"Ausländische Werktätige": Die Einwanderer im Auswanderland
Die politische und gesellschaftliche Abgrenzung der frühen DDR gegenüber Westdeutschland und der westlich-kapitalistischen Welt wurde im August 1961 mit dem Bau der Berliner Mauer buchstäblich zementiert und erfuhr erst im Laufe der 1980er Jahre eine gewisse Aufweichung. Bis zum Mauerbau verließen jeden Monat tausende junger Ostdeutscher die DDR in Richtung Westen. Danach war der legale Grenzübertritt nur noch mit Genehmigung der Staatspartei SED möglich – die DDR war ein Auswanderungsland, kein Einwanderungsland.
Dennoch gab es auch in der DDR Zuwanderung. Die größte Gruppe unter den Einwanderern stellten Arbeitsmigranten und -migrantinnen dar, die ab den frühen 1960er Jahren ins Land kamen und im offiziellen Sprachgebrauch als ausländische Werktätige bezeichnet wurden. Die Arbeitsmigration in die DDR entsprach einem allgemeinen Trend während des Kalten Krieges, nach dem das Nachkriegseuropa "in eine nördliche Zuwanderungs- und eine südliche Abwanderungsregion" geteilt wurde.
Viele junge Männer und keine Wahlmöglichkeiten
In der Mehrheit handelte es sich bei den ausländischen Arbeitskräften um junge Männer. Zur Frage, wie hoch genau der Frauenanteil unter den Arbeitsmigranten war, finden sich in der Forschung wenige und zum Teil widersprüchliche Informationen. Die meisten weiblichen Arbeitskräfte kamen vermutlich aus Polen und Vietnam. Sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen überwogen die Altersgruppen unter 35 Jahren.
Die Anstellung der Arbeitskräfte erfolgte auf Grundlage bilateraler Verträge, in denen sich die DDR und das jeweilige Entsendeland über die Modalitäten des Arbeitseinsatzes verständigten. Der Arbeitseinsatz ausländischer Arbeitskräfte war also durchweg staatlich organisiert, die Anreise der Vertragsarbeiter erfolgte in Gruppen, individuelle Vertragsaushandlungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gab es nicht.
Ein langfristiger Aufenthalt der ausländischen Vertragsarbeiter war nicht vorgesehen. Stattdessen basierten die bilateralen Verträge auf dem sogenannten Rotationsprinzip, nach dem Arbeitsmigranten in der Regel nach maximal fünf Jahren wieder in ihr Heimatland zurückgeschickt und durch Neuankömmlinge ersetzt wurden. Vertragsverlängerungen waren theoretisch möglich, bedurften jedoch der Zustimmung beider Staaten. Das Aufenthaltsrecht der ausländischen Arbeitskräfte war stets an ein bestehendes Arbeitsverhältnis geknüpft. Endete der Arbeitsvertrag, erlosch damit auch das Aufenthaltsrecht. Darüber hinaus konnten ausländische Vertragsarbeiter jederzeit vorzeitig entlassen und in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden, wenn ihnen ein Verstoß gegen die "sozialistische Arbeitsdisziplin" zur Last gelegt wurde. Inwiefern ein solcher Verstoß stattgefunden hatte, lag im Ermessen des jeweiligen Einsatzbetriebes.
Eine doppelte Ausbildung?
Die Frage nach der Motivation der SED-Regierung, ausländische Arbeitskräfte zu beschäftigen, ist in der Forschung vielfach diskutiert worden. Folgt man der Darstellung der DDR-Presse, stellte die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte ein Ausbildungs- und Hilfsprogramm gegenüber sozialistischen Bruderstaaten dar. So berichtete die Junge Welt von Osvaldo Estay aus Chile, der in der DDR "vieles lernen [muss], wozu er in Chile keine Gelegenheit hatte."
Vielmehr Ausbeutung
Die Forschung ist sich allerdings weitgehend einig, dass der Mangel an einheimischen Arbeitskräften, insbesondere im Bereich unqualifizierter Tätigkeiten, die zentrale Motivation der SED-Regierung war, Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuwerben.
"Freunde aus dem Ausland"
Nach Darstellung der DDR-Printmedien waren die ausländischen Vertragsarbeiter gut in die DDR-Gesellschaft integriert. Die Zugereisten, so der Tenor, hätten in der DDR eine "zweite Heimat" gefunden. Enge Bande zur einheimischen Bevölkerung seien geknüpft worden. In vielen Beiträgen werden Arbeitsmigranten schlicht als "Freunde" bezeichnet.
Ein näherer Blick auf die sprachliche Artikulierung dieses Wunschbildes zeigt jedoch, dass es hier nicht allein bei der Umsetzung in die Realität haperte. Eine Diskriminierung ausländischer Arbeitskräfte fand nicht nur im sozialpolitischen Umgang mit ihnen statt, sondern manifestierte sich bereits in den propagandistischen Thesen von Völkerfreundschaft und erfolgreicher Integration. Gleich auf mehreren Ebenen wird in der Berichterstattung der DDR-Presse über ausländische Arbeitskräfte ein Machtgefälle aufgebaut, das die Bürger der DDR als überlegen, die Zugewanderten als unterlegen darstellt. So werden DDR-Bürger in der Rolle des Helfenden, des Lehrers und Erwachsenen präsentiert, die Zugewanderten in der Rolle des Bedürftigen, des Schülers oder gar des Kindes. Die Infantilisierung der Arbeitsmigranten zeigt sich etwa in ihrer konsequenten Anrede mit Vornamen, während deutsche Arbeitskollegen mit Nachnamen genannt werden.
Fast unüberwindbare Hürden für Liebe und Freundschaft
Nichtsdestotrotz gab es viele Arbeitsmigranten, die den nahen Anschluss an die DDR-Gesellschaft suchten, und auf der anderen Seite DDR-Bürger, die versuchten, diesen Integrationswünschen zu entsprechen. Am deutlichsten zeigt sich dies an der Vielzahl binationaler Liebesbeziehungen. Eine rigide Gesetzgebung erschwerte diese Partnerschaften jedoch erheblich. So bedurften Eheschließungen zwischen DDR-Bürgern und Ausländern der Genehmigung beider Staaten. Und selbst in den seltenen Fällen, in denen eine Eheschließung genehmigt wurde, bedeutete dies für den ausländischen Partner kein Bleiberecht – auch dann nicht, wenn das Paar bereits gemeinsame Kinder hatte. Im Falle einer Schwangerschaft wurden Vertragsarbeiterinnen in der Regel vor die Wahl zwischen Ausreise oder Abtreibung gestellt. Diese Regelungen wurden erst Ende der 1980er Jahre gelockert. Großzügiger waren die Regelungen nur im Falle schwangerer Polinnen, die ihr Kind in der DDR zur Welt bringen durften.
In den Betrieben arbeiteten ausländische Vertragsarbeiter gemeinsam mit deutschen Kollegen. Auch hier gab es also Möglichkeiten des gegenseitigen Kennenlernens. Seitens der deutschen Betriebsleitungen gab es durchaus Integrationsversuche. Ausländischen Arbeiterkollektiven standen ein Gruppenleiter und ein Dolmetscher des eigenen Herkunftslandes vor, die zwischen Betriebsleitung und Landsleuten vermitteln sollten. Die Arbeitsmigranten waren Teil der Arbeiterbrigaden, kamen ebenfalls für Preise und Auszeichnungen in Betracht und durften eigene nationale Feiertage feiern.
Als problematisch erwies sich für die Betriebsleitungen zudem die ideologische Vorgabe, einer Gesellschaft anzugehören, die frei von Rassismus war. Das Spannungspotenzial des multikulturellen Miteinanders am Arbeitsplatz wurde dadurch schlicht verleugnet. Die Berichte über den Einsatz der ausländischen Arbeitskräfte, welche die volkseigenen Betriebe dem Staatssekretariat für Arbeit und Löhne (SfAL) mehrmals pro Jahr zukommen lassen mussten, nennen zahlreiche Vorfälle, bei denen es zu (teilweise gewaltsamen) Auseinandersetzungen zwischen deutschen und ausländischen Angestellten kam.
Hinsichtlich des nachbarschaftlichen Zusammenlebens von DDR-Bürgern und Arbeitsmigranten gab es allenfalls halbherzige Integrationsversuche der Behörden. Zahlreiche Eingaben, in denen sich DDR-Bürger über ihre ausländischen Nachbarn beschweren, zeichnen das Bild eines angespannten nachbarschaftlichen Verhältnisses.
Am Ende zerplatzte die Blase des Mythos der Freundschaft
Vietnamesische Gastarbeiter aus Cottbus verlassen im Mai 1990 vom Flughafen Schönefeld aus die DDR (© Bundesarchiv, Bild 183-1990-0531-022, Foto: Ralf Hirschberger)
Vietnamesische Gastarbeiter aus Cottbus verlassen im Mai 1990 vom Flughafen Schönefeld aus die DDR (© Bundesarchiv, Bild 183-1990-0531-022, Foto: Ralf Hirschberger)
Als im Laufe des Herbstes 1989 die Spannungen zwischen Bevölkerung und Staatsmacht zunahmen, wirkte sich dies auch auf das Verhältnis zwischen DDR-Bürgern und Arbeitsmigranten aus. Ausländer wurden zur Projektionsfläche von Angst und Wut und verstärkt als Konkurrenten im Kampf um knappe Ressourcen wahrgenommen.
"Wir haben nichts zu verschenken! […] Keinen proletarischen Internationalismus auf Kosten der eigenen Bevölkerung", hieß es in einer Eingabe aus Waren vom 10. November 1989, dem Tag nach den Mauerfall.
"Es sind jetzt nicht die Zeiten dafür gegenüber Ausländern den Weihnachtsmann zu spielen."
Während das SfAL in den Jahren zuvor auf derlei Eingaben mit einer kritischen Zurechtweisung und einem Appell an das internationale Solidaritätsgefühl reagiert hatte, fehlte diese Schärfe in den Antwortschreiben aus dem Herbst und Winter 1989/90. Anstatt fehlende Solidarität anzuprangern, wies die Behörde nun lediglich auf den wirtschaftlichen Nutzen der in der DDR wohnenden Arbeitsmigranten hin.
"gegen die durch die Regierung beschlossene weitere Einbürgerung von ausländischen Bürgern in unsere Republik. Wir sind zutiefst enttäuscht, dass auch diese Entscheidung ohne Zustimmung des Volkes getroffen wurde und erwarten hierzu eine öffentliche Stellungnahme. Wir sind das Volk und haben über unsere Zukunft mitzuentscheiden!"
"Wir sind das Volk" – der Protestruf der Montagsdemonstrationen, der auf die Beseitigung der Diktatur und auf demokratische Reformen in der DDR abzielte und wenig später in der Variante "wir sind ein Volk" die deutsche Wiedervereinigung einforderte, dient hier dazu, mit den Parolen der SED von Völkerfreundschaft und internationaler Solidarität zu brechen. Die ausländischen Vertragsarbeiter haben in diesem "Wir" keinen Platz. Das "Volk" wird hier nicht (im Sinne der bürgerlichen Revolution) als Souverän benannt, sondern als ethnische Einheit angeführt: Der Volksbegriff wird nicht demokratisch, sondern völkisch verstanden. Im Zuge des Zusammenbruchs des politischen Systems der DDR, der Abwicklung der volkseigenen Betriebe und vor dem Hintergrund eines zunehmend fremdenfeindlichen Klimas, kehrte die überwiegende Mehrheit der Arbeitsmigranten schließlich in ihre Heimatländer zurück.
Zitierweise: Ann-Judith Rabenschlag, Arbeiten im Bruderland. Arbeitsmigranten in der DDR und ihr Zusammenleben mit der deutschen Bevölkerung, in: Deutschland Archiv, 15.9.2016, Link: www.bpb.de/233678