werkstatt.bpb.de: "Schülerinnen/Schüler unterrichten Lehrerinnen/Lehrer" – warum gibt es dieses Konzept am Otto-Nagel-Gymnasium (ONG)?
Dana Wolfram: Das Konzept gibt es seit 2012 am Otto-Nagel-Gymnasium. Einigen Schülerinnen und Schülern fiel auf, dass sich vor allem die neueren Lehrerpersonen nicht so gut mit der Technik unserer Schule auskannten. Weil sie als "Digital Natives" einfach fitter waren als die Lehrkräfte, kam es schließlich zu diesen vor allem technikorientierten Unterrichtsstunden von Schülerinnen und Schülern für Lehrerinnen und Lehrer.
Klara-Marie: Egal, ob es um die Nutzung von Smartboards oder um die Backend-Pflege unserer Website ging: Wir bemühten uns, alle Interessenten bestmöglich zu informieren und ihre Fragen und Probleme zu klären. So ist das Schulungs-Konzept im Team Redaktion entstanden und hat sich seitdem wunderbar etabliert.
Wie wird das Konzept am ONG konkret umgesetzt und um welche Inhalte und Kompetenzen geht es dabei?
Felix: Mit Herrn Dietze, dem smartboardverantwortlichen ITG-Lehrer (anm. d. Red.: ITG = Informationstechnische Grundausbildung) gebe ich jedes Jahr ein Mal Schulungen an den Smartboards. Daran nehmen von Schülerseite jeweils die beiden Smartboard-Verantwortlichen jeder Klasse teil, aber auch alle anderen Interessierten – insbesondere neue Lehrende sowie Referendarinnen und Referendare. Klara und ich als Mitglieder des Teams Redaktion kümmern uns um die Schulungen zum Backend unserer Website mit der Software Wordpress. Die Teilnehmenden lernen hier, wie sie Beiträge auf die Schul-Website stellen können und somit zur Gestaltung und zum Inhalt beitragen können.
Dana Wolfram: Wir sind eine kreidefreie Schule, deshalb ist die richtige Handhabung der Smartboards für die Lehrkräfte elementar, um ihren Unterricht gestalten zu können. Außerdem können die Lehrenden die Veranstaltungstechnik in unserer Aula nutzen, um zum Beispiel von ihnen organisierte Projekte zu präsentieren. In beiden Fällen werden sie von Schülerinnen und Schülern geschult, damit sie die Technik optimal nutzen können. Des Weiteren initiieren die Lernenden die Verwendung von neuen Lern-Apps. Deswegen ist die Unterrichtsgestaltung sehr individuell und für Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte gleichermaßen spannend.
Klara-Marie: Der Grund, weshalb wir uns so gut mit der ganzen Thematik auskennen, ist persönliches Interesse. Felix zum Beispiel beschäftigte sich in seiner Freizeit schon immer gern mit Technik und hatte hier die Möglichkeit, sich auch mit professionellerer Veranstaltungstechnik auseinanderzusetzen. Er kam irgendwann auf mich zu und fragte, ob ich nicht auch Interesse daran hätte. So entstand unsere Gruppe.
Wie würden Sie, Frau Wolfram, die Resonanz auf dieses "umgekehrte Lehrprinzip" vonseiten der (erwachsenen) Lehrerinnen und Lehrer beschreiben?
Dana Wolfram: Die Gegenwart ist unheimlich schnelllebig, sodass man gerne auf die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler zurückgreift. Die Lehrenden bereiten die Lernenden auf das Universitätsleben vor, indem sie ihnen selbstständiges Lernen und Arbeiten beibringen. Andersherum sorgen die Schülerinnen und Schüler durch ihr Mitwirken dafür, dass der Unterricht abwechslungsreich und effektiv bleibt. Es ist ein Lernen von und mit den Lernenden, für mich ist das selbstverständlich.
Und was sagt ihr, die Schülerinnen und Schüler, wie war es für euch, auf einmal auf der anderen Seite des Klassenzimmers zu stehen?
Felix: Dadurch, dass unsere Schule eine kreidefreie Schule ist, sind wir das Präsentieren und Lehren gewohnt. Es ist für uns absolute Normalität, vor der Klasse oder Lehrenden zu stehen. Insofern stellten die Schulungen für uns kein Problem dar. Außerdem wissen wir ja, dass die Teilnehmenden aus Interesse da sind und gezielt von uns lernen wollen.
Hat dieses Arbeiten Auswirkungen auf das alltägliche Verhältnis und Rollenverständnis zwischen und Lehrenden und Lernenden?
Dana Wolfram: Die Schulungen finden meist am Nachmittag oder Abend statt und sorgen tatsächlich für eine gewisse Vertrautheit zwischen den Jugendlichen und den Lehrpersonen. Man lernt sich einfach besser kennen. Der zwischenmenschliche Umgang an unserer Schule ist jedoch grundsätzlich von Respekt und Toleranz geprägt, so dass sich das Rollenverständnis nicht wirklich verändert hat.
Welche Vorteile und Herausforderungen ergeben sich aus diesem umgedrehten Lehr- und Lernmodell?
Klara-Marie: Ein großer Vorteil ist die effektiv nutzbare Unterrichtszeit, da wir als Schülerinnen und Schüler sofort helfen können, wenn es technische Probleme gibt. Außerdem ist der Unterricht durch unsere Mitwirkung schülerorientierter gestaltet. Wir können unseren Interessen nachgehen, Spaß haben und gleichzeitig lernen. Oder wie wir sagen: Es führt zu einem guten "School Spirit". Ein weiterer Vorteil ist der hohe Informationsaustausch für alle Beteiligten durch die Schulwebsite, das DSB (Digitales Schwarzes Brett) und unsere Social Media-Accounts.
Dana Wolfram: Eine Herausforderung ist, dass sich die älteren Lehrenden erst an dieses umgedrehte Modell gewöhnen müssen. Es ist eine ganz neue Art des Lernens für beide Seiten, etwas, das es in dieser Form sonst nicht so intensiv gab und somit auch etwas, worauf sich die Lehrkräfte auch einlassen müssen.
Was haben Sie beide – Erwachsene und Jugendliche – durch diese Praxis bereits gelernt?
Dana Wolfram: Wir Lehrende sind mit der schülernahen Nutzung neuer Medien vertrauter geworden und haben gelernt, unseren Unterricht spannender für unsere Schülerinnen und Schüler zu gestalten. Wir kennen die neusten Apps und können diese mit Unterstützung der Lernenden auch einsetzen.
Felix: Aus Schülersicht kann ich sagen, dass alle Arten von Präsentation gut für das Selbstbewusstsein sind. Eine solche Präsentation vor den eigenen Lehrerinnen und Lehrern zu halten und dafür Anerkennung zu bekommen stärkt das Selbstvertrauen noch viel mehr.
An Ihrer Schule geht es um die Vermittlung digitaler Kompetenzen. Was glauben Sie: Lässt sich dieses Lehr- und Lernmodell auch auf andere Bereiche übertragen und wenn ja, auf welche?
Dana Wolfram: In allen Bereichen, in denen die Schülerinnen und Schüler höhere Kompetenzen haben, kann man als Lehrpersonal von ihnen lernen und somit auch profitieren. So wird Unterricht bereichert. Ein Beispiel dafür wäre beispielsweise in den Fremdsprachen zu finden. Wenn Schülerinnen und Schüler von ihrem Auslandsjahr zurückkehren, können ihre gesammelten Erfahrungen sowohl kulturell als auch sprachlich für die Unterrichtsgestaltung nutzen.
Über unsere Interviewpartnerinnen und Interviewpartner:
Dana Wolfram ist stellvertretende Schulleiterin am Otto-Nagel-Gymnasium Berlin. Sie ist verantwortlich für das Redaktionsteam der Schule, das sich um die Pflege der Schulhomepage kümmert – inhaltlich und technisch.
Felix Kindlein (14 Jahre) besucht die 8. Klasse am Otto-Nagel-Gymnasium und ist seit zwei Jahren Mitglied im Redaktionsteam der Schule. Als technikinteressierter Schüler leitet er interne Schulungen für die Verwendung von Smartboards im Unterricht und ist für Ton und Licht in der Aula verantwortlich. Bei Bedarf übernimmt er auch die technische Einweisung von Lehrpersonen in die Aulatechnik.
Klara-Marie Walter (16 Jahre) ist in der 10. Klasse und seit drei Jahren im Team. Zusammen mit Felix und der restlichen Gruppe gibt sie seit zwei Jahren Kurse für Lehrende, Schülerinnen und Schüler, vor allem für die Gestaltung von Beiträgen auf der Schul-Webseite im Backend. Hierfür haben die beiden unter anderem ein Handbuch entwickelt.