Der Fall Hepp: Das MfS als aktiver Unterstützer des neonazistischen Rechtsterrorismus
Anfang der 1980er Jahren gehörten die Mitglieder der rechtsterroristischen Vereinigung "Hepp-Kexel-Gruppe" zu den meistgesuchten Personen in der Bundesrepublik, deren terroristische Ziele sich von einem nazistischen Standpunkt aus gegen amerikanische Einrichtungen in der Bundesrepublik richteten. Die Gruppe verübte in Ginnheim bei Frankfurt einen Anschlag auf eine US-Wohnsiedlung und in Gießen, Eschborn, Darmstadt, Frankfurt und Butzbach jeweils Anschläge auf Privatautos von US-Militärangehörigen. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) war zu jedem Zeitpunkt bestens im Bilde über die Aktivitäten der "Hepp-Kexel-Gruppe" und hat deren weltanschaulichen und organisatorischen Kopf, Odfried Hepp, nicht nur in umfangreichem Maße finanziell und logistisch unterstützt, sondern auch bei seiner Flucht vor den bundesdeutschen Ermittlungsbehörden geholfen und bis zu seiner späteren Verhaftung in Paris dauerhaft protegiert – und stimmte überdies weitgehend mit den Zielen von Hepp überein. Der Fall Odfried Hepp dokumentiert deutlich, wie instrumentell die Haltung des MfS gegenüber Rechtsextremismus und Neonazismus war – weil es an zentralen Punkten schlichtweg keine Differenzen zwischen den Positionen des MfS und denen von Hepp gab und insofern der Antifaschismus der DDR mit Blick auf das MfS nicht nur ein Mythos war, sondern überdies die DDR aktiven Anteil daran hatte, dass in Westdeutschland neonazistischer Terrorismus ausgeübt und eine der Schlüsselfiguren dieses Rechtsterrorismus ohne die mehrjährige und umfangreiche Hilfe durch das MfS nicht hätte agieren können. Kurz gesagt: Für einen Teil der Geschichte des bundesdeutschen Rechtsterrorismus trägt auch die DDR eine moralische und politische Verantwortung.
Im Juli 1982 stellte das MfS zunächst einen "Scheinkontakt" zu Hepp her, weil dieser nach Ostberlin einreiste und dem MfS mitteilte, dass deutsche Neonazis Anschläge auf die DDR planen würden – das MfS wollte sich aber noch offenhalten, auf die Kontaktaufnahmebemühungen von Hepp einzugehen oder nicht, da es Hepp war, der den Kontakt zum MfS aufgenommen und seine Mitarbeit angeboten hatte, also die Initiative nicht vom MfS ausging.
Dem MfS waren zu diesem Zeitpunkt nicht nur die programmatische Schrift "Abschied vom Hitlerismus" (1982) von Odfried Hepp und Walther Kexel bekannt, in der diese ihre neonazistische, aber eben nicht an der Person Hitlers orientierten, Weltanschauung mit der Parole "Vorwärts im antiimperialistischen Befreiungskampf" schließen.
So wusste das MfS, dass die Anschläge gegen amerikanische Einrichtungen der Hepp-Kexel-Gruppe von Walther Kexel, Dieter Sporleder, Odfried Hepp, Hans-Peter Fraas, Ulrich Tillmann, Helge Blasche verübt wurden und zudem, wer von diesen genau an welchen Anschlägen beteiligt war. Auch Details der Geldbeschaffung durch Banküberfälle in Nidderau, Nürnberg, Hungen, Nidda und Friedberg waren dem MfS bekannt.
Die Taten und Vorbereitungen der Hepp-Kexel-Gruppe konzentrierten sich fast ausschließlich in Mittelhessen, die Sprengsatztestungen wurden aber in der Lüneburger Heide durchgeführt.
Das MfS war auch in die interne Struktur der Terrorgruppe eingeweiht, deren Ziele primär im Kampf gegen die USA, für einen NATO-Austritt der Bundesrepublik sowie die Schaffung eines neutralen Gesamtdeutschlands lagen. Dabei wusste das MfS nicht nur, dass Hepp die "politische und agitatorische" Leitung und Kexel die "militärische" Leitung der Gruppe innehatte, sondern auch, dass sich die "Hepp-Kexel-Gruppe" am Vorbild der PLO orientierte und teilweise mit arabischen Decknamen arbeitete: Walther Kexel (Nabil), Dieter Sporleder (Gundolf), Odfried Hepp (Jussuf), Hans-Peter Fraas (Achmed), Ulrich Tillmann (Nidal), Helge Blasche (Mahmond). Hepp verwendete seinen Decknamen auch später weiter, als er mit Unterstützung des MfS für die PLO arbeitete.
Polizeifoto von Walther Kexel, der 1983 im Zuge der Fahndung nach der Wehrsportgruppe Hoffmann nahe London verhaftet wurde (© picture-alliance / dpa)
Polizeifoto von Walther Kexel, der 1983 im Zuge der Fahndung nach der Wehrsportgruppe Hoffmann nahe London verhaftet wurde (© picture-alliance / dpa)
Die Hepp-Kexel-Gruppe hatte aber nicht nur Sympathien für die PLO, sondern auch für die Rote Armee Fraktion (RAF), die man – vermutlich wegen der gemeinsamen antiamerikanischen und antisemitisch-antizionistischen Grundhaltung – als Verbündete betrachtete. Vermittelt über die in der JVA Köln inhaftierte Rechtsextremistin Christine Hewicker (Volkssozialistische Bewegung Deutschlands/VSBD), die sich in der Haft mit der Linksextremistin Verena Becker (RAF) anfreundete und von einer RAF-Sympathisantin, die vor beiden aus der Haft entlassen wurde, dazu nutzen, um Dossiers aus der Haft schmuggeln zu lassen, versuchte Kexel Kontakte zur Führungsebene der RAF aufzunehmen, um eine Zusammenarbeit von Rechts- und Linksterroristen in der Bundesrepublik zu beginnen. Nach Angaben besagter RAF-Sympathisantin hatten Führungsmitglieder der zweiten RAF-Generation wie Christian Klar, Brigitte Mohnhaupt und Adelheid Schulz „grundsätzlich keine Einwände“ bezüglich solcher Gespräche, jedoch seien diese wegen des starken Fahndungsdrucks durch das BKA zum aktuellen Zeitpunkt nicht möglich – kurz darauf, im Sommer beziehungsweise Herbst 1982, wurde die RAF-Führungsebene verhaftet.
Das MfS war von Anfang an gut über Hepp informiert: In den Akten finden sich Kopien von Hepps Abiturzeugnis, seiner Kontoeröffnung bei der Sparkasse Offenbach und der Sparkasse Berlin/West, diverser Kontoauszüge und eine Kopie seiner Abstammungsurkunde. Auf Betreiben des Vaters wurde Hepp im Sommer 1970 Mitglied des Bundes Heimattreuer Jugend in Sinzheim; dort beteiligte er sich an Herbst- und Winterlagern sowie einer Flandernfahrt. In seiner "Ausbildung" beim BHJ wurde er mit zwei Fragen konfrontiert: "Wie kam es zur deutschen Katastrophe 1945?" und "Welche Möglichkeiten gibt es, aus dieser Katastrophe wieder herauszukommen?" Im BHJ wurde Hepp Unterführer, Jugendscharführer und Standortführer Schwarzwald, letztes 1975, nahm Ostern 1976 am zentralen Lehrgang ausgewählter BHJ-Funktionäre in Dimhausen teil. Aus persönlichen Gründen (schlechtes Verhältnis zur BHJ-Führung Süd) wechselte Hepp Ende 1977 in die noch militantere Wiking-Jugend (WJ). Hepp gründete zusammen mit Roland Müller im Sommer 1977 die "Wehrsportgruppe Schlageter", die im März 1979 in den neugegründeten "Horst Ortenau" der WJ integriert wurde. Hepp wurde Gauführer Schwaben der WJ. Hepps Großmutter Anna Hepp lebte in der DDR, die Hepp bis 1978 rund fünfzehn Mal besuchte; es gab weitere Verwandte von Hepp in der DDR, zu denen aber keine Kontakte nachgewiesen sind.
Überhaupt schätzte man Hepp im MfS sehr. Es finden sich zahlreiche Einschätzungen zu seiner Persönlichkeit, die offenbar – wenngleich auch mit wenig sozialistisch-emanzipatorischen, sondern mit preußisch-zwanghaften Tugenden ausgestattet – den Sachbearbeitern im MfS gefallen haben, möglicherweise genau deshalb. Zudem sympathisierte das MfS nicht nur mit den Persönlichkeitsmerkmalen von Hepp, sondern auch mit dessen Weltanschauung, wie dies in einem als "streng geheim" eingestuften umfangreichen Bericht über die "Operative Wertschätzung durchgeführter Maßnahmen im Zusammenhang mit dem zeitweiligen Aufenthalt eines Westberliner Bürgers in der DDR" zum Ausdruck kommt:
Da Hepp zu diesem Zeitpunkt in der Bundesrepublik polizeilich gesucht wurde und das MfS offenbar keine Widersprüche im neonazistischen Weltbild von Hepp und in den eigenen Vorstellungen sah, wurde empfohlen, Hepp "die Ausreise in ein arabisches Land seiner Wahl zu ermöglichen", wobei das MfS in Rücksichtnahme auf Hepps Wünsche und "für die anzustrebende stabile Verbindung zum MfS" die Syrische Arabische Republik vorschlug.
Für seine Ausreise hatte das MfS Hepp einen "präparierten" BRD-Reisepass auf den Namen "Dieter Erich Wilhelm Kersten" zur Verfügung gestellt und war auch nach seinem Verlassen der DDR in Richtung Syrien fortlaufend darüber in Kenntnis, wo sich Hepp aufhielt; so erfolgte es auch in Absprache mit dem MfS, dass sich Hepp der palästinensischen Terrorgruppe Palestinian Liberation Front (PLF) unter Führung von Muhammad Zaidan (Kampfname: Abu Abbas) anschloss. In den Jahren 1983/84 unterzog sich Hepp zahlreichen ärztlichen Behandlungen in der DDR, blieb also auch in fortlaufendem Kontakt zum MfS.
In der palästinensischen Dachorganisation, der Palestinian Liberation Organisation (PLO), und in der PLF ist Hepp, wie auch beim MfS, geschätzt. Hepp hatte bereits Jahre vor seiner Flucht zusammen mit der WSG Hoffmann eine militärische Ausbildung bei der PLO erhalten, so dass Hepps Kontakte zur PLO bereits vor seiner Zusammenarbeit mit dem MfS bestanden; die PLO wusste bei seiner damaligen Ankunft Anfang August 1980, dass Hepp Mitglied einer rechtsextremen Gruppe war und sich der WSG angeschlossen hatte. Die PLO schätzte Hepp als "umsichtigen und intelligenten" Menschen; er vertrete "bürgerlich-nationale Ansichten" und sei von der Schaffung eines "einheitlichen Deutschlands" und einer "stark anti-amerikanischen" Ausrichtung geprägt. Gegenüber der DDR und der UdSSR nehme er "keine feindliche Haltung" ein und lehne "Aktivitäten gegen sozialistische Staaten prinzipiell ab".
Hepps Verbindung zum hochrangingen PLF-Funktionär Mohamad Ghadban ist überdies bedeutsam, weil er mit diesem zusammen wesentliche Strukturen für PLO und PLF in Europa aufbauen sollte und unmittelbar vor einem Treffen mit Ghadban in Paris – zuerst Ghadban, dann Hepp – und wegen illegalen Besitzes von Waffen und Dokumenten unter Anklage gestellt wurde.
Resümee
Der historisch-vergleichende Blick auf den Umgang des MfS mit drei hochkarätigen Rechtsterroristen, die alle nicht nur über weltanschauliche Festigung im neonazistischen Milieu der Bundesrepublik in den 1970er und 1980er Jahren verfügten und jeweils Schüsselstellungen der Vernetzungen in dieser Szene einnahmen, sondern auch umfangreiche Gewalt- und Terrorismusaktivitäten entwickelten und/oder unterstützten, zeigt ein ausnahmslos instrumentelles Verhältnis des MfS zum Themenfeld Rechtsextremismus. Anhand des Vergleichs zeigt sich, dass es zu keinem Zeitpunkt ein genuin politisches Interesse im MfS gab, das man als "Antifaschismus" hätte beschreiben können. Das MfS empfand offensichtlich nicht den Kampf gegen Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus als zentral, sondern in Fällen, die opportun erschienen und bei denen man aufgrund des eigenen Antisemitismus und des eigenen Antiamerikanismus hohe weltanschauliche Übereinstimmungen zu den westdeutschen Nazi-Terroristen ausmachte, wurde sogar über Jahre hinweg der Rechtsterrorismus aktiv unterstützt. Ganz konkret: Hätte das MfS Hepp nicht zur Flucht verholfen und die Fortsetzung seiner Terror-Karriere gefördert – nun nicht mehr unter dem Label des rechtsextremen, sondern des palästinensischen Antisemitismus und Antiamerikanismus – wäre eine Aufklärung und Strafverfolgung gegen Hepp durch bundesdeutsche Behörden deutlich früher möglich gewesen. Die Verbrüderung mit dem offiziell zum Hauptfeind erklärten (Neo-)Faschismus zeigt, dass der proklamierte Antifaschismus der DDR faktisch eine Lüge war.
Neben dieser zeithistorischen Dimension bleibt anzumerken, dass die Forschung über den Umgang des MfS mit dem bundesdeutschen Rechtsextremismus noch in den Anfängen steckt. Notwendig ist perspektivisch nicht nur die vollständige Sichtung und zeithistorische Kontextualisierung aller Akten zum Thema, sondern auch eine noch stärkere Integration der Erkenntnisse in die westdeutsche Rechtsextremismusforschung, weil zu vermuten steht, dass gerade hinsichtlich logistischer und finanzieller Dimensionen mehr Licht in das Dunkel der Geschichte des bundesdeutschen Rechtsterrorismus der 1970/80er Jahre gebracht werden kann.
Zitierweise: Samuel Salzborn, Die Stasi und der westdeutsche Rechtsterrorismus. Drei Fallstudien (Teil II). In: Deutschland Archiv, 19.4.2016, Link: www.bpb.de/224934