Die im Folgenden angeführten Bedingungen können eine Zusammenarbeit in inklusiven Gruppen begünstigen. Sie beziehen sich auf die Notwendigkeit der Herstellung von Gemeinsamkeit und der Bearbeitung von Differenz innerhalb der jeweiligen Gruppe und zeigen Wege auf, wie die Ebenen des integrativen Prozesses sich in einem dynamischen Gleichgewicht ausbalancieren können. Sie sind Ergebnis einer Studie zur Interaktion in inklusiven Kleingruppen während eines inklusionsorientierten Hochschulseminars.
Es ist wichtig, sich explizit über die genauen Vorstellungen zu verständigen, die die Gruppenmitglieder über die Art und den Inhalt der Zusammenarbeit haben. Gerade in inklusiven und damit auch heterogenen Gruppen können die Vorstellungen darüber voneinander abweichen, und es kann nicht von einer homogenen Zugangsweise zum Thema ausgegangen werden. Von ebenso zentraler Bedeutung ist es, darüber zu sprechen, wer in der Gruppe über welche Fähigkeiten verfügt. (…) Durch diese Verständigung werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die anschließende Erarbeitung einer gemeinsamen Aufgabe auch ein gemeinschaftsstiftender Teil der Zusammenarbeit wird. (…)
Ebenso hilfreich ist es, wenn Unterschiede oder Differenzen in der Gruppe explizit reflektiert werden. Metakommunikation ermöglicht so die Auslotung von Beziehungsaspekten, Inhalts- und Sachaspekten sowie Aspekten, die die Befindlichkeiten der individuellen Gruppenmitglieder betreffen. So können Differenzen in der Gruppe verhandelt werden, was zwar zunächst ein Wagnis ist, in einer Gruppe auf Dauer allerdings mehr Sicherheit vermittelt. Besonders gilt dies in inklusiven Gruppen hinsichtlich der Thematisierung von Hilfe- und Unterstützungsbedarfen, der Einbeziehung von Assistenzpersonen in den inhaltlichen Prozess oder den Gruppenprozess, aber auch inhaltlicher und methodischer Verantwortlichkeiten. Hierzu ist ein offener, wertschätzender, interaktiver Raum notwendig, der Differenzen anerkennt, ohne sie zu verschleiern oder die hierarchieherstellende Dimension der Anerkennung unreflektiert zu lassen. (…)
In inklusiven Gruppen ist davon auszugehen, dass die Gruppenmitglieder aus ganz unterschiedlichen institutionellen Zusammenhängen kommen und damit auch unterschiedliche Normerwartungen und Wertvorstellungen haben. (…) Innerhalb einer inklusiven Gruppe ist es notwendig, eine angemessene Art der Bearbeitung dieser Unterschiede zu finden. (…)
Auf gesellschaftlicher, individueller und institutioneller Ebene ist von einer normativen Wirkung bestimmter Differenzkategorien, wie beispielsweise Behinderung, Geschlecht, Herkunft oder Milieu, auszugehen. Das bedeutet, dass bestimmte Erwartungen darüber bestehen, wer etwa für Technik oder ein angenehmes Gruppenklima verantwortlich ist, wer inhaltlich als besonders kompetent angesehen wird oder wer zuverlässig oder unpünktlich ist. Diesen Wirkmechanismen kann sich der oder die Einzelne kaum entziehen. Insofern ist für die Zusammenarbeit in inklusiven Gruppen ein Bewusstsein für diese Wirkweisen notwendig. Ebenso ist es aber auch erforderlich, die Individualität der einzelnen Person im Blick zu haben.
Inklusive heterogene Gruppen benötigen häufig mehr Zeit, um ihre Arbeitsfähigkeit und ein Gemeinschaftsgefühl in der Gruppe zu entwickeln. Daher ist es hilfreich, für die Zusammenarbeit ausreichend Zeit zur Verfügung zu stellen und auch methodisch, beispielsweise durch Interaktionsspiele oder gezielte Arbeitsaufträge, die Entwicklung eines Gemeinschaftsgefühls und einer Gruppenidentität zu unterstützen. So kann Vertrauen innerhalb der Gruppe wachsen, Fremdheitserfahrungen können in ausreichendem Maße berücksichtigt werden und unterschiedliche Haltungen oder Norm- und Wertvorstellungen können explizit besprochen werden. (…)
Durch eine für die Arbeitsfähigkeit der Gruppe notwendige Rollenklärung sowie ausgehandelte und/oder vorhandene Gruppenziele kann das gemeinsame Thema ins Zentrum des Gruppenprozesses rücken. (…)
Die Kriterien sollen Lernende und Lehrende für die gegenseitigen Zuschreibungen von Fähigkeiten, aber auch für das gegenseitige Absprechen von Fähigkeiten sensibilisieren. Um Gruppen in der inklusiven Zusammenarbeit zu unterstützen, ist die Leitung einer Gruppe bzw. bei selbst organisierten Gruppen deren Begleitung von hoher Bedeutung. Gerade die formulierte Forderung nach Metakommunikation erhebt einen hohen Anspruch an inklusive Gruppen, ist sie doch in allen Zusammenhängen, in denen es um die Zusammenarbeit von Menschen geht, alles andere als selbstverständlich. (…)
Literatur
Meyer, Dorothee (2019): Gemeinsamkeit herstellen, Differenz bearbeiten. Eine rekonstruktive Studie zu Gruppenprozessen in inklusiven Kleingruppen, Bad Heilbrunn.