Die Hohenzollern und die Demokratie nach 1918 (II)
Martin Sabrow
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In Teil II seines Beitrages beschreibt Martin Sabrow den Umgang der Westalliierten im Nachkriegsdeutschland in Bezug auf die Grablege von Friedrich II, seinem Vater dem Soldatenkönig und dem Ehepaar von Hindenburg. Die neuerliche Beisetzung der von Potsdam nach Marburg gelangten Königssärge erfolgte auf alliierten Druck hin abseits der Öffentlichkeit, um restaurativen Strömungen in Nachkriegsdeutschland keine Handhabe zu bieten. Sabrow zeichnet des Weiteren nach, wie sich das Haus Hohenzollern nach 1945 innerhalb der bundesrepublikanischen Demokratie einrichtete und sie so glaubwürdig akzeptierte, dass die Rückkehr der zwischenzeitlich zum dritten Mal umgebetteten Preußenkönige von der Hohenzollernburg Hechingen nach Potsdam zu einer erst vom SED-Regime und dann von der Bundesregierung verfolgten Option werden konnte.
titel2>Die Privatisierung des dynastischen Mythos Der Untergang des NS-Staates 1945 vertrieb endgültig auch die Hohenzollern und ihre Hoffnung auf eine monarchische Restauration von der politischen Bühne. Weder der ehemalige Kronprinz, den die französische Besatzungsmacht nach der Kapitulation mit dem Fahrrad von Lindau am Bodensee zum Hausarrest auf die Hohenzollernsche Stammburg bei Hechingen geschickt hatte, noch sein Sohn Louis Ferdinand spielten in den politischen Neuordnungsplänen der Nachkriegszeit eine Rolle. Ihre öffentliche Strahlkraft hatten mit den Lebenden auch die Toten der Hohenzollerndynastie eingebüßt, die seit dem 18. Jahrhundert Potsdam zum auratischen Erinnerungsort des Preußentums und seines Herrschergeschlechts gemacht hatten.
Die schon Anfang 1943 von der Potsdamer Garnisonkirche in einen unterirdischen Bunker am Stadtrand ausgelagerten Särge Friedrichs des Großen und seines Vaters Friedrich Wilhelm I., des Soldatenkönigs, waren im März 1945 gegen den Willen der Hohenzollernfamilie in ein Kalibergwerk im Thüringischen Eichsfeld verbracht worden, das hauptsächlich als Heeresmunitionsdepot diente, und dort zusammen mit den im Januar 1945 vom ostpreußischen Tannenberg-Denkmal nach Potsdam überführten Särgen Paul von Hindenburgs und seiner Frau in einer aufgemauerten Kammer unterhalb einer fünf Meter dicken Felsenschicht gelagert worden. Dort wurden sie Ende April 1945, zusammen mit zahlreichen Schätzen aus dem Berliner Hohenzollernmuseum, darunter die preußischen Kronjuwelen und 225 preußische Kriegsflaggen, von der US-Armee aufgefunden und umgehend aus ihrer explosiven Nachbarschaft evakuiert. Der Kronschatz wurde Anfang Mai zur Einlagerung in den Gewölben der Reichsbank nach Frankfurt a. M. gesandt und die vier Särge wurden zusammen mit den Feldzeichen zunächst nach Marburg in das Landgrafenschloss geschafft – Friedrich der Große im selben schlichten Zinksarg, in dem er mehr als ein Jahrhundert lang in der Krypta der Potsdamer Garnisonkirche der Öffentlichkeit zugänglich gewesen war; der Soldatenkönig in einen jüngeren Eichensarg umgebettet, weil sich der ursprüngliche Marmorsarkophag beim Abtransport aus der Garnisonkirche als zu schwer erwiesen hatte.
Im Herbst 1945 aber trennte die amerikanische Besatzungsmacht die geborgenen Königssärge von den preußischen Kriegsbannern. Letztere traten, als Siegestrophäen bewertet, ihren Weg in die USA an, während die Särge der Hohenzollern und der Hindenburgs im Februar 1946 vom Landgrafenschloss in das Marburger Staatsarchiv transportiert wurden, das dem Marburg Central Collection Point als Sammelstelle diente. In mehrere Deckenschichten gehüllt, sorgfältig verschnürt und gesiegelt, standen sie fortan in einem feuerfesten und vergitterten Raum, der nur durch drei separat verschlossene Türen erreichbar war und rund um die Uhr von US-Soldaten bewacht wurde.
In den Augen der amerikanischen Siegermacht kam ihnen keine symbolpolitische Bedeutung mehr zu, weswegen das State Department auch den naheliegenden Gedanken verworfen hatte, die immerhin aus dem Bereich der sowjetischen Zone geborgenen Hohenzollernsärge nach Potsdam zurückzuschicken. Sie galten vielmehr als Privatgut und sollten daher nicht nach Potsdam zurückgeschickt, sondern mit dem Auftrag, „für eine unauffällige Beisetzung zu sorgen“, in die Obhut der nächsten Verwandten gegeben werden. Als auch der auf Burg Hohenzollern in Württemberg ausfindig gemachte Kronprinz sich zu einer privaten Beisetzung seiner königlichen Vorfahren bereitfand, sofern sie in einem angemessenen religiösen und feierlichen Rahmen stattfände , hatte er einem familienpolitischen Richtungswechsel zugestimmt, der bis heute das Selbstverständnis der entmachteten Dynastie vorgibt.
Während der exilierte Monarch auch im Doorner Exil und bis zu seinem Tode an seinem hoheitlichen Testieranspruch festgehalten hatte und schriftliche Verfügungen unbeirrbar als „I. R.“ also „Imperator et Rex“ unterzeichnete, betonten seine Nachfahren nach 1945 ihr neues Selbstverständnis als Cîtoyens gleichen Rechts und gleicher Stellung im Gemeinwesen. Dieser Wandel vollzog sich allerdings nicht ohne Stocken. Die geplante Überführung der preußischen Königssärge wie der sterblichen Überreste Hindenburgs in die Obhut ihrer Familien scheiterte an dem Umstand, dass die Hohenzollernburg in der französischen und der Wohnsitz der Hindenburgs in der britischen Zone lag, und dies durchkreuzte die Absicht der amerikanischen Militärregierung, einem möglichen Wiederaufleben des preußischen Herrschernimbus so wirksam wie geräuschlos den Boden zu entziehen. Sie bestimmte die Marburger Elisabethkirche zur künftigen Grablege der preußischen Symbolfiguren und wies den hessischen Ministerpräsidenten im Mai 1946 an, die entsprechenden Vorbereitungen für eine unverzügliche private Beisetzung, so geräuschlos wie möglich und zugleich ihrer historischen Bedeutung angemessen, zu treffen, weil andernfalls das Wiederaufleben „nationalsozialistische(r) Gefühle“ und „eine große Demonstration“ befürchtet würden.
„Operation Bodysnatch“ stellte das letzte größere Vorhaben des Marburg Central Collecting Point vor seiner Auflösung dar und wurde von der amerikanischen Militärregierung mithilfe ihrer unumschränkten Befehlsgewalt gegen alle personellen und sachlichen Widerstände durchgesetzt. Der hessischen Staatsregierung blieb nur, die ihr nachgeordneten Behörden davon zu unterrichten, „daß die Angelegenheit vor allen anderen auf ausdrücklichen Befehl der Militärregierung vorzugehen hat“. Die von amerikanischer Seite verlangte Diskretion ging so weit, dass der Marburg Collecting Point wiederholt auf der strikten Ausschaltung aller zivilen Stellen bestand und sein Direktor Francis W. Bilodeau das für die Ausführung zuständige Marburger Hochbauamt scharf belehrte, es seien auch „die Instanzen des Ministeriums in Wiesbaden nicht mit der Angelegenheit vertraut zu machen, da es eine Sache beträfe, welche geeignet sei, politische Verwicklungen heraufzubeschwören“.
So vollzog sich der erforderliche Umbau in der Marburger Elisabethkirche unter größter Geheimhaltung und zugleich in hektischer Eile, wobei die bevorstehende Schließung des Marburger Collecting Point eine treibende Rolle spielte. Am 15. August eröffnete Bilodeau dem Leiter des Hochbauamts, dass die Bauarbeiten binnen vier Tagen abzuschließen seien; die vier Särge der Hohenzollern und der Hindenburgs würden bereits am Folgetag in die Kirche gebracht und ohne nähere Identifizierung einen Tag später in die Gruft gesenkt. Für die anschließende Verlegung der Grabplatten und die Einmeißelung der Grabinschriften wurde nur das anschließende Wochenende bewilligt, und am 21. August wurden der Soldatenkönig und sein Sohn 206 bzw. 160 Jahre nach ihrem Ableben erneut kirchlich bestattet; dem zuständigen Pfarrer wurde nicht einmal gestattet, seine Gemeinde vorab zu informieren.
Der Kontrast zu den prunkvollen Beisetzungsfeierlichkeiten im 18. Jahrhundert hätte allerdings größer nicht sein können: Nur sechs Mitglieder der Hohenzollernfamilie, fünf deutsche Behördenvertreter und ein amerikanischer Journalist folgten zusammen mit amerikanischen Militärs der schlichten Beisetzungszeremonie, mit der die mit einem LKW vom Marburger Staatsarchiv zur Elisabethkirche transportierten Königssärge in die neugeschaffene Gruft gesenkt wurden. Mit dieser Form einer ebenso sichtbaren wie zugleich doch verborgenen Bestattung glaubten die Behörden und insbesondere die amerikanische Militärverwaltung, am ehesten die restaurative politische Wirkung entschärfen zu können, die sie den Hohenzollern auch in der postfaschistischen deutschen Geschichte noch zumaßen: „Die amerikanische Besatzungsmacht hatte (...) mit Absicht eine Beisetzungsstätte gewählt, die vor aller Augen läge, um von vornherein einer nationalen Untergrundbewegung die Spitze abzubrechen“, erinnerte sich der für die Beisetzungsfeierlichkeiten verantwortliche Gemeindepfarrer später.
Als mögliche Alternative hatte zeitweilig die Verbrennung der königlichen Gebeine im Raum gestanden , wie es die Alliierten mit den Leichen der 1946 im Nürnberger Prozess zum Tode verurteilten NS-Täter gehalten hatten und wie auch die Rote Armee Jahrzehnte später die Überreste Hitlers entsorgen sollte. Doch ein solcher, von amerikanischer Seite selbst für unwürdig gehaltener Umgang mit den sterblichen Überresten zweier historischer Persönlichkeiten erwies sich als überflüssig. Am Portal der Elisabethkirche waren während der nächtlichen Beisetzungszeremonie Polizisten postiert, um etwaige Schaulustige abzuwehren und der amerikanischen Vorgabe Rechnung zu tragen, dass die Veranstaltung in ungestörter Diskretion vonstattenzugehen habe. Die Öffentlichkeit war weder informiert noch zugelassen worden und auch Grabschmuck wurde mit Ausnahme einiger weniger Blumensträuße der Familie nicht gestattet. Der von den US-Behörden als Mitglied der Bekennenden Kirche und mutmaßlicher Demokrat insgesamt wohlwollend beurteilte Gemeindepfarrer Schimmelpfeng bemühte sich in seiner Ansprache nach Kräften, die christliche Totenehrung nicht als politische Stellungnahme erscheinen zu lassen: „Was soll ich predigen? Jedenfalls nichts, was nicht siebenmal geläutert wäre in der Wahrheit Gottes und gerechtfertigt vor den beiden Königen, deren sterbliche Überreste wir hier der Erde übergeben.“ Die pietistische Demut des Soldatenkönigs vor Gott und die Verachtung seines Nachfolgers gegenüber dem Nachruhm zitierend, führte Schimmelpfeng die so symbolträchtige zweite Grablege der großen Hohenzollernkönige ganz in das Reich des Religiösen zurück: „So ist es nicht unseres Amtes, geschichtliche Werturteile zu fällen. Die hier ruhen, sind dem Beifall oder Missfallen der Menschen entnommen, sie stehen und fallen ihrem Herrn.“ Schließlich hielt sich auch die Hohenzollernfamilie selbst strikt an die getroffenen Abmachungen: „Das kleine Trauergefolge verließ kurz darauf wieder unauffällig die Kirche.“
Ganz störungsfrei verlief die erwünschte Entmachtung des Preußenkultes allerdings auch im Weiteren nicht, wiewohl das Office of Military Government (i.f. OMG) for Greater Hesse sich selbst beglückwünschte, eine außerordentlich delikate Aufgabe, die leicht umstürzlerische Elemente hätte auf den Plan rufen können, rasch und souverän gelöst zu haben. Auch die amerikanische Militärregierung für Deutschland (OMGUS) unterrichtete das State Department befriedigt über die gelungene Privatisierung des Hohenzollernschen Totengedenkens und gab sich sicher, dass auch in Zukunft mit keiner politischen Indienstnahme der Grablege zu rechnen sei. Insbesondere die Kurhessisch-Waldecksche Landeskirche zeigte sich im internen Verkehr durchaus erfreut über die symbolpolitische Aufwertung ihrer Marburger Hauptkirche, deren Ausstrahlung nun nicht mehr allein auf den Nimbus Elisabeth von Thüringens beschränkt war.
Schon ein Jahr später griff der Hessische Ministerpräsident Stock Pressemeldungen auf, denen zufolge die nach Marburg „verbrachten Sarkophage von Friedrich dem Großen und Hindenburg zum Anlass nationalistischer Wallfahrten und Kundgebungen“ gemacht worden seien. Die Meldung war wohl aufgebauscht, und die um den Verlust ihres unvermuteten Reputationszuwachses besorgte Elisabethgemeinde unternahm erhebliche Anstrengungen, sie als eine gänzlich aus der Luft gegriffene Falschmeldung hinzustellen; wiewohl der Gemeindepfarrer unbefangen einräumte, dass die neue preußische Grablege sich durchaus einer gestiegenen öffentlichen Wertschätzung erfreue, die der Gemeinde keineswegs unwillkommen war: „Natürlich lag es nicht in meiner Macht und in meiner Absicht, gelegentlich mitgebrachte Blümchen und Heidesträuße, die auf die Grabplatten gelegt wurden, zu entfernen.“ Auch in der Folgezeit verebbte die Diskussion über Besucherzahlen und Blumenspenden nicht gänzlich. Im Frühjahr 1947 schreckte die hessische Landesregierung die Landeskirche mit der Ankündigung auf, dass „die drei Sarkophage Friedrichs des Großen, Hindenburgs und Friedrich Wilhelms I. nach einem anderen und stilleren Ort“ verlegt werden sollten. Bischof Wüstemann intervenierte energisch, und die Angelegenheit blieb in der Schwebe, auch wenn zumindest in Bezug auf die Hindenburgs eine neuerliche Verlagerung der Grablege zeitweilig unmittelbar bevorzustehen schien, bis 1951 der Tod des ehemaligen Kronprinzen in die fortwirkende Auseinandersetzung um die symbolpolitischen Besitzrechte an den Hohenzollern eingriff.
In seinem Testament hatte Wilhelm verfügt, dass die Särge seiner beiden Vorfahren nach Burg Hohenzollern überführt werden sollten, die der Familie als einziger preußischer Besitz verblieben sei „und daher als geeignetster Platz für pietätvolle Traditionspflege erscheint“, wie der Beauftragte des Hauses Hohenzollern darlegte. Als dessen neuer Chef argumentierte der Kaiserenkel Louis Ferdinand ganz mit seinem „klagbaren privatrechtlichen Anspruch“ , und dieser Rechtsauffassung folgte im Einvernehmen mit der Bundesregierung auch die hessische Landesregierung. Vergeblich pochte der Kirchenvorstand der Marburger Elisabethgemeinde auf die Auffassung, „dass die beiden Särge längst nicht mehr Familieneigentum, sondern Eigentum des ganzen Volkes sind“ und der Kirche anvertraut seien, „bis sie wieder dorthin zurückkehren können, wohin sie gehören – nach Potsdam“. Aber die kirchliche Gratwanderung zwischen der fortgesetzten Inanspruchnahme der Hohenzollern für die Wiedererrichtung des zertrümmerten Reichs auf der einen Seite und der Beteuerung, dass die Marburger Königsgräber keinen Wallfahrtsort der monarchistischen Restauration darstellten, verlor angesichts der Realität einer wachsenden symbolpolitischen Vereinnahmung der Preußengräber auf nationalistischer Seite immer weiter an Halt. Auf bischöflichen Druck hin gab der Kirchenvorstand widerstrebend auf und nahm „mit schmerzlichem Bedauern“ zur Kenntnis, dass die Hohenzollernfamilie auf ihrem Recht bestehe, die Königssärge nach Hechingen zu überführen: „Er stellt fest, daß er keine rechtliche Möglichkeit besitzt, diesem Verlangen entgegenzutreten.“ Ein Vierteljahr später wurden die in einer auszementierten Gruft freistehend beigesetzten Särge der Preußenkönige im Schutz der Nacht durch eine Marburger Baufirma „mit vorbildlicher Ruhe und Schnelligkeit“ exhumiert und ohne jede Feierzeremonie in die Obhut der Hohenzollernfamilie übergeben, für die einzig Prinz Oskar von Preußen erschienen war. Zuschauer waren nicht zugegen; ein großes Polizeiaufgebot hatte die Nordfront der Elisabethkirche abgesperrt, was sich allerdings als überflüssig erwies, da sich mit Ausnahme eines lokalen Zeitungsreporters niemand einfand, der am neuerlichen Aufbruch der toten Preußenkönige Anteil nehmen wollte. Die Hohenzollernfamilie ließ die Särge ohne Verzug in zwei Leichenwagen setzen und nach Hechingen bringen, womit sie dem Wunsch der hessischen Regierung entsprach, dass die abermalige Verlegung „in einer Weise erfolgen möge, die Demonstrationen unter allen Umständen ausschließt“. Die profanen Begleitumstände der erneuten Verschickung der Gebeine zweier ruheloser Hohenzollernkönige stand in scharfem Gegensatz zu ihrem symbolpolitischen Gehalt: Mit der „heimlichen und überstürzten Überführung“ der Königssärge von Marburg nach Hechingen war auch die geschichtspolitische Verwandlung der Hohenzollerndynastie in eine Privatfamilie abgeschlossen.
Die Hohenzollern im geteilten Deutschland
Ein politisches Programm verband sich mit den Nachfahren Friedrichs des Großen und Wilhelms II. seither nicht mehr. Den Tod des früheren Kronprinzen 1951 kommentierte auch die konservative Presse mit kühler Knappheit und notierte ohne borussische Bewegung, dass „auf dem Trauerhause die Hausfarben – schwarzer Adler auf weißem Feld – auf halbmast“ wehten. Gelegentlich äußerte sich der ihm als Sprecher des Hohenzollernschen Familienverbandes nachfolgende Kaiserenkel Louis Ferdinand, um sich für das ehrende Gedenken an den gescheiterten Aufstand des 20. Juli 1944 oder für die künftige Blockfreiheit Deutschlands als Vorbedingung der Wiedervereinigung einzusetzen. Ansonsten wahrte das Haus Hohenzollern politische Zurückhaltung, ohne Zweifel an seinem Bekenntnis zur demokratischen Staatsverfassung aufkommen zu lassen. Dieses öffentliche Urteil wurde auch dadurch nicht erschüttert, dass Louis Ferdinand 1954 in mittlerweile enggezogenen monarchistischen Kreisen als Gegenkandidat zu Theodor Heuss für die Neuwahl des Bundespräsidenten gehandelt wurde.
Treibende Kraft des Plans, über die Wahl des Kaiserenkels eine verfassungskonforme Restauration der Hohenzollernherrschaft zu erreichen, war der Erlanger Religionshistoriker Hans-Joachim Schoeps, der auf einen gewundenen Lebenslauf als nationalkonservativer Monarchist und verfolgter Jude zurückblickte. In der Bundesversammlung erhielt Louis Ferdinand, der sich gar nicht zur Wahl gestellt hatte, am 17. Juli 1954 zur allgemeinen Erheiterung tatsächlich genau eine von 1018 Stimmen; und die von Schoeps betriebene Gründung eines „Volksbundes für Monarchie“ bzw. „Volksbundes für Krone und Reich“ verlief nach Aufdeckung der Initiative durch den „Spiegel“ kläglich im Sande, ohne Louis Ferdinand politisch weiter zu kompromittieren. Seine Memoiren hingegen fanden in zwei Versionen und mehreren Auflagen eine breite Leserschaft, und bei einer Abstimmung unter den Beziehern der Wochenillustrierten „Quick“ wünschten sich 39,8 Prozent Louis Ferdinand als nächsten Bundespräsidenten und Nachfolger Heinrich Lübkes; bei einer Umfrage der „Bild“-Zeitung sollen es sogar 55,6 Prozent gewesen sein. Weit abgeschlagen rangierte in diesen Umfragen Richard von Weizsäcker, der eine halbe Generation später selbst als Bundespräsident mit der Aura eines Ersatzmonarchen und „Bundeskönigs“ ausgestattet wurde. In der DDR wiederum wurden die Hohenzollern zum Inbegriff einer untergegangenen Welt: „Die Frauen und Männer des neuen Deutschland räumen die Ruinen des alten imperialistischen Deutschland hinweg. Auf den Trümmern des alten entsteht ein neues Deutschland“, erklärte Walter Ulbricht bei der Gründung der Deutschen Bauakademie im Dezember 1951. Zahlreiche Hohenzollern-Bauten wie die kriegsbeschädigten Stadtschlösser in Berlin, Potsdam oder Schwedt wurden beseitigt, andere Zeugnisse dem öffentlichen Blick entzogen, wie das Reiterstandbild Friedrichs des Großen, oder ihres monarchischen Bezugs entkleidet wie die Lindenoper, die nach ihrer Neueröffnung nicht mehr an „FRIDERICUS REX APOLLINI ET MUSIS“ erinnerte, sondern als „Deutsche Staatsoper“ firmierte.
Erst in der späten DDR, die unter der Herrschaft Erich Honeckers nach breiterer historischer Legitimation suchte, zogen die Hohenzollern neues Interesse auf sich. Gedeckt von einer Neubestimmung des Verhältnisses von Erbe und Tradition, verfügte Honecker 1980 die Wiederaufstellung des reitenden Preußenkönigs Friedrich auf der Prachtstraße Unter den Linden in der Mitte Berlins, und mit einem „Einverstanden, aber diskret – ich weiß, daß Chef des Hauses nicht dafür ist. EH" mandatierte er 1987 seinen Emissär Hans Bentzien, bei Louis Ferdinand für eine atemberaubende geschichtspolitische Volte zu werben: die Rückführung der Preußen-Särge von Hechingen nach Potsdam. Bentzien wandte alle List an, um den Chef des Hauses Hohenzollern davon zu überzeugen, dass ausgerechnet das SED-Regime berufen sei, das bislang missachtete Testament des Großen Königs zu erfüllen: die Beisetzung am Fuße von Schloss Sanssouci.
Obwohl der anfänglich abwehrende Louis Ferdinand sich zunehmend für die Idee erwärmen ließ, für die Honecker mit einer Einladung zum Besuch der preußischen Stätten in der DDR warb und seiner „Kaiserlichen Hoheit“, wie Honeckers Emissär Louis Ferdinand ehrerbietig anredete, sogar ein Wohnrecht in Schloss Cecilienhof anbot, kam das Unterfangen bis zum Untergang des SED-Staates nicht zustande. Auf der von Honecker gebahnten Spur schritt am Ende Bundeskanzler Helmut Kohl, aber die 1991 erfolgte Rückkehr der Königssärge markierte nicht, wie vereinzelte Kritiker fürchteten, die Neubelebung einer monarchischen Restaurationsbewegung, sondern im Gegenteil den Abschluss einer in der Weimarer Republik begonnenen kulturellen Integration der Hohenzollern in das demokratische Gemeinwesen.
Indem der Chef des Hauses Hohenzollern seinen großen Vorfahren, dessen letztem Willen entsprechend, zu Füßen von Schloss Sanssouci bestatten ließ, hatte er endgültig den politischen Herrschaftsanspruch der Hohenzollern gegen ihre museale Mitverantwortung eingetauscht: Nicht mit dem Ziel der monarchistischen Massenmobilisierung, sondern mit dem Bemühen um möglichst wenig Aufsehen versuchte Louis Ferdinand, die Königssärge von Hechingen nach Potsdam zu bringen , und sein politisches Ziel reduzierte sich darauf, der historischen Authentizität zu ihrem Recht zu verhelfen – die letzte Fassung seiner Autobiographie endet mit den Worten: „Mein Schöpfer hatte es mir erlaubt und mich dazu ausersehen, den letzten Willen meines bedeutendsten Vorfahren nach über zwei Jahrhunderten zu erfüllen und mich damit zu seinem Testamentsvollstrecker gemacht.“ Ein Menschenalter nach ihrer Entthronung hatten sich die Hohenzollern in ihrem öffentlichen Auftreten von Exponenten der Gegenrevolution zu Lobbyisten einer demokratischen Gedenkkultur gewandelt.
Zitierweise: Martin Sabrow, "Die Hohenzollern und die Demokratie nach 1918 Teil II", in: Deutschland Archiv, 18.12.2020, Link: www.bpb.de/324802.
Der Historiker Prof. Dr. Martin Sabrow leitet das Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam und lehrt Neueste Geschichte und Zeitgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin.