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Das Modell integrativer Prozesse | inklusiv politisch bilden | bpb.de

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Das Modell integrativer Prozesse

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Ein weiteres Modell zur Arbeit in inklusiven Gruppen ist die von Klein, Kreie, Kron und Reiser vorgelegte Theorie integrativer Prozesse (vgl. Klein u. a. 1987: 37 ff.; Reiser 1991: 15 ff.).

Sie bezieht sich auf die themenzentrierte Interaktion (TZI), ein Konzept, das von Ruth Cohn, einer Vertreterin der humanistischen Psychologie, entwickelt wurde und in den 1970er-Jahren vor allem in Deutschland Verbreitung fand (Cohn 1975). TZI bietet auch heute noch pädagogische Anregungen zur Arbeit in heterogenen Gruppen, in denen die Mitglieder unterschiedliche Lebenserfahrungen, Milieuzugehörigkeiten oder unterschiedliche Bildungsbiografien mitbringen. Der Begriff des integrativen Prozesses meint Folgendes: "Als integrativ im allgemeinsten Sinn bezeichnen wir diejenigen Prozesse, bei denen ›Einigungen‹ zwischen widersprüchlichen innerpsychischen Anteilen, gegensätzlichen Sichtweisen, interagierenden Personen und Personengruppen zustande kommen. Einigungen erfordern nicht einheitliche Interpretationen, Ziele und Vorgehensweisen, sondern vielmehr die Bereitschaft, die Positionen des jeweils anderen gelten zu lassen, ohne diese oder die eigene Position als Abweichung zu verstehen. Einigung bedeutet den Verzicht auf die Verfolgung des Andersartigen und stattdessen die Entdeckung des gemeinsam Möglichen bei Akzeptanz des Unterschiedlichen" (Klein u. a. 1987: 37 f.).

Das Modell integrativer Prozesse geht von einem dialektischen Verhältnis von Gleichheit und Verschiedenheit als zentralem Kennzeichen integrativer Bildung und Erziehung aus. Integration ist demnach ein Prozess, in dem Annäherung und Abgrenzung immer wieder ausbalanciert werden müssen. Integration ist also nach diesem Modell eine dynamische Balance zwischen den Polen Annäherung und Abgrenzung. Beide Tendenzen sind dialektisch aufeinander bezogen, ineinander verschränkt und bilden die Antriebskraft integrativer Prozesse.

Aufgrund seiner Entstehungszeit nutzt das Modell der integrativen Prozesse den Begriff der Inklusion noch nicht. (…) Es kann aber auch heute noch als aktuell und praktisch relevant angesehen werden.

Für Prozesse der Zusammenarbeit sagt das dargestellte Modell, dass innerhalb einer inklusiven Gruppe einerseits Wert auf verbindende Themen gelegt werden sollte, andererseits aber auch die Unterschiedlichkeit der einzelnen Mitglieder, etwa in Bezug auf Alter, Lebens- und Lernerfahrung, berücksichtigt und zugelassen werden sollte. Es gelte, sowohl die individuellen Lernbedürfnisse als auch die Gruppensituation und die Beziehungen der Gruppenmitglieder untereinander in den Blick zu nehmen. (…)

Ebenen integrativer Prozesse (© Klein u. a. 1987: 41.)

Die Theorie integrativer Prozesse beschreibt vier Ebenen, deren Gleichgewicht immer wieder hergestellt werden muss. Die Beschreibung von Integration als Prozess aus Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Ebenen zeigt, dass "Entscheidungen auf jeder Ebene Auswirkungen auf die anderen Ebenen haben" (Werning / Löser 2012: 298).

Im Folgenden werden die einzelnen Ebenen des Modells integrativer Prozesse (Abb. 4) erläutert und auf inklusive politische Bildung bezogen:

  • Die "innerpsychische Ebene" ist die Grundlage des Modells und beinhaltet die Auseinandersetzung mit den eigenen inneren "Impulsen und Empfindungen mit dem Ziel ihrer Akzeptanz" (Lindmeier/Lindmeier 2012: 172). In inklusiven Gruppen im Rahmen politischer Bildungsangebote meint diese Ebene beispielsweise die vorhandenen Annahmen in Bezug auf die eigene Rolle und die der anderen Gruppenmitglieder, Erfahrung mit Menschen, die unterschiedlichen Differenzkategorien zugeordnet werden, eigene Behinderungs- oder andere Differenzerfahrung. (…)

  • Die "gesellschaftliche Ebene" beschreibt die "normativen Grundlagen integrativer Prozesse" (Klein u. a. 1987: 40), etwa die gesellschaftlichen Normen, die den Zugang zu Bildungseinrichtungen wie Schulen und Universitäten regeln oder die Rahmenbedingungen in diesen Einrichtungen, wie etwa die dort übliche Zeitstruktur, räumliche Situation oder Gruppengrößen. Auch gesellschaftlich geteilte normative Annahmen über Differenz und Leistung sind hier zu nennen und wirken (…) in die Planung und Durchführung von Angeboten der inklusiven politischen Bildung.

  • Die "interaktionelle Ebene" beschreibt die Zusammenarbeit von Personen in einem integrativen Prozess, den Aspekt der Gruppenbeziehungen und das gemeinsame Handeln (vgl. ebd.: 39 f.). In der inklusiven politischen Bildung meint die interaktionelle Ebene das Erleben des Gruppenprozesses in einem inklusiven Bildungsangebot. Hier können differenzübergreifend vorhandene Grundannahmen über potenzielles Wissen der Teilnehmenden oder deren Interesse am Thema gemeinsam ausgetauscht werden und damit auf der innerpsychischen Ebene überdacht und reflektiert werden. (…)

  • Die "institutionelle Ebene" meint die administrative, institutionelle und konzeptionelle Fassung von integrativen Prozessen und beinhaltet z. B. die Organisationsstrukturen unterschiedlicher Institutionen, etwa der Werkstatt für behinderte Menschen (Problem der Freistellung für Bildungsangebote, Arbeitszeiten), der Universität (Semesterwochenstunden und Teilnehmeranzahl, Prüfungsleistungen), der Schule (Stundentaktung, Lehrpläne, Unterrichtszeiten), des Jugendzentrums (Räume, personelle Ausstattung).

(…) Handeln in der Gruppe an einem gemeinsamen, geteilten Gegenstand kann einen gemeinsamen Bildungs- und Erfahrungsraum herstellen und integrative Prozesse auf der interaktionellen und innerpsychischen Ebene unterstützen. Dies kann aber nur geschehen, wenn für alle Beteiligten relevante Lernerfahrungen möglich sind und die Bedingungen dazu geschaffen werden. (…)

Literatur

Cohn, Ruth C. (1975): Von der Psychoanalyse zur themenzentrierten Interaktion. Von der Behandlung einzelner zu einer Pädagogik für alle. Stuttgart.

Klein, Gabriele / Kreie, Gisela / Kron, Maria / Reiser, Helmut (1987): Integrative Prozesse in Kindergartengruppen. Über die gemeinsame Erziehung von behinderten und nichtbehinderten Kindern. München.

Lindmeier, Bettina / Lindmeier, Christian (2012): Pädagogik bei Behinderung und Benachteiligung, Bd. I, Grundlagen. Stuttgart.

Reiser, Helmut (1991): Wege zur Integration und Irrwege. In: Sander, Alfred / Raidt, Pete (Hrsg.): Sonderpädagogik und Integration. Saarbrücken u. a. S. 13 bis 33.

Werning, Rolf / Löser, Jessica (2012): Inklusion. In: Werning, Rolf / Balgo, Rolf / Palmowski, Winfried / Sassenroth, Martin (Hrsg.): Sonderpädagogik. Lernen, Verhalten, Sprache, Bewegung und Wahrnehmung. München. S. 295 bis 315.

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