Die historische Forschung zum Thema Sport steht meist im Schatten der wissenschaftlichen Studien, die sich mit anderen Lebenszweigen beschäftigen. Dabei wird übersehen, dass der Sport im Vergleich zu anderen kulturellen Bereichen einen wesentlich weitreichenderen gesellschaftlichen Einfluss hat und so das breite Publikum anspricht. Zweifelsohne ist Sport im 20. Jahrhundert zu einem wichtigen Element des Lebens geworden, da er bestimmte Wahrnehmungsbereiche, die bisher ausschließlich für Hochkultur reserviert waren, übernommen hat.
Das DDR-Regime erkannte diese sehr nützlichen Eigenschaften des Sports relativ schnell und nutzte sie für ihre politischen Pläne.
Eines der Hauptziele der DDR-Sportpolitik war die Indoktrinierung der Jugendlichen. Die Teilnahme junger Menschen an staatlichen Sportveranstaltungen und ihre Zugehörigkeit zu Sportvereinen wurden unterstützt. Die allgegenwärtige Propaganda und staatliche Kontrolle schafften entsprechende Bedingungen für die Beeinflussung ihrer politischen Haltung. Die Anwendung des stalinistischen Sport-Paradigmas führte dazu, dass sich die Rolle des Sports – in der ideologischen Dimension – auf die Mobilisierung der Massen konzentrierte, die das neue gesellschaftliche System festigen und ein gesellschaftliches, den Vorstellungen der Machthaber entsprechendes Verhalten erzeugen sollten. Körperkultur und Sport boten darüber hinaus die Möglichkeit, ein staatlich erwünschtes Modell des Patriotismus und der nationalen Identität zu fördern.
Neben den Olympischen Spielen, die sich auf der ganzen Welt einer immensen Popularität erfreuten und erfreuen, nahmen Fußballspiele in diesem Prozess eine wichtige Position ein. Fußball spielte in der DDR eine bedeutende Rolle.
Inszenierung der Fußballspiele
Der Besuch von Fußballwettkämpfen hatte in der DDR einen egalitären Charakter und die Stadien waren jede Woche gut gefüllt.
„Offizielle/institutionelle Fans“
Die auf diese Weise inszenierten Veranstaltungen sollten zur Akzeptanz des politischen Systems in der Gesellschaft beitragen. Die Instrumentalisierung der Fußballspiele führte dazu, dass in der DDR eine spezifische, künstliche Kategorie des Fußballfans konstruiert wurde, die sich mit „offizielle/institutionelle Fans“ betiteln ließe. Das Entstehen dieser Kategorie von Fußballanhängern war mit einer strengen Zuschauerauslese verbunden. Die ursprüngliche und wichtigste Art der Auswahl war ein landesweites Eintrittskartenverteilungssystem. Dieses wurde insbesondere bei den internationalen Pokalspielen der Oberliga-Mannschaften und bei den Spielen gegen die Klubs aus dem „nichtsozialistischen Ausland“ oder den Wettspielen auf Nationalmannschaftsniveau angewandt. Das galt auch für das erste offizielle deutsch-deutsche Duell auf dem Gebiet der DDR nach dem Mauerbau:
Einen Schritt weiter gingen die Organisatoren der Partie Dynamo Berlin gegen Hamburger SV, die am 15. September 1982 – ebenfalls im Rahmen des Europapokals der Landesmeister –ausgetragen wurde. Um befürchtete rowdyhafte Ausschreitungen und politische Demonstrationen der Berliner Fans zu vermeiden, gab es gar keinen freien Verkauf.
Die Vertreter des MfS waren sich über die Anwesenheit von Journalisten und Kamerateams der westdeutschen Fernsehkanäle bewusst, weshalb sie versuchten, den Schein nach außen zu wahren. Beispielweise waren Stasi-Funktionäre dazu verpflichtet, sich entsprechend zu verhalten und Fankleidung zu tragen.
Nach diesem Schema wurden alle internationalen Spiele auf dem Territorium der DDR kontrolliert. Zeitzeugen heben jedoch hervor, dass die strengen Bedingungen wie bei Spielen von Dynamo Berlin – welcher der Lieblingsklub des Ministers für Staatssicherheit Erich Mielke und unbeliebteste Oberliga-Verein war, den man allerorts mit der Stasi assoziierte – in den anderen DDR-Stadien nicht funktionierten.
Oberliga unter Kontrolle
Die gleichen Kontrollmethoden wandte man auch bei den Veranstaltungen der Oberliga an. Bei diesen Wettspielen wurden die Behörden jedoch – aus wirtschaftlichen und repräsentativen Gründen – zu einer liberaleren Haltung gezwungen: die Stadien sollten von den Fans besucht werden, um die finanziellen Mittel für die Klubs zu sichern. Die wichtigsten Oberligapartien und die Spiele der Mannschaften, deren Anhängergruppen verfeindet waren, sollten jedoch möglichst unter Kontrolle gehalten werden.
Selbstorganisation/Selbstbestimmung
Trotz der „künstlichen Fans“ und der von oben gelenkten Fußballwelt der DDR blieben jedoch Freiräume, in denen sich die Fankultur fortan spontan und eigenständig entwickelte – oft gegen die Prinzipien des SED-Regimes. Fußball, Stadionleben und Anhängermilieu wurden zu Oasen der Freiheit, die einen von den Behörden schwer zu kontrollierenden Lebensaspekt der überwiegend jungen DDR-Bürger darstellten. Für die politische Elite der DDR wurden die Aktivitäten der Fußballzuschauer „unakzeptabel“ und vom MfS als „negativ-dekadent“ oder „feindlich-negativ“
Antistaatliche Provokationen
In der DDR konnte schon eine abweichende Meinung oder ein frecher Witz ein Strafrechtsverfahren auslösen und als antistaatliche Tätigkeit bewertet werden. Fußballfans nutzten ausgesprochen häufig und mit großer Vorliebe diese Art der Provokation. Eine erste systemkritische oder geradezu antikommunistische Tätigkeit von Fußballanhängern beobachteten Parteifunktionäre der SED schon Anfang der 1950er Jahre. Sie spiegelte die Ablehnung des neuen Systems auf der lokalen Ebene wider. Autoritäre Beschlüsse der Behörden im Bereich des Fußballsports – beispielsweise die Versetzung von Spielern oder Mannschaften in eine andere Stadt, die Eingliederung der Fußballmannschaft in einen anderen Klub oder die Umbenennung der einzelnen Klubs – festigten die Zugehörigkeit der Fans zu dem jeweiligen Verein, der einen Teil der lokalen Identität bildete, und lösten Proteste aus, die oft einen politischen Charakter hatten.
Widerwillen hegten die Fans vor allem gegen die informelle Hierarchie des DDR-Fußballs, nach der es privilegierte Fußballclubs (FC) und nicht-privilegierte Betriebssportgemeinschaften (BSG) gab. Erstere hatten weitgehend professionelle Trainingsbedingungen – sie galten als Sportleistungszentren. Hinzu kamen privilegierte Armee-, Volkspolizei- und MfS-Klubs mit besserer Ausstattung, mit denen sich die anderen Oberliga-Mannschaften messen mussten.
„Viele sahen in uns die Staatsspießer, die Kinder der Obrigkeit; Bullenkinder, Stasischweine“;
Die Haltung vieler DDR-Bürger gegenüber Dynamo Berlin spiegelte die Rivalität zwischen den Fußballanhängern der Vereine Dynamo und 1. FC Union Berlin wider. Seit den 1970er Jahren galt bei den Lokalderbys die allerhöchste Sicherheitsstufe für die Ordnungskräfte.
Die Fußballfans in der DDR provozierten die Ordnungs- und Sicherheitsorgane oder einzelne Politiker mit Gesängen und Parolen, wie beispielweise den Folgenden:
„Hundert Meter im Quadrat, Mauer, Miene, Stacheldraht, jetzt wisst ihr wo ich wohne, ja ich wohne in der Zone“;
Allein aufgrund der großen Masse im Stadion, die für Deckung sorgte, war dieses Verhalten der Fans vergleichsweise risikoarm. Die Stadien lassen sich in diesem Kontext als eine der wenigen „Oasen der Freiheit“ in der DDR betrachten, als ein Ort, an dem man die eigene Haltung gegenüber dem Staat offen und ohne fatale Folgen artikulieren konnte.
Hooliganismus/Gewalt
Fußball-Hooligans traten in der DDR zum ersten Mal in der Saison 1969/1970 in Erscheinung.
Gewalt gehört zu den charakteristischen Eigenschaften von Hooligans. Auch der typische DDR-Hooligan war sehr aggressiv und zelebrierte die Gewalt in seinem Fußballleben.
„Gerade weil der Staat im allgemeinen auf dem Gewaltmonopol beruht und im Besonderen derjenige der DDR in dramatisch gesteigerter Weise darauf basierte, durchkreuzte man die totalitären Ambitionen der Staatslenker am empfindlichsten, wenn man selber zur Gewalt schritt. Körperliche Gewalt, von dazu unbefugten Privaten (gegeneinander) ausgeübt, war unter dem Staatssozialismus ironischerweise ein Akt ‚herrschaftsfreier Kommunikation‘.“
Vor diesem Hintergrund könne man die Tätigkeit der gewaltbereiten Fans als eine Art Systemkritik betrachten, die in „die Visage der Regierenden zielte“.
Rechtsextremismus/Skinheads
Nicht nur Gewalt und rüdes Treiben gehörten zum Arsenal derjenigen Fans in der DDR, die ihre antisozialistische und antistaatliche Haltung manifestieren wollten. Seit Anfang der 1980er Jahre griffen sie auch immer häufiger auf den Jargon und Sprüche aus der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft zurück. Diese Tendenzen waren mit einer Subkultur von Skinheads verbunden. Die ersten Skinheads in der DDR tauchten – nach westdeutschem Vorbild – 1982 in Berlin auf.
Diese Skinhead-Subkultur teilte mit anderen Skinheadgruppen in Westeuropa Elemente nazistischer und faschistischer Ideologie. Antisemitische, fremdenfeindliche und faschistische Sprüche waren in den 1980er Jahren in allen Fußballstadien zu hören
Resümee
Eine breit angelegte Analyse der Unterlagen der SED, der Volkspolizei sowie des Staatssicherheitsdienstes zeigt, dass die Aktivitäten eines Gros der Fußballanhänger als ein gegen den Staat gerichtetes Handeln wahrgenommen wurden.
Ex post ist es ausgesprochen schwierig, die vielfach auszumachenden oppositionellen Einstellungen der Fußballfans gegenüber dem Staat wissenschaftlich zu bewerten und zu quantifizieren. Ungeachtet dessen lassen sich die Aktivitäten der Fans in „primitive“ und „archaische“ (nach einer Definition von Eric John Hobsbawm) oder spontane und nicht organisierte (nach Andrzej Friszkes Definition) Formen des gesellschaftlichen Widerstandes einteilen.
Zitierweise: Dariusz Wojtaszyn, Der Fußballfan in der DDR – zwischen staatlicher Regulierung und gesellschaftlichem Widerstand, in: Deutschland Archiv, 8.5.2018, Link: www.bpb.de/268956