Im vergleichsweise kurzen Zeitraum zwischen 1945 und 1961 war der Begriff "Zeitschrift" unterschiedlich konnotiert: Da unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg ein akuter Mangel an Papier und Druckutensilien herrschte, waren weder für die buchstäbliche "Illustrierte" noch für viele wissenschaftlich-fachliche Magazine Ressourcen vorhanden. So dominierten den Markt vor allem politisch-kulturelle Inhalte, verknüpft mit literarischen Beiträgen, die häufig mit nur mäßigen gestalterischen Ansprüchen als Standard der Bezeichnung "Zeitschrift" verstanden wurden, bis dank zunehmender Papierressourcen und Druckmöglichkeiten auch andere Formate entstehen konnten. Vor allem oppositionelle Schriftsteller aus der Zeit des Nationalsozialismus, in Deutschland wie im Exil, sowie Stimmen der jüngeren Nachkriegsgeneration suchten nach Publikationsmöglichkeiten. Deshalb wird in der Forschung häufig von einem regelrechten Zeitschriftenboom gesprochen, der jedoch im statistischen Vergleich an Wucht verliert. In den vier Jahren vom Kriegsende bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten stieg die Anzahl der lizenzierten Magazine im gesamtdeutschen Gebiet von 661 auf 1.537, was trotz des Anscheins einer beachtlichen Entwicklung letztlich kaum mehr als ein Viertel der in den ersten Kriegsjahren erschienenen Zeitschriften ausmachte.
In den Jahren zwischen 1950 und 1960 wurden in ununterbrochener Folge 223 Zeitschriften, die sich durch einen explizit literarischen Anteil auszeichneten, herausgegeben.
Zeitschriften, die vornehmlich als Medium zur Meinungsbildung und -beeinflussung fungierten: Zwar war die direkte Zugehörigkeit nicht immer gekennzeichnet, dennoch dienten diverse Inhalte und Beiträge oft evidenter Propaganda oder sollten über Vorgänge innerhalb der Dachorganisation bzw. Partei informieren. Hierzu gehörten zum Beispiel "Der Monat" auf West- und "Die Einheit" auf Ostseite.
Druckschriften, die literarisch, kulturell und politisch zu informieren suchten und dabei (wenn auch zum Teil politisch gefärbt) auf inhaltliche Unabhängigkeit bedacht waren: Trotz konkreter lokaler Zugehörigkeit in Ost wie West wurde vereinzelt der individuelle Dialog mit dem jeweils anderen "Drüben" gesucht, dennoch waren die deutsch-deutschen Ambitionen dieser Blätter häufig gering, was sowohl mangelndes subjektives Interesse als auch staatliche Intervention zum Grund haben konnte.
Zeitschriften, die – unterschiedlich motiviert – der Ost-West-Vermittlung dienen sollten: Dieser bisher kaum wissenschaftlich untersuchte Typus war der seltenste unter den Nachkriegszeitschriften, weil er unmittelbar politischen Schwankungen unterworfen und damit die auch ökonomisch unsicherste Magazinart war.
Obwohl seit der Vereinigung beider deutschen Staaten zunehmend Arbeiten über den deutsch-deutschen Literaturdialog entstanden sind,
Alfred Kantorowicz' "Ost und West"
Am 12. Februar 1947 stellte Alfred Kantorowicz zwei im Inhalt beinahe identische Anträge: einen in englischer Sprache zu Händen des General Robert A. McClure, den zweiten an Oberst Sergej Tjulpanow, beide Leiter der jeweiligen Propaganda- und Informations-Abteilung in der amerikanischen und sowjetischen Militärverwaltung. Die Anträge enthielten die Bitte um Lizenz für eine "unabhängige deutsche Monatsschrift, […] die unter dem Titel 'Ost und West' eine Freistatt geistiger Aussprache werden" und nicht als "Organ oder das Sprachrohr einer der Besatzungsmächte […] oder irgendeiner der deutschen Parteien" fungieren sollte.
Die fünfte Ausgabe der Zeitschrift "Ost und West", November 1947 (© Gedenkstätte Deutscher Widerstand)
Die fünfte Ausgabe der Zeitschrift "Ost und West", November 1947 (© Gedenkstätte Deutscher Widerstand)
Bestehen ein Ende setzten.
Rückblickend muss das Projekt als einziger ernstzunehmender Versuch gewertet werden, sich längerfristig publizistisch gegen die politisch-kulturelle Demarkationslinie auszusprechen und dabei Literatur als indirekte Stütze der Argumentation zu nutzen. Dass es sich bei dem proklamierten deutsch-deutschen Ansatz nicht um politische Rhetorik handelte, illustriert die facettenreiche Liste der Autoren, die der in der Nachkriegszeit öffentlich ausgetragenen Schriftstellerdebatte über politische Zugehörigkeit, Generationsfragen und innere versus De-facto-Emigration trotzte: Texte von unter anderem Ernst Bloch, Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Leonhard Frank, Stephan Hermlin, Ricarda Huch, Peter Huchel, Erich Kästner, Alfred Kurella, Elisabeth Langgässer, Heinrich und Thomas Mann, Theodor Plivier, Kurt Tucholsky, Günther Weisenborn und Arnold Zweig wurden in"Ost und West" veröffentlicht, was den Titelzusatz " mit Akzent auf dem und"
Mit der Zuspitzung des innerdeutschen Konflikts zeichnete sich jedoch ein zeitnahes, beinahe zwangsläufiges Scheitern der Zeitschrift am realpolitischen Geschehen ab. Im November 1948 kündigte der Großteil West-Berliner und westdeutscher Beteiligter ihre Mitarbeit an der Zeitschrift auf, "manche mit Ausflüchten,
Die fünfte Ausgabe der Zeitschrift "Ost und West", November 1947, Heftrücken (© Gedenkstätte Deutscher Widerstand)
Die fünfte Ausgabe der Zeitschrift "Ost und West", November 1947, Heftrücken (© Gedenkstätte Deutscher Widerstand)
andere mit dem offenen Eingeständnis, sie fürchteten Misshelligkeiten und materielle Nachteile, wenn sie weiter für eine sowjetisch lizenzierte Zeitschrift schrieben."
Protestbriefe, etwa von Gustav Seitz und Heinrich Mann, Beileidsbekundungen von Lion Feuchtwanger und Walter von Molo sowie zahlreiche Lesermeinungen aus Ost und West
Ambitionen deutsch-deutscher Zeitschriften nach 1949
Trotz Währungsreformen und Staatengründung blieb die Situation der literarischen Zeitschriften zwischen 1949 und 1961 weitgehend ungeordnet. Bis auf die explizit politisch agitierenden Organe wurden in der Bundesrepublik Blätter mit programmatischer Verengung tendenziell vermieden – zu sehr noch klangen die Töne totalitärer, nationalsozialistischer Propaganda in den Köpfen von Herausgebern und Verlegern nach. So setzten nicht wenige literarische Zeitschriften in der Dekade vor dem Mauerbau betont auf Unparteilichkeit und Pluralität; ästhetische Inhalte mit anspruchsvollen Texten dominierten den kulturellen Zeitschriftenmarkt, der neben dem aufblühenden populistischen weiterhin bestand. In der DDR nahm die staatliche Lenkung des Zeitschriftenwesens sukzessive zu, die Zentralisierung des buchhändlerischen Gewerbes wurde paradoxerweise unter dem offiziösen Protest gegen die Spaltung Deutschlands durchgeführt. Literarische Zeitschriften wurden einerseits kulturpolitischen Institutionen unterstellt,
Dem Kiepenheuer-Verlagsarchiv in Leipzig zufolge gab es schon 1949 erste Ambitionen, im Kiepenheuer-Verlag eine Literaturzeitschrift in deutsch-deutscher Synopse herauszugeben. Ein freier Mitarbeiter, Klaus Hermann, monierte den fehlenden "Überblick über die gesamtdeutsche künstlerische und literarische Produktion" und warnte vor dem baldigen "Verfall der kritischen Maßstäbe beim Publikum und auch bereits bei einem Teil der Intelligenz." Während es Hermann zufolge in Westdeutschland genüge, derartige Verfallssymptome zu registrieren, sei es in der DDR eine "politische Frage ersten Ranges, ihnen entgegenzuwirken." Wie bei so vielen seitens der DDR gesteuerten deutsch-deutschen Projekten sollte der Fokus des Magazins, für das eine Auflage von 6.000 Exemplaren ins Auge gefasst wurde, jedoch nicht auf künstlerischer Vielfalt, sondern auf "Bevorzugung einer formal klaren und gestalteten Kunst" liegen, um "beim Publikum klare Gesinnung und Gesittung im Leninschen Sinne" zu wecken. Die "gesamtdeutsche Basis" wurde "durch Heranziehung westdeutscher Autoren (vor allem sozialkritische und friedensfördernde Literatur und Kunst)" angestrebt, um die "Darstellung der sich formenden neuen gesellschaftlichen Ordnung der DDR gegenüber Westdeutschland" zu ermöglichen. Trotz konkreter Gestaltungs- und Vermarktungsanregungen für das Magazin, das sich zum Ziel setzen sollte, "konsequent an der Entwicklung der unterentwickelten Leser" zu arbeiten, kam das Projekt jedoch nie über dieses Exposé hinaus.
Zwei Jahre später, im Juni 1951, entwarf der "Deutsche Schriftsteller-Verband im Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands" einen "Plan für die Arbeit in Westdeutschland und Westberlin", der neben einer Intensivierung der Beziehungen zum westdeutschen "Schutzverband Deutscher Autoren" auch die Gründung eines "Herausgeberkollegiums [einer] gesamtdeutschen Literaturzeitschrift"
Wie sehr diese Gründe den Ausschlag für das Scheitern des Vorhabens gaben, mag dahingestellt bleiben. Als maßgeblicher Grund trat hinzu: Für die westdeutsche Ausgabe der Zeitschrift wurden 30.000 DM West als Minimalfonds benötigt.
Ein erneut verlagsgesteuerter Vorstoß zur Gründung eines gesamtdeutschen Literaturmagazins, der bisher keine Beachtung in der Forschung fand, ging vom Verlag der Nation (VdN) aus. Seit den Weltjugendspielen 1951 in Ost-Berlin war der VdN von staatlicher Seite angehalten worden, westdeutsche Autorinnen und Autoren für das eigene Programm zu gewinnen;
"Das Buch von Drüben"
Stattdessen war es das Rezensionsorgan "Das Buch von Drüben", das schließlich nach allen Bemühungen um eine derartige Literaturzeitschrift tatsächlich verwirklicht wurde. Angeregt durch einen Dialog, der vom Gesamtdeutschen Buchhändler- und Verlegerforum
Die Verlegerin Lucie Groszer signiert Bücher und Poster, Berlin, 7. September 1978 (© Bundesarchiv, Bild 183-T0907-0035; Foto: Gabriele Senft)
Die Verlegerin Lucie Groszer signiert Bücher und Poster, Berlin, 7. September 1978 (© Bundesarchiv, Bild 183-T0907-0035; Foto: Gabriele Senft)
Verlegerin Lucie Groszer, die sich in vielen buchhändlerischen Organisationen der Nachkriegszeit engagierte und als Vorstandsmitglied des Gesamtberliner Buchhändler- und Verlegervereinigung eine Dauerfahrtgenehmigung nach West-Berlin besaß,
Zudem sollte die Zeitschrift durch Erläuterungen "der wichtigsten Bestimmungen des Interzonenhandels" helfen, die vorherrschenden wirtschaftlichen Unsicherheiten des innerdeutschen Buchverkehrs zu bereinigen und die beschränkten Möglichkeiten im Austausch belletristischer Literatur Mitte der Fünfzigerjahre zu erweitern. Dass zumindest von Seiten der Rezensenten und Herausgeber vornehmlich kommunikative und im Literaturaustausch begründete Motive vorherrschten, ist kaum zu bezweifeln: Der namhafteste Ost-Rezensent, Johannes Bobrowski, der dank seiner Lektorentätigkeit im Altberliner Verlag Lucie Groszer
Neben Johannes Bobrowski waren unter anderem von ostdeutscher Seite Alfred Könner, Ehm Welk, Lieselotte Welskopf-Henrich und Lucie Großer selbst, von westdeutscher Kurt Sandner, Lu Märten und Eduard Wildhagen als Rezensenten für die Zeitschrift tätig. Im heute wohl – dank der Prominenz von Rezensent und Rezensiertem –
Johannes Bobrowski (l.) und Günter Grass (r.) im Streitgespräch auf dem Lyrikerforum in der Westberliner Akademie der Künste am 6. Mai 1965 (© Bundesarchiv, Bild 183-D0206-0045-001 / Fotograf: o.A.)
Johannes Bobrowski (l.) und Günter Grass (r.) im Streitgespräch auf dem Lyrikerforum in der Westberliner Akademie der Künste am 6. Mai 1965 (© Bundesarchiv, Bild 183-D0206-0045-001 / Fotograf: o.A.)
bemerkenswertesten Beitrag der Zeitschrift behandelte Bobrowski "Die Vorzüge der Wildhühner" von Günter Grass (1956) und stellte fest: "Zweifellos sind diese Gedichte, eine erste Veröffentlichung, interessant, weil hier auf eine gewisse, in den letzten Jahren in der Lyrik Westdeutschlands erfolgreich gewordene, ein wenig parfümierte, unverbindliche Melodik verzichtet wird. Grass setzt seine Bilder recht hart ein. Freilich scheint mir das einstweilen doch weniger auf Konzentration zu deuten als auf eine vorhandene 'kunstgewerbliche' Neigung, – ein Spiel, dem sich die Sprache nicht sehr gefügig zeigt. Auf jeden Fall ist Grass aber eine Begabung, auf die man achten sollte. Ein Gedicht wie 'Vogelflug' ist entschieden mehr als ein Versprechen. Er wird sich noch wandeln, das steht in den Gedichten, deutlicher noch in den vier Seiten Prosa 'Fünf Vögel' und in den Zeichnungen […]."
Vor dem Hintergrund, dass Grass in der DDR erst 1984 mit fast 30-jähriger Verzögerung publiziert werden konnte (1984 erschien "Katz und Maus" in der Reihe "Spektrum" des Verlages Volk und Welt, erst 1987 wurde "Die Blechtrommel" in der DDR publiziert), erscheint dieser Beitrag Bobrowskis beinahe unwirklich, demonstriert jedoch die Neugierde und Offenheit gegenüber der westdeutschen Literatur, die unter Schriftstellern der DDR vorherrschte.
Trotz dieser Grass-Besprechung ließ die Zeitschrift bei der Berücksichtigung aller namhaften West-Verlage (Rowohlt, Suhrkamp, Luchterhand, Desch und sogar die in der DDR umstrittenen Bertelsmann und Kiepenheuer & Witsch) arrivierte Schriftsteller aus Westdeutschland vermissen. Stattdessen fanden sich im Konzept des Periodikums unter anderem neu aufgelegte deutsche und internationale Klassiker, unverfängliche Liebes- und Abenteuerromane, Lexika und Ratgeberbücher, populärwissenschaftliche Abhandlungen sowie Kinder- und Jugendliteratur, die aus dem jeweils anderen "Drüben" besprochen wurden. Überraschend ist, dass unter den aus DDR-Verlagen stammenden Neuerscheinungen (unter anderen von Heinrich Mann, Stefan Zweig, F. C. Weiskopf) keine ausgesprochen politischen Autoren vertreten waren, Namen wie Alexander Abusch, Johannes R. Becher, Günter Hofé, Ludwig Renn oder Erich Weinert sucht man vergeblich. Neutralität sollte nicht nur behauptet, sondern als Hauptanliegen demonstriert werden – eine Leistung, die von der westdeutschen Presse anerkannt wurde: "Sehen wir in Das Buch von Drüben, so scheint bei aller Notwendigkeit, politische Werke aussparen zu müssen, nicht die Absicht zu bestehen, in der unterhaltenden Literatur in die seichten Gewässer der Schnulzen auszuweichen", so "Die Welt". Im selben Artikel wurde freilich umgehend politisiert, indem der ausschließlich im Wechselverhältnis erlaubte Austausch Buch gegen Buch kritisiert und dabei spöttisch bemerkt wurde, dass "die westdeutsche Nachfrage nach Traktoren-Epik jedoch nie so hoch" gestiegen sei.
Trotz aller Indizien für ein politisch neutral gehaltenes Magazin eröffnet ein Blick in die internen Dokumente des Hauptreferats Literaturaustausch
Während im Oktober 1957 – also bereits weit nach der Nivellierung des Neuen Kurses – "vom Standpunkt des HR-Literaturaustauschs die Herausgabe des Buch von Drüben weiterhin befürwortet" und dieselbe "nach wie vor für notwendig gehalten"
Pläne für weitere Projekte, die nach der Einstellung des Rezensionsorgans dessen deutsch-deutschen Auftrag weiterführen sollten, sind bislang nicht bekannt. Der nach der Ungarnkrise 1956 zunehmend konsequenter verfolgte Kurs der Abschottung manifestierte sich schließlich im Mauerbau, mit dem vorerst ein Großteil der Einheitsambitionen zum Erliegen kam. Umso mehr überrascht es aus heutiger Sicht, dass selbst Ende des Jahres 1957 ein Projekt wie "Das Buch von Drüben" – das trotz parteipolitischen Hintergrundes dank seiner engagierten Mitarbeiter einem gesamtdeutschen Blick Geltung verschaffte – noch Unterstützung vom Ministerium fand, zu einer Zeit, in der sich die innerdeutsche SED-Politik auf eine eigene nationale Identität im Gegensatz zu einem vereinten Deutschland auszurichten begann.
Aufgabe der Forschung ist und bleibt es daher, diese Widersprüche aufzuspüren und sie den etablierten Zäsuren der deutsch-deutschen Zeitgeschichte – 8. Mai 1945, 17. Juni 1953, Ungarnaufstand 1956, 13. August 1961 –, die scheinbar keine andere Interpretation der Literaturgeschichte zulassen, entgegenzusetzen. Dass diese Kleinstprojekte nur Bruchteile im Makrokosmos der innerdeutschen Beziehungen darstellen und dass eine kurzlebige, wenig beachtete Zeitschrift wie "Das Buch von Drüben" nicht die Relevanz von Organen wie "Sinn und Form" oder "Ost und West" hatte, versteht sich von selbst. Dennoch besitzen gerade solche Mosaikteilchen im deutsch-deutschen Forschungskontext Widerstandskraft gegen unreflektierte, schablonenhafte Zuordnungen und pauschalisierende Halbwahrheiten.