Im 3x3 stellen wir drei Akteurinnen und Akteuren dieselben drei Fragen. Für den Themenschwerpunkt Smart Kids haben wir die Medienberaterin Sonja Hennig, den Sachunterrichtdidaktiker Prof. Dr. Markus Peschel und die Englisch- und Deutschlehrerin und Mutter Karolin von Leoprechting interviewt.
1. Welche Chancen und Risiken sehen Sie bei der Nutzung digitaler Medien von Kindern zwischen sechs und zwölf Jahren in Bildungskontexten?
Sonja Hennig: Kinder beobachten sehr genau, wie Erwachsene digitale Technik nutzen. Begegnet man ihnen als Lehrkraft bei diesem Thema nicht belehrend, sondern wertschätzend und offen, spürt man schnell ihr Bedürfnis, die Beobachtungen und eigene Erfahrungen zu reflektieren. Im Unterricht können so gemeinsam Tipps und Regeln entwickelt werden, die täglich inner- und außerhalb des Unterrichts eingeübt werden können. Als Orientierungsfiguren prägen Lehrerinnen und Lehrer junge Schülerinnen und Schüler besonders: Sie haben die Chance, grundlegende Kompetenzen für ein sicheres Verhalten im Netz zu vermitteln und die Notwendigkeit zur Selbstregulation bei der Mediennutzung oder Risiken wie Mobbing im Klassenchat und Cybergrooming
Zum anderen ist im Fachunterricht die Heterogenität der Lerngruppe eine immer größer werdende Herausforderung. Digitale Medien eröffnen hier Möglichkeiten für individuelle Lernarrangements, die Kinder nicht nur fördern und fordern, sondern auch zu selbstgesteuertem und -verantwortlichem Lernen anleiten. Besonders motivierend ist dabei der projekt- und produktorientierte Unterricht, dessen Ergebnisse – etwa Filme, eBooks oder Audios – ggf. mit einer definierten Öffentlichkeit geteilt werden können. In diesen Projektphasen wird nicht nur der Kompetenzaufbau besonders nachhaltig unterstützt und erworbenes Wissen gefestigt, sondern auch die Kooperationsfähigkeit und das soziale Lernen gefördert. Selbstverständlich gilt auch hier, dass der Einsatz von Medien und Methoden Einsatz didaktisch reflektiert erfolgen muss.
Prof. Dr. Markus Peschel: Es gibt sehr viele Chancen bei der Nutzung von Medien im Kontext Schule. Dies meint alte und neue Medien gleichermaßen, wobei der aktuelle Fokus meines Erachtens auf den neuen didaktischen Möglichkeiten der Neuen Medien liegen sollte. Dabei ist vor allem die Frage leitend: Welchen (Mehr-)Wert leisten Medien – in diesem Fall zumeist neue oder digitale Medien – für das sachbezogene Lernen im Kontext Unterricht? Dabei sollte sowohl mit Medien gelernt werden als auch vor allem über Medien – im Sinne einer reflektierten Medienerziehung. Die jeweiligen Gefahren, die mit einer Nutzung des Internets einhergehen, müssen meines Erachtens entsprechend thematisiert werden. Dies bedeutet für mich vor allem das Lernen über den Umgang mit (persönlichen) Daten sowie den Algorithmen im Internet, die unser Leben zunehmend bestimmen. Die Begleitung von jüngeren Schülerinnen und Schülern in diesem Prozess verstehe ich als positiv ausgerichtete Medienerziehung, da die Kinder die Auswirkungen ihres Umgangs mit Daten noch nicht unbedingt einschätzen können. Zudem sollte Schule eben eine solche Heranführung an neue beziehungsweise digitale Medien leisten, da wir nicht davon ausgehen können, dass Kinder den Umgang mit ihren Daten und den Angeboten im Internet von alleine oder zu Hause lernen.
Karolin von Leoprechting: Digitale Medien bieten einen Zugriff auf vielfältige, spannende Materialien und Quellen wie Bilder oder Videos, die helfen können, bestimmte Themengebiete zu veranschaulichen und die Lernmotivation der Kinder zu steigern. Diese Erfahrung habe ich beispielsweise gemacht, als ich mit meiner 7. Klasse eine Studienfahrt nach England plante: Mit großer Begeisterung haben die Schülerinnen und Schüler im Internet recherchiert und einander tolle Vorschläge für Ausflüge vorgestellt, die teilweise vor Ort umgesetzt werden konnten. Auch das kreative Arbeiten, zum Beispiel beim Erstellen von Präsentationen und kurzen Lernvideos, kann dazu führen, dass Kinder einen besonderen Lerneifer entwickeln. Der Gebrauch von digitalen Medien scheint bei Kindern und Jugendlichen einfach positiv besetzt zu sein – schließlich bietet vor allem das Internet einen spannenden Raum mit unbegrenzten Möglichkeiten, den sie zunächst einmal mit Spaß und Freizeit verbinden. Leider können aber auch ernsthafte Probleme entstehen. Zu den Risiken zählt meiner Meinung nach eine Überforderung der Kinder durch die Informationsflut, die das Internet bereitstellt. Woher weiß ich, dass eine Quelle seriös und glaubwürdig ist? Welche Angaben sind für meine Zwecke hilfreich und was kann ich getrost weglassen? Die Fähigkeit, zwischen Fake News und echten Nachrichten unterscheiden zu können, ist auch bereits für Kinder von entscheidender Bedeutung. Außerdem sehe ich die Gefahr, dass sich Kinder in der Welt der digitalen Medien verlieren, ein Suchtverhalten entwickeln und echte Kontakte sowie unmittelbares Erleben in den Hintergrund rücken.
2. Die Herausforderung für zeitgemäße Bildung ist vor allem, ein sinnvolles Zusammenspiel unterschiedlicher Methoden und Medien zu ermöglichen. Wie sieht für Sie eine zielführende Kombination aus digitalem und analogem Lernen aus?
Sonja Hennig: Digitale Lernmethoden ermöglichen es, den Lernenden individualisierte Rückmeldung zu ihrem Lernprozess zu geben. Sie schaffen räumliche und zeitliche Flexibilität und damit eine gewisse Individualisierung beim Erlernen grundlegender Fachkompetenzen, etwa Fakten, Fachbegriffe und -methoden. Die direkte, soziale Auseinandersetzung in der Lerngruppe hingegen geht über das reine Faktenwissen hinaus und vermittelt neben einer stärkeren Reflexions- und Transferkompetenz emotional verankerte Lernerfahrungen und soziales Lernen. Wenn sich analoge und digitale Lernformen im Unterricht ergänzen, öffnet das die Chance zur vertiefenden Auseinandersetzung und zum Wissenstransfer. Kinder, die in einer Gruppe etwa ein Erklärvideo erstellen, recherchieren zunächst mithilfe von Kindersuchmaschinen im Netz, um dann die Informationen im Unterricht gemeinsam auszuwerten. Nun können sie kollaborativ, etwa per Padlet oder Etherpad, ein Drehbuch erstellen. Die digitale Technik ermöglicht es nämlich, dass alle zur gleichen Zeit Zugriff aufs Skript haben und daran arbeiten können. Anschließend wird für die filmische Umsetzung benötigtes Material gemeinsam organisiert bzw. analog oder digital hergestellt. Mit intuitiv zu bedienenden Apps können schon 6- bis 12-Jährige selbstständig einen Film aufnehmen, schneiden und bearbeiten. Wenn das neu erworbene, filmisch aufgearbeitete Wissen präsentiert wird, erhalten die Kinder von der Gesamtgruppe und der Lehrkraft gestalterische und fachliche Rückmeldung. Neben inhaltlichem Wissen und methodischen Fähigkeiten eignen die Kinder sich bei diesem Vorgehen zusätzlich Medien- und Sozialkompetenzen an.
Prof. Dr. Markus Peschel: Aus meiner Sicht gibt es vielfältige Beispiele, wie neue oder digitale Medien in sach- oder fachorientierten Unterricht einbezogen und Schülerinnen und Schülern somit abwechslungsreiche Lernmöglichkeiten geboten werden können. Ein Beispiel ist etwa die Mitgestaltung von Internetbeiträgen im Web 2.0, zum Beispiel Blogartikel, um zu erkennen, dass das "Internet gemacht ist" und von allen mitgestaltet gestaltet werden kann. So wird gleichzeitig ein Bewusstsein für die "Quelle Internet" geschaffen, in der viele Beiträge, Seiten oder Blogs kritisch hinterfragt werden müssen. Fakten zu erkennen scheint in heutiger Zeit eine sehr grundlegende Auseinandersetzung und wichtige Kompetenz bei der Einschätzung von Online-Quellen und -Inhalten zu sein. Indem die Schülerinnen und Schüler der Grundschule zum Beispiel in einem geschützten, kinderorientierten Web-Angebot – etwa kidipedia.de – Beiträge zu Inhalten aus der Schule selbst verfassen, erwerben sie Kompetenzen als Produzentinnen und Produzenten. Parallel konsumieren sie Beiträge anderer Kinder, denen sie nun schnell ansehen, dass sie ebenfalls "selbst gemacht" sind. Der Transfer auf andere Beiträge im Internet, redaktionelle oder professionelle Angebote online wie offline liegt dabei auf der Hand und kann von der Schule entsprechend gefördert werden.
Karolin von Leoprechting: Schulbücher sind in vielen Fächern nach wie vor unverzichtbar. Ein Englischbuch, in dem zentrale Grammatikthemen systematisch eingeführt und durch passende Texte und Vokabeln ergänzt werden, ist meines Erachtens ein praktischer Lernbegleiter, in dem immer wieder nachgeschlagen werden kann.
Karolin von Leoprechting (© Privat)
Karolin von Leoprechting (© Privat)
In diesen Büchern sollte es allerdings mehr Hinweise zu hilfreichen Webseiten geben, die eine vertiefende Behandlung des jeweiligen Themas ermöglichen. Ich vermute, dass viele Verlage die Angabe dieser Links scheuen, da es Urheberrechte zu beachten gilt und Internetseiten häufig nur eine begrenzte Zeit abrufbar sind. Dennoch sollten hier Lösungen gesucht und Kooperationen eingegangen werden. So könnte beispielsweise am Ende einer Lerneinheit im Buch immer ein Projekt stehen, das mithilfe von Lernvideos, Bildern, Quiz und vielen anderen Materialien aus dem Internet umgesetzt wird.
3. Inwiefern bringt die Digitalisierung von Lernangeboten eine neue Notwendigkeit für die Zusammenarbeit von Eltern und Schule mit sich?
Sonja Hennig: In der schulischen Umgebung kann inner- und außerhalb des Unterrichts eine sinnvolle und verantwortungsbewusste Nutzung digitaler Geräte mit den Kindern besprochen und erprobt werden. Für die häusliche Mediennutzung hingegen bietet die Schule nur Impulse, die eigentliche Medienerziehung liegt in den Händen der Eltern. Privat und beruflich verwenden Eltern digitale Medien zwar regelmäßig, fühlen sich aber dennoch häufig unsicher in der Frage, wie sie eine vernünftige Mediennutzung ihrer Sprösslinge unterstützen können. Deshalb gehört für mich zum Medienkonzept einer Schule auch die medienpädagogische Elternarbeit. Dies bedeutet nicht nur, dass Eltern über die Mediennutzungsordnung der Schule informiert werden, sondern auch Angebote wie Infoabende mit Medienpädagoginnen und Medienpädagogen, Mediencafés, bei denen die beliebtesten Apps der Kinder einfach selbst ausprobiert und praktische Tipps zur sicheren Nutzung gegeben werden, oder die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch beim Eltern-Medien-Talk.
Prof. Dr. Markus Peschel: Die Schule ist für die Arbeit mit digitalen Medien in der Schule zuständig, die Eltern für die außerschulischen Medienangebote. Das Zusammenspiel ist dabei jedoch nicht nur im Hinblick auf die Inhalte entscheidend. Sowohl Eltern als auch Lehrkräfte wünschen sich häufig Hilfe und Unterstützung bei der Medienbegleitung von Kindern: Wie oft darf das Kind chatten, online sein, Games spielen, recherchieren, produzieren? Wie lange? In welchem Alter? Zu diesen Fragen gibt es keine eindeutigen Antworten: Stets hängt die Vorgabe vom Kind ab, vom Inhalt, von der Umgebung oder Plattform, auf der gechattet wird und so fort. Zudem sind die Art und Auslegung des Spiels wichtig für die Einschätzung der Mediennutzung des Kindes.
Prof. Dr. Markus Peschel (© Privat)
Prof. Dr. Markus Peschel (© Privat)
Ein Beispiel: Man kann MineCraft mit Zombies oder als reines Klötzchen-Bauspiel nutzen und erhält so völlig unterschiedliche Spielideen und -aktionen. Je nach Spielweise und -ziel würde man hier grundsätzlich unterschiedlich intervenieren.
Karolin von Leoprechting: Die Einführung digitaler Lernangebote wirft viele Fragen auf: Wie kann gewährleistet werden, dass genügend technische Geräte, also PCs, Laptops, und Tablets, in der Schule und auch zu Hause zur Verfügung stehen? Wie kann verhindert werden, dass Schülerinnen und Schüler "abdriften" und zum Beispiel andere verlockende Angebote des Internets nutzen, anstatt an der gestellten Aufgabe zu arbeiten? Welcher Jugendschutzfilter ist wirklich sicher und wird auch von Eltern auf den heimischen Geräten installiert? Wie kann die Zeit vor dem Bildschirm auf ein gesundes Maß beschränkt und durch andersartige Betätigungen, etwa Sport, Musik und Gespräche regelmäßig ergänzt werden? Diese Fragen sind nur gemeinsam mit Lehrenden, Eltern und Kindern zu lösen. Denkbar wären regelmäßige Treffen zum Austausch und zur Vereinbarung von Regeln. Hier bietet sich allen drei Gruppen die Möglichkeit, den Lernprozess aktiv mitzugestalten und den Bedürfnissen der Lerngruppe anzupassen. Lehrpläne müssten dementsprechend flexibler sein und verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten offenlassen. Ganz konkret könnte derzeit etwa an der Umsetzung des Medienpasses NRW gemeinsam gearbeitet werden.
Über unsere Interviewpartner:
Prof. Dr. Markus Peschel ist Professor für Didaktik des Sachunterrichts der Universität des Saarlandes und Fachreferent für Lernkulturen des Grundschulverbandes. Außerdem ist er an der Erarbeitung des Standpunktes Medienbildung (Grundschulverband), am Perspektivenvernetzenden Themenbereich Medien (Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts), am Positionspapier "Fachliche Bildung in der digitalen Welt" der Gesellschaft für Fachdidaktik (GFD) und den Bildungsstandards der KMK für die "Bildung in der digitalen Welt" beteiligt. Er ist Herausgeber von Büchern wie "Neue Medien in der Grundschule 2.0" und "Mediales Lernen – Beispiele für eine inklusive Mediendidaktik".
Sonja Hennig ist Lehrerin am Städtischen Gymnasium Olpe und unterrichtet die Digital-Klasse unter anderem nach dem Flipped Learning Konzept. Darüber hinaus engagiert sie sich im Bereich medienpädagogischer Elternarbeit.
Karolin von Leoprechting, geb. 1973, Mutter von zwei Kindern (Junge 10 Jahre, Mädchen 13 Jahre) und Englisch- und Deutschlehrerin an einem Bonner Gymnasium