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"Das Internet entzieht sich der Kontrolle" | Urheberrecht | bpb.de

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"Das Internet entzieht sich der Kontrolle" Ein Gespräch mit Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen)

/ 8 Minuten zu lesen

Es ist ein Trugschluss zu denken, man könne Inhalte von vornherein sperren oder komplett aus dem Netz löschen, meint Konstantin von Notz (Bündnis90/Die Grünen). Der Netzpolitiker fordert die Chancen des digitalen Wandels herauszustellen und legale Alternativen zu illegalen Plattformen zu entwickeln.

Konstantin von Notz (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Mit der zunehmenden Digitalisierung ergeben sich regelmäßig Konflikte mit dem Urheberrecht – vom Filesharing bis zu Copyright-Verstößen bei Fotos auf Facebook. Muss das Internet an das Urheberrecht angepasst werden oder umgekehrt?

Die Digitalisierung und das Internet haben die Produktion, den Vertrieb und die Nutzung von Inhalten wie Musik und Filmen in den vergangenen 20 Jahren radikal verändert. Wir müssen uns die Frage stellen: Passt das Urheberrecht, das lange vor der Digitalisierung entstanden ist, noch zum digitalen Alltag?

Wo sehen Sie Probleme, wenn es darum geht, das Urheberrecht im Internet durchzusetzen?

Das Abmahnunwesen und die Kriminalisierung von einfachen Nutzern, die beispielsweise Filesharing betreiben, ohne ein kommerzielles Interesse zu verfolgen, geht zu weit. Wenn jemand mehr als 1000 Euro Regress zahlen soll, weil er in einer Tauschbörse einen Musiktitel herunterlädt, geht das nicht. Millionen von Abmahnungen haben auch das Problem nicht beseitigt, sondern dazu geführt, dass viele Menschen diese unverhältnismäßigen Maßnahmen und das Urheberrecht selbst nicht verstehen. Wenn der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und der Bundesverband Musikindustrie die Vorratsdatenspeicherung unterstützen, um gegen Urheberrechtsverletzungen im Netz vorzugehen, dann ist das ebenfalls bedenklich. Wenn im Namen der Urheberrechtsdurchsetzung drastische Bürgerrechtseingriffe propagiert werden, begibt man sich auf das völlig falsche Gleis. Das ist die Grundgefahr in dieser Debatte. Die Anonymität im Netz kann nicht mit dem Argument der einfachen Urheberrechtsdurchsetzung aufgehoben werden. Legitim ist dagegen, dass Urheber und Rechteinhaber wie Musiklabels und Filmstudios diejenigen verfolgen, die mit massenhaften Urheberrechtsverletzungen Geld verdienen, also etwa die illegalen Streaming-Plattformen.

"Urheberrechtliche Fragen sind nicht das drängendste Problem"

Brauchen die Rechteinhaber neue Möglichkeiten, gegen illegale Angebote vorzugehen? Der CDU-Politiker Ansgar Heveling schlägt vor, die Provider – also beispielsweise die Unternehmen, die Serverkapazitäten zu Verfügung stellen – bei Urheberrechtsverletzungen stärker in Haftung zu nehmen…

Ich kann die einzelnen Vorschläge nicht beurteilen, weil ich sie nicht kenne. Aber prinzipiell lässt sich sagen, dass auch eine stärkere Provider-Haftung mit Vorsicht zu diskutieren ist. Es gibt Gründe, Inhalte auf einem rechtsstaatlichen Weg aus dem Netz zu nehmen – von sexuellen Missbrauchsdarstellungen bis zu zur Volksverhetzung. Da sind urheberrechtliche Fragen nicht das drängendste Problem. Trotzdem haben wir bereits Mechanismen, um Provider zu Maßnahmen, auch zu Löschungen, zu veranlassen: das sogenannte Notice und Takedown-Verfahren, das in vielen Bereichen auch gut funktioniert. Denn es ist ein Trugschluss zu denken, dass wir Inhalte von vornherein sperren oder komplett aus dem Netz löschen können. Das Internet entzieht sich einer hundertprozentigen Kontrolle. Wir werden und sollten eine Komplett-Kontrolle nie erreichen – was aber für den analogen Raum genauso gilt.

"Der neue Zugang zu Wissen und Kultur ist positiv"

Kommen wir zum eigentlichen Kern der Urheberrechtsproblematik im Netz. Inhalte brauchen keinen physischen Werkträger mehr. Sie müssen nicht mehr auf CD oder DVD gepresst, nicht mehr als Buch gedruckt werden. Als Dateien kann man sie beliebig oft ohne Qualitätsverlust kopieren und weltweit mit einem Klick verfügbar machen. Was man aber nicht mehr künstlich verknappen kann, das lässt sich auch nicht verkaufen…

Ich würde nicht sagen, dass Werke in vordigitalen Zeiten künstlich verknappt wurden. Man hatte eben physische Grenzen, wenn man zum Beispiel ein Buch verbreiten wollte. Das konnte man nicht einfach unbegrenzt drucken, kopieren und leicht zugänglich machen. Seit der Erfindung des Buchdrucks war die Verbreitung auch limitiert durch Produktionskapazitäten für die physischen Werkträger, die Vertriebswege und die anfallenden Kosten. Das hat sich mit der Digitalisierung radikal geändert und das bringt wirtschaftlich betrachtet große Umwälzungen mit sich – und auch Probleme. Trotzdem ist es mir wichtig, die enormen Chancen der Entwicklung herauszustellen. Wie schon der Buchdruck ist die Digitalisierung ein Schritt, vielen Menschen Inhalte überhaupt zugänglich zu machen. Der neue Zugang zu Wissen und Kultur ist zuallererst positiv.

"Die Mehrheit ist bereit, für Werke Geld auszugeben"

Ist es überhaupt noch möglich, den Zugang zu Werken so zu beschränken, dass die Urheber und Rechteinhaber Geld dafür verlangen können?

Das geschieht ja heute bei vielen Angeboten im Netz, etwa bei legalen Download-Plattformen oder Musikstreaming-Angeboten. Die Verbreitungswege sind viel unkomplizierter geworden. Niemand muss noch in einen Laden gehen, um Musik zu beziehen oder in eine Videothek gehen, um einen Film zu leihen. Trotzdem werden auch weiterhin viele CDs und DVDs verkauft. Ich würde nicht sagen, das eine schließt zwingend das andere aus. So wie die Erfindung des Radios oder des Fernsehens nicht dazu geführt hat, dass niemand mehr für Inhalte Geld ausgibt, wird auch das Internet nicht dazu führen. Das können wir ja heute schon sehen. Auch wenn angeblich alles im Internet umsonst und unproblematisch heruntergeladen werden kann, wird weltweit so viel Geld für Werke ausgegeben wie noch nie zuvor in der Geschichte. Das würde mich hinsichtlich der Kommerzialisierbarkeit von Inhalten beruhigen.

Ein Trend ist sicher, nämlich dass Nutzer für den Online-Zugang zu Werken bezahlen, etwa über Musikstreaming-Dienste, anstatt für den Besitz von Werkträgern, etwa CDs. Kann diese neue Form der legalen Werknutzung die Urheberrechtsproblematik im Internet entschärfen?

Sicherlich. Einfache legale Angebote tragen zu einer Entschärfung bei. Trotzdem glaube ich: die Menschen werden Werke wie Musik immer noch unterschiedlich nutzen, auch als CD oder als Download. Andere legen keinen Wert darauf und ihnen reicht der Zugang zu 14 Millionen Liedern bei einem Streaming-Dienst. Wir müssen natürlich auch – vor allem für den Filmbereich – feststellen: Viele Menschen nutzen illegale Streaming-Angebote. Aber was mir in der oft sehr emotional geführten Urheberrechtsdebatte oft zu Unrecht unter den Tisch fällt, ist, dass die übergroße Mehrheit der Menschen bereit ist, für Werke Geld auszugeben. Nicht einmal der Zusammenhang zwischen Filesharing und dem Schaden bei den Inhalte-Anbietern ist von den absoluten Zahlen her wirklich bewiesen.

"Die Branche wird weiterhin viel Geld verdienen"

Könnte man sagen, die Inhalte-Industrie – Verlage, Musiklabels und Filmstudios – sollten von den kriminellen Angeboten wie kino.to lernen, zumindest was die Nutzung technischer Möglichkeiten angeht?

Sie selbst lernen, dass es einen enormen Markt für gute, einfache und nutzerfreundliche Angebote gibt. Das Problem daran ist nur, dass sich die Filmindustrie dann von dem heutigen Modell der Verwertungskaskaden verabschieden muss, das eine vielfache Rechteverwertung vorsieht, vom Kino bis über die DVD bis zum Fernsehen. Das ist schmerzlich und fällt schwer. Aber in Zeiten, in denen Produktion und Vertrieb nicht mehr die entscheidende Rolle spielen, ist es notwendig, die technischen Möglichkeiten offensiv zu nutzen. Ich sehe in meinem Bekanntenkreis, wie viele Menschen heute schon online, also am klassischen Fernsehen vorbei, amerikanische Serien auf Englisch beziehen. Früher mussten sie Monate, oft Jahre, warten, bis sie diese Werke – auf Deutsch übersetzt – im Fernsehen zu sehen bekamen. Es ist klar: Je kundenfreundlicher der neue Online-Vertrieb wird, desto erfolgreicher wird er sein. Es wirkt etwas absurd, wenn die Politik in einer sozialen Marktwirtschaft den Unternehmen sagen muss: "Ihr sollt kundenfreundliche Angebote machen". Das ist eine Selbstverständlichkeit, auf die ein Unternehmen selbst kommen müsste. Aber die Bilanz fällt nicht ganz düster aus. Die Branche ist in Bewegung. Sie wird mit neuen Modellen weiterhin viel Geld verdienen, da bin ich optimistisch.

Auf dem Höhepunkt der Urheberrechtsdebatte 2012 wurden intensiv Pauschalvergütungsmodelle diskutiert. Ganz grob gesagt: Die Nutzer zahlen im Gegenzug für eine Legalisierung des Filesharings eine Abgabe an die Urheber, etwa an die Musiker und Filmemacher. Was ist aus der Idee geworden, die auch die Grünen diskutiert haben?

"Pauschalvergütung steht nicht unmittelbar auf der Agenda"

Ich würde nicht ausschließen, dass neue Pauschalvergütungssysteme noch kommen, etwa wenn der Ruf nach völliger Internetüberwachung lauter wird, neue Geschäftsmodelle auch weiterhin nicht zur Zufriedenheit der Kreativen funktionieren und wir einfach einen neuen Interessenausgleich finden müssen. Wir Grüne haben etwa die Kulturflatrate vorgestellt. Sie funktioniert als fixe Abgabe auf jeden Breitband-Internetanschluss, die dann an die Kreativen verteilt wird.

Das Grundmodell einer Pauschalvergütung sähe die Legalisierung des Downloads von nicht-DRM-geschützten Werken sowie deren Verbreitung (Upload) und die Bearbeitungen im nicht-kommerziellen Umfang durch Einführung einer Pauschalabgabe auf private Breitbandanschlüsse vor. Aber sicherlich ist so ein System kurzfristig nicht machbar. Voraussetzung wäre es, das EU-Recht zu ändern. Dazu haben wir als Grüne ein Gutachten in Auftrag gegeben. Das stellen wir bald vor. Unmittelbar steht das für uns nicht auf der Agenda.

Was steht unmittelbar auf der Agenda?

Neben der Bekämpfung des Abmahnunwesens die Reform der Verwertungsgesellschaften und des Urhebervertragsrechts. Im Urhebervertragsrecht wollen wir die Position der Kreativen gegenüber den Verwertern, also etwa gegenüber Musiklabels, Filmstudios und Verlagen stärken. Ansonsten lohnt es sich abzuwarten, ob sich die legalen Geschäftsmodelle im Internet durchsetzen.

"Die Sperren auf Youtube sind sehr unbefriedigend"

Die GEMA ist vielen Internet-Nutzern wegen des Streits mit dem Videoportal Youtube ein Begriff. Wie müssten sich die Verwertungsgesellschaften, die für Urheber wie Musiker und Journalisten Tantiemen für die Nutzung und Vervielfältigung ihrer Werke einziehen, mit Blick auf den digitalen Wandel reformieren?

Sie müssen transparenter und demokratischer werden, wobei der Reformbedarf nicht bei allen 13 Verwertungsgesellschaften in Deutschland gleich hoch ist. Im Fall der GEMA muss man besser verstehen, wie die Gelder an wen und nach welchen Kriterien verteilt werden. Letztlich haben wir hier schon eine Form der Pauschalvergütung. Die Nutzer zahlen Geräte- und Leermedienabgaben – etwa auf Festplatten, USB-Sticks und CD-Rohlinge – über die Verwertungsgesellschaften an die Urheber als Ausgleich dafür, dass sie ihre Werke legal privat kopieren dürfen. Das ist immer noch ein sehr moderner Ansatz. Aber in den Vergütungsverhandlungen zwischen Verwertungsgesellschaften und denjenigen, die Werke digital verbreiten, etwa Youtube, haben wir zu viel Stillstand. Da hat man die Kompromisssuche aufgegeben. Beide Seiten verharren auf Maximalpositionen, das führt dann zu lästigen Sperren. Das ist sehr unbefriedigend. Da müssen wir überlegen, wie die Mechanismen besser werden können.

"Der digitale Wandel erfordert progressive, neue Antworten"

Prinzipiell formieren sich in der Debatte immer wieder zwei Lager. Die Kulturschaffenden, die angesichts der Internetpiraterie um ihre Entlohnung fürchten, und die Nutzer, die sich gegen Vorhaben zur Netzüberwachung wehren. Wo stehen die Grünen?

Wir machen keine Klientelpolitik. Es klingt vielleicht etwas pathetisch, aber wir versuchen am Allgemeinwohl orientiert Lösungen zu finden. Natürlich wollen wir die Position gerade auch "kleinerer" Künstlerinnen und Künstler verbessern. Aber nicht zu Lasten der Bürgerrechte. Deshalb diskutieren wir eben nicht nur, wie wir die Freiheit des Internets schützen, sondern auch, wie man Kreative besser vergüten kann. Wir wollen ein zukunftsfähiges Konzept, das allen Interessen Rechnung trägt. Diejenigen, die die totale Freiheit im Internet predigen werden sich meines Erachtens ebenso wenig durchsetzen, wie die, die nur auf Repression aus sind. Der digitale Wandel erfordert progressive, neue Antworten.

Interview: Alexander Wragge

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