit dem ehemaligen Notaufnahmelager in Marienfelde, eine erinnerungspolitische Leerstelle.
Die vier verbleibenden Beiträge schlagen von diesen historischen Orten und die zeitgenössische Erinnerung daran einen Bogen in die Gegenwart und heutige gesellschaftliche Herangehensweisen an Flucht und Vertreibung und die damit verbundenen räumlichen Konzepte. Eine Scharnierfunktion nimmt dabei der Text von Interner Link: David Templin ein, der am Beispiel der Diskussion um die Unterbringung von Geflüchteten und Asylsuchenden im Hamburg der 80er-Jahre die historische Entwicklung teilweise bis heute gültiger Herangehensweisen und gesellschaftlicher Vorstellungen in Bezug auf die Unterbringung geflüchteter Menschen aufzeigt.
Interner Link: Philipp Misselwitz und Interner Link: Philipp Piechura diskutieren verschiedene aktuelle Konzepte zur Unterbringung geflüchteter Menschen aus architektonischer und sozialhistorischer Sicht und richten dabei explizit den Fokus auf die Möglichkeiten zur Verbesserung von Unterbringungs- und Wohnmöglichkeiten. Interner Link: Francesca Ceola und Qusay Amer schließlich verdeutlichen mit ihrem Blick über den deutschen Kontext hinaus die globale Dimension dieser Thematik und zeigen auch die Übertragbarkeit von Problemen Geflüchteter in Bezug auf Zugang zu Räumen und Teilhabe an der Entwicklung eigener Möglichkeiten.
Das bis heute als Unterkunft für geflüchtete Menschen dienende ehemalige Notaufnahmelager in Marienfelde spiegelt einen Teil der Migrationsgeschichte Deutschlands nach 1945 bis heute wider. Als Aufnahmelager für aus der DDR geflüchtete Menschen 1953 eröffnet, ist dies kein ausschließlich musealisierter Erinnerungsort, sondern auch nach wie vor ein „Ort des Ankommens“, heute für Menschen aus aller Welt. Durch seine lange Nutzungskontinuität schlägt der Ort von sich aus eine Brücke aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart und lädt zum Nachdenken ein über die heutigen Orte des Ankommens im historischen Kontext der Migration.
Zitierweise: Stephanie Herold und Małgorzata Popiołek-Roßkamp, Orte des Ankommens (I): Das Notaufnahmelager Marienfelde und Architekturen für Geflüchtete in Deutschland seit 1945, in: Deutschland Archiv, 15.07.2024, Link: www.bpb.de/550310. Der Beitrag ist Teil einer Serie "Orte des Ankommens", erstellt in Kooperation des Fachgebietes Städtebauliche Denkmalpflege und Urbanes Kulturerbe der Technischen Universität Berlin, dem Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung Erkner und der Stiftung Berliner Mauer 2023/24, herausgegeben von Stephanie Herold und Małgorzata Popiołek-Roßkamp. Anlass war eine Tagung zum 70. Jahrestag der Gründung des Externer Link: Berliner Notaufnahmelagers Marienfelde am 14. April 1953. Alle Beiträge im Deutschland Archiv sind Recherchen und Meinungsbeiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar und dienen als Mosaikstein zur Erschließung von Zeitgeschichte. (hk)
Prof. Dr. Stephanie Herold lehrt am Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin. Ihre Themenschwerpunkte: Geschichte und Theorie der Denkmalpflege, Denkmalwahrnehmung, Ästhetik und Emotionen, Kulturelles Erbe in Osteuropa sowie Architektur der Nachkriegsmoderne und Postmoderne. Zuvor arbeietetet sie am Kompetenzzentrum Denkmalwissenschaften und Denkmaltechnologien (KDWT) der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.
Dr. Małgorzata Popiołek-Roßkamp arbeitet seit Januar 2020 im Forschungsschwerpunkt "Zeitgeschichte und Archiv" des Leibniz-Instituts für Raumbezogene Sozialforschung in Erkner. Sie beschäftigt sich derzeit mit der Konversion der militärischen Flächen in Berlin und Brandenburg nach dem Abzug der Alliierten als Teil der Transformationsgeschichte.
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