Da der Auslandssport der DDR bisher kaum erforscht ist, warten seine Rolle im Konkurrenzverhältnis zur Sowjetunion und im Warschauer Pakt, das Agieren der Sportverbände der DDR in ihren Weltföderationen oder die internationalen Beziehungen des Armeesports bisher ebenso auf eine Analyse wie die Auslandsarbeit des MfS und der ihm zugeordneten Sportvereinigung Dynamo (SVD) und ihrer Sportclubs (SC).
Für die „Anerkennung in der nichtsozialistischen Welt“
Durch die bundesdeutsche
Frühere Afrika-Kontakte des MfS betrafen unter anderem den Einsatz von geheimen Informanten an den ersten DDR-Vertretungen in Afrika,
Startschuss auf Sansibar
Die Bühne für den verstärkten Afrika-Auftritt des MfS stand aber in Ostafrika, wo Sansibar zwei Monate vor seiner Fusion mit Tanganjika (Vereinigte Republik Tansania) im Februar 1964 die DDR anerkannte. Im deutschlandpolitischen Tauziehen mit der Bundesrepublik gewährte Tansania der DDR ab 1965 ein Generalkonsulat in Daressalam und ein Konsulat auf dem weiterhin recht autarken Sansibar, aber keine diplomatische Anerkennung (erst ab 1972).
Schon 1963 berieten der DTSB und das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA), DDR-Alpinisten den Kilimandscharo (bis 1964 „Kaiser-Wilhelm-Spitze“) erklimmen zu lassen, da sich so die deutsche Kolonialzeit Tansanias (1885–1918) medienwirksam anprangern ließ. Während dies 1968 geschah, war Tansania ab 1967 beim jährlichen Internationalen Trainerkurs der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig vertreten. Und im Januar 1969 trat der Berliner Fußballclub Dynamo (BFC) zum fünften Jahrestag der Einheit Tansanias in Daressalam und auf Sansibar gegen dortige Auswahlteams an, obwohl der DTSB nach sportpolitisch ernüchternden Spielen der Fußballnationalelf und der Oberligaclubs Carl Zeiss Jena und Wismut Aue 1964-67 in Ghana, Guinea und Mali (teils ohne DDR-Hymne, mit Niederlagen, übermotivierten Gegnern, mäßiger Medienresonanz und hohen Kosten) intern vermerkt hatte, nach Afrika „keine Fußballmannschaften mehr zu schicken“.
„Außenpolitischer Erfolg“ als strategischer Brückenschlag
Dass sich mit dieser Afrikareise des BFC auswärtige Motive verbanden, zeigen Briefe von DDR-Diplomaten an Erich Mielke. Ihr devoter Ton ergab sich bereits daraus, dass der Stasichef auch Gründungspräsident der SVD (seit 1953) und Ehrenpräsident des 1966 gegründeten BFC war. Fast gleichlautend schrieben ihm Siegfried Büttner (Konsul auf Sansibar) und Erich Butzke (Generalkonsul in Tansania), „das disziplinierte, politisch kluge Auftreten der Fußballmannschaft des SC Dynamo“ sei „als außenpolitischer Erfolg zu werten, hat grundsätzliche Bedeutung für die Erhöhung des Ansehens der DDR“ und „einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet“.
Komplexe Gemengelage vor Olympia 1972
Deshalb, die diplomatische Anerkennung stets anpeilend und mit eigenen Leistungssportinteressen ausgestattet, folgten weitere Sportprojekte. Nachdem Anfang 1971 DDR-Leichtathleten (Gehen/Lauf) erstmals in Tansania trainierten, schienen hier künftig Klima- und Höhentrainingslager möglich. Die Kooperation habe „gute außenpolitische Auswirkungen“ und sei auszubauen.
Die internen Vorgänge rund um die frühen Afrika-Kontakte der SVD liegen aber weitgehend im Dunkeln, auch aufgrund einer kargen Aktenlage. So ist offen, welche Vorgaben das Büro der Zentralen Leitung der SVD als ihr Führungsgremium vom MfS oder Mielke persönlich dazu erhielt und was ihre Auslandsabteilung wiederum dem BFC dazu auftrug. Unklar ist auch, ob sein 1969er-Einsatz Folge eines Abkommens des MfS mit den sansibarischen beziehungsweise tansanischen Sicherheitsbehörden war. Erkennbar ist indes, dass das MfS auch in der Afrika-Arbeit des Sports inoffizielle Mitarbeiter (IM) einsetzte.
Sportspione in Afrika
Vor Olympia 1964 erließ Mielke am 15. November 1963 einen Befehl zur „politisch-operativen Abwehrarbeit“ im Leistungssport, der erstmals die Ausspähung der eigenen Athleten vorsah, um etwaige Kontakte zu Westdeutschen zu unterbinden.
Angesichts dieser langen Arme der Stasi – die mit der „Arbeitsgruppe Ausländer“ ihrer Abteilung für Spionageabwehr auch in der DDR lebende Afrikaner und Afrikanerinnen ausspähte – überrascht es nicht, dass das MfS für die HVA auch zur Entsendung nach Afrika vorgesehenes Sportpersonal als verdeckte Informationsquelle rekrutierte. So etwa einen Sportarzt mit dem Tarnnamen „Ergo“, der von 1968 bis 1970 im Rahmen der Sportkooperation zwischen der DDR und Ägypten eine sportmedizinische Praxis in Kairo betrieb. Er sollte monatlich an eine Deckadresse schreiben, seine Notizen nur verschlüsselt in einem Tagebuch festhalten, in Kairo tätige Personen und Institutionen der Bundesrepublik möglichst fotografieren und mehr über die „Absichten, Pläne und Methoden der Westdeutschen zu den Olympischen Spielen 1968 und 1972“ erkunden.
Sport in den Afrika-Abkommen des MfS
Die Afrikapolitik der DDR erlebte nach ihrer internationalen Anerkennung 1972/73 sowie dem Exodus der portugiesischen Kolonien in Afrika 1974/75 und den darauffolgenden Bürgerkriegen (Angola, Mosambik, Äthiopien) bis 1980 ihren Höhepunkt (symbolisiert unter anderem durch zwei Afrika-Reisen von Staats- und Parteichef Erich Honecker 1979). Standen dabei neben ihren ideologischen Maximen immer stärker kommerzielle Interessen des Außenhandels im Fokus (was die Vermarktung von Sportstudienplätzen oder Trainerentsendungen gegen Devisen oder im Tausch gegen Höhentrainingslager in Afrika einschloss), verdichteten sich die Afrikabeziehungen der DDR nun auch militär- und sicherheitspolitisch. So waren seit 1973 Länder Afrikas (unter anderen Somalia, Süd-Jemen, Angola) Mitglieder im Sportkomitee der befreundeten Armeen im Warschauer Pakt (und Teilnehmende seiner Spartakiaden), und in den 1980er-Jahren nahmen Mosambik, Angola und Äthiopien an den Jahrestreffen der zivilen sozialistischen Sportverbände sowie der Sportorganisationen der Schutz- und Sicherheitsorgane sozialistischer und befreundeter Länder teil.
Parallel dazu schloss das MfS eigene Ressortabkommen mit afrikanischen Sicherheitsministerien ab, wovon man sich mehr Informationen über das Vorgehen westlicher Geheimdienste in Afrika, politische Einflusskanäle vor Ort, die bessere Überwachung von nach Afrika entsandten DDR-Bürgern und -Bürgerinnen und auch den kommerziellen Absatz von polizeilicher oder nachrichtentechnischer Ausrüstung erhoffte. Um dies atmosphärisch zu befördern, waren auch Sportprojekte Teil jener Kooperationen. Als 1979 die Sicherheitsorgane der Kapverden ein Hilfspaket über eine halbe Million DDR-Mark von NVA, Volkspolizei und MfS für den Aufbau einer Polizeischule (unter anderem für Streifenwagen und Motorboote) erhielten, gehörten auch 1,5 Tonnen Sportgeräte dazu. Ein Jahr später kam es zu einem Kontrakt mit dem Nachrichtendienst Sambias, infolgedessen Leichtathletikexperte Rüdiger Marko 1983 für drei Monate Athleten im Polizeisportklub in Lusaka trainierte. Eine Rolle spielte der Sport auch in der 1977 etablierten Allianz des MfS mit dem Sicherheitsministerium Äthiopiens. Als dieses 1987 in Addis Abeba eine Sport-Schau vor Partei- und Staatsprominenz und „Vertretern sozialistischer Bruderorgane“ inszenierte, stammten die dabei genutzten Handballtore und Volleyballnetze sowie die Kampfanzüge für die sich hier präsentierende Anti-Terroreinheit Äthiopiens aus den Beständen des MfS. Zufrieden sandte Sicherheitsminister Tesfaye Woldeselassi ein Video davon an Mielke und pries „Leistungsstärke und Vorbildwirkung der SV Dynamo“.
Der „Rote Stern“: Sportbund „nach sozialistischen Prinzipien“
Anders sah es in Mosambik aus, wo der BFC bei dieser Afrikatour für drei Spiele vor bis zu 40.000 Zuschauern antrat. Das Land war aufgrund des dortigen Bürgerkriegs zu einem Pulverfass des südlichen Afrika geworden, in dem am 6. Dezember 1984 nach einem Attentat auch acht dort tätige Agrarexperten aus der DDR starben. Im Schatten der nun regen Mosambik-Beziehungen der DDR und auf Basis der Parteibeziehungen der SED zur dort regierenden Vereinigten Befreiungsfront knüpfte das MfS ab 1978 Verbindungen zum mosambikanischen Sicherheitsdienst. Dieser wurde ab 1979 über die SVD – parallel zu den Aktivitäten des DTSB (der auch in Mosambik Trainingslager für den Leistungssport suchte) und der ASV Vorwärts (die Kontakte zu Mosambiks Armeesport pflegte) – beim Aufbau seines nationalen Sportbundes „Roter Stern“ (portugiesisch: „Estrela Vermelha“) konzeptionell, personell und materiell unterstützt. Sein Fußballteam in der Hauptstadt Maputo wurde von gleich zwei Dynamo-Trainern betreut (1980-83 von Martin Skaba/BFC; 1985-88 von Gerhard Prautzsch/Dynamo Dresden). Rasch war die Hilfe für den „Roten Stern“ eine „Hauptaufgabe“ der SVD, weshalb Dynamo-Offizielle im Oktober 1981 zur Gründungsfeier von „Estrela Vermelha“ erneut nach Mosambik reisten und „die Genugtuung aller Dynamo-Sportler der DDR zum Ausdruck brachten, daß die Volksrepublik Mocambique als erstes Land darangeht, auf dem afrikanischen Kontinent eine nach sozialistischen Prinzipien organisierte Sportorganisation der Schutz- und Sicherheitsorgane zu schaffen.“
Bis zum Ende der DDR bestand diese Kooperation fort. Als das MfS 1988 dem Sicherheitsdienst Mosambiks und seinem paramilitärischen Schutzregiment in einer letzten Vereinbarung die Lieferung von Sprengstoff, Handgranaten und Maschinengewehren zusagte, gehörten auch Sportbekleidung für 2.500 Personen und die erneute Ausstattung des Fußballteams von Roter Stern Maputo dazu.
Zitierweise: Daniel Lange, „Dynamo in Afrika: Doppelpass am Pulverfass“, in: Deutschland Archiv, 30.6.2022, Link: www.bpb.de/510044.