Real existierender Rechtsextremismus in der DDR
Die DDR und der Rechtsextremismus – ruft man sich vor dem Hintergrund der massiven rechtsextremen Gewalt, die gegenwärtig vor allem in Sachsen ausgeübt wird, die Brandanschläge und Pogrome Anfang der 1990er Jahre unter anderem in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda in Erinnerung und vergegenwärtigt sich die parlamentarischen Erfolge, die Parteien wie DVU, NPD und AfD in den zurückliegenden 25 Jahren in Ostdeutschland hatten, dann ist offenkundig, dass es ein spezifisches Problem mit Rechtsextremismus in Ostdeutschland gibt. Ein Problem, darauf haben viele hingewiesen, das mit der DDR zu tun hat – nicht nur, aber auch: denn das sich selbst als antifaschistischer Staat verstehende Regime hat sich aufgrund einer historisch falschen und realsozialistisch überformten Analyse des Nationalsozialismus zu keinem Zeitpunkt dem Problem gestellt, dass nicht nur die Mehrheit der westdeutschen, sondern auch die Mehrheit der ostdeutschen Bürgerinnen und Bürger nationalsozialistische Sozialisationserfahrungen hatten und sich der NS-Geist durch militärische und paramilitärische Situierungen in der DDR nahtlos fortsetzen konnte.
Der real existierende Rechtsextremismus in der DDR wurde als inexistent erklärt, die Wirklichkeit durch Ideologie zu suspendieren versucht,
Aber die DDR musste sich, gerade wegen ihrer dezidiert antifaschistischen Rhetorik, auch vor dem real existierenden Rechtsextremismus in der Bundesrepublik sorgen, da er – zumindest in den Teilen, die eindeutig antikommunistisch agierten – in seinem imperial-gesamtdeutschen Anspruch die DDR in ihrer Existenz nicht nur in Frage stellte, sondern mit Blick auf gewalttätige Aktionen gegen Grenzanlagen auch tatsächlich angriff. Folglich war nicht nur der Rechtsextremismus im Allgemeinen, sondern auch der Rechtsterrorismus im Besonderen ein markanter Punkt, auf den die DDR und im Speziellen das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) seine Aufmerksamkeit richtete.
Die Motivlage
Insgesamt sind nach gegenwärtigem Kenntnisstand 42 Inoffizielle Mitarbeiter (IM) des MfS aus der rechtsextremen Szene der Bundesrepublik bekannt, rund 30 weitere wurden vom MfS als IM-Vorläufer registriert,
Aber es gab auch die Sorge, dass diejenigen rechtsextremen Personen und Organisationen, die den Antikommunismus ihrer Ideologie so ernst nahmen, gegen die DDR und ihre Organe aktiv vorgehen wollten oder vorgegangen sind. Sicher ist hier das Milieu der Vertriebenenverbände faktisch eine stärkere außenpolitische Bedrohung für die DDR gewesen,
Drei symptomatische Fälle
Insgesamt sollen drei symptomatische Fälle des Umgangs des MfS mit dem westdeutschen Rechtsterrorismus skizziert werden: Erstens der Fall von Manfred Roeder, den man zuerst, als man ihn in den 1960er Jahren möglicherweise noch als IM hätte gewinnen können und es zunächst auch wollte, in dilettantischer Weise falsch eingeschätzt hat, um sich dann gut 15 Jahre später vor dem Terror von Roeders „Deutscher Aktionsgruppe“ zu fürchten, weil sich dieser auch gegen die DDR hätte richten können. Zweitens der Fall von Arnulf-Winfried Priem, militanter Neonazi mit besten Kontakten in den westdeutschen und internationalen Neonazismus der 1970er und 1980er Jahre, Führungsfigur der Berliner NS-Szene, neuheidnisch-germanengläubig und extrem antikommunistisch orientiert, den das MfS systematisch mehr als zehn Jahre mit zahlreichen Quellen abschöpfte und seine Akte, kurz vor dem Ende der DDR, schloss, weil man ihn nicht mehr als Sicherheitsrisiko für die DDR ansah. Drittens, dann im zweiten Teil der Studie, der Fall von Odfried Hepp, der das ganze Ausmaß der ideologischen Korruptheit des DDR-Regimes dokumentiert. Das MfS achete Hepp hoch - einen Mann, der Anfang der 1980er Jahre mit seiner so genannten Hepp-Kexel-Gruppe zahlreiche Anschläge auf amerikanische Einrichtungen vor allem in Mittelhessen verübt hat. Während er in der Bundesrepublik polizeilich gesucht wurde, verhalf das MfS ihm als einzigem Mitglied der Hepp-Kexel-Gruppe über die DDR zur Flucht nach Syrien, verschaffte ihm gefälschte Papiere und unterstützte fortlaufend Hepps Kontakte zur PLO (Palestine Liberation Organization) und PLF (Palestine Liberation Front). Über den gemeinsamen Nenner des Antizionismus und des Antiamerikanismus vermochte das MfS keinerlei substanzielle Differenzen mehr zu erkennen zwischen Hepps antiimperialistischem Neonazismus, dem antisemitischen Antizionismus der PLO und PLF und dem eigenen Realsozialismus.
Der Fall Roeder: Das MfS zwischen Dilettantismus und passiver Furcht
Manfred Roeder (links) wird im Juni 1982 in Stuttgart-Stammheim als Rädelsführer der rechtsterroristischen "Deutschen Aktionsgruppe" zu 13 Jahren Haft verurteilt (© picture-alliance / dpa)
Manfred Roeder (links) wird im Juni 1982 in Stuttgart-Stammheim als Rädelsführer der rechtsterroristischen "Deutschen Aktionsgruppe" zu 13 Jahren Haft verurteilt (© picture-alliance / dpa)
Im Jahr 1966 legte das MfS eine IM-Vorlaufakte (IMV-Akte) an – einen Vorgang, bei dem man prüfen wollte, ob die betreffende Person als IM für das MfS interessant war und in Frage kam. Der Grund: "Die Person steht in Verbindung zu Angehörigen der Französischen Besatzungsmacht einschließlich der Französischen Militärverbindungsmission in Westberlin und wird mit dem Ziel der Werbung bearbeitet."
Das MfS sammelte infolge dieser Kontaktaufnahme Mitte der 1960er Jahre monatelang Korrespondenz von und mit Roeder, die jedoch im Wesentlichen private Belanglosigkeiten enthielt (zu politischen Äußerungen ließ sich Roeder an dieser Stelle selten hinreißen) und Berichte über private Reisen von Roeder, auch in die DDR. Von seinem ersten persönlichen Treffen mit Roeder nach über zehn Jahren berichtete IM "Werner", dass Roeder seine Frau über seinen ehemaligen NAPOLA-Lehrer kennen gelernt habe, dessen Tochter sie war.
Das MfS protokollierte in der Folge noch weitere Grenzübertritte von Roeder, seine Westberliner Wohnsituation wurde ausgespäht, auch Korrespondenzen von Roeder mit seinem Vetter und auch mit dessen Frau (Deckname "Gerda") erhielten Einzug in die Akte, die allerdings faktisch auf rund 300 Seiten mit relativ wenig substanziellem Inhalt gefüllt ist. Das MfS hatte zwar loses Interesse daran, direkten Kontakt mit Roeder aufzunehmen, da dieser aber offenbar seinerseits das Interesse an seinem Vetter in der DDR verlor, kam ein solches nie zustande: "Nach unseren Einschätzungen hatte R. […] das Interesse an unserem IM verloren zumal es ihm nicht gelang, ihn für die 'MRA' zu gewinnen."
In der "Feindobjektakte" – einer MfS-Kategorie, mit der ausdrückliche Gefährdungsobjekte klassifiziert und unter Beobachtung gestellt wurden – liest sich der Fall Roeder ganz anders. Roeders "Deutsche Aktionsgruppe" (DA) wurde in der mit MfS-Beschluss vom 4. Dezember 1982 angelegten Akte deshalb unter Beobachtung gestellt, weil sich aus deren "terroristischen Handlungen gegen in der BRD wohnhafte und asylsuchende Ausländer" sowie deren "Anschläge gegen jüdische Einrichtungen" ein "Risikofaktor" für "die DDR und ihre Verbündeten" ergebe – wohl aufgrund der Annahme des MfS, die DA könnte aus antikommunistischen Motiven auch gegen die DDR vorgehen.
Das MfS erfasste 20 Personen als Mitglieder und Sympathisanten der DA, darunter die wegen der Anschläge der DA verurteilten Heinz Colditz, Raymund Hörnle, Georg Karl-Otto Schrader, Sibylle Vorderbrügge sowie Roeder selbst und verzeichnete die Ausübung von sieben terroristischen Anschlägen auf "jüdische Einrichtungen/Objekte" und "Wohn- und Asylantenheime ausländischer Bürger in der BRD".
Roeder wurde auch während des Prozesses gegen die DA und auf seinem Anwesen mehrfach von IMs des MfS beobachtet,
Und von Roeders "Reichshof" – so die Selbstbezeichnung von Roeders Anwesen, das aus Wohnhaus, Baracken, Bunkeranlagen, Treibstofftanks und Funkstation bestand – lag dem MfS eine detaillierte Ortsskizze vor.
Dass Roeders Frau Briefe in die DDR "mit eindeutig neonazistischem Inhalt" schrieb, die vom MfS abgefangen wurden, bereitete dem MfS Sorge, was angesichts der Zeilen, die Gertraud (Traudel) Roeder in sehr freundschaftlichem Duktus schrieb, durchaus begründet sein dürfte. In ihrem Brief berichtet sie vom anstehenden Prozess gegen ihren Mann wegen dessen Vorwort zu Christophersens geschichtsrevisionistischem Buch "Die Auschwitz-Lüge" und empört sich über den "ganzen Rummel", der "wegen ein paar toter Juden" gemacht werden. Sie schloss mit den Worten: "Aber einmal kommen wieder andere Zeiten, darauf warten wir!"
Mit nur wenigen nennenswerten Erkenntnissen über die Aktivitäten der DA, die über öffentlich verfügbares Material hinausgingen (abgesehen von den IM-Berichten und den abgefangenen Briefen sowie umfangreichem Schriftgut von Roeder, das dieser aber selbst breit gestreut hatte), wurde der "Operative Vorgang Deutsche Aktionsgruppe" vom MfS im Mai 1989 geschlossen.
Der Fall Priem: Das MfS im operativen Abwehrkampf gegen antikommunistischen Rechtsterrorismus
Arnulf-Winfried Priem wird im August 1994 von einem Polizeibeamten aus einem Haus im Berliner Bezirk Wedding geführt (© picture alliance / ZB, Foto: Peer Grimm)
Arnulf-Winfried Priem wird im August 1994 von einem Polizeibeamten aus einem Haus im Berliner Bezirk Wedding geführt (© picture alliance / ZB, Foto: Peer Grimm)
Arnulf-Winfried Priem war einer der maßgeblichen Kader des militanten Neonazismus der 1970er und 1980er Jahre in Westdeutschland, insbesondere in Westberlin. Auffallend an Priem, der medial oft als "Nazi-Rocker" tituliert wurde, war sein äußeres Erscheinungsbild mit langen Haaren und sein Kleidungsstil, der oft an den Stil von Motorradrockern erinnerte.
Das MfS hatte zahlreiche Quellen, zum Teil abschöpfend unter Legende, also ohne Nennung des tatsächlichen Interesses bei Vorgabe eines anderen Grundes (mit relativ hohem Aufwand und gleichzeitig nur magerem Ertrag), zum Teil auch IMs auf Priem und seine Aktivitäten angesetzt. Die Erhebungen zu Priem und seinem politischen Umfeld durch das MfS sind umfangreich und dokumentieren neben dessen Kontakten zu zentralen neonazistischen Kadern der Zeit wie Michael Kühnen, Gary Lauck, Karl-Heinz Hoffmann, Thies Christophersen, Kurt Müller und Andreas Pohl auch seine parteipolitische Tätigkeit in der "Freiheitspartei", für die Priem 1989 auf Listenplatz vier im Wahlkreis Wedding für die Berliner Bezirksverordnetenversammlung kandidierte, aber auch seine zahlreichen rechtskräftigen Verurteilungen durch bundesdeutsche Gerichte. Das MfS betont in seinen Einschätzungen über Priem dessen "Kampf gegen ‚sowjetischen‘ und US-Imperialismus", seinen Rassismus und Antisemitismus sowie sein "‚deutsches Denken‘ im Sinne faschistischer Rassenideologie"
Auf der Basis von Informationen, die das MfS von einem Studenten der Freien Universität Berlin bekam (IM "Gerd/Gerhard Turm"), der sich aus finanziellen Gründen im Mai 1976 dem MfS angeboten hatte und über Kontakte zum "Freundeskreis der NSDAP" beziehungsweise der "Ortsgruppe der NSDAP" (Organisationen, die den Wiederaufbau beziehungsweise die Legalisierung der NSDAP zum Ziel hatten) in Westberlin verfügte, wo auch Priem aktiv war, ging das Wissen des MfS sogar über die Ebene der Beschaffung von Propagandamaterial hinaus. IM "Turm" übergab neben Sachinformationen und Berichten von neonazistischen Treffen dem MfS auch eine Sprengstoffprobe, die aus einer Lieferung für den "Freundeskreis der NSDAP" stammte
Mit einem im Umfeld von Priem agierenden Westberliner (Deckname „Berlitz“) führte das MfS mehrere Gespräche an öffentlichen Orten, um unter einer Legende Informationen über Priem zu erlangen. Dabei erfuhr man unter anderem, dass Priem an einem Sprengstoffanschlag auf die DDR-Grenze in Westberlin nicht persönlich beteiligt gewesen sei, diesen aber ausdrücklich aufgrund seiner feindlichen Haltung gegenüber der DDR als "tolle Sache" begrüßte.
Außerdem wurde über kriminelle Aktivitäten von Priem, insbesondere Einbrüche, und seine Kontakte in die Skinhead-Szene berichtet und konkrete Treffpunkte benannt – da die Quelle für diesen Bericht IMB "Seemann" war, dürfte ihnen eine hohe Authentizität zukommen. "Seemann" war Priems Vater Horst Priem, der in Ostberlin lebte.
Priems Vater berichtete dem MfS ebenfalls, dass sein Sohn "keine Kritik an seinen Entscheidungen" gelten lassen würde und "egoistisch, verbohrt und herrschsüchtig" sei. Er verherrliche "germanische Lebensweise, Sitten, Bräuche etc.", was aber in neonazistischen Kreisen zunehmend weniger Anklang finde, wohingegen Priem bei "Zusammenkünften mit militanten Rockern" geachtet sei, weil er sich spendabel zeige.
Die Überwachung von Priem wurde im September 1989 nach über zehn Jahren – aus durch das Archiv der Stasi-Unterlagenbehörde (BStU) unsichtbar gemachten Gründen (höchstwahrscheinlich wegen der Verletzung von Persönlichkeitsrechten erfolgten Schwärzungen) – vom MfS eingestellt, da Priem "kein sicherheitspolitischer Gefahrenpunkt für die DDR mehr" sei.
Priem ist insofern ein Beispiel für einen neonazistischen Rechtsterroristen, dem das MfS extrem hohe Aufmerksamkeit schenkte, weil er in seiner Rhetorik und Praxis gegen die DDR und den Sozialismus agitierte und agierte und er insofern ein konkretes Sicherheitsrisiko für die DDR darstellte. Fraglos war es ein aus Sicht des MfS glücklicher Zufall, dass sich Priems Vater als IM anbot, jedoch zeigen die umfangeichen Bemühungen und minutiösen Planungen von Maßnahmen gegen Priem, dass das MfS in hohem Maße Zeit, Energie und Geld gegen einen Rechtsterroristen investierte, der als Gefahr für das eigene System wahrgenommen wurde.
Ganz anders im Fall Odfried Hepp.
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Zitierweise: Samuel Salzborn, Die Stasi und der westdeutsche Rechtsterrorismus. Drei Fallstudien (Teil I). In: Deutschland Archiv, 15.4.2016, Link: www.bpb.de/224836