Etwa 90 Prozent der Flüsse flossen von Ost- nach Westdeutschland. Die Bundesrepublik entsorgte ihren Müll auf Deponien in der DDR. Und noch um 1970 herum waren beide deutschen Staaten von einer annähernd gleichen Luftverschmutzung betroffen. Als das Thema Umweltschutz Anfang der 1970er-Jahre aufkam und sich die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR im Zuge der sogenannten "Neuen Ostpolitik" entspannten, stand damit auch dieses Thema auf ihrer gemeinsamen Agenda. Doch dauerte es fast 15 Jahre, ehe beide Seiten am 8. September 1987 eine Umweltvereinbarung unterzeichneten. Wie kam es letztlich zu diesem Übereinkommen?
Umweltpolitische Voraussetzungen
Allgemeine Umweltprobleme wie Luft- oder Gewässerverschmutzung waren schon seit der zunehmenden Industrialisierung bekannt. Doch das deutsche Wort "Umweltschutz" wurde erst 1969/70 aus dem englischen "environmental protection" entlehnt. Als Sammelbezeichnung bezieht es sich vor allem auf die durch die industrielle Entwicklung verursachte Verschmutzung der Luft, der Gewässer und des Bodens. Die sozialliberale Regierung unter Willy Brandt (SPD) gründete 1970 in der Bundesrepublik im Bundesinnenministerium eine Abteilung Umweltschutz und erließ im Laufe der 1970er-Jahre erste Gesetze zur Abfallwirtschaft und zur Luft- und Gewässerverschmutzung. Die DDR wiederum erließ 1970 ein – auch im Westen als fortschrittlich anerkanntes – "Landeskulturgesetz". Dieses war ein umweltpolitisches Rahmengesetz, das später mit Durchführungsverordnungen ergänzt wurde. Erst 1972 wurde das Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft der DDR gegründet.
Ein vorrangiges Motiv für die ostdeutsche Ministeriumsgründung schien außenpolitisches Prestige gewesen zu sein. Über den thematischen Weg des "universalen" Umweltschutzes, der Ost wie West gleichermaßen betraf, versuchte die DDR-Regierung, international anerkannt zu werden.
Nachdem Bundesrepublik und DDR 1972 den Grundlagenvertrag verabschiedet hatten, der erstmals ihre Beziehungen zueinander regelte, begannen sie auch, sich über den Umweltschutz auszutauschen (so war es unter anderem in Artikel sieben des Vertrages festgelegt worden). Ein erstes Gespräch dazu fand am 29. November 1973 statt – nach Aussagen der Zeitgenossen in einer sehr aufgeschlossenen und gelösten Atmosphäre. Das Protokoll der ostdeutschen Seite hielt daher die Worte des bundesdeutschen Delegationsleiters fest, der darin so weit ging, zu sagen: "Die Menschen müßten sehen, daß in ihrem Interesse etwas geschieht. Der Umweltschutz sollte ein Beispiel für die positive Wirkung des Geistes des Grundlagenvertrages werden."
Vom Abbruch der Umweltbeziehungen
Zu weiteren Umweltschutzgesprächen kam es in den 1970er-Jahren jedoch nicht. Dafür gab es sowohl wirtschaftliche als auch politische Gründe. Im Zuge ihrer neuen umweltpolitischen Verwaltung etablierte die Bundesregierung 1974 ein Umweltbundesamt in Westberlin. Über dessen Lage in der geteilten Stadt gerieten Ost und West aneinander: Die Bundesregierung wollte über dieses Amt die enge Verbundenheit Westberlins mit Westdeutschland signalisieren und mit ihm die Außenvertretung der Stadt in internationalen Gremien wahrnehmen. Die DDR wiederum pochte auf ihr Verständnis des Vier-Mächte-Abkommens von 1971 über Berlin, nach dem die bundespolitische Präsenz im Westteil der Stadt nicht erhöht werden sollte. Dass sich die Bundesregierung mit der Einrichtung dieses Amts hier sozusagen in Statusfragen Westberlins betreffend über die DDR hinweg setzte, nahm die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) zum Anlass, zunächst nicht mehr mit ihr über Umweltschutzthemen zu sprechen.
Darüber hinaus ließ das umweltpolitische Interesse in beiden Staaten nach: In der Bundesrepublik führten die Rezession und die Ölpreiskrise zu Beginn der 1970er-Jahre dazu, dass Umweltschutzmaßnahmen gestreckt und neue Initiativen hinausgezögert wurden. Im Osten standen mit dem Wechsel an der Spitze des SED-Staates von Walter Ulbricht zu Erich Honecker und dessen postulierter Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik umweltpolitische Themen ebenfalls nicht mehr im Fokus – ganz zu schweigen von den Kosten, die Umweltschutzmaßnahmen verursachen würden. Konjunkturelle Einbrüche und energiepolitische Entscheidungen wie der Umschwung von Erdgas und -öl zu Braunkohle trugen ebenfalls zu dieser Entwicklung bei. Hinzu kam, dass gleichgelagerte Interessen zwischen beiden Staaten eher bei den Themen Verkehr (Autobahn Berlin-Hamburg) sowie Post- und Fernmeldeabkommen lagen als beim Umweltschutz.
Neben den innenpolitischen Entwicklungen stimulierten auch außenpolitische Ereignisse die deutsch-deutschen Gespräche zum Umweltschutz. So sollte die DDR auf Druck der Sowjetunion an der Westgrenze für einen ökologisch guten Zustand sorgen, quasi als Aushängeschild. Trotz der Verschlechterung der internationalen Beziehungen zu Beginn der 1980er-Jahre – sowjetischer Einmarsch in Afghanistan 1979, Ausrufung des Kriegsrechts in Polen 1980, NATO-Doppelbeschluss 1983 – rückten beide deutsche Staaten zumindest im umweltpolitischen Bereich verstärkt zusammen.
Einzelne Vereinbarungen
Die nun eintretende zweite Phase zeichnete sich vor allem durch eine Vielzahl von Gesprächen zu einzelnen lokalen Umweltthemen aus. Voraussetzungen hierfür waren sowohl ein politischer Wandel in der Kommunikationsbereitschaft der DDR als auch ein bundesdeutsches Entgegenkommen hinsichtlich der Frage finanzieller Beteiligungen an Umweltschutzprojekten beim sozialistischen Nachbarn. Anfang der 1980er-Jahre war das dringlichste Anliegen für die Bundesregierung die Werraversalzung. Durch den Kalibergbau (Düngemittel) war die Werra, die mehrmals die innerdeutsche Grenze im Raum Thüringen/Hessen passierte, zeitweise doppelt so salzhaltig wie die Nordsee. Flora und Fauna des Flusses konnten nicht mehr gedeihen. Hierüber verhandelten beide Seiten ab 1980 mit Unterbrechungen bis 1989/90 ohne Erfolg – aufgrund der wirtschaftlichen Dimensionen des Problems für beide Seiten konnten sie sich weder auf technische noch finanzielle Lösungen einigen.
Außerdem gab es Anfang der 1980er-Jahre noch weitere Treffen zu Einzelthemen: zur Elbverschmutzung,
Im Zusammenhang mit all diesen Initiativen kam es zu zwei Vertragsabschlüssen: In Berlin wurden die DDR-Kläranlagen mit einer dritten Reinigungsstufe ausgestattet, wodurch die geteilte Stadt ein vorbildliches Abwassersystem erhielt (1982). Finanziert wurde dies mit einer Beteiligung der westdeutschen Seite in Höhe von ungefähr 60 Millionen D-Mark– das entsprach etwa einem Drittel der Gesamtkosten.
Ein weiteres Thema stellten die westdeutschen Mülltransporte dar. Seit Mitte der 1970er-Jahre fuhren sie das Ostberliner Umland und seit Beginn der 1980er-Jahre die gesellschaftlich umstrittene Deponie Schönberg an der innerdeutschen Grenze an. Da die Expertengespräche mit Politikerinnen und Politikern unter anderem Besuche auf der Deponie Schönberg beinhalteten, sprachen DDR-Funktionäre auch von "Polittourismus". Zu einem Abkommen führten diese Treffen jedoch nicht.
Die Einzelgespräche sowie die oben angesprochenen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in den 1980er-Jahren hatten einen Einfluss darauf, dass sich beide deutsche Staaten nicht länger den drängenden allgemeinen Umweltschutzverhandlungen entziehen konnten. Und es ist eine Art Gesinnungswandel auszumachen: Wollte die DDR in den 1970er-Jahren Umweltverhandlungen auf jeden Fall verhindern, schien sie nun die treibende Kraft zu sein. Damit einher ging auch ein Wandel in der ideologischen Betrachtung: Waren Umweltprobleme zuvor dem Raubbau des Kapitalismus zugerechnet worden, hieß es nun, dass sie nur international lösbar seien.
Deutsch-deutsche Umweltverhandlungen 1985–1987
Im März 1985 beschlossen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und SED-Generalsekretär Erich Honecker bei einem Zusammentreffen in Moskau am Rande der Trauerfeier für den verstorbenen sowjetischen Parteichef Konstantin Tschernenko, erneut offiziell Umweltverhandlungen einzuleiten. Daraufhin trafen sich die Delegationen der Bundesrepublik und der DDR insgesamt 13 Mal zu einem sogenannten "Informations- und Erfahrungsaustausch über den Umweltschutz". Bei diesem gab es immer wieder Fort-, aber auch Rückschritte. Inhaltlich waren sich beide Seiten relativ schnell einig: Es sollten weitere Gespräche über die Themen Luftverschmutzung, Naturschutz und Müllverbringung stattfinden. Das Thema Gewässerverschmutzung, ein Anliegen der Bundesrepublik, setzte diese letztlich ebenfalls gegenüber der DDR durch. Damit war unter anderem die Wiederaufnahme der Elbe-Gespräche von 1983 gesichert, die wegen des strittigen Grenzverlaufs geruht hatten.
Doch die eigentlichen Hauptstreitpunkte waren – ebenso wie bei anderen Nachfolgeverhandlungen – die sogenannte Berlin- und die Finanzierungsfrage für Umwelttechnik. Sollte Westberlin in die Vereinbarung mit aufgenommen werden oder nicht? Hier zeigte sich relativ früh der politische Wille der DDR zu erfolgreichen Verhandlungen, indem sie der Bundesrepublik in diesem Punkt entgegenkam. Die DDR ging meist mit einem Entwurf in die Verhandlungen. Neu an diesem war, dass er die sogenannte Frank-Falin-Formel bereits enthielt. Das bedeutet, dass die DDR bereits zu Verhandlungsbeginn einer Einbeziehung Westberlins zustimmte. Das gab den deutsch-deutschen Beziehungen um 1985 eine neue Qualität. Auf der anderen Seite sollten aber die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Umweltbundesamtes weiterhin von nachfolgenden Expertentreffen ausgeschlossen werden, was quasi die Thematisierung der Berlin-Frage durch die Hintertür bedeutete. Dies konnte die bundesdeutsche Seite nicht akzeptieren. Gelöst wurde die Streitfrage letztlich darüber, nur die Namen der beteiligten Personen in den Arbeitsplänen zu nennen, nicht aber die der Institutionen.
Zur Frage der Finanzierung der Umweltprojekte in der DDR ließen sich insbesondere vor der Vereinbarung häufig Bund-Länder-Streitigkeiten ausmachen. Die Länder schoben die Verantwortung auf den Bund, mit der Begründung, dass Probleme mit der DDR Folgen der deutschen Teilung seien, für die der Bund zuständig war. Dieser wiederum argumentierte mit der Verwaltungskompetenzordnung, nach der die Länder einen Anteil zahlen mussten. Überdies gab es zwischen der DDR und der Bundesrepublik unterschiedliche Auffassungen darüber, wer letztlich für die Umweltschäden finanziell aufkommen sollte. In der Bundesrepublik herrschte das sogenannte "Verursacherprinzip" vor – wer einen Schaden verursacht, soll auch dafür bezahlen. Die DDR vertrat hingegen das sogenannte "Nutznießerprinzip" – wer von Umweltschutzmaßnahmen profitiert, wie beispielsweise bei der Werra, die nach Westen floss, soll sich finanziell beteiligen. Auch hier gab es Kompromisse: Die DDR-Unterhändler waren bereit zu zahlen, wenn sich die Bundesrepublik ebenfalls beteiligte. Und die Bundesrepublik erkannte wiederum, dass die Beseitigung der Umweltprobleme in der DDR langfristig kostengünstiger war, als auf dem Verursacherprinzip zu bestehen.
Zwar klingt der Titel der Vereinbarung – "Informations- und Erfahrungsaustausch" – eher nach einer schwachen Pseudovereinbarung, für die DDR-Delegierten war sie dadurch jedoch am besten in den eigenen Reihen durchzusetzen. Es ermöglichte der DDR-Führung, das Gesicht zu wahren und nicht öffentlich eingestehen zu müssen, Umweltprobleme zu haben, die sie offiziell leugnete. Hinter den Kulissen pochten die DDR-Delegierten jedoch darauf, dass in den Arbeitsplänen zu dieser Vereinbarung bereits konkrete Umweltschutzprojekte ins Visier genommen wurden. Das wiederum passte auch zur Forderung der Bundesregierung, dass die Vereinbarung konkret sichtbare Ergebnisse liefern müsse. Offiziell wurde ein Vertrag zum Informationsaustausch verhandelt, inoffiziell bereits ab dem vierten beziehungsweise fünften Gespräch über konkrete Umweltschutzprojekte gesprochen.
Im September 1987 begleitete DDR-Umweltminister Hans Reichelt (Demokratische Bauernpartei Deutschlands/DBD) SED-Generalsekretär Erich Honecker nach Bonn und unterzeichnete dort gemeinsam mit dem bundesdeutschen Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) die Umweltvereinbarung.
Deutschlandpolitisch haben die Umweltverhandlungen in den 1980er-Jahren damit zur politischen Entspannung beigetragen. Die Friedliche Revolution und die alles umwälzende Transformationszeit erschweren jedoch eine abschließende Bewertung der umweltpolitischen Ergebnisse. Erholten sich Luft und Gewässer vorrangig durch die Abschaltung alter Technik, existieren manche Umweltprobleme wie die Werraversalzung oder die Diskussionen um die Deponie Schönberg bis heute und stellen somit gesamtdeutsche Umweltprobleme dar.
Zitierweise: Sophie Lange, "Deutsch-deutsche Umweltverhandlungen 1970–1990", in: Deutschland Archiv, 12.11.2021, Link: