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Abschlussprojekt MasterClass: Islamismusprävention aus einer machtkritischen Perspektive | bpb.de

Abschlussprojekt MasterClass: Islamismusprävention aus einer machtkritischen Perspektive Eine Einführung anhand des Beispiels der ‚konfrontativen Religionsbekundung‘

Thy Le Markus Lüke Shari Kohlmeyer Sophie Lorraine Senf

/ 20 Minuten zu lesen

Welche bisweilen unzureichend berücksichtigten Effekte Prävention haben kann, steht anlässlich der Debatten um vermeintlich konfrontative Religionsbekundung im Fokus der AG Prävention.

Jonas Heidebrecht | bpb

Zusammenfassung

Islamismusprävention ist in der gesellschaftlichen Wahrnehmung überwiegend positiv konnotiert. (Rassismus-)Kritische Auseinandersetzungen damit finden jedoch nur äußerst selten statt. Dieser Beitrag möchte daher auf die unzureichend berücksichtigten und häufig übersehenen negativen Effekte von Prävention hinweisen. Er argumentiert: Wenn der Präventionsbegriff weder rassismuskritisch verwendet wird noch bestehende Machtstrukturen reflektiert werden, kann dies dazu führen, dass die negativen Effekte von Prävention (Reproduktion/Verstärkung von antimuslimischem Rassismus auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen, Stabilisierung von Macht- und Herrschaftsstrukturen) die positiven (Verhinderung von Radikalisierung) überwiegen. Diese Gefahr wird am Beispiel der in Berlin-Neukölln geplanten ‚Anlauf- und Dokumentationsstelle konfrontative Religionsbekundung‘ im Kontext Schule illustriert. Zudem zeigt der Fachartikel Perspektiven dazu auf, wie sich die negativen Effekte von Prävention auf individueller, institutioneller und struktureller Ebene abmildern lassen. Der Beitrag richtet sich daher insbesondere an Fachkräfte der Islamismusprävention sowie an Mitarbeitende von Behörden und Fördermittelgeber.

Einleitung

Prävention als die Vorbeugung eines unerwünschten Zustandes ist in der Gesellschaft überwiegend positiv konnotiert. So auch in der Islamismusprävention: Zu Recht wird jede potenzielle Radikalisierung, die durch präventive Maßnahmen verhindert werden kann, als Gewinn für ein demokratisches und sicheres Zusammenleben erachtet. Zur Erreichung dessen scheint die Annahme ‚Prävention so früh wie möglich und so effektiv wie möglich‘ das Präventionsfeld zumindest zu beeinflussen. Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass sich insbesondere das Feld der Islamismusprävention in einem machtbesetzten und von Ungleichheitsverhältnissen geprägten Raum bewegt, wodurch die überwiegend positive Konnotation von Prävention als solche zumindest fraglich erscheint.

Anhand des Beispiels der in Berlin-Neukölln geplanten ‚Anlauf- und Registerstelle konfrontative Religionsbekundung’ (DeVi e. V. 2021a) für Schulen möchten wir in diesem Beitrag illustrieren, dass Islamismusprävention nicht ausschließlich die ihr nachgesagten positiven Effekte mit sich bringt. ‚Konfrontative Religionsbekundung’ markiert in diesem Beispiel einen umstrittenen Begriff, der die Grenzen zwischen Konflikten im Schulalltag und dem Verdacht einer islamistischen Radikalisierung verschwimmen lässt. Unsere These lautet: Ungenaue Begriffsdefinitionen, ein Sozialraum Schule, der in sich keineswegs als hierarchiefrei bezeichnet werden kann, und stigmatisierende, dem Verständnis von Prävention inhärente Logiken können in ihrer Gemengelage dazu führen, dass die negativen Konsequenzen bestimmter Präventionsbemühungen ihre positiven Effekte überwiegen.

Unser Beitrag gibt zunächst einen Überblick über den Ursprung und die verschiedenen Ebenen von Prävention. Anschließend skizzieren wir die gesellschaftlichen (Macht-)Strukturen, innerhalb derer sich das Feld der Islamismusprävention bewegt. Es folgt die Erläuterung und Einbettung des in diesem Beitrag verwendeten Beispiels der ‚Anlauf- und Registerstelle konfrontative Religionsbekundung’. Im Hauptteil dieses Artikels beschäftigten wir uns zunächst auf einer allgemeinen Ebene mit den möglichen negativen Konsequenzen eines unzureichend reflektierten Präventionsverständnisses, welches Machtverhältnisse ausblendet. Hierzu stellen wir zunächst die Verschränkungen von Sicherheitspolitik, Rassismus und Islamismusprävention heraus. Im Anschluss konkretisieren wir diese Überlegungen entlang unseres empirischen Beispiels und verweisen auf die Problematiken, die eine Etablierung der ‚Anlauf- und Registerstelle‘ im Kontext Schule mit sich bringt. Zuletzt zeigen wir den Widerspruch zwischen dem Anspruch einer Herstellung von Sicherheit und dem Hervorheben eines vermeintlichen Risikos im Kontext der Islamismusprävention auf. Um dem von uns kritisierten Beispiel etwas Kon-struktives entgegenzusetzen, beenden wir unseren Beitrag mit Vorschlägen, wie diskriminierungssensible Präventionsarbeit auf verschiedenen Ebenen der Gesellschaft stattfinden kann.

Im Sinne einer machtkritischen Auseinandersetzung soll dem Beitrag eine Selbstverortung der Autor*innen vorangestellt werden: Dieser Artikel ist von vier Personen mit akademischem Hintergrund verfasst worden, die selbst keinen antimuslimischen Rassismus erfahren. Es ist wichtig, diese fehlenden Rassismuserfahrungen zu betonen, da wir nicht für Muslim*innen stellvertretend sprechen können und möchten. Gleichzeitig spiegelt dieser Umstand die ungleichen Gesellschaftsverhältnisse wider. Dennoch möchten wir die Erkenntnisse aus diesem Artikel, die wir im Austausch mit langjährig erfahrenen Praktiker*innen gewonnen haben, dafür nutzen, um auf Machtverhältnisse in der Präventionsarbeit hinzuweisen. Die Autor*innen haben berufliche und/oder akademische Einblicke in den Bereich der Islamismusprävention erlangt und sind Absolvent*innen der MasterClass ‚Präventionsfeld Islamismus’ der Bundeszentrale für politische Bildung im Jahr 2021/22.

Arbeitsdefinitionen und Einführung

(Islamismus-)Prävention: Der Status Quo

Der Begriff ‚Prävention’ hat seinen Ursprung in der Medizin, ist jedoch inzwischen weit darüber hinaus verbreitet und wird auch in gesellschaftspolitischen Kontexten angewandt. So definiert Kemmesies Prävention als einen „Oberbegriff, der im weitesten Sinne Maßnahmen um-schreibt, die umgesetzt werden, um einen ungewünschten Zustand einer Person (etwa: Krankheit) oder Gesellschaft (hier: Extremismus) zu verhindern“ (Kemmesies: 34). Diese Definition lässt die Frage danach offen, was im gesellschaftspolitischen Kontext unter ‚unerwünschten Zuständen’ verstanden wird – und was die Norm ist, aus der heraus diese Zustände abgeleitet werden, und wer diese Norm definiert.

Mit der Islamismusprävention hat sich im Nachgang der Anschläge vom 11. September 2001 nicht zuletzt vor dem Hintergrund sicherheitspolitischer Bemühungen eine eigene Sparte (so-zial)pädagogischer Präventionspraxis entwickelt. Unter dem häufig verwendeten Begriff der ‚Präventionslandschaft’ vereinen sich aktuell staatliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen, darunter Politikwissenschaft, Sozialpädagogik und Islamische Theologie. Die Projekte und Träger im Bereich der Islamismusprävention konzipieren Angebote und Formate, die sich inhaltlich-methodisch, in der Auswahl ihrer Zielgruppen und anhand ihres Interventionszeitpunktes voneinander unterscheiden. In Bezug auf den Interventionszeitpunkt lassen sich nach Caplans Präventionsmodell (1964) primärpräventive von sekundär- und tertiärpräventiven Vorhaben unterscheiden. Die primäre Prävention beginnt bereits vor dem Auftreten eines ‚unerwünschten Zustandes‘, in diesem Fall islamistischer Radikalisierung. Bei der sekundären Prävention gibt es bereits erste Anzeichen einer Radikalisierung. Deren Voranschreiten gilt es vorzubeugen. In der Stufe der tertiären Prävention liegt die Radikalisierung bereits vor und Ausstiegsangebote stehen im Fokus. Was in der Theorie klar erscheint, stellt die Praxis vor Herausforderungen. Dies unterstreicht Lüders, wenn er anmerkt:

„So hilfreich derartige Typologien auch sein mögen, die Vielfalt der Konzepte in einem ersten Schritt zu sortieren, so haben sie eine gemeinsame Schwäche: Sie lassen offen, was mit Prävention gemeint sein könnte mit der Folge, dass die entsprechende Praxis und der Begriff nicht selten inhaltlich geradezu entleert werden“ (Lüders 2016: 520).

Diese ‚inhaltliche Leere‘ des Präventionsbegriffes lässt sich auch mit Blick auf die bestehenden Förderstrukturen im Bereich der Prävention islamistischer Radikalisierung beobachten. Eine explizite präventive Logik lässt sich nicht bei allen Angeboten feststellen und mitunter erweisen sich die Grenzen zu Angeboten der Jugendsozialarbeit oder religiöser Bildung als fließend. Die Ausweitung der staatlichen Förderung im Präventionsbereich der islamischen Radikalisierung koexistiert in Zusammenspiel mit prekären Finanzierungslagen und Sachzwängen in der Kinder- und Jugendhilfe. Dies kann mitunter dazu führen, dass Projekte ihre Arbeit als Prävention ausweisen (müssen), um sich somit Zugang zu finanziellen Ressourcen zu erschließen, die ihre existenzielle Grundlage vorübergehend sichern.

Letztlich profitiert eine Vielzahl der Mittelempfänger von dem gesellschaftlichen Konsens, dass die Vorbeugung eines unerwünschten Zustandes erstrebenswert ist. Auch wenn mit Prävention in erster Linie positive Assoziationen (z. B. Vorbeugung von Radikalisierung) verknüpft werden, so darf nicht außer Acht gelassen werden, dass präventives Handeln auch negative Implikationen mit sich bringen kann. Entscheidend sind dafür u. a. die der Prävention inhärenten Grundannahmen.

Das Verständnis von Prävention fußt auf der Logik der Angst und des Verdachts: Erst die Angst vor dem Eintreten eines unerwünschten Zustandes bringt die Notwendigkeit präventiver Maßnahmen hervor. Während das Gefühl der Angst als wegweisender Kompass präventiver Arbeit verstanden werden kann, definiert die der Prävention inhärente Verdachtslogik, durch wen oder was der unerwünschte Zustand befördert wird. Der Soziologe Bröckling merkt hierzu an: „Der präventive Blick generalisiert […] den Verdacht und sucht Indizien aufzuspüren, die auf künftige Übel hindeuten und an denen die vorbeugenden Maßnahmen ansetzen können“ (Bröckling 2008: 43). Dabei bezieht sich diese Verdachtslogik nicht nur auf einzelne Individu-en. Mitunter geraten, auch abhängig von Präventionsstufe und -feld, ganze gesellschaftliche Gruppen wie etwa alle Muslim*innen durch diese Logik unter Generalverdacht, künftige Übel zu begehen.

Dies wiederum ist Ausdruck von Diskriminierung und Stigmatisierung. Um solche Stigmatisierungen zu vermeiden, ist es notwendig, sich kritisch mit dem Konzept ‚Prävention’ auseinanderzusetzen und die damit verbundenen Herausforderungen genauer zu analysieren.

Islamismusprävention innerhalb von Machtstrukturen

Die zentrale Argumentationslinie dieses Beitrages ist, dass Präventionspraxis und Diskurse über Muslim*innen nicht in einem machtneutralen Raum stattfinden. Macht verstehen wir als ein alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringendes Phänomen, welches sich auf unterschiedlichen Ebenen beobachten lässt. Sie ist eine Spiegelung gesellschaftlicher Ungleichheitsverhältnisse, in denen Wahrnehmung, Denken, Handeln und soziale Beziehungen durch unbewusste und bewusste (Macht-)Praktiken strukturiert und geprägt werden. Dennoch sind Machtverhältnisse nicht statisch. Sie sind gesellschaftlich verhandelbar und lassen sich verändern.

Zur Aufrechterhaltung von Macht braucht es bestimmte diskriminierende Mechanismen und Diskurse, die die eigene gesellschaftliche Machtposition legitimieren und fortschreiben. Darunter fällt auch antimuslimischer Rassismus. Dieser bezeichnet kein individuelles Fehlverhalten. Er bezeichnet als spezifische Form von Rassismus vielmehr das Markieren und Bewerten von Muslim*innen und muslimisch gelesenen Personen innerhalb einer Weiß-christlichen oder säkularen Dominanzgesellschaft als ‚anders‘ und ‚fremd‘ (vgl. Shooman 2014: 40 ff.). Solche Markierungen und Bewertungen sind eine Voraussetzung für Rassismus. Sie basieren auf der Wahrnehmung des äußeren Erscheinungsbildes und geschichtlich und medial beeinflussten Wissens. Diese Wahrnehmung lässt sich wie eine Brille beschreiben, durch die Menschen qua ihrer Religionszugehörigkeit als unveränderlich bewertet werden. Zumeist werden negative Attribute anhand bestimmter Merkmale festgelegt, wodurch pauschale Stereotype entstehen: „Muslim*innen und Menschen, die als Muslim*innen markiert werden, werden als homogene, essentialistische, dichotome Gruppe konstruiert, die im Verhältnis zur ebenfalls konstruierten Eigengruppe als weniger zivilisiert, weniger emanzipiert, weniger frei und weniger fortschrittlich konstruiert wird“ (Attia 2014). Antimuslimischer Rassismus lässt sich auf unterschiedlichen Ebenen beobachten und findet sich in alltäglichen Interaktionen, Institutionen und Strukturen wieder. Zunächst manifestiert er sich in alltäglicher Wahrnehmung und Sprache, beispielsweise wenn als muslimisch gelesene Schüler*innen ungeachtet ihrer deutschen Staatsangehörigkeit nach ihrer Herkunft befragt oder für ihre guten Deutschkenntnisse gelobt werden (vgl. Bühl 2017: 270). Diese Situationen betreffen dabei ausschließlich Schüler*innen, die von der Weißen Dominanzgesellschaft als ‚anders‘ wahrgenommen werden.

Gleichzeitig transzendiert antimuslimischer Rassismus die Ebene der alltäglichen Wahrnehmung und Sprache. Er ist institutionell verankert, beispielsweise im Sozialraum Schule. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass „in Deutschland […] der Zugang zu höherwertigen Schul-, Ausbildungs- und Berufsabschlüssen wie auch der Zugang zum Studium nach wie vor stark durch soziale Herkunft, Bildungsstand und berufliche Stellung der Eltern bestimmt [ist]“ (Korucu 2019: 63). Muslimischen oder als muslimisch markierten Jugendlichen sind Übergänge im Bildungssystem besonders erschwert, weil sie beispielsweise trotz gleicher Leistung schlechtere Noten als ihre Weißen Mitschüler*innen erhalten (vgl. Bonefeld et al. 2017). Dadurch wird der soziale Aufstieg enorm erschwert. Auch in politischen Diskursen auf staatlicher Ebene zeigen sich antimuslimische Rassismuspraktiken deutlich. Die Aussage des ehemaligen Bundesministers für Inneres und Heimat, Horst Seehofer, „der Islam gehört nicht zu Deutschland“ (Süddeutsche Zeitung Online 15.03.2018), ist insofern problematisch, da sie Einteilungen in ‚Wir‘ und ‚die Anderen‘ als akzeptabel markiert und gar verstärkt. Solche Aussagen nähren den Boden für die Wahrnehmung von Muslim*innen als ‚ewige Fremde‘. Unterfüttert durch rechtspopulistische Debatten, deren Narrative auch Eingang in die breite Gesellschaft finden, kann diese Bedrohungswahrnehmung in einen Generalverdacht gegenüber vermeintlich gefährlichen Muslim*innen münden. Diese pauschale Verdachtslogik lässt sich besonders im Falle islamistischer Anschläge beobachten, in deren Nachgang Muslim*innen und als muslimisch gelesene Personen unter öffentlichen Rechtfertigungsdruck gesetzt werden.

Angesichts dieser gesellschaftlichen Machtverhältnisse und eines in allen Lebensbereichen auftretenden Rassismus gegen muslimische oder als muslimisch markierte Personen erfordert der Präventionsbereich islamistischer Radikalisierung ein besonders machtkritisches und reflektiertes Vorgehen, um die bestehenden Ungleichheits- und Diskriminierungsstrukturen nicht zu verschärfen. Im Folgenden skizzieren wir anhand eines Beispiels aus der Präventionspraxis mögliche Folgen einer unzureichend reflektierten Selbstverortung innerhalb der Gesellschaft.

Prävention so früh wie möglich? Das Beispiel der ‚konfrontativen Religionsbekundung‘ in Berlin

Die von dem Träger DeVi e. V. – Verein für Demokratie und Vielfalt geplante ‚Anlauf- und Registerstelle konfrontative Religionsbekundungen’ steht beispielhaft für die Notwendigkeit einer machtkritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Praxis. Unter ‚konfrontativer Religionsbekundung’ versteht DeVi e. V. „religiöse Praxen sowie religiös konnotiertes (Alltags-)Verhalten, die in der (Schul-) Öffentlichkeit ausgelebt und ausagiert werden, auf die Herstellung von Aufmerksamkeit zielen, provozieren wollen, erniedrigen und/oder Dominanz herstellen sollen“ (DeVi e. V. 2021a: 8). Solche ‚konfrontativen Religionsbekundungen’ widersprechen laut Devi e. V. „diametral den Werten einer demokratischen Schule“ (DeVi e. V. 2021a: 42). Aus den Ergebnissen einer vom Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend finanziell geförderten Bedarfserhebung (DeVi e. V. 2021b) an Berliner Schulen schlussfolgert Devi e. V. die Notwendigkeit einer ‚Anlauf- und Registerstelle für konfrontative Religionsbe-kundung’, an die sich Lehrkräfte bei Auftreten religiösen Mobbings wenden und diese melden können. Die Einrichtung der Registerstelle ist vorerst nur für den Berliner Bezirk Neukölln ge-plant, jedoch kursieren auch Überlegungen zu einer Ausweitung auf Bundesebene (vgl. Qanta-ra 2022).

Die Bezeichnung ‚konfrontative Religionsbekundung’ und die geplante ‚Anlauf- und Registerstelle‘ sind in der Präventionspraxis umstritten, der Begriff ‚konfrontative Religionsbekundung’ selbst ist inzwischen zu einer Chiffre für die Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Präventionsprojekten geworden, welche auch in lokalen und überregionalen Medien vielfach Beachtung fand (vgl. etwa Thiel in FAZ 2022; Karakayalı/Kulaçatan in GEW 2022; Krumpholz in Islamische Zeitung 2022; Claudia Krieg in nd 2022; Schröter in Neue Zürcher Zeitung 2022; Qantara 2022; Schulz in Tagesspiegel 2022; Memarnia in taz 2022; Sammann in Deutschland-funk 2022).

Gegenstand der Auseinandersetzung ist vor allem die unterschiedliche Einschätzung von zivilgesellschaftlichen Trägern und Lehrkräften zu Ursachen von religiös konnotierten Konflikten im Schulalltag. Im Fokus stehen dabei vorranging religiös-praktizierende muslimische Jugendliche in Berlin-Neuköllner Schulen. Bereits deren Wunsch nach einem Gebetsraum, das Kopftuchtragen, das Fasten oder das Verweigern eines Handschlags werden von zivilgesellschaftlichen Trägern und Lehrkräften mitunter als ‘konfrontative Religionsbekundungen’ und damit als mögliche Anzeichen einer Radikalisierung bewertet, die wiederum Präventionsmaßnahmen nahelegten und die Registerstelle erforderlich machten.

Die Idee einer ‚Anlauf- und Registerstelle‘ ist auch aus der Kritik heraus erwachsen, dass die etablierte Berliner Präventionslandschaft zu spät interveniere. Ihr Ziel ist daher, frühzeitiger anzusetzen und sich potenziell radikalisierende Jugendliche anhand ‚konfrontativer Religionsbekundungen’ zu erkennen. So kritisiert DeVi e. V.: „Die Berliner Präventionslandschaft […] nimmt Radikalisierungsfaktoren unterhalb der ‚kontinuierlichen Teilnahme‘ und des ‚Aufbaus persönlicher Beziehungen‘ in islamistischen Strukturen und Angeboten nicht in den Blick […]“ (DeVi e. V. 2021a: 27). Strittig ist die frühe Intervention besonders deshalb, weil sie eine potenzielle Radikalisierung und Fälle ‚konfrontativer Religionsbekundung’ in einen vermeintlich kausalen Zusammenhang stellt oder ‚konfrontative Religionsbekundung’ sogar synonym mit ‚Islamismus’ verwendet (vgl. Nordbruch 2022). Gerade weil das Verständnis von ‚konfrontativer Religionsbekundung’ hier vage bleibt, entsteht viel Raum für eigene Interpretationen und Bewertungen seitens der Lehrkräfte. Alternative Interpretationen der problematisierten Situationen bleiben dabei unberücksichtigt. Während also einerseits Religiosität als Ursache schulischer Konflikte benannt wird und in ihrer ‚konfrontativen Ausübung’ bereits Anzeichen von Radikalisierung vermutet werden, wird andererseits darauf hingewiesen, dass „der demonstrative Bezug auf den Islam […] nicht unbedingt einem intrinsischen Wunsch nach Spiritualität oder religiöser Praxis [entspringt], sondern […] sich oft als Suche nach einer ‚Rückzugs-‘ oder ‚Restidentität‘ in Reaktion auf eine verweigerte Zugehörigkeit und Anerkennung in der Gesellschaft beschreiben [lässt]“ (Nordbruch 2022).

Die bei DeVi e. V. erkennbare Ursachenauslegung schulischer Konflikte und die damit einhergehenden Maßnahmen können gravierende Folgen für muslimische oder als muslimisch markierte Schüler*innen haben. Die Annahme von ‚konfrontativer Religionsbekundung’ als Indikator beginnender Radikalisierung sowie die aus ihr begründete ‚Anlauf- und Registerstelle‘ als Maßnahme stehen sinnbildlich für ein bestimmtes Präventionsverständnis, welches wir im Folgenden einer kritischen Betrachtung unterziehen möchten.

Hauptteil

Verschränkungen von Sicherheitspolitik, Rassismus und Prävention

Um die nicht-intendierten und durchaus nicht unproblematischen Nebeneffekte von Prävention zu erläutern, erscheint es wesentlich, Prävention zunächst in ihrer Einbettung in den nationalen (und internationalen) ‚Anti-Terror-Kampf‘ zu erfassen. So erweist sich Prävention in ihrer Zielsetzung der Verhinderung von Radikalisierung und islamistischem Terrorismus auch als sicherheitspolitisches Instrument. Dadurch kann und wird Prävention zur Durchsetzung nationaler Interessen genutzt. Weil sie die Fähigkeit hat, Unerwünschtes zu verhindern, kann sie auch steuern, wie Gesellschaft in Zukunft ausgestaltet oder nicht ausgestaltet sein soll. Dies bedeutet immer auch eine Stabilisierung des gegenwärtigen Status Quo (vgl. Dollinger 2006: 148).

Aktuell zeigen politikwissenschaftliche Trendanalysen, dass Sicherheitspolitik von Nationalstaaten und internationalen Bündnissen immer intensiver bedient werden. Dies geht u. a. darauf zurück, dass auch die gesellschaftlichen Bedürfnisse nach Sicherheit gestiegen sind. Dieser Komplex, d. h. die Hinwendung zu und das Ziel vermehrter Sicherheit, wird in der Politikwissenschaft als ‚Versicherheitlichungstendenz‘ verstanden und kann viele Facetten aufweisen (vgl. Friedensgutachten 2022: 139).

Wesentlich ist dabei, dass Sicherheit nicht per se schlecht ist; auf Sicherheit ausgerichtete Politik erzielt häufig friedensfördernde oder -erhaltende Effekte. Durch ihre Ausrichtung auf Verhinderung radikaler gesellschaftlicher Umwälzungen nimmt sie jedoch auch in Kauf, gegenwärtige hierarchische Macht- und Ungleichheitsverhältnisse zu stabilisieren. Dabei darf nicht ausgeblendet werden, dass Sicherheit stets nur ein Ziel bleibt, dem man sich annähern, das aber nie vollständig garantiert werden kann.

Grundsätzlich spiegelt sich im Streben nach Sicherheit immer auch ein Machtgefälle. So sind es stets Menschen der Dominanzgesellschaft, die unter Sicherheitsdiskursen als bedroht gelten und durch Sicherheitsbehörden und ihre Maßnahmen geschützt werden. Wiederum andere, insbesondere marginalisierte Gruppen sind es, gegen die sich die Sicherheitsmaßnahmen richten, weil sie als Täter*innen und/oder Gefährder*innen konstruiert werden.

Aus einer ähnlichen machtprivilegierten Position heraus funktioniert auch Prävention: Sie definiert: Wer oder was ist anders – und ist damit Zielgruppe von Prävention? Die Markierung als anders wird, wie bereits angedeutet wurde, im Fall der Islamismusprävention als potenziell ‚radikal’, ‚extremistisch’ oder ‚terroristisch’ gedeutet. Dies hat jedoch unmittelbare Auswirkungen auf Betroffene, denn die Begriffe sind aufgeladen und stigmatisierungsbehaftet, gerade weil sie Gefahr, Bedrohung und Interventionsbedarf suggerieren. Die Angst junger Menschen vor dieser Markierung kann als solche disziplinierend wirken. Das bedeutet, dass das als anders markierte Verhalten schon aus eigener Motivation heraus vermieden wird.

Insofern hat Prävention auch einen gewissen normierenden Effekt. Weil als ‚unerwünscht‘ markiertes Verhalten verhindert werden soll, kann sie die Wirkmacht haben, Gleichheit zu schaffen und Unterschiede zu unterdrücken. Die Gefahr eines solchen Effektes besteht insbesondere, wenn Prävention Ausweitung erfährt und nicht nur anlassbezogen agiert.

Die ‚Anlauf- und Registerstelle’ als präventive Maßnahme birgt die Gefahr eines Nährbodens für Stigmata und Diskriminierung, da muslimische Jugendliche bei sichtbarer Religiosität unter einem möglichen Generalverdacht der Radikalisierung stehen können. Indem bereits Kopftuchtragen oder Gebetsraumforderungen in Schulen als ‚konfrontative Religionsbekundung’ oder gar als „Gefahr für den Schulfrieden“ (Devi e. V. 2021a: 29f.) wahrgenommen werden, werden Muslim*innen als allgemeine Sicherheitsgefährdung markiert. Mit einer frühzeitigen Intervention, die bereits in Fällen ‚konfrontativer Religionsbekundung’ Gestalt finden kann, jedoch nicht muss, konstruiert Devi e. V. eine Illusion vermeidbarer Gefahr. Diese wird auf Kosten individueller Freiheitsrechte der muslimischen Schüler*innen wie ihrer Glaubensfreiheit ausgetragen. Ferner weitet die Registerstelle Kontinuitäten gesellschaftlicher Regulierung aus, wenn Lehrkräfte ein Neutralitätsgebot für ihre Schüler*innen einfordern. Dass Regulierung, Kontrolle und Sanktionierung bis heute nicht alle Individuen gleichermaßen betreffen, sondern sich stets an bestimmte, rassifizierte – in diesem Fall Muslim*innen und als muslimisch gelesene – Menschen richten, sollte im Sinne einer machtkritischen Reflexion nicht unbeachtet bleiben.

‚Konfrontative Religionsbekundung’ als Machtdemonstration in einem hierarchisierten Diskurs

Bei ‚konfrontativer Religionsbekundung’ und den geplanten Gegenmaßnahmen spielen ungleiche Machtverhältnisse und aus ihnen resultierende Privilegien eine entscheidende Rolle. Dies ist in dem Verhältnis zwischen Lehrer*in und Schüler*in bereits der Fall, findet aber noch eine Zuspitzung, wenn Weiße Lehrer*innen muslimische Jugendliche auf die Einhaltung religions-neutraler, säkularer Normen hinweisen. Die Lehrkraft als Autoritätsinstanz entscheidet über In- und Ausschluss aus dem Klassenverband, wenn vermeintlich provokante Religionsausübungen von muslimischen oder als muslimisch markierten Jugendlichen im Raum stehen. Damit erleben die Jugendlichen Erfahrungen der Ausgrenzung und fehlender Anerkennung. Die Gefahr permanenter Zuschreibung von muslimischen Jugendlichen als potenziell störend oder bedrohlich, erweist sich als sinnbildlich für Alltagsrassismus im Schulkontext. Das Konzept der ‚konfrontativen Religionsbekundung’ leugnet zudem das emanzipatorische Element und die Aspekte der Identitätsfindung im Jugendalter, welche Jugendliche durch das Praktizieren ihres Glaubens erleben können. Stattdessen werden Religiosität als religiös begründete Provokationen und Muslim*innen als Saboteur*innen eines von Devi e. V. willkürlich definierten „Schulfriedens“ (Devi e. V. 2021a: 41ff. & DeVi e. V. 2021b: 46ff.) bewertet. „Schulfrieden“ als Konzept umfasst keine klare Definition (vgl. Schieder 2022). Wenn Lehrer*innen und Praktiker*innen der Prävention sich darauf berufen, die Religion dürfe nicht in den Vordergrund treten, werden Muslim*innen so als ‚anders‘, abweichend oder unerwünscht markiert. Dabei tritt ein Widerspruch zum Vorschein:

„Konflikte werden auch durch eine widersprüchliche Erwartung bei der Thematisierung weltanschaulicher Fragen in Schulen begünstigt. Schulen in Deutschland haben einerseits den Anspruch, religiös neutral zu sein, andererseits setzen sie oft christlich-säkuläre Normen voraus.“ (Mecheril et al. 2019 zit. in Koch 2022)

Die schulischen Konflikte werden eher begünstigt, als dass sie gelöst werden. Würden Lehrer*innen das Verhalten muslimischer Schüler*innen an eine Registerstelle melden, legitimiert dies gesellschaftliche Diskriminierung und öffnet weitere Spielräume für antimuslimischen (Alltags-)Rassismus. Zudem bringt die ‚Anlauf- und Registerstelle’ Lehrkräfte in einen Rollenkonflikt: Einerseits liegt ihrer Arbeit ein pädagogischer Auftrag zugrunde, der Lehrkräfte als Vertrauenspersonen ihrer Schüler*innen definiert, andererseits werden sie durch die ‚Anlauf- und Registerstelle konfrontativer Religionsbekundung' eine Sanktionierungsinstanz, die Jugendliche als ‘Gefährder*innen des Schulfriedens’ an eine externe Registerstelle übermittelt. Eine ganzheitliche oder lebensweltorientierte Betrachtung der eigenen Schüler*innen und schulinterner Konflikte rückt dabei aus dem Fokus.

Zwar müssen Handlungen präventionstypisch vorab als potenziell radikal, gefährdend oder gar extremistisch bzw. terroristisch eingestuft werden. Auf diese Weise ist die Verhinderung von Radikalisierung im Sinne der Primärprävention möglich, bevor sie sich entfalten kann. Allerdings birgt dies die Gefahr einer Stigmatisierung, wenn Menschen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit oder anderer bestimmter Merkmale einem Generalverdacht unterstellt werden. Präventive Verdachtslogik kann so Täter*innen ohne Tatbestand konstruieren (vgl. Dollinger 2006: 147). Rassismen und gesellschaftliche Machtstrukturen werden durch ein Präventionsverständnis, das die ‚Anlauf- und Registerstelle‘ nahelegt, nicht nur reproduziert, sondern auch weiter verstärkt. Dass diese Gefahr auf einer theoretischen Ebene stets bestehen bleibt, beschreibt Qasem in einer Reflexion über das Verhältnis von Rassismus und Prävention:

„Erlauben wir uns, an dieser Stelle weiterzudenken, kommen wir unweigerlich zu dem Schluss, dass Islamismusprävention als regulierendes Instrument stets offen für rassistischen Missbrauch sein muss. […] Ein mit Homogenität gleichgestelltes Sicherheitsverständnis führt […] in der Praxis zur Eindeutschung – und in diesem Falle: Entreligiösierung – muslimischer Subjekte durch die Verweigerung von Anerkennung an diejenigen MuslimInnen, die sich einer imaginierten deutschen Leitkultur nicht unterordnen möchten.“ (Qasem 2017)

Daraus wird deutlich, dass Prävention als Konzept Implikationen enthält, der sich die Praxis stellen muss. Sie verliert dadurch jedoch nicht an Relevanz. Vielmehr gilt es zu reflektieren, dass die Leistung von Präventionsarbeit stets aus einer machtprivilegierten Position heraus geschieht. Politische Entscheidungsträger*innen, Praktiker*innen der Prävention, Pädagog*innen und Lehrkräfte besitzen die Deutungshoheit darüber, wie viel Religiosität im Sozialraum Schule erlaubt und gesellschaftlich akzeptiert ist, und bestimmen so auch öffentliche Wahrnehmungen und Diskurse um muslimische Jugendliche mit. Unzureichend reflektierte Präventionspraxis birgt demnach gravierendes Missbrauchspotenzial. Wenn Terrorismus- und Radikalisierungsargumente zur Unterdrückung jeglicher als ‘abweichend’ markierter Verhaltensweisen herangezogen werden, kann Prävention konträre und verheerende Negativeffekte erzielen.

Prävention zwischen paradoxen Verstrickungen von Risiko und Sicherheit

Aus dem Ansatz und dem Wirken von Prävention ergibt sich ein Machtgefälle. So steht der Anspruch, Sicherheit zu schaffen, im scheinbaren Widerspruch zur präventiven Hervorbringung des Risikos. Die Wahrnehmung der Alltagspraktiken muslimischer Jugendlicher als sogenannte ‚konfrontative Religionsbekundung’ soll laut DeVi e. V. der Registrierung und damit der vorgeblichen Schaffung des ‚Schulfriedens’ und der allgemeinen Sicherheit dienen (vgl. DeVi e. V. 2021a: 41ff. & DeVi e. V. 2021b: 46ff.). Jedoch laufen die Maßnahmen Gefahr, ein nachhaltiges Bedrohungsszenario und Gefühl der Angst in Schulen zu erzeugen. Die Kategorisierung in ein ‚Wir’, die Gefährdeten, und die ‚Anderen’, die Gefährder*innen, führt zu einer Polarisierung, die die Benennung von Rassismus sowie die Solidarität mit Betroffenen (an Schulen) zusätzlich erschwert. Daraus entstehen Effekte, die existenziellen Einfluss auf das Leben muslimischer Schüler*innen haben können. Wenn ihnen Anerkennung, aber auch Schutz ihrer Rechte und Bedürfnisse verwehrt werden, Unschuldsvermutungen nicht länger gelten und ihrem möglicherweise lediglich juvenilen Rang- und Dominanzverhalten mit sicherheitspolitischen außerschulischen Maßnahmen begegnet werden, werden vielmehr durch diese diskriminierenden Praktiken reale islamistische Hinwendungen begünstigt (vgl. Celik et al. 2021: 6). Es gilt dennoch zu differenzieren: Erfahrungen von Diskriminierung leiten bei Jugendlichen nicht garantiert eine Radikalisierung ein, aber Diskriminierungen spielen in radikalisierten Biografien eine Rolle. Die Ignoranz diskriminierenden Handelns kann zur leiblichen Bedrohung werden, von der sich die Gesellschaft nicht abwenden darf.

Fazit: Perspektiven auf Prävention

Prävention ist nur in gesellschaftliche Kontexte eingebettet denkbar. So prägen Normen und Wertvorstellungen einerseits das Bild eines optimalen Zusammenlebens – andererseits können sie auch ängstliche Vorstellungen von Bedrohung und Unerwünschtem implizieren.

Der Vorstoß zur sogenannten ‚konfrontativen Religionsbekundung’ markiert eine Gratwanderung in der pädagogischen Präventionsarbeit. „Wer dem einen Übel vorbeugt, befördert häufig ein anderes“ (2008: 39), schreibt Bröckling über die widersprüchlichen Effekte der Präventionspraxis. In ihrer guten Absicht ist Prävention nicht frei von Widersprüchen und der Gefahr, unbeabsichtigte negative Folgen nach sich zu ziehen. Das Beispiel der sogenannten ‚konfrontativen Religionsbekundung’ und die dafür vorgesehene Einrichtung einer ‚Anlauf- und Registerstelle‘ markieren beispielhaft die gegenläufige Wirkung in der Präventionsarbeit nach Bröcklings (2008) obigem Zitat – die Islamismusprävention birgt Anzeichen von Stigmatisierung und ungleichen Machtbeziehungen, die im Zuge von Sicherheitsbemühungen unerwünschte Effekte wie Radikalisierung eliminieren will. Dadurch werden bestehende rassistische Denkweisen reproduziert und verstärkt.

Islamismusprävention erzielt damit entgegen dem gesellschaftlichen Konsens nicht nur positive Effekte. Im Falle der geplanten ‚Anlauf- und Registerstelle konfrontativer Religionsbekundung’ überwiegen unserer Ansicht nach die negativen Effekte der Prävention die positiven. Jede verhinderte Radikalisierung ist für sich ein gesellschaftlicher Erfolg. So wünschenswert eine frühzeitige Erkennung und Intervention in Fällen islamistischer Radikalisierung auch ist, so darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die zugrunde gelegte Präventionslogik gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse mitunter zementiert. Bei der Umsetzung von Präventionsmaßnahmen sollten diese Ungleichheitsverhältnisse stets berücksichtigt werden. Wie lässt sich garantieren, dass die positiven Effekte von Prävention, nämlich die Verhinderung von Radikalisierung, die negativen einer Unterfütterung gesellschaftlicher Machtstrukturen überwiegen?

Zur Beantwortung der Frage werden ein struktureller ganzheitlicher Ansatz und eine Abkehr von Einzelmaßnahmen benötigt. Eine Gewährleistung diskriminierungssensibler Präventionsarbeit sollte daher auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen stattfinden. Dafür kann der Beitrag nur einzelne handlungsanleitende Anstöße liefern, die in ihrer Individualität nichts an rassistischen Grundstrukturen zu verändern vermögen. Bis dahin können sie dennoch einen wichtigen Beitrag zur Abfederung von antimuslimischem Rassismus liefern.

So sollte auf der individuellen Ebene die eigene Machtposition reflektiert werden: Wie nehme ich Muslim*innen wahr? Aus welcher Perspektive spreche ich, welche Privilegien besitze ich? Welche (betroffenen) Stimmen werden (nicht) gehört?

Auf institutioneller Ebene gilt es, die beteiligten Akteur*innen hinsichtlich gesellschaftlicher Machtverhältnisse zu schulen. Im Falle der ‚Anlauf- und Registerstelle’ braucht es eine Sensibilisierung von Lehrkräften hinsichtlich der Lebenswelten muslimischer Schüler*innen, um einen unaufgeregten Umgang mit muslimischer Religionsausübung zu stärken.

Selbstverständlich spielt auf struktureller Ebene auch die Förderlogik eine wichtige Rolle bei der Vermeidung negativer Folgen von Prävention: Bestehende Prämissen der Prävention, nach denen sich die Ausschreibung für Präventionsprojekte richtet, sollten fortlaufend reflektiert werden. Dabei sollte ein besonderes Augenmerk auf möglichen Stigmatisierungspotenzialen liegen. Die Perspektiven und Erfahrungen der von Rassismus Betroffenen sollten bei der Entstehung von Förderkonzepten eine entscheidende Rolle spielen. Noch immer erfahren muslimische Selbstorganisationen bei der Beantragung öffentlicher Fördermittel laufende Diskriminierung auf förderstruktureller Ebene – das betrifft ebenso um Anerkennung werbende Jugendverbände (Greschner 2021: 337). Solange die Perspektiven der von Rassismus betroffenen Personen unzureichend in Präventionskonzepte einfließen und über anstatt mit Muslim*innen gesprochen wird, lässt sich nicht von einer gelingenden Präventionspraxis sprechen.

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