Die Geschichte von Migrantinnen und Migranten in der DDR ist relativ ausführlich dargestellt worden. Die Forschungen von Patrice Poutros, Damian MacConUladh, Dagmar Jajesniak-Quast, Michael Feige und Jost Maurin konzentrierten sich sowohl auf algerische und griechische Bürgerkriegsflüchtlinge sowie auf spanische Flüchtlinge vor der Franco-Diktatur in der Frühphase der DDR als auch auf vietnamesische, kubanische und afrikanische Vertragsarbeiter sowie chilenische Flüchtlinge und Verfolgte des Pinochet-Regimes in den 1970er- und 1980er-Jahren.
Westliche Deserteure
Die bis 1961 noch relativ offene Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten begünstigte eine Reihe von Sonderentwicklungen innerhalb des Ost-West-Konflikts. Dazu gehörte auch die Übersiedlung westlicher Militärangehöriger in die DDR. Dabei handelte es sich in erster Linie um Soldaten und Militärpersonen der US-amerikanischen, britischen und französischen Besatzungstruppen in der Bundesrepublik, aber auch um Angehörige anderer NATO-Armeen, die sich aus den verschiedensten Gründen entschlossen, in die DDR überzusiedeln. Meist spielten dabei disziplinarische Vergehen eine Rolle. In einigen Fällen handelte es sich jedoch durchaus um politische Sympathien für die DDR, die konkret meist mit der Weigerung zusammenhingen, in einem der militärischen Konflikte Dienst leisten zu müssen, in die die westlichen Staaten zu Beginn des Kalten Krieges verwickelt wurden, beispielsweise im Korea-Krieg oder im Algerien-Krieg. Zur Betreuung dieser speziellen Gruppe von Übersiedlern wurde 1953 in Bautzen das Kulturhaus "Internationale Solidarität" (oft auch als "Klubhaus" bezeichnet) etabliert. Die Wahl ausgerechnet dieser, in der Lausitz im östlichen Sachsen liegenden Stadt war hauptsächlich durch ihre relativ große Entfernung zur deutsch-deutschen Grenze begründet. Nachdem diese Einrichtung kurze Zeit durch die Sowjetarmee betrieben worden war, wurde sie im Mai 1953 an die DDR-Behörden übergeben.
Betreuung und Ausbildung
Bei der Mehrzahl der in Bautzen betreuten etwa 150 bis 200 Übersiedler handelte es sich um Menschen, die über nur geringe deutsche Sprachkenntnisse und meist nur eine elementare Schulbildung verfügten. Nach einem Bericht des Ministeriums des Innern der DDR von 1956 hing das vor allem damit zusammen, dass sie jenseits des Militärs keinerlei berufliche Tätigkeit kennengelernt hätten und auch über keine solide Berufsausbildung verfügten.
Darüber hinaus wurden die Übersiedler, die vorwiegend in Privatquartieren in Bautzen und Umgebung untergebracht waren, kulturell betreut. Die Betreuung umfasste sowohl sportliche Wettkämpfe wie Billard- und Tischtennisturniere als auch Filmabende. Ein besonderer Glücksfall für die Leitung des Kulturhauses war, dass für die Organisation kultureller Veranstaltungen zwei US-amerikanische Übersiedler gewonnen werden konnten. Einer davon war Victor Grossmann, der später in der DDR als Autor von Büchern, Zeitungsartikeln und Vorträgen mit USA-Bezug Bekanntheit erlangte.
Auch Betriebsbesichtigungen fanden statt. Ziel war es, die Leistungsfähigkeit der DDR-Wirtschaft zu demonstrieren und die Übersiedler damit zu beeindrucken. Eine dieser Besichtigungen führte Beschäftigte und Bewohner des Kulturhauses am Pfingstsonnabend 1954 gemeinsam zur LPG des in der Nähe von Bautzen gelegenen Ortes Burk. Wie der einschlägige Situationsbericht des Rates des Kreises Bautzen meldete, sei diese Exkursion ein durchschlagender Erfolg gewesen. Demnach zeigten sich die Übersiedler „begeistert von diesem Besuch und äusserten sich, dass sie diese Voraussetzungen des Kommunismus nicht für möglich“, die "Zeitungsberichte und Ausführungen unserer Propagandisten" mithin "nur für Phrasen gehalten hätten".
Nur wenige blieben in der DDR
Letztlich erfolgte das alles mit dem Ziel, durch die Vermittlung schulischer und beruflicher Kenntnisse den ehemaligen Militärangehörigen, die im Sinne der SED ja durchaus als Gegner zu werten waren, im sozialistischen Staat eine neue Perspektive zu bieten, und damit die Überlegenheit der DDR und des von ihr propagierten Menschenbildes zu bekräftigen. Das Hauptproblem dabei war, dass der größere Teil durchaus nicht dem von der SED implizit erhofften Ideal eines vom Marxismus überzeugten und von den kapitalistischen Verhältnissen entsprechend abgestoßenen Überläufers entsprach. Dies wurde schon relativ früh deutlich: Bei Ausflügen, die von der Heimleitung organisiert wurden und an denen Mitarbeiter des Kulturhauses sowie Übersiedler teilnahmen, kam es zu Schlägereien und Tumulten, etwa im August 1953 bei einer Fahrt in die Sächsische Schweiz: Hier provozierten einige Übersiedler in Hotels und Restaurants in Hohnstein, Bad Schandau und Stolpen Schlägereien, die darin gipfelten, dass ein (britischer) Übersiedler in einem voll besetzten Lokal "unter Beschimpfung der DDR seinen Ausweis zerriß."
Die Zahl derer, die wieder in die Bundesrepublik zurückkehrten, war erheblich - was hauptsächlich mit der in den 1950er Jahren noch relativ offenen Grenze zwischen beiden deutschen Staaten zusammenhing. Letztere erschwerte natürlich auch die effektive Überwachung der Übersiedler beziehungsweise die Gewinnung von Mitarbeitern aus ihren Reihen durch die DDR-Sicherheitsbehörden, vor allem natürlich das MfS. Die relative Leichtigkeit, mit der unzufriedene Deserteure die DDR auf den verschiedensten Wegen wieder in Richtung Westen verlassen konnten, führte beispielsweise dazu, dass die Möglichkeiten, diesen gegenüber Druck auszuüben, begrenzt blieben. In mindestens zwei Fällen wurden ausreisewillige Übersiedler mit einem Pkw buchstäblich abgeholt.
Insgesamt wurden im Zeitraum 1953 bis 1963 durch das Kulturhaus etwa 150 bis 200 Übersiedler betreut. Die Mehrzahl kam dabei aus im engeren Sinne westlichen Ländern wie den USA, Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden, Irland, Wales (welches in den Aufzeichnungen als eigener Staat aufgeführt wurde), Spanien und Kanada, aber auch "exotischeren" Staaten wie Algerien, Marokko, Nigeria, Mexiko, Kenia und Puerto Rico. Einige der zuletzt genannten Staaten waren zunächst noch Kolonien. Da sich die SED dem "antiimperialistischen Befreiungskampf" verpflichtet fühlte, galt Deserteuren aus diesen Ländern besondere Aufmerksamkeit. So meldete denn auch ein Bericht des Rates des Kreises Bautzen im Jahr 1954, dem ersten Jahr des Algerienkriegs, die "Freunde der arabischen Völker" seien ein "Beispiel an Lerneifer und Disziplin“.
Beispiel eines erfolgreichen Übersiedlers: Der Sänger James W. Pulley
Nur wenige Beispiele einer erfolgreichen und für beide Seiten befriedigenden Integration eines Übersiedlers sind bekannt. Zu ihnen zählte der afroamerikanische Sänger James W. Pulley. Dieser war im Unterhaltungsbetrieb der DDR bis zu deren Ende eine feste Größe, wovon unter anderem zahlreiche Fernsehauftritte – etwa in den Sendungen "Klock acht, achtern Strom" und "Ein Kessel Buntes" – zeugten. Dabei interpretierte er bekannte Harry Belafonte-Songs, Gospels und Shanties, aber auch deutschsprachige Schlager. Zu seiner Herkunft und den Umständen seiner Übersiedlung äußerte er sich dabei nur selten – beispielsweise in einem Fernsehinterview von 1989, als er allgemein von "Musik und Liebe" sprach, die ihn in die DDR geführt hätten. Dabei war Pulley 1955 über das Kulturhaus als Angehöriger der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten US-Truppen in die DDR gekommen. Zu seinen Motiven machte er unterschiedliche Angaben: Während er unmittelbar nach seiner Übersiedlung angab, seinen Armeeurlaub überschritten zu haben und gewisse Äußerungen auch auf disziplinarische Schwierigkeiten schließen ließen, betonte er später seine Unzufriedenheit mit der in den USA bestehenden Rassentrennung. Tatsächlich war Pulley in Begleitung einer Mitarbeiterin der Staatssicherheit in die DDR gekommen, die er nach Angaben gegenüber dem MfS in einer Gaststätte in der Nähe seines Standorts kennengelernt hatte.
In Bautzen arbeitete Pulley zunächst im VEB Lokomotiv- und Waggonbau, entdeckte dann aber sein musikalisches Talent und begann, auf eigene Faust in Görlitz aufzutreten, was vonseiten des MfS missbilligt wurde und möglicherweise die Ursache für die "Entpflichtung" von Pulleys Ehefrau – er hatte seine "Fluchtgefährtin" inzwischen geheiratet – aus den Reihen des MfS war.
In den darauffolgenden Jahren unternahm er mit verschiedenen Orchestern Tourneen, unter anderem auch ins (sozialistische) Ausland. Dabei gelang es ihm durchaus, sein Repertoire den ideologischen Präferenzen der SED-Kulturpolitik anzupassen, was sich zum Beispiel in der Bemerkung der für seinen Wohnort zuständigen MfS-Kreisdienststelle widerspiegelt, wonach er sich bemühe, "das wahre Amerika durch Jazz, Spirituals und Songs“ zu verkörpern.
Auflösung des Kulturhauses
Insgesamt blieb die "Ausbeute" und Strahlkraft des Kulturhauses hinter den Erwartungen zurück. Hinzu kamen weitere hemmende Faktoren. Mit dem Bau der Mauer wurde das "Wandern zwischen den Welten" - ein Begriff mit dem in den 1950er und frühen 1960er Jahren der Wechsel über die innerdeutsche Grenze oft bezeichnet wurde - stark erschwert. Dies wirkte sich auch auf die Zahl der Deserteure aus. Immer weniger fanden den Weg in die DDR. 1963 wurde das Kulturhaus geschlossen, seine Funktionen bis 1964 provisorisch von einer Einrichtung in der Nähe von Gera, bis 1971 dann von einem speziellen MfS-Objekt in der Nähe von Briesen im heutigen Brandenburg wahrgenommen. Durch das letzte Objekt wurden nur etwa 40 Übersiedler betreut. Nach Unterlagen des MfS waren 1970 noch etwa 60 ehemalige NATO-Soldaten in der DDR wohnhaft - 33 Amerikaner, 15 Briten, sieben Franzosen, drei Niederländer, ein Belgier sowie ein Kanadier.
Zitierweise: Thomas Weißbach, Das Kulturhaus "Internationale Solidarität", in: Deutschland Archiv, 26.9.2014, Link: www.bpb.de/191775