"Nie wieder nach Berndshof!" Allgemeiner Strafvollzug und Militärstrafvollzug in Berndshof/Ueckermünde 1952-1972
Falk Bersch, Hans Hermann Dirksen
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Seit 1952 befand sich in Berndshof am Oderhaff eine Strafvollzugseinrichtung für verschiedene Häftlingsgruppen in der DDR. Unter ihnen waren auch Wehrdienstverweigerer. In den Jahren 1954 bis 1959 war ein Viertel aller in Berndshof eingelieferten Strafgefangenen - ob Zivil- oder Militärstrafgefangene - wegen politischer Delikte verurteilt. Der Beitrag schildert die wechselvolle Geschichte dieses Haftortes.
Die Geschichte und Bedeutung des Haftortes Berndshof ist lange Zeit unterschätzt worden. Standkommando, Haftarbeitslager, Arbeitserziehungskommando, Strafvollzugskommando – allein in den ersten zwanzig Jahren des Bestehens der 1952 zunächst als Arbeitskommando des Zuchthauses Bützow-Dreibergen gegründeten Strafvollzugseinrichtung in Berndshof, einem Ortsteil von Ueckermünde am Oderhaff, änderte sich seine Bezeichnung fünfmal. Das deutet sowohl auf die wechselvolle Geschichte der Einrichtung als auch auf die verschiedenen Häftlingsgruppen hin, die hier inhaftiert waren. Berndshof war zunächst ein typisches DDR-Haftarbeitslager der fünfziger Jahre, in dem Strafgefangene Zwangsarbeit leisten mussten. Jedoch spielten sich hier schon bald Vorgänge ab, die es an anderen DDR-Haftorten nicht gegeben hat. Dazu zählt die Tatsache, dass Berndshof gleich zweimal Militärstraflager war. Hier, und nicht im später einzigen Militärgefängnis Schwedt, fand der erste zentrale Militärstrafvollzug der DDR statt.
Erster zentraler Militärstrafvollzug
Zunächst wurde das Haftarbeitslager Berndshof eingerichtet, um den Arbeitskräftemangel der umliegenden Ziegelwerke zu reduzieren. Zivilstrafgefangene, die im Durchschnitt zu nicht mehr als zweieinhalb Jahren Gefängnis- oder Zuchthausstrafen verurteilt worden waren und aus der gesamten Republik kamen, wurden als Arbeitskräfte eingesetzt. Im Frühjahr 1953 begann das Ministerium des Innern, eigene Justizorgane aufzubauen, so auch für Angehörige der Kasernierten Volkspolizei (KVP) und der Deutschen Grenzpolizei. Damit wurde in der DDR eine neue Häftlingsgruppe gebildet. Straffällig gewordene Angehörige der bewaffneten Dienste teilte man zunächst in unterschiedliche Haftanstalten auf. Da dies nicht zweckmäßig erschien, ordnete Innenminister Willi Stoph im November 1954 an, sie ausschließlich in das Straflager Berndshof einzuweisen. Das bedeutete, dass nun neben Zivilstrafgefangenen erstmals auch Militärstrafgefangene in Berndshof inhaftiert waren. Im März 1955 wurden die ersten 80 Militärstrafgefangenen aus der Untersuchungshaftanstalt Prenzlau nach Berndshof überführt. Häufig aufgrund von kriminellen Handlungen wie Eigentumsdelikten und Körperverletzung verurteilt – politische Gründe waren eher selten – wurden sie nun als Strafgefangene der "Kategorie B" bezeichnet. Die Militärstrafgefangenen sollten neben ihrer täglichen Arbeit in den umliegenden Arbeitsorten auch weiterhin eine militärische Ausbildung erhalten, da sie in der Regel nach Haftverbüßung in ihre Einheiten zurückkehrten. Unter den erwähnten Angehörigen der bewaffneten Dienste sind zunächst Angehörige der KVP und ab 1957 der Nationalen Volksarmee (NVA) zu verstehen, aber auch der Transportpolizei, der Bahnpolizei und anderer staatlicher Einrichtungen jener Zeit. Vereinzelt waren sogar straffällig gewordene Angehörige des Ministeriums für Staatsicherheit in Berndshof inhaftiert.
Insgesamt betraf das in den Jahren 1955 bis 1959 rund 900 verurteilte Angehörige der bewaffneten Dienste. In manchen Jahren stellten die Militärstrafgefangenen gar die Mehrheit der Häftlinge. Die Praxis zeigte jedoch, dass eine gemeinsame Unterbringung und „Erziehung“ von Militärstrafgefangenen und Zivilstrafgefangenen kaum durchführbar war. Die angeordnete strikte Trennung der beiden Haftgruppen war in Berndshof aufgrund der Räumlichkeiten nicht möglich. Die zur Bewachung eingesetzten Angehörigen der Volkspolizei waren aufgrund von Personalmangel und geringem Bildungsstand überfordert. Die militärische Ausbildung kam aufgrund des Produktionsprozesses in den Ziegelwerken zu kurz. So musste dieses Experiment, das als der erste zentrale Militärstrafvollzug der DDR angesehen werden muss, schon nach etwa zwei Jahren aufgegeben werden. 1957 wurde beschlossen, die Militärstrafgefangenen in das Haftarbeitslager Nitzow zu verlegen. Im Gegenzug kamen die Zivilstrafgefangenen aus Nitzow nach Berndshof, so dass man hier wieder einen zivilen Strafvollzug durchführen konnte. Ab 1957 verbüßten nur noch vereinzelt Angehörige der bewaffneten Dienste ihre Haftstrafe in Berndshof.
Eine Auswertung des "Gefangenenbuch[es] Berndshof 1954-1959" ergibt ein deutliches Bild der Delikte der in diesen fünf Jahren in Berndshof inhaftierten Militär- und Zivilstrafgefangenen. Dabei konnten lediglich vier Prozent als militärische Delikte im engeren Sinne ausgemacht werden, wie beispielsweise Fahnenflucht, Angriff auf Vorgesetzte und Befehlsverweigerung. Der Anteil der kriminellen Straftaten liegt bei 67 Prozent und umfasste vor allem Eigentums- und Vermögensdelikte sowie Sittlichkeitsverbrechen. 25 Prozent - also ein Viertel aller Inhaftierten – waren aus politischen Gründen inhaftiert, vor allem auf Grund von Hetze- und Spionagevorwürfen. Dies betraf mehrheitlich die Zivilstrafgefangenen. Dazu kommen vier Prozent Strafgefangene, die wegen Vergehen gegen das politisierte Wirtschaftsrecht verurteilt worden waren, in der Regel Angehörige der Privatwirtschaft, die man hier kriminalisierte.
Arbeitserziehungskommando
Schon seit 1952 mussten die zivilen Gefangenen und später auch die Militärstrafgefangenen in Berndshof arbeiten. 1961 erweiterte sich der Kreis der "Arbeitspflichtigen" mit einer vom Ministerrat der DDR erlassenen Verordnung über die Aufenthaltsbeschränkung. Dadurch wurden die Staatsorgane berechtigt, Personen wegen angeblicher oder tatsächlicher Arbeitsbummelei zu verurteilen und zur Arbeit zu zwingen. Um das konsequent umzusetzen, wurden bald besondere Vollzugseinrichtungen geschaffen: die Arbeitserziehungskommandos. Dafür wurden – um keine neuen Lager errichten zu müssen - Haftarbeitslager wie Berndshof in Arbeitserziehungskommandos umgewandelt, in denen nun neben regulären Strafgefangenen auch "Arbeitspflichtige" einsaßen.
Die Einrichtung in Berndshof wurde deshalb 1962 auch von "Haftarbeitslager" in "Arbeitserziehungskommando" umbenannt. Bald waren neben den Zivilstrafgefangenen ca. 200 "Arbeitserziehungshäftlinge" dort, die durch Arbeit umerzogen werden sollten. Dabei sollte dem Strafvollzugspersonal in einer groß angelegten Veranstaltung im Juli 1962 klargemacht werden, dass "Arbeitserziehung kein Strafvollzug [sei. Sie verlange] ideologische Klarheit über Probleme, hohe Qualität der Arbeit und das Vorbild eines Erziehers für alle Genossen." Allerdings scheiterte dieses Experiment, nicht nur in Berndshof, sondern auch in anderen Arbeitserziehungskommandos der DDR, was nicht zuletzt an dem nur unzureichend ausgebildeten Personal lag. Man konnte Menschen nicht einfach von der Richtigkeit eines Systems, dass sie zudem noch einsperrte, überzeugen und zu "sozialistischen Menschen" erziehen. In Berndshof musste dieses Experiment aber auch aus ganz profanen, wirtschaftlichen Gründen abgebrochen werden. Denn in den folgenden Jahren verfiel die Ziegelindustrie in der Region mehr und mehr, sodass immer weniger Strafgefangene dort beschäftigt werden konnten. Ende 1962 kündigte das Ziegelkombinat Ueckermünde sämtliche Arbeitsplätze für die Strafgefangenen. So mussten die Arbeitspflichtigen und Strafgefangenen verlegt werden. Im April 1963 wurde das Arbeitserziehungskommando Berndshof schließlich geschlossen.
Strafvollzugskommando
Da das Haftarbeitslager Nitzow, in dem ab 1957 Militärstrafgefangene untergebracht waren, aufgrund verschiedener Probleme 1962 ebenfalls kurz vor der Schließung stand, suchten die Verantwortlichen einen neuen Ort für einen zentralen Militärstrafvollzug. Nachdem circa ein Jahr lang die verschiedensten Orte in Augenschein genommen worden waren, kam man im August 1963 wieder auf die inzwischen geschlossene Einrichtung Berndshof zurück. Nach einer Besichtigung stellte man fest, dass die baulichen Mängel schnell behoben und das Lager so für den Militärstrafvollzug genutzt werden könnte. So kam es, dass schon im Oktober 1963 Strafgefangene zur Instandsetzung nach Berndshof verlegt wurden. Ende des Jahres kamen dann die ersten Militärstrafgefangenen und Militärarrestanten in die neu eröffnete und nun Strafvollzugskommando genannte Einrichtung.
Der Militärarrest war eine neue zusätzliche Strafart. Aus einem Bericht über eine Aussprache der Militärstaatsanwaltschaft mit der Verwaltung Strafvollzug Anfang 1964 geht hervor, was mit dem Militärarrest erreicht werden sollte: "Der Arrestant müsse spüren, dass er sich zu fügen habe. Das müsse so nachhaltig geschehen, damit er sich sagt: ‚Nie wieder nach Berndshof!’" Schwererziehbare Armeeangehörige sollten also außerhalb ihrer Einheit erzogen werden. Allein der Name "Berndshof" sollte – ähnlich wie später Schwedt – abschreckend und erzieherisch auf Angehörige der NVA wirken.
Bausoldaten
In Berndshof war während dieser Zeit zudem eine Gruppe inhaftiert, die mit dem Militär grundsätzlich nichts zu tun haben wollte: die Wehrdienstverweigerer. Nach der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im Januar 1962 gab es eine unerwartete Welle von Verweigerungen vor allem aus christlichen Motiven, was die DDR-Führung veranlasste, am 7. September 1964 eine Verordnung zur Schaffung von Bausoldaten in Kraft treten zu lassen – also einen Militärdienst ohne Waffe. Diejenigen, die den Bausoldatendienst antraten, betrachteten ihn in der Regel als einen „faulen Kompromiss“, da quasi-militärische Aufgaben und Rituale auch bei den Bausoldaten Bestandteil des Dienstes waren. Daher waren Probleme vorprogrammiert. Gerade aus diesen ersten Bausoldatenjahrgängen ging ein großer Teil der DDR-Opposition und Friedensbewegung hervor. Die Erfahrungen, die die Baussoldaten während ihrer Dienst-Zeit und – falls inhaftiert – während der Haft in Berndshof machten, prägten sie und machten sie für spätere Repressalien unanfälliger. Insgesamt sind 21 Bausoldaten bekannt, die mit sechs verschiedenen Gruppen nach Berndshof kamen, nachdem sie das militärische Arbeiten oder das Ablegen des Gelöbnisses verweigert hatten.
Bei den ersten beiden handelte es sich um Zeugen Jehovas, die zunächst den Bausoldatendienst antraten, bald aber in Gewissenskonflikte kamen und komplett verweigerten. Im Juni 1965 kam eine Gruppe von sechs jungen Christen, die in Prora auf Rügen Forstarbeiten verweigerten, nachdem sie erfahren hatten, dass dort ein Panzerschießplatz gebaut werden sollte, nach Berndshof. Sie hatten jeweils eine sechsmonatige Gefängnisstrafe erhalten. Drei weitere Bausoldaten, unter ihnen auch der später bekannt gewordene Hörfunkjournalist Jörg Hildebrandt, wurden einen Monat später nach Berndshof verlegt. Auch sie hatten die Arbeit an Militärobjekten abgelehnt. Wenig später trafen zwei Häftlinge, darunter Rainer Eppelmann, in Berndshof ein, die das Ablegen des Gelöbnisses verweigert hatten. 1966 gab es schließlich noch acht Bausoldaten in Berndshof, die wegen Befehlsverweigerung zu dreimonatigen Arreststrafen verurteilt worden waren. Sie hatten in ihrer Einheit die Arbeit am Sonntag mit der Begründung den Feiertag heiligen zu wollen, abgelehnt.
In Berndshof waren die Bausoldaten bei den regulären Militärstrafgefangenen untergebracht. Sie versuchten, sich im Militärstrafvollzug zu behaupten. Das begann beispielsweise mit dem Kampf, eine Bibel zu bekommen oder Gottesdienste besuchen zu dürfen – in der Regel erfolglose Unterfangen. Wie schon angedeutet, die Zeit in Berndshof hat die betroffenen Bausoldaten geprägt. Rainer Eppelmann sagte über die Nachwirkungen seiner Haftzeit, er habe "jede Angst und jeden ungesunden Respekt vor [s]einen Vorgesetzten verloren. Ich bin als junger Bursche in den Knast gekommen und als Mann wieder raus gekommen. […] Unter anderem weil ich festgestellt habe: Du hältst viel mehr aus, als du vorher gedacht hättest. […] Und das alles hat mich wachsen lassen." Andere Bausoldaten äußerten sich ähnlich. Berndshof hat also zumindest bei der Gruppe der dort inhaftierten Bausoldaten nicht die bezweckte Einschüchterung bewirkt, sondern das Gegenteil.
Totalverweigerer
Prinzipielle Verweigerer des Militärdienstes, heute sogenannte Totalverweigerer, lehnten auch den Bausoldatendienst aufgrund seiner militärischen Strukturen von vornherein ab. Das waren in der Mehrzahl Zeugen Jehovas. An ihnen wurde in Berndshof ein weiteres Experiment durchgeführt, das seinesgleichen in der DDR-Geschichte sucht und zu einer der beeindruckendsten Geschichten der Strafanstalt gehört. Vom Dezember 1964 bis zum Februar 1965 wurden 150 Totalverweigerer in Berndshof eingeliefert. Bis auf vier Personen aus den Reihen der evangelischen Landeskirchen, handelte es sich um Zeugen Jehovas. Die meisten stammten aus Sachsen, einer Hochburg der Glaubensgemeinschaft. In Berndshof sollten sie völlig isoliert von den regulären Militärstrafgefangenen werden. Dadurch sollte einer Beeinflussung durch die Totalverweigerer entgegengewirkt werden. So waren zwei der drei Gefangenenbaracken ausschließlich mit Totalverweigerern belegt.
Die Totalverweigerer wurden hauptsächlich im Gleisbau eingesetzt, aber auch als Hausarbeiter oder in der Landwirtschaft. Dabei war es für die Zeugen Jehovas etwas Besonderes, mit so vielen Gleichgesinnten zusammen sein zu können. Die Glaubensgemeinschaft war 1950 in der DDR verboten worden, Angehörige wurden verfolgt und konnten ihren Glauben nur noch im Untergrund leben. Die meisten der jungen Männer, die jetzt in Berndshof waren, hatten noch nie so viele Glaubensangehörige zusammen gesehen, so dass sie der Inhaftierung auch positive Aspekte abgewinnen konnten. Sie führten Gottesdienste durch, hielten Vorträge und organisierten, dass in allen Stuben täglich derselbe Bibeltext besprochen wurde. Sie ließen sogar Bibeln und die in der DDR verbotene Literatur der Glaubensgemeinschaft ins Lager schmuggeln. Eine Schlüsselrolle spielte dabei Heinz Mietzner, ein Bäckermeister aus Ueckermünde, der selbst Zeuge Jehovas war und das Gefängnis täglich mit Brot belieferte. Er schmuggelte nicht nur regelmäßig den "Wachtturm" ins Lager sondern auch Wein, der für die heimlich organisierten Abendmahlsfeiern gebraucht wurde. So kam es, dass die Zeugen Jehovas in Berndshof Möglichkeiten zur gegenseitigen Ermutigung fanden, die sie in Freiheit nicht gehabt hätten.
Aber die Gruppe der Totalverweigerer in Berndshof sollte umerzogen werden. Zumindest zur Aufnahme des Bausoldatendienstes wollte man sie während der Haftzeit bewegen. Die dafür vorgesehenen aber nicht gerade häufig durchgeführten theoretischen Schulungen ließen die jungen Männer meist über sich ergehen, eine praktische militärische Ausbildung lehnten sie hingegen ab. Über eine Vielzahl von Versuchen wird berichtet, bei denen die Totalverweigerer gezwungen werden sollten, zu exerzieren, Militärsport durchzuführen oder militärische Anlagen zu bauen. Die Versuche scheiterten am Widerstand der Zeugen Jehovas. Als beispielsweise am 13. Mai 1965 von einer Brigade eine Sturmbahn errichtet werden sollte, weigerte sich schon der Brigadier, den Befehl weiterzugeben, und musste daraufhin mehrere Tage in eine Arrestzelle. Auch die anderen Totalverweigerer lehnten diese Arbeit ab und wurden mit Strafstehen in praller Sonne bestraft. Anschließend mussten sie eine Fäkaliengrube leeren und reinigen. Am 15. Januar 1965 sollte eine weitere Brigade unter dem Vorwand, Ordnungsübungen durchzuführen, mit Holzgewehrattrappen exerzieren, was sie geschlossen ablehnte. Wolfgang Barth, einer der Totalverweigerer, erinnert sich an das, was dann passierte: "Strafstehen. Eisiger Wind weht über die Fläche […] Außerhalb des Lagers müssen wir zwei Schritte voneinander auf Lücke stehen – Sprechverbot – innerhalb einer halben Stunde kriecht die Kälte unaufhörlich in die Glieder. Aus der warmen Wachstube werden wir hinter angelaufenen Fenstern beobachtet. Keiner zuckt sich – heute müssen wir es beweisen, dass wir zu unserem Wort stehen. Wir erhalten das Angebot, abtreten zu dürfen, wenn wir nachgeben. Niemand will abtreten." Schließlich wurde ein ziviler Kraftfahrer, der immer wieder vorbeifuhr, auf die Gruppe aufmerksam. Daraufhin musste sie sich im Innenbereich des Lagers aufstellen und weiter stehen. Der Ausbilder, im dicken Uniformpelz, soll geäußert haben: "Ich friere nicht. Ihr friert! Wenn ihr dann [marschieren] wollt, könnt ihr es sagen!" Die Tortur dauert nach den Aussagen ungefähr zwei Stunden.
Die Totalverweigerer gelangten trotz vieler Diskussionen zu einer einheitlichen Haltung, wie sie auf verschiedene Forderungen des Strafvollzugspersonals reagieren wollten. Was das Exerzieren betraf, drückte es einer von ihnen einem Strafvollzugsangestellten gegenüber mit folgenden Worten aus: "Herr Polizeimeister. Rechtsrum, linksrum, gerade aus, mehr nicht!" Aus praktischen Gründen stellten sie sich in Reih und Glied auf, machten Gleichschrittübungen, lehnten jedoch jede Annäherung an militärische Verhaltensformen ab, auch was die Kommunikation betraf. Der Brigadier Klaus D. sagte zum Beispiel nicht nach Vorschrift: "Augen nach rechts!" oder "Im Gleichschritt marsch!" sondern lächelnd "Also Brüder, guckt mich mal an. Wir müssen uns nun rechts rum drehen" oder "Jungs, lauft mal los" – sehr zur Verzweiflung des Personals.
Die Umerziehung der Totalverweigerer war zum Scheitern verurteilt. Der Kontakt zwischen dieser Gruppe und den Militärstrafgefangenen konnte nicht völlig unterbunden werden. Zudem war man in und um Ueckermünde auf diese Gruppe aufmerksam geworden. So verlegte man in einer streng geheimen Aktion die Totalverweigerer Ende August 1965 in die Strafvollzugsanstalt Bautzen. Seitdem wurden Totalverweigerer nicht mehr in eine Militärstrafanstalt eingeliefert, sondern in unterschiedliche Zivilstrafanstalten aufgeteilt.
Das Ende des Militärstrafvollzuges in Berndshof
1966 war die Einrichtung in Berndshof nur zu 60 Prozent ausgelastet, weswegen letztlich erneut circa 100 Strafgefangene des allgemeinen Vollzugs aufgenommen wurden. Damit wurde die Durchführung eines Militärstrafvollzuges noch schwieriger, als sie ohnehin schon war. Berndshof war nun Haftort für Militärstrafgefangene, Arrestanten und Zivilstrafgefangene. Jede Gruppe sollte separat erzogen werden und das von einem völlig überlasteten und dafür nicht geeigneten Personal. So wurde 1968 der Militärstrafvollzug in das neue Militärstrafgefängnis nach Schwedt/Oder verlegt. Hier bemühte man sich darum, dem Ruf des Schreckens, den Berndshof nie erreichte, gerecht zu werden. Nach 1968 waren in Berndshof dann nur noch Zivilstrafgefangene inhaftiert. Wie viele politische Gefangene in den siebziger und achtziger Jahren hier ihre Haftstrafe absitzen mussten, kann noch nicht abgeschätzt werden.
Obwohl sich die Haftbedingungen in Berndshof im Verlauf der untersuchten zwanzig Jahre immer wieder änderten, muss man sie insgesamt als menschenunwürdig bezeichnen. Das Begann mit der Ernährung. Einige ehemalige Strafgefangene berichten zwar von angemessener Verpflegung, andere erinnern sich jedoch daran, in Berndshof an Hunger gelitten zu haben. Übereinstimmend sagen sie aus, dass die Ernährung völlig einseitig war und in der Regel Vitamine fehlten.
Auch die hygienischen Bedingungen waren unzureichend. Hier liegen umfangreiche Zeitzeugenaussagen für Mitte der 1960er Jahre vor. Es gab zwar kein Kübelsystem mehr, wie in anderen Strafvollzugsanstalten, sondern bereits Spültoiletten, dennoch empfanden viele Gefangene Berndshof - im Vergleich zur Militärstrafanstalt Schwedt, in die die Militärstrafgefangenen 1968 verlegt wurden - als extrem unsauber. Was nicht zuletzt daran gelegen haben mag, dass die Strafgefangenen nur einmal in der Woche warm duschen und sich sonst – im Sommer wie im Winter – nur mit kaltem Wasser waschen durften. Und, was noch schwerer wog, nur einmal wöchentlich konnte die Wäsche gewechselt werden, egal wie schwer und schweißtreibend die Arbeit auch war.
Die Arbeit der Strafgefangenen war in der Regel hart und die Verpflegung nicht dementsprechend. Ein Häftling kam im Dezember 1960 nach Berndshof, verlor in vier Monaten als Kohlelorenfahrer in der Ziegelei 17 Kilo Gewicht und magerte auf 53 Kilo ab. Als er später aus Waldheim entlassen wurde, war sein Immunsystem komplett zusammengebrochen. Ein als Arbeitspflichtiger in Berndshof Inhaftierter, ebenfalls in der Ziegelei eingesetzt, berichtet, dass die Norm kaum zu bewältigen war. Es musste mindestens jeden zweiten Sonntag gearbeitet werden. Auf die Arbeitspflichtigen wurde Druck zu höchster Anstrengung ausgeübt. Man erklärte ihnen wiederholt, dass nur bei guter Arbeitsleistung nach einem Jahr eine Entlassung in Frage käme. Gesundheitliche Schäden wie Leistenbrüche und Rückenschäden blieben nicht aus.
Dennoch empfanden einige die Haftbedingungen im Vergleich mit anderen DDR-Haftorten der fünfziger und sechziger Jahre erträglicher. So erklärt Ernst Brodak, Strafgefangener in den fünfziger Jahren: "Wenn ich Bützow und Ueckermünde vergleichen soll, das kann man nicht vergleichen, das war wie Tag und Nacht. In Bützow warst du in der Zelle, da warst du Schwerverbrecher, Staatsfeind Nr. 1, und in Ueckermünde da warst du eben normaler, na ja, normaler Strafgefangener." Das heißt Berndshof glich weder Bützow, noch Bautzen und auch nicht Waldheim. Es waren andere Haftbedingungen, man war nicht zu sechst in einer Dreimannzelle, man konnte den Himmel über sich sehen, man konnte sogar mal Blumen pflücken. Das soll den Strafvollzug in Berndshof nicht verharmlosen. Diese gewissen zeitweiligen Freiheiten waren zum einen der Struktur eines Haftarbeitslagers geschuldet, zum anderen auch der Unprofessionalität und Mangelhaftigkeit, mit der Berndshof geführt wurde. Symptomatisch ist beispielsweise, dass von 1962 bis 1972 nicht weniger als 17 unterschiedliche Leiter die Führung über das Haftarbeitslager innehatten - einige sogar mehrfach. Dadurch entstanden Schlupfwinkel, die sich die Strafgefangenen zu Nutzen machten. Sie konnten sich relativ frei in den Baracken und auch im Haftarbeitslager bewegen, so dass ein ständiger Kontakt zu Mitgefangenen möglich war. Einzelne Gruppen bildeten sich heraus, sortiert nach gemeinsamen Interessen, Heimatorten oder auch Delikten. Beispielsweise war im Jahr 1967 die Friseurstube zum Treffpunkt der Gefangenen geworden. Trotz eines ausdrücklichen Verbotes des Dienststellenleiters gelang es der Gefängnisleitung nicht, die Treffen zur Unterhaltung dort zu unterbinden.
Gedenken und Entschädigen
Im Jahr 2007 beschloss das Justizministerium Mecklenburg-Vorpommerns, aufgrund rückläufiger Gefangenenzahlen, eine der sechs Vollzugsanstalten im Land zu schließen. Die Wahl fiel auf die Justizvollzugsanstalt Ueckermünde, die dann im Mai 2009 auch geschlossen wurde. Heute wird der Großteil des Objektes abgerissen, einzelne Gebäude werden an Gewerbetreibende vermietet. Damit wurde die Chance vertan, das wahrscheinlich letzte in seiner Struktur erhalten gebliebene DDR-Haftarbeitslager als Lern- und Gedenkort zu nutzen. Bisher existiert vor Ort kein sichtbarer Hinweis, dass es sich bei Berndshof um einen Haftort der SED-Diktatur gehandelt hat, in dem politische Häftlinge, Wehrdienstverweigerer und Arbeitserziehungshäftlinge inhaftiert waren. So droht die Erinnerung an das hier begangene Unrecht zu verblassen.
Anders verhält es sich mit der Entschädigung für die geleistete Zwangsarbeit der Häftlinge. Hier ist gegenwärtig eine Diskussion angestoßen worden, deren Ende noch nicht absehbar ist. Ein Großteil der Häftlinge aus Berndshof hat in den sechziger Jahren für die Deutsche Reichsbahn gearbeitet. Am 29. November 2014 traf sich Bahn-Chef Rüdiger Grube im Rahmen des Verbändetreffens der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft mit ehemaligen politischen Häftlingen der DDR. Hier entschuldigte sich Grube für die Zwangsarbeit der Häftlinge für die Deutsche Reichsbahn. Bei dieser Gelegenheit übergab der politische Häftling Bernhard Schneyer Grube eine Häftlingsliste mit den Namen von 150 Zwangsarbeitern aus Berndshof. Die deutsche Bahn prüft gegenwärtig, ob und inwieweit sie Häftlinge für die geleistete Zwangsarbeit entschädigen soll.
Zitierweise: Falk Bersch und Hans Hermann Dirksen, "Nie wieder nach Berndshof!" Allgemeiner Strafvollzug und Militärstrafvollzug in Berndshof/Ueckermünde 1952-1972, in: Deutschland Archiv, 18.6.2015, Link: http://www.bpb.de/208378
Falk Bersch Geb. 1972; Autor und Regionalforscher, forscht zur Kriegsdienstverweigerung in Deutschland, zum DDR-Strafvollzug und zur jüdischen Emigration.
Hans Hermann Dirksen Geb. 1966; Dr. jur., Rechtsanwalt und Rechtshistoriker, forscht zum Nationalsozialismus, zur DDR und zu kommunistischen Regimen.
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