Die Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit war beiden deutschen Staaten lange probates Mittel im Systemkonflikt. Während aber die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus in der Bundesrepublik rückblickend hervorgehoben werden, gilt dies für die Deutsche Demokratische Republik (DDR) nicht. Dort sei insbesondere die Shoah tabuisiert und vergessen worden und eine Thematisierung habe kaum stattgefunden, wie die Fachwissenschaften lange beklagten. Neuere Forschungen zeichnen hingegen ein differenzierteres Bild der Erinnerungskultur, die neue Fragen nach den Spielräumen der Akteurinnen und Akteure und der Reichweite und Resonanz der verschiedenen Impulse aufwerfen. Daran anknüpfend soll hier gezeigt werden, wie sich eine öffentliche Erinnerung an die Shoah in der DDR gestalten konnte, welchen Bedingungen und auch welchen Einschränkungen sie unterworfen war.
Die Etablierung der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) im Osten Deutschlands war für viele kommunistische Intellektuelle, Künstlerinnen und Künstler und in der Zeit des ‚Dritten Reichs‘ Geflohene, darunter viele mit jüdischem Familienhintergrund, ein entscheidendes Signal, aus dem Exil zurückzukehren. Die bewusste Entscheidung für die SBZ lag in der kommunistischen Überzeugung begründet, war aber auch Ausdruck echten Willens zu einem Neuaufbau, zu dem auch die ideologische Umerziehung der Bevölkerung gehören sollte. Die Forderung, dass sich die nationalsozialistischen Verbrechen nicht noch einmal ereignen dürfen, war vielen Grund genug, in das Land zurückzukehren, das sie nur wenige Jahre zuvor aus Furcht um ihr Leben hinter sich gelassen hatten.
Bei ersten Gedenkfeiern wurden Opfergruppen unter dem einheitlichen Begriff der „Opfer des Faschismus“ zusammengefasst mit einem gemeinsamen Symbol, dem roten Winkel als ursprüngliche Kennzeichnung politischer Gefangener in den KZs. Dies war noch kein Symptom der Dominanz kommunistischer Überlebender, sondern spiegelte die lagerinterne Hierarchie wider, denn mit den vermeintlich zurecht inhaftierten, von den Nationalsozialisten als „Berufsverbrecher“ oder „Asoziale“ stigmatisierten Personengruppen wollte man nicht in einer Reihe stehen.
Schon bald wurde der fragile Konsens unter den Überlebenden und Remigrierten aufgelöst, wie in der Frage nach Wiedergutmachungszahlungen und der Restitution „arisierten“, also zwangsenteigneten Eigentums deutlich wurde. Es waren fast nur jüdische Überlebende, die die Besonderheit der antisemitischen Verfolgung betonten und daraus Ansprüche ableiteten. Die SED-Führung sah keinen Grund zur umfassenden Entschädigung, da sie die hohen Reparationszahlungen an die Sowjetunion, die die westlichen Besatzungszonen nicht zu tragen hatten, bereits als ausreichende Wiedergutmachung verstand.
Vielmehr entschied sich die SED für Rentenzahlungen und Bevorzugungen von Verfolgten, sofern ihr Lebensweg nach 1945 politisch angemessen erschien. Der Status als „Verfolgte des Naziregimes“ wurde jedoch Einzelnen auch wieder aberkannt, kritisierten sie die DDR zu stark, darunter auch jüdische Verfolgte. Da die SED die DDR als Sieg der Arbeiterbewegung und nicht als Nachfolgestaat des Deutschen Reiches betrachtete – was der Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik unterstrich – blieben Entschädigungszahlungen an Israel aus. Enteignetes Vermögen wurde zwar den neugegründeten Jüdischen Gemeinden rückerstattet, Privatpersonen gingen jedoch in der Regel leer aus.
Auch die Solidarität unter den Verfolgten schwand zunehmend. In der Gruppe der weniger beachteten Opfer kam jüdischen Überlebenden noch vergleichsweise viel Aufmerksamkeit zu, Sinti und Roma, Homosexuelle oder die geschmähten „Asozialen“ und „Berufsverbrecher“ suchten dagegen in beiden deutschen Staaten oft vergeblich nach Anerkennung. Jüdische Verfolgte erkannten bald, dass eine Erinnerung an ihre Erfahrung nicht nur zugunsten einer kommunistischen Heldenerzählung marginalisiert wurde. Das Erinnern an die Shoah wurde auch zurückgefahren, weil gerade die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung eines der anschaulichsten Beispiele war, um die Beteiligung der deutschen Mehrheitsbevölkerung im Nationalsozialismus zu thematisieren. Dies weitgehend zu vermeiden, lag im Interesse beider Regierungen.
Widerstand als Integrationsangebot
Der Antifaschismus, den die SED zur staatslegitimierenden Selbstbeschreibung erhob, wurde nach 1990 heftig kritisiert. Doch dieser war für viele zur echten Lebensaufgabe geworden. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) verschrieb sich der Aufklärung über die Verbrechen und der Umerziehung. Der VVN-Verlag gab zahlreiche Berichte von Überlebenden zu Lagern und Tötungsorten heraus und schuf so eine erste Wissensgrundlage über die Shoah.
Doch obwohl rund die Hälfte aller VVN-Mitglieder antisemitisch verfolgt worden war, setzte sich bald eine Tradierung durch, die eher den politischen Widerstand betonte. Das vermeintlich nur erduldete Opferdasein diente nicht einer sinnstiftenden Zukunftsvision vom Aufbau eines neuen Landes. Denn in dieser Erzählung lag auch ein Integrationsangebot an die Bevölkerung: eine kleine Avantgarde, die sich moralisch und kämpferisch gegen die ‚Faschisten‘ behauptet hatte, diente als Vorbild. Gleichzeitig wurde die Bevölkerung entlastet, denn die Hauptschuldigen wurden in prominenten NS-Tätern und hochrangigen Industriellen gesehen.
Eine ähnliche Strategie der Reduzierung der Schuld auf Einzelne gab es auch in der Bundesrepublik. Beide Regierungen standen 1949 vor dem Problem, eine Bevölkerung, die weitgehend unwidersprochen geduldet, sich beteiligt oder auch profitiert hatte, in einer Erzählung des Neuanfangs einzufangen. In den frühen 1950er Jahren entstand zudem ein Narrativ über die Konzentrationslager, das den kommunistischen Widerstand über Gebühr betonte und andere Stimmen marginalisierte oder ganz unterdrückte.
Gleichwohl regte sich dagegen Widerstand. 1958 wurde die Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald eröffnet, in deren Mahnmal die kommunistische Heilserzählung ihren Ausdruck fand. Von einem abseitigen Gedenkstein abgesehen blieben jüdische Opfer unterrepräsentiert. Kurz nach der Einweihung erschien das Buch Im Feuer vergangen, eine Sammlung von Berichten zur Shoah in Polen, die aus dem Archiv des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau stammten. Dem auflagenreichen Buch war ein Vorwort des deutsch-jüdischen Schriftstellers Arnold Zweig vorangestellt, der das Buchenwalder Mahnmal kritisierte und schrieb: „Unter den 21 Fahnen der Völker, welche sich auf dem Ettersberg zusammenfanden, um das unauslöschliche Gedenken der Helden und Märtyrer mit dem Kampfruf gegen die Wiederkehr der Barbarei zu verbinden, fehlte die Fahne mit dem uralten Emblem des Davidsterns, welches die jüdischen Opfer des faschistischen Terrors vertreten hätte. Hier, in diesem Buche, ist sie neben der roten gehißt.“
Zweigs Vorwort war ein deutliches Zeichen, dass der Erinnerung an jüdische Opfer ein prominenter Platz eingeräumt werden sollte, zeigt aber auch, mit welcher Sicht diese Forderung verbunden blieb: dem Antifaschismus. Eine klare Benennung jüdischer Verfolgungserfahrungen konnte viel effektiver geäußert werden, wenn sie das antifaschistische Grundnarrativ aufnahm und erweiterte. Zudem wäre es verfehlt, in den Bemühungen Zweigs und anderer eine Abkehr vom Antifaschismus oder gar Rebellion gegen die SED zu erkennen.
Gerade das antifaschistische Selbstverständnis, wonach in der DDR mit dem Erbe des ‚Faschismus‘ endgültig aufgeräumt worden sei, gehörte für viele jüdische NS-Verfolgte zu den entscheidenden Gründen, in der DDR zu leben. Auch eine Anklage personeller Kontinuitäten von NS-Täterinnen und Tätern in der Bundesrepublik lag im Interesse vieler Verfolgter. Diese gab es zwar auch in der DDR, was wahrgenommen, aber nicht öffentlich kritisiert werden konnte. Trotz teils großer Frustration war der Glaube an ein besseres Deutschland oft stärker, zumal die Alternativen rar waren. Victor Klemperer beklagte 1950 sein „Auseinanderklaffen in allem Geistigen mit der SED. Ich kann aber nicht nach Westen ausweichen – der ist mir noch zuwiderer.“
1953 als Zäsur
1953 gilt als Zäsur in der Auseinandersetzung mit der Shoah in der DDR. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) wurde zwangsaufgelöst, der größte Schlag traf aber die Jüdischen Gemeinden. Die Verfolgung jüdischer Parteimitglieder, die in der Sowjetunion und der Tschechoslowakei eingesetzt hatte, fand nun auch in der DDR statt. Fast alle Vorsitzenden und etwa die Hälfte der Mitglieder der Jüdischen Gemeinden flohen aus der DDR. Dies als rein antisemitische Vertreibung zu deuten, wäre aber verfehlt. Die SED-Führung dachte zwar durchaus auch in antisemitischen Kategorien, etwa die Vorstellung, die Restitutionsabsichten seien lediglich ein Vorwand gewesen, um dem vermeintlich jüdisch dominierten „Finanzkapital“ Zugang zur DDR zu ermöglichen. Doch die Verfolgung jüdischer und nicht-jüdischer Parteimitglieder, die durch vermeintliche oder tatsächliche Kontakte in den Westen pauschal verdächtig wirkten, diente eher der Befriedung eigener Ängste der SED-Führung.
Die in der DDR verbliebenen Jüdinnen und Juden lebten auch keineswegs in Angst vor dem Staat. Im Gegenteil, nur wenige Monate nach der Fluchtwelle begrüßten viele die Niederschlagung des Aufstandes am 17. Juni 1953 durch die SED. Die Furcht vor einer unkontrollierten nicht-jüdischen Menschenmasse, aus der mitunter auch antisemitische Parolen tönten, wog schwerer als die eigene Kritik.
Vor allem in den 1960er Jahren kam der Shoah, die zunehmend mit dem Schlagwort „Auschwitz“ beschrieben wurde, in beiden deutschen Staaten größere Aufmerksamkeit zu, etwa durch den Prozess gegen Adolf Eichmann und den Frankfurter Auschwitz-Prozess. In Propagandakampagnen gegen die Bundesrepublik betonte die SED berufliche Kontinuitäten früherer NS-Täterinnen und Täter. Die Anklage richtete sie jedoch ausschließlich gen Westen, die eigene Bevölkerung wurde kaum mit unangenehmen Fragen belästigt. Zudem stand die Ausbeutung jüdischer Deportierter durch deutsche Konzerne im Fokus, womit die Shoah in eine marxistische Faschismusinterpretation integriert werden konnte.
Erinnerungsversuche trotz alledem
Dies allein würde aber ein verfälschtes Bild wiedergeben. Denn es gab stets Versuche, der Besonderheit der Shoah Rechnung zu tragen. Die politischen Konjunkturen wurden von den Akteurinnen und Akteuren dankend aufgenommen, verstärkten oder bremsten jedoch nur deren eigene Anstrengungen. Verlage wie Volk & Welt, Aufbau oder Reclam arbeiteten beständig daran, Werke jüdischer Autorinnen und Autoren oder solche mit Bezug zur Shoah zu verlegen. Viele Titel aus osteuropäischen Ländern kamen so zu ihrer deutschen Erstveröffentlichung. Die Bemühungen einzelner Lektorinnen und Lektoren oder Übersetzern und Übersetzerinnen wie Jutta Janke, Hubert Witt oder Georgia Peet stechen hier heraus.
Die Genehmigungsanträge, die nötig waren, um ein Buch zu verlegen, zeigen: die Shoah war kein Gegenstand der Zensur, wurde also nie geleugnet. Vielmehr wurden einzelne Bücher in den Gutachten ganz gezielt als Beitrag zur antifaschistischen Erziehung präsentiert und konnten meist problemlos erscheinen. Wenn einzelne Titel verweigert wurden, wie die Bücher Tadeusz Borowskis oder Primo Levis, war es nicht „der Staat“, der eingriff, sondern oft (jüdische) Überlebende selbst, die ihren Einfluss geltend machten, weil sie nicht mit der Schilderung der Lager einverstanden waren.
Wer in der DDR ein Interesse an der Shoah zeigte, konnte dieses auch befriedigen. Der Schriftsteller Jürgen Rennert und der Lektor Hubert Witt lernten Jiddisch und übertrugen zahlreiche Werke ins Deutsche, der Graphiker Hermann Naumann illustrierte diese. Mehr noch muss indes der Beitrag jüdischer Verfolgter gewürdigt werden: der Schriftsteller Arnold Zweig verhalf Büchern zu größerer Aufmerksamkeit, die Malerin Lea Grundig stellte konsequent ihre Werke zur Shoah aus, der Gerichtsreporter Rudolf Hirsch berichtete von Prozessen gegen NS-Täter, der Historiker Helmut Eschwege schrieb trotz größter Widerstände Bücher über die Shoah, den jüdischen Widerstand oder die Synagogen in Deutschland, die er indes nicht alle in der DDR veröffentlichen konnte, und die Sängerin Lin Jaldati brachte durch ihre Programme, etwa zu Anne Frank, jiddische Lieder und Kultur einem größeren Publikum nahe.
Obwohl die Täterschaft oft auf namenlose ‚Faschisten‘ oder kapitalistische Hintermänner reduziert wurde, gab es auch Potenzial für kritische Fragen die eigene Familie betreffend. Christa Wolf thematisierte in ihrem Roman Kindheitsmuster die Mitwirkung ihrer Familie am Nationalsozialismus. Der Schriftsteller Franz Fühmann verarbeitete in seinen Büchern die eigene Wehrmachtserfahrung und schlussfolgerte: „Meine Generation ist über Auschwitz zum Sozialismus gekommen. Alles Nachdenken über unsre Wandlung muss vor der Gaskammer anfangen, genau da.“
1979 beschrieb der Feuilletonist Heinz Knobloch, ein energischer Fürsprecher für die Wiederbelebung jüdischer Kultur in der DDR, in einem Buch über den jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn seine Beobachtungen, wo sich Spuren jüdischer Geschichte im Ost-Berlin der 1970er Jahre finden ließen. Ebenso eindrücklich sind seine Schilderungen der Beteiligung der eigenen Familie am Nationalsozialismus, etwa den alltäglichen Antisemitismus seiner Großmutter.
Dies sind Schlaglichter, die eine gesellschaftliche Debatte, wie sie (erst) Ende der 1970er Jahre in der Bundesrepublik nach dem Ausstrahlen der Serie „Holocaust“ zustande kam, nicht ersetzen konnten. Doch auch diese Versuche wurden wahrgenommen: Der Dramaturg des Deutschen Nationaltheaters in Weimar bat 1959 nach der Lektüre von Im Feuer vergangen das Jüdische Historische Institut in Warschau, Auszüge dieser Berichte für ein Programmheft abdrucken zu dürfen. Denn mit der Inszenierung von Dramen zur Shoah verband er die Absicht, die Bevölkerung aufzuklären und eine Wiederholung dieser Verbrechen zu verhindern.
Eine Bibliothekarin schrieb der Sängerin Lin Jaldati, sie veranstalte regelmäßig Lesungen für Jugendliche aus dem Tagebuch Anne Franks und sei von Jaldatis Bühnenprogramm sehr beeindruckt, zu dem insbesondere jiddische Lieder gehörten. „Atemlose Stille“ herrsche, wenn sie von der Selektion in Auschwitz-Birkenau erzähle und obwohl die Jugend viel zu wenig wisse, sei sie dem Thema gegenüber sehr offen. Sie hoffe, Jaldati möge in ihrer Arbeit bestärkt werden, wenn sie wisse, „dass es weitergegeben wird, wofür Sie wirken.“
Eine Schülerin berichtete dem jüdisch-kommunistischen Schriftsteller Peter Edel 1982, sie sei von der Verfilmung seines autobiographischen Romans Die Bilder des Zeugen Schattmann sehr ergriffen gewesen. Sie habe schon viele Bücher zur Verfolgung der jüdischen Bevölkerung gelesen, doch Edels Roman sei besonders. Sie wisse zwar, dass das „geistige Erbe des Faschismus“ in der DDR beseitigt sei, wie sie es in der Schule gelernt habe, doch frage sie sich dennoch, „wie ein ganzes Volk so fanatisch sein konnte.“ Sie habe manchmal „Angst vor der Gleichgültigkeit“ vieler Menschen, da es auch in der DDR noch solche gebe, „die sich in einer Führerrolle gefallen“, wie ihr im schulischen Wehrunterricht oft aufgefallen sei.
Die vielfältigen Versuche zur Würdigung jüdischer Opfer wurden rezipiert und wertgeschätzt. Sie boten alternative Erzählungen und schufen Möglichkeiten für gegenläufige Interpretationen, für kritisches Nachfragen, für Gegen-Erinnerungen. Gerade weil im öffentlichen Raum, nicht zuletzt in den Schulen, ein kommunistisch dominierter Antifaschismus-Diskurs geführt wurde, suchten viele in den Nischen nach anderen Angeboten. Diese bestanden zu jeder Zeit und mussten nur gefunden werden.
Seit den 1970er Jahren waren es immer häufiger christlich-jüdische Verbände oder Kirchengruppen, die jüdische Geschichte vor Ort erforschten. Die meisten der hier Genannten widersetzten sich bewusst der Dämonisierung Israels, das in der Presse zumeist als imperialistischer Schurkenstaat beschrieben worden war. Der 1988 von der SED aufwendig ausgestaltete 50. Jahrestag der Novemberpogrome reagierte lediglich auf diese Entwicklung und war zudem mit außenpolitischen Absichten verbunden, eine Anerkennung der DDR in den USA zu erreichen.
Erst zum Ende der DDR, im April 1990, bekannte sich die neugewählte Volkskammer zur deutschen Geschichte und bat „Juden in aller Welt um Verzeihung.“ Gleichzeitig schuf sie die Grundlage für die spätere Aufnahme jüdischer „Kontingentflüchtlinge“ aus der Sowjetunion, die bis heute einen bedeutenden Teil der Jüdischen Gemeinden Deutschlands ausmachen.
Was bleibt?
Die frühe Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte fokussierte stark auf den Repressionscharakter des Staates mit noch immer spürbaren Auswirkungen. Der britische Historiker Bill Niven deutete die Kritik der kommunistischen Erinnerungspraxis in der DDR gar als „negativen Gründungsmythos“ der neuen Bundesrepublik.
Die Behauptung, die Shoah habe in der DDR keine Rolle gespielt, erfüllt daher auch eine politische Funktion: Denn zum einen kann auf diese Weise eine Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik geschrieben werden, welche sich, nach anfänglichen Schwächen, sehr erfolgreich der eigenen Vergangenheit angenommen habe. Zum anderen dient es der Erklärung politischer Phänomene. Die rassistische Gewalt in Rostock-Lichtenhagen 1992, die Ausschreitungen in Chemnitz 2018 sowie der Wahlerfolg der AfD im Osten Deutschlands werden auch als Spätfolge einer vermeintlich mangelnden Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der DDR erklärt.
Dies verkennt jedoch die komplexe historische Situation und ist Ausdruck einer gewissen Erklärungsnot. Denn zum einen verstetigt es ein Bild einer monolithischen DDR und spricht den Menschen jegliches Potential der eigenen kritischen Auseinandersetzung mit dem Antifaschismus ab. Zum anderen bietet es aber auch den Ostdeutschen selbst eine willkommen einfache Erklärung für das Verhalten der Bevölkerung. Gänzlich falsch sind die Vorwürfe auch nicht. Antisemitische und neonazistische Gewalt gab es in der DDR, aber die SED, Polizei und Staatssicherheit sorgten dafür, dass dies nicht offen thematisiert werden konnte.
Nach dem Mauerfall 1989 aber konnten sich rechte Kräfte ungehindert zusammenschließen, trafen rechtsextreme Intellektuelle aus den alten Bundesländern auf gewaltbereite Neonazis in den neuen Bundesländern und umgekehrt. Der gezielte Aufbau rechtsextremer Strukturen in Ostdeutschland war und ist ein Phänomen, das auf ein Machtvakuum, gesellschaftspolitische Verunsicherung und politische Vernachlässigung zurückgeht. Doch der Entschluss, Gewalt auszuüben, bleibt trotz Gruppendruck und einer entsprechenden Feindbild-Ideologisierung immer eine individuelle Entscheidung.
Vielleicht ist es also unbequemer einzugestehen, dass weder ein staatlich forcierter, mit Nachdruck eingeübter Antifaschismus noch eine plurale Gesellschaft, die ihre Diskurse breit und offen führt, Gewähr vor nationalistischen und völkisch-rassistischen Überzeugungen bieten können. Sich damit immer wieder neu auseinander zu setzen, bleibt im Osten wie im Westen Deutschlands kontinuierlich eine Herausforderung.
Zitierweise: "Keine Erinnerung, nirgends? Die Shoah und die DDR“, Alexander Walther, in: Deutschland Archiv, 15.7.2019, Link: www.bpb.de/293937