Was macht eine Influencer*in zu einer Influencer*in?
Influencer*innen müssen als sogenannte „Micro-Celebrities“ ihre Bekanntheit in den sozialen Medien selbst aufbauen. Das unterscheidet sie von traditionellen Prominenten wie Sportler*innen, Musiker*innen oder Schauspieler*innen, deren Bekanntheit von den klassischen Massenmedien abhängt. Um wahrgenommen zu werden, produzieren Influencer*innen daher erstens Inhalte für die sozialen Medien. Sie bezeichnen sich daher oftmals selbst als Content Creator*innen: Diese Bezeichnung stellt den kreativen Akt des Erschaffens in den Vordergrund statt der (vor allem für Unternehmen relevanten) Möglichkeit, Einfluss auf das Verhalten ihrer Follower*innen auszuüben.
Dennoch ist es mit der Produktion von Inhalten natürlich nicht getan. Um Erfolg zu haben, müssen Influencer*innen zweitens diese Inhalte auch so in den Datenfluss der sozialen Netzwerke einspielen, dass sie die algorithmischen Dynamiken optimal bedienen. Nur so haben sie eine Chance, dass Algorithmen ihre Inhalte aufgreifen und an andere Plattformnutzer*innen ausspielen. Influencer*innen sind also abhängig von den großen Plattformunternehmen, und jeder erfolgreichen Influencerkarriere wohnt daher ein gewisser Zufall inne.
Was ist ein Algorithmus?
Ein Algorithmus ist eine präzise formulierte Handlungsanweisung, welche eine elektronische Maschine oder aber auch einen Menschen schrittweise anleitet, wie bei einer bestimmten Aufgabe vorzugehen ist. (...) Einem elektrischen Gerät werden bei seiner Programmierung Handlungsanweisungen beigebracht, sodass es anschließend selbstständig mit Hilfe eines Algorithmus ein Problem Schritt für Schritt behandeln kann. Algorithmen kombinieren dazu nach mathematischen Regeln Daten miteinander, sodass neue Ergebnisse mit Informationen entstehen." (Team "Forschen mit GrafStat", 2020).
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Sind die Inhalte gut produziert und platziert, erregen sie Aufmerksamkeit. Dann kommentieren Follower*innen die Inhalte, wenden sich per Privatnachricht an Influencer*innen oder treffen ihre Idole bei Meet & Greets. Eine weitere zentrale Aktivität von Influencer*innen ist darum drittens die Interaktion mit Follower*innen. Influencer*innen erscheinen so zum einen als zugänglich. Im Kern, so besagt es die Social-Media-Folklore, sind sie gewöhnliche Internetnutzer*innen – das Mädchen und der Junge von nebenan –, nur haben sie es eben geschafft, Online-Prominenz zu erlangen. Ihre Zugänglichkeit ist zugleich ein Schlüssel zu ihrer Authentizität, die sie in einem Zeitalter, das nach Authentizität lechzt, von anderen Medienpersönlichkeiten abhebt. Zum anderen entstehen durch die Interaktionen gemeinsame Beziehungsgeschichten mit den Follower*innen, die sich über Monate oder gar Jahre entwickeln und so eine große Stabilität besitzen.
Viertens, das wird auf Grund der schillernden Rolle der Authentizität schnell übersehen, kuratieren Influencer*innen eine eigene Personenmarke. Sie nutzen Techniken des Selbst-Marketing, um einen Markenkern zu definieren, einen Erzählstil festzulegen, eine visuelle Ästhetik zu entwickeln oder zu entscheiden, mit welchen Marken sie kooperieren – und mit welchen nicht.
Mehr als nur Geld – warum Influencer*innen mit Unternehmen zusammenarbeiten
Influencer*innen sind Medienunternehmer*innen, die eigene Medienorganisationen führen. Dabei sind die meisten Influencer*innen freilich auf sich selbst gestellt: Nur die Betreiber*innen der größeren Kanäle können es sich leisten, zusätzliches Personal für anfallende Aufgaben wie die Pre- und Postproduktion der Inhalte, deren Vermarktung, die Pflege der Communitykontakte oder die Terminkoordination einzustellen.
Die meisten Influencer*innen versuchen, ihren Status als Micro-Celebrity zu Geld zu machen. Zumeist entwickeln sie Geschäftsmodelle, die recht einseitig auf Einnahmen aus Kooperationen mit Unternehmen ausgerichtet sind. Interessant für Unternehmen sind Influencer*innen, weil sie gerade ein junges Publikum ansprechen. Denn sie stehen vor dem Problem, wie sie junge Konsument*innen erreichen können, die sich von den klassischen Massenmedien abwenden und stattdessen vermehrt Social-Media-Inhalte rezipieren. Kooperationen mit Influencer*innen sind also ein Mittel zum Zweck. Die Influencer*innen wiederum erhalten zunächst einmal Geld als Kompensation für werbende Beiträge. Das können in der Spitze sechsstellige Summen für eine Kampagnenmitarbeit sein,, sodass die reichweitenstärksten Influencer*innen Preise aufrufen, die auch große private Fernsehsender für die Ausstrahlung eines 30-sekündigen Werbespots verlangen. Influencer*innen treten so in Konkurrenz mit anderen Medienorganisationen um die Werbebudgets von Unternehmen.
Unterschieden wird in der Influencerbranche zwischen einer fixen und einer erfolgsabhängigen Vergütung, die die zu bezahlende Summe von Erfolgsindikatoren wie Aufrufen einer Website oder Bestellungen in einem Onlineshop abhängig macht und die vor allem in Form von Affiliate Links auftritt. Solche erfolgsabhängigen Modelle finden gerne bei aufstrebenden Influencer*innen Einsatz, weil diese erst dabei sind, sich ihren Micro-Celebrity-Status zu erarbeiten und entsprechend wenig Verhandlungsmacht besitzen. Diese Newcomer*innen arbeiten häufig für kostenfreie Produkte („Free Gifting“). Dann erhalten Influencer*innen etwa Kleidungsstücke, Kosmetika oder Unterhaltungselektronik dafür, dass sie diese in ihren Posts erwähnen.
Die Kooperation mit Organisationen besitzt für Influencer*innen neben finanziellen aber auch karrierestrategische Anreize. Zunächst nutzen insbesondere aufstrebende Influencer*innen Kooperationen dazu, ihren Status auszubauen. Zum einen werden Fans der kooperierenden Marke durch Kooperationen auf die Influencer*innen aufmerksam. Zum anderen verschaffen sich Influencer*innen durch die Kooperation mit einer angesagten Marke Prestige, denn dass diese Marke gerade diese Influencer*in auswählt, hebt sie aus der Masse aufstrebender Influencer*innen hervor. Reputationseffekte lassen sich im Social-Media-Influencing also durchaus in beide Richtungen beobachten.
Des Weiteren erhalten Influencer*innen durch manche Kooperationen exklusiven Zugang zu Orten, Personen und Veranstaltungen, wenn sie etwa in einem Freizeitpark hinter die Kulissen schauen, den Ministerpräsidenten eines Bundeslandes begleiten oder die Vorabaufführung eines Films besuchen. Solche Gelegenheiten besitzen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung, sind Influencer*innen doch darauf angewiesen, beständig neuen, attraktiven Content für ihre Community zu produzieren.
Die König*innen der Schleichwerbung?
Die Kennzeichnung von Inhalten, die auf Kooperationen mit Unternehmen zurückgehen, ist in den frühen Tagen der Branche nicht konsequent erfolgt. Das hat ihren Ruf in der öffentlichen Diskussion langfristig beschädigt. Eine klare Kennzeichnung, so die damalige Befürchtung, könnte Follower*innen verschrecken und die Werbewirkung verringern, immerhin tritt dieser Effekt bei so gut wie allen anderen Werbeformaten auf.
Seit Ende der 2010er Jahre hat sich die Lage jedoch deutlich verbessert. Das liegt einerseits am Druck von außen. Die Landesmedienanstalten in Deutschland haben sich dem Thema Werbekennzeichnung durch Influencer*innen im internationalen Vergleich frühzeitig angenommen. Daneben sorgten öffentlichkeitswirksame Abmahnungen und Klagen gegen Influencer*innen vor allem durch den Verband Sozialer Wettbewerb, der unter anderem die Interessen der mit Influencer*innen um Werbebudgets konkurrierenden Verleger vertritt, für erhebliche rechtliche Verunsicherung und eine Überkennzeichnung von Produkterwähnungen. Andererseits hat sich die Branche auch von innen heraus professionalisiert und unter anderem einen Ethikkodex adoptiert, der den transparenten Umgang mit Kooperationen auch aus Perspektive eines Berufsethos festschreibt. Schließlich zeigt die inzwischen gewonnene Erfahrung, dass sich die befürchteten negativen Effekte einer Werbekennzeichnung in der Praxis nicht bestätigen., Somit ist das Befolgen des Kennzeichnungsgebotes eine Pflicht, die Influencer*innen heutzutage nicht weiter beunruhigt.
Die Diversifizierung von Einnahmequellen
Als weitsichtige Medienunternehmer*innen bemühen sich manche Influencer*innen, ihre finanzielle Abhängigkeit von Werbekooperationen zu verringern. Sie versuchen, Einnahmen auch auf dem Publikumsmarkt zu generieren, wie dies viele andere Medienunternehmen etwa durch den Verkauf von Zeitschriften und Pay-TV-Abonnements machen. Die meisten Influencerinhalte sind in den sozialen Netzwerken frei verfügbar. Daher rufen vermehrt Live-Streamer*innen und Podcaster*innen zu Spenden auf, die direkt oder über Dienstleister wie Patreon abgewickelt werden.
Anreize wie exklusive Inhalte oder die namentliche Nennung der Unterstützer*innen erhöhen die Spendenbereitschaft. Ähnlich funktionieren Abonnementmodelle, die den Zugriff auf Inhalte nur gegen Zahlung erlauben. So ist etwa die Plattform OnlyFans mit dem Versprechen an Influencer*innen angetreten, ihnen anders als bei etablierten Plattformen wie Instagram oder YouTube eine einfache Abostruktur zur Abwicklung von Followerzahlungen bereitzustellen.
Ein weiterer Markt, auf dem Influencer*innen Einnahmen erwirtschaften können, ist der Plattformmarkt. Denn auch Plattformbetreiber haben ein Interesse daran, dass reichweitenstarke Influencer*innen ihre Plattform verwenden und so Nutzer*innen an sie binden. Verschiedene Plattformen bieten Monetarisierungsprogramme, in denen sie einen Teil ihrer eigenen Werbeeinnahmen an Influencer*innen weiterreichen. YouTube etwa schüttet zwischen zehn und zwanzig Euro für 10.000 Klicks an Influencer*innen aus, die im sogenannten Partnerprogramm registriert sind. Zudem sind Plattformbetreiber im Wettkampf mit ihrer Konkurrenz zunehmend bereit, Influencer*innen vertraglich an sich zu binden und dafür nennenswerte Summen zu zahlen. Spotify etwa verbreitet die Podcasts einiger bekannter Influencer*innen exklusiv, und Mitte 2023 sorgte die neu gegründete Streaming-Plattform Kick.com für Schlagzeilen, weil sie Influencer*innen von der zu Amazon gehörenden Plattform Twitch mit Millionenzahlungen abwarb. Inzwischen öffnen schließlich auch eingesessene Medienunternehmen ihre Türen für Influencer*innen. Ein Leuchtturmprojekt bildet in Deutschland das von ARD und ZDF betriebene Netzwerk funk, das bereits Influencer*innen wie Leeroy Matata, Fynn Kliemann oder Manu Thiele mit den von ihnen entwickelten Formaten unter Vertrag nahm.
Eine weitere Einnahmequelle bieten Influencer-gebrandete Produkte. Influencer*innen wie Bibi, Pamela Reif und Jstin experimentieren durchaus erfolgreich mit eigenen Produktlinien; andere Influencer*innen entwerfen zusammen mit Unternehmen Modekollektionen, Gaming-Controller und Tiefkühlpizzen. Diese Aktivitäten liegen außerhalb der Kerntätigkeit als Influencer*in, sind aber oftmals mit ihrer Expertise verknüpft, wenn etwa die YouTuberin Bibi eine Kosmetikmarke entwickelt. Influencer*innen nutzen also die Aufmerksamkeit, die sie durch ihren Status als Micro-Celebrities erhalten, um neue Geschäftsfelder zu erschließen.
Nur wenige Influencer*innen sind auch erfolgreich – ein Fazit
Um ihre Medienunternehmen zu finanzieren, können Influencer*innen auf mehreren Märkten operieren. Einnahmen aus Werbekooperationen stellen für die meisten Influencer*innen das wichtigste Standbein dar. Aber auch auf dem Publikums- und dem Plattformmarkt erschließen sie Einnahmequellen, und einige größere Influencer*innen entwickeln jenseits ihres angestammten Tätigkeitsfeldes unternehmerischen Ehrgeiz. Trotz dieser verschiedenen Finanzierungswege gehört zur Wirklichkeit der Branche jedoch ebenfalls, dass es nur den wenigsten angehenden Influencer*innen gelingt, sich einen Status zu erarbeiten, mit dem sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Der Großteil derjenigen, die sich auf diesen Weg begeben, investiert viel Zeit, Energie, auch Geld, arbeitet dabei prekär für kostenfreie Produkte oder Kleinstsummen – und gibt schließlich frustriert auf. So unterscheidet sich die Influencerbranche nicht groß von anderen Zweigen der Kreativwirtschaft, die sich um Stars organisieren. Ähnlich wie im Musik- oder Schauspielbusiness bleiben die meisten Träume von Ruhm und Reichtum auch in der Influencerbranche unerfüllt.