Der Fall der Berliner Mauer und der rasche Zusammenbruch des SED-Regimes kamen auch für viele ausländische Beobachter überraschend. Die Bilder von alten und jungen Menschen, die auf der Mauer tanzten und jubelten, gingen um die Welt. Die Revolution in der Mitte Europas erweckte deshalb so hohes internationales Interesse, weil sie das Ende des Kalten Krieges einläutete – ein Zustand für den die Berliner Mauer 28 Jahre lang ein sehr physisch konkretes Sinnbild war. Im Rückblick schien der bald darauf folgende Einigungsprozess nahezu reibungslos verlaufen zu sein. Begleitet nur von wenigen kritischen Stimmen, ging die deutsche Wiedervereinigung als Erfolg in Schul- und Geschichtsbücher ein.
Wie jedoch wurden die Vereinigungsfeierlichkeiten unter wehenden Nationalflaggen und das neue deutsche Selbstbewusstsein international wahrgenommen? War die häufig artikulierte Sorge berechtigt, dass ein starkes Großdeutschland in der Mitte Europas neue Expansionsgelüste entwickeln könnte? Wie schauten die Menschen im jüdischen Staat auf die Entwicklung? Anders als die alliierten Staaten war Israel zu keinem Zeitpunkt in die Verlegenheit gekommen, sich dem neuen Deutschland gegenüber als Gewinner zu fühlen. Zu tief waren die Wunden, die der millionenfache Mord an den europäischen Juden gerissen hatte, zu groß waren die ökonomischen Probleme und Abhängigkeiten des jungen Staates, zu existenziell schienen die Bedrohungen durch die arabischen Nachbarstaaten.
Reaktionen in der israelischen Öffentlichkeit
Die ersten Reaktionen in Israel auf den Mauerfall und die sich abzeichnende Wiedervereinigung waren von zwei Ängsten geprägt: Da war zunächst die Angst vor einer Verschlechterung der Beziehungen zu Israels stärksten und einflussreichsten Partner in Europa, da sich die Führung der DDR durch Gleichgültigkeit bis hin zu offener Feindseligkeit gegenüber Israel ausgezeichnet hatte. Die zweite und signifikant stärker artikulierte Angst war die vor einer Wiederauferstehung des "Dritten Reiches." Im Folgenden sollen diese Befürchtungen und ihre Protagonisten illustriert sowie der Einfluss der politischen Entwicklungen in den Jahren 1989 bis 1991 auf das deutsch-israelische Verhältnis skizziert werden.
Der ehemalige israelische Botschafter Avi Primor verwies noch 1997 darauf, dass die DDR der Israel gegenüber am feindlichsten eingestellte Staat des gesamten Ostblocks gewesen sei.
Primor, der in Israel heute als einer der größten Fürsprecher Deutschlands gilt,
Diese Ängste überwogen auch deutlich in den publizistischen Kommentaren und Politikeräußerungen in Israel. So titelte die größte israelische Tageszeitung, die Boulevardzeitung Jedioth Achronoth, wenige Tage nach dem Mauerfall, am 14. November 1989, mit dem Bild eines Neonazis mit Deutschlandfahne, auf der die im Krieg von Deutschland verlorenen Ostgebiete eingezeichnet waren. Auf der Fahne stand geschrieben: "Deutschland, mein Deutschland."
Leserbriefe an Jedioth Achronoth sprachen von der Angst vor einem "Vierten Reich"
Unter der Überschrift "Zittern" hieß es am 17. November 1989 in Jedioth Achronoth: "Es bringt uns zum Schauern, all die fröhlichen Deutschen mit ihren Fahnen und Hüten zu sehen. Wir zittern, wenn wir sie über Einheit und ‚zusammen’ und über die Zukunft sprechen hören. Und es ist wirklich erschütternd, daran zu denken, was passieren kann nach dem, was bereits geschehen ist."
All diese Kommentare, die tiefsitzenden Ängsten Ausdruck verliehen, wurden von dem ebenfalls bekannten israelischen Historiker Moshe Zimmermann als das "Amalek"-Phänomen bezeichnet.
Aber auch schon zwei Wochen nach dem Mauerfall präsentierte Zimmermann am 24. November 1989 in einem Interview mit dem angesehenen israelischen Publizisten Yaron London für die Jedioth Achronoth eine abweichende Sicht auf die Ereignisse. Mitten in der Umbruchsituation vertrat er unter dem Titel "Europa wird deutsch sein" bereits damals die Ansicht, die sich in der Zukunft bestätigen sollte, dass Israel, bei aller emotionalen Aufregung, gar keine Wahl hätte, außer mit Deutschland weiterhin die Kooperation zu suchen – da das vereinigte Deutschland "ohne jeden Zweifel" im geografischen und politischen Europa der mächtigste Staat werden würde. Darüber hinaus habe Frankreich viel häufiger in der Geschichte die Welt besetzt als Deutschland - aber letzteres werde wegen der Shoah und des kurzen historischen Gedächtnisses viel stärker erinnert. Deutsche seien seiner Einschätzung nach heutzutage nicht mehr daran interessiert, Konflikte gewalttätig zu lösen.
Gegen das Vergessen
Nach dem ersten Schock des November 1989 wurde im Laufe des Jahres 1990 immer deutlicher, dass viele in Deutschland die Wiedervereinigung anstrebten. In der zweiten großen israelischen Tageszeitung Maariv, die wie Jedioth Achronoth eher auf den Boulevard ausgerichtet ist, hieß es daher Anfang April 1990: "Das jüdische Volk hat sechs Millionen Gründe, sich einer Wiedervereinigung entschlossen zu widersetzen."
Übertroffen wurde das Diktum in der Maariv über die "sechs Millionen Gründe" gegen eine Wiedervereinigung nur noch von dem Knesset-Vorsitzenden und Holocaust-Überlebenden Dov Shilansky: "Wenn die Deutschen heute feiern, sollte das jüdische Volk in Säcken gehen, sich Asche auf den Kopf streuen und Grabgesänge zitieren", stellte Dov Shilansky am Einheitstag fest.
Der Pressesprecher der Regierung äußerte sich immerhin etwas diplomatischer: "Wir Juden haben gemischte Gefühle beim Anblick der deutschen Wiedervereinigung. Wir können nicht vergessen, welche Narben unserem Volk im Zweiten Weltkrieg zugefügt wurden. Trotzdem stehen wir nun vor einer neuen Wirklichkeit, und wir müssen lernen, mit ihr zu leben."
Allerdings wurde in der Öffentlichkeit auch gewürdigt, dass auf der Feier am 3. Oktober 1990 die Shoah – der Holocaust – durchaus zur Sprache kam. Unter dem Titel "Auschwitz wird für immer in unserer Erinnerung bleiben" verwies die Jedioth Achronoth auf die drei zentralen Reden deutscher Politiker zur Vereinigungsfeier. So habe Sabine Bergmann-Pohl, ehemalige Volkskammerpräsidentin in der DDR und nun Ministerin in Bonn, die Erinnerung an Auschwitz in ihrer Rede zentral erwähnt. "Wir stehen auf der Seite jener Staaten, die auch heute von Ungerechtigkeit und Krieg bedroht sind", betonte Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth. Auch Bundespräsident Richard von Weizsäcker bekräftigte, die Shoah sei das schlimmste Verbrechen, das je geschehen sei.
In Deutschland herrschte umgekehrt eine ambivalente Haltung gegenüber den israelischen Bedenken: So gab es in deutschen Medien ungeduldige Aufforderungen, sich von den israelischen verbalen Interventionen nicht die Feierlaune vermiesen zu lassen. Amnon Neustadt meinte gar, dass sich in die Zurückweisung der israelischen Kritik "aggressive Zwischentöne" gemischt hätten, die den Verdacht einer "neuen nationalen Arroganz" eher erhärteten.
Andererseits zeigten sich die deutschen Politiker sensibel, wenn es darum ging, auf die Sorge über ein Vergessen der Geschichte einzugehen - und bei den Feierlichkeiten zum Tag der deutschen Einheit bis heute stets betonen, dass dies nicht geschehen werde, sondern auch die neue, vereinigte Bundesrepublik auf der Erinnerung an die Vergangenheit aufbaue.
Reaktionen von Botschaftern und Regierungsvertretern
Auch israelische Regierungsvertreter brachten in Teilen ähnliche Befürchtungen wie die Presse zum Ausdruck. Frei nach dem vom französischen Außenminister Maurice Couve de Murville aus den 1960er Jahren kolportierten Bonmot "Wir lieben Deutschland, wir lieben es sogar so sehr, dass wir uns freuen, dass es zwei davon gibt!"
Die deutsche Regierung zeigte sich von dieser Äußerung extrem betroffen. Helmut Kohl warf Shamir vor, das deutsch-israelische Verhältnis belastet zu haben.
Der israelische Staatspräsident Chaim Herzog empfängt am 26. Juni 1990 die Präsidentinnen des Deutschen Bundestages und der DDR-Volkskammer, Rita Süssmuth (rechts) und Sabine Bergmann-Pohl (2. v. links) (© Bundesarchiv, Bild 183-1990-0626-028, Foto: Peer Grimm)
Der israelische Staatspräsident Chaim Herzog empfängt am 26. Juni 1990 die Präsidentinnen des Deutschen Bundestages und der DDR-Volkskammer, Rita Süssmuth (rechts) und Sabine Bergmann-Pohl (2. v. links) (© Bundesarchiv, Bild 183-1990-0626-028, Foto: Peer Grimm)
Eine Besuchsreise in die umgekehrte Richtung verfolgte ebenfalls die Absicht, für bessere Stimmung zu sorgen: Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth beschloss 1990, gemeinsam mit der Volkskammerpräsidentin der DDR, Sabine Bergmann-Pohl, eine deutschlandpolitische Werbereise zu unternehmen. Sie setzte auf persönliche Kontakte, um die Krise im deutsch-israelischen Verhältnis beizulegen. Daher bezeichnete sie den Zeitpunkt der Reise, Juni 1990, als "sehr wichtig und notwendig", räumte jedoch hinterher ein, dass "noch nicht alle Bedenken ausgeräumt werden konnten." Bei ihrem Besuch in Israel versprach sie zudem 200.000 DM für den Ausbau des Jugendaustausches.
Auch auf gesellschaftlicher Ebene wurden die Kontakte intensiviert. So reiste am 6. September 1990 zum ersten Mal das Sinfonieorchester aus Ostberlin nach Israel. Der Kulturaustausch mit der Bundesrepublik war bis dato schwierig gewesen und hatte mit der DDR gar nicht stattgefunden. Nach diesem historischen Besuch des Ostberliner Orchesters wurde auch der für 1993 geplante Besuch der Berliner Philharmonie aus Westberlin nun um zwei Jahre nach vorne verlegt, auf Februar 1991. Israel wurde absichtlich als erstes Besuchsland auf der Konzertreise ausgewählt, um ein Zeichen zu setzen.
Obwohl die ersten Reaktionen der israelischen Politiker und Presse auf den deutschen Vereinigungsprozess "skeptisch bis harsch" waren, sprachen sich in der von der Hebräischen Universität Jerusalem durchgeführte PORI-Umfragen nur 33,3 Prozent der Israelis offen gegen eine Wiedervereinigung aus. Etwa ein Drittel war dafür, ein Drittel indifferent.
Im Laufe des Jahres 1990 änderte sich zudem allmählich die anfangs aufgebrachte Stimmung in der israelischen Öffentlichkeit, die nun mit hoher Wahrscheinlichkeit bevorstehende deutsche Einheit wurde auch in Presse und Politik weitgehend akzeptiert.
Otto von der Gablentz, der deutsche Botschafter von 1990 bis 1993, konstatiert, dass es um die deutsche Einheit herum drei Phasen in den Beziehungen gegeben habe. Die Vereinigung Deutschlands habe in Israel "tiefes Unbehagen" ausgelöst, erst gegen Ende 1990 sei die Angst einer "realistischeren Einschätzung" gewichen. Diese hielt allerdings nur kurz an. Als im Januar 1991 irakische Scuds auf Tel Aviv fielen, wich sie der Angst vor einer Bedrohung durch "deutsches Giftgas". Der ehemalige Botschafter spricht in seinen Erinnerungen davon, wie schwierig es gewesen sei, auf israelische Empfindlichkeiten einzugehen und gleichzeitig die eigenen außenpolitischen Interessen weiterzuverfolgen.
Golfkrieg, deutsche Waffen und Friedensbewegung
Nur wenige Monate nach der deutschen Wiedervereinigung, und dies gehört unbedingt in den israelischen Blick auf das historische Ereignis in Mitteleuropa, brach der Golfkrieg aus. Die zuvor vorsichtig positive Stimmung gegenüber einem vereinten Deutschland sollte in ihr absolutes Gegenteil kippen: Mit Ausbruch des Zweiten Golfkrieges flogen ab dem 18. Januar 1991 irakische Scud-Raketen auf Tel Aviv. Vor einem Giftgasangriff wurde gewarnt, Gasmasken wurden verteilt. Da Deutschland Chemikalien an den Irak geliefert hatte, die zur Produktion chemischer Waffen genutzt werden konnten, wurden hier die bereits zuvor geäußerten Holocaust-Assoziationen stärker. Die Raketenangriffe auf Tel Aviv kratzten zudem am israelischen Glauben in die Fähigkeit zur Selbstverteidigung, der seit dem militärischen Erfolg im Krieg von 1967 fortwährend stärker geworden war.
"Das deutsche Gas hat keinen Geruch", schrieb der bekannte israelische Publizist und Auschwitz-Überlebende Noah Klieger am 22. Januar 1991 in der Jedioth Achronoth. Er fügte hinzu, dass dort, wo sich für deutsche Geschäftsleute enorm viel Geld machen ließe, es sie nicht interessiere, dass damit "der halbe Staat Israel ausradiert" werden könne, wie Saddam Hussein proklamiert hatte. Im Gegenteil - für deutsche Unternehmer gebe es sogar eine "besondere Verbindung zwischen Gas und Juden. Und Gas, genau wie Geld, stinkt nicht."
Gegenmaßnahmen der deutschen Politik: Besuche und U-Boote
Nach den Militärschlägen des Irak bemühten sich deutsche Politiker allerdings, der stark antideutschen Stimmung in Israel entgegenzuwirken, indem sie durch persönliche Präsenz Solidarität bekundeten. Eiligst wurde im Februar 1991, nur fünf Monate nach Vollzug der deutschen Einheit, eine Reise von Bundestagsmitgliedern organisiert. Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth lud allerdings die PDS nicht ein. Innenpolitisch stellte das einen Affront gegen die Partei und ihre Wähler dar, es zeugte aber von Sensibilität hinsichtlich der israelischen Empfindlichkeit gegenüber der DDR-Vergangenheit.
Rita Süssmuth erklärte im Gespräch mit Ministerpräsident Yitzchak Shamir, die Mehrheit der Deutschen stünde "fest an der Seite Israels. Dies könne nicht ungeschehen machen, was geschehen sei, bezüglich des Vorwurfes, Deutsche hätten an der Aufrüstung des Irak mit Giftgas mitgewirkt. In der BRD habe man sich im vergangenen Jahr zu sehr mit der Herstellung der deutschen Einheit beschäftigt und zu spät auf die Warnungen Israels reagiert, dass Saddam Hussein nicht weniger gefährlich sei als der Ajatollah Khomeini (..)".
Bereits einige Tage vor Rita Süssmuth und der Bundestagsdelegation war Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher im Januar 1991 zum Krisenmanagement nach Israel gereist und im Dezember folgte noch ein Besuch des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Die häufigen Besuche in den Jahren 1990 und 1991 wurden auf deutscher Seite ganz bewusst geplant, um durch persönliche Gespräche, die angespannte Atmosphäre in Israel und im bilateralen Verhältnis zu besänftigen. Die intensiven Kontakte zur israelischen Regierung sollten aber auch die noch immer skeptischen Partner in Europa von den friedlichen Absichten der vereinigten Deutschlands überzeugen.
In der Mitte des Golfkriegs schienen die israelischen Sorgen über das neue deutsche Selbstbewusstsein bestätigt zu werden, als die Mehrheit der deutschen Bevölkerung dagegen war, Verteidigungswaffen nach Israel zu schicken.
Der israelische Ministerpräsident Yitzchak Rabin besichtigt am 16. September 1992 das ehemalige Konzentrationslager Sachsenhausen (© dpa)
Der israelische Ministerpräsident Yitzchak Rabin besichtigt am 16. September 1992 das ehemalige Konzentrationslager Sachsenhausen (© dpa)
Trotz der vielen Besuche deutscher Politiker in den Jahren 1990 und 1991 kam es erst zu einem Gegenbesuch nachdem in Israel 1992 die Regierung gewechselt hatte. Ministerpräsident Yitzchak Rabin besuchte als erstes israelisches Staatsoberhaupt das vereinigte Deutschland. Rabin hielt auch eine Rede im ehemaligen KZ Sachsenhausen. Nur kurze Zeit später setzten Rechtsextremisten die "Jüdische Baracke" in Sachsenhausen in Brand.
Stabile politische und wirtschaftliche Partnerschaft
Die Ängste israelischer Shoah-Überlebender und weiterer Teile der Bevölkerung vor einem vereinigten und erstarkten Deutschland waren aufgrund der historischen Traumata durchaus verständlich. Wie unter anderem Moshe Zimmermann herausstellt, war diese Angst jedoch auch von Medien und Politikern geschürt worden.
Zwar führte die Formung eines neuen deutschen "Wir"-Gefühls und des damit verbundenen erstarkenden Nationalismus in den Beziehungen zwischen Deutschland und Israel zu den genannten Problemen, auf der anderen Seite entwickelte sich das vereinigte Deutschland in den darauf folgenden Jahren immer mehr zu Israels wichtigstem Handelspartner in Europa. Beispielhaft dafür steht der U-Boot-Vertrag aus dem Jahr 1991: Weil Deutschland nicht an der Seite der USA in den Krieg gegen den Irak eintrat, aber dennoch untermauern wollte, dass es auch als vereinigter Staat für das Existenzrecht Israels eintrete, verpflichtete sich die deutsche Regierung zu einer Schenkung von drei U-Booten. Dieses Versprechen wurde eingelöst, als in den Jahren 1999 und 2000 die ersten beiden Boote an Israel geliefert wurden.
Dieses sehr materielle "Zeichen" der Bundesregierung trug einiges dazu bei, das Vertrauen in deutsche Solidarität wieder zu stärken und die Sorge vieler Israelis vor einem Ende der besonderen Beziehungen, die zur alten Bundesrepublik bestanden hatten, zu überwinden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hält am 18. März 2008 eine Rede vor der Knesset (© Bundesregierung, B 145 Bild-00172450, Foto: Steffen Kugler)
Bundeskanzlerin Angela Merkel hält am 18. März 2008 eine Rede vor der Knesset (© Bundesregierung, B 145 Bild-00172450, Foto: Steffen Kugler)
Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Jahre 1989 bis 1992 nicht nur, aber auch in Folge der deutschen Wiedervereinigung eine deutliche Krise in den deutsch-israelischen Beziehungen bedeuteten. Yves Pallade, der die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel in den 1990er und 2000er Jahren untersuchte, kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass trotz der Zeitenwende die Freundschaft zwischen beiden Staaten erhalten und sogar verstärkt wurde.
Merkels Betonung der unbedingten Solidarität ist eine weitere bemerkenswerte Wende im Charakter der deutsch-israelischen Beziehungen: Nach einer Rhetorik der Demut und Versöhnung durch die christdemokratische Regierung in den 1950er und 1960er Jahren und der schlussendlichen Aufnahme diplomatischer Beziehungen im Jahr 1965, hatte die SPD-Regierung unter Willy Brandt eine neue Nahostpolitik entwickelt, die sich unter dem Eindruck der Ölkrise stärker den wirtschaftlichen Beziehungen zu den arabischen Staaten zuwandte. Der von Brandt geprägte Satz, zwischen Israel und Deutschland bestünden "normale Beziehungen mit besonderem Charakter"
Der Mauerfall und die bevorstehende deutsche Wiedervereinigung riefen in Israel zunächst große Ängste vor erneutem Faschismus hervor, ausgedrückt sowohl in der populären Presse als auch in den Stellungnahmen israelischer Regierungs- und Parlamentsvertreter. Der Tag der Einheit am 3. Oktober 1990 wurde als "Tag der Trauer" bezeichnet. Diese Ängste schienen sich in den folgenden Jahren zu bestätigen als deutlich wurde, dass deutsche Hardware in den Raketen steckte, die in Folge des Irak-Krieges auf Tel Aviv abgeschossen wurden sowie durch einen signifikanten Anstieg der ausländerfeindlichen Übergriffe im wiedervereinigten Deutschland. Mit dem israelischen Regierungswechsel im Jahr 1992, mehreren beschwichtigenden Besuchen deutscher Politiker und besonders dem deutschen Versprechen für U-Boot–Lieferungen vollzog sich jedoch ein Stimmungswandel. Die Aufregung über das potenzielle "Vierte Reich" legte sich. In den letzten beiden Jahrzehnten sind die deutsch-israelischen Beziehungen sowohl durch wiederkehrende kurzlebige Krisen, allerdings vor allem durch eine stabile politische und wirtschaftliche Partnerschaft geprägt.
Zitierweise: Jenny Hestermann, Ein "Tag der tiefen Trauer" - Israelische Reaktionen auf den Umbruch in der DDR und die deutsche Wiedervereinigung, in: Deutschland Archiv, 8.8.2014, Link: www.bpb.de/189684